Leidenschaftlich Vater sein. Symbolbild: Getty Images / ridvan celik

Vater sein mit Leidenschaft: „Ich bin nur meinem Kind etwas schuldig“

Der Journalist und Autor Tillmann Prüfer ist leidenschaftlich gern Vater. Wie er die Rolle und Aufgaben eines modernen Vaters sieht und woran sich Väter heute orientieren können, erzählt er im Interview.

Sie sind Vater von vier Töchtern. Was ist die wichtigste Lektion, die Sie durch Ihre Kinder gelernt haben?
Tillman Prüfer: Dass man mehr von den Kindern beigebracht bekommt, als man selbst den Kindern beibringt. Man denkt normalerweise, dass Erziehung so funktioniert: Da kommt ein junger Mensch wie ein unbeschriebenes Blatt zur Welt und wird dann durch die Eltern gebildet, mit Werten versorgt und so etwas. Wenn man dann aber mit Kindern zu tun hat, merkt man, dass man von ihnen mindestens genauso viel lernen kann, wie sie von einem selbst lernen, und dass man sich selbst durch die Kinder genauso verändert. Es ist ein beidseitiges Beeinflussen. Einem wird ein Mensch ins Leben geschenkt, der aber schon, wenn er da ist, ein vollkommener Mensch ist, also eine vollkommene Persönlichkeit, mit der man dann das Leben bestreitet.

Andererseits brauchen Kinder Sicherheit und Richtungsweisung. Ist das ein Widerspruch?
Nein, das ist kein Widerspruch. Natürlich lernt das Kind von den Eltern und von seinem Vater. Aber es lernt nicht in dem Sinne, dass man Regeln und Vorgaben gibt. Das braucht man natürlich für ein gesundes Zusammenleben. Aber es lernt vor allem durch das Vorbild der Eltern. Und wenn ich Vater eines Kindes bin, lernt das Kind vorrangig durch die Anschauung meiner Person: Wie kommt er durch sein Leben, was ist ihm wichtig, worauf achtet er besonders, wie löst er Probleme, was macht ihn glücklich? Das bedeutet Sicherheit und Richtung. Das verlangt viel Auseinandersetzung mit sich selbst. Denn wenn ich meinem Kind etwas vorleben möchte, muss ich erst mal wissen, was das eigentlich ist. Und dann kommt die entscheidende Frage: Wann lebe ich das eigentlich vor? Wann ist die Zeit dafür? Wann haben wir eigentlich Zeit, miteinander Dinge zu erleben? Das ist der Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung.

Orientierung für Väter

Woran sollten sich Väter orientieren, gerade wenn sie kein optimales Vorbild hatten?
Umfragen haben ergeben, dass die meisten Männer ihre Väter lieben und positive Erinnerungen an sie haben. Aber leider ist der Normalfall ein Vater, der zu wenig Zeit hatte, um sie mit seinen Kindern zu genießen, weil seine Aufgabe in der Familie die des Alleinernährers war. Das ist leider immer noch das übliche Modell. Aber dadurch verpasst er viel. Später tut es ihm leid und er sieht sich im Defizit. Um das zu kompensieren, würde ich mich hinsetzen – allein oder mit der Partnerin – und auf einen Zettel schreiben, was mir wichtig ist, was meine Erwartungen an Vaterschaft sind, woran sich mein Kind erinnern soll. Was soll es gelernt haben, was soll rübergekommen sein? Anders gesagt: Was soll diese Vaterschaft nachher ausgemacht haben?

Wenn dann vier oder fünf Begriffe da stehen, kann ich mir überlegen, wie ich das weitergeben kann: Sind das gemeinsame Urlaube, Gespräche, gemeinsame Unternehmungen? Wenn ich zum Beispiel gern Fußball spiele, kann ich mit meinem Kind Fußball spielen oder ins Stadion gehen. Plötzlich ergeben sich sehr konkrete Dinge. Dann kann ich mir im dritten Schritt überlegen, wann dafür Zeit ist. Da wird es manchmal schwieriger, wenn ich merke, dass die Zeit zwischen 20 Uhr, wenn ich nach Hause komme, und 7 Uhr morgens, wenn ich das Kind in die Schule bringe, gar nicht so lang ist. Da kann ich ja gar nichts transportieren. Wann ist dann die Zeit, in der nur ich allein mit meinem Kind etwas machen kann? Dann geht es weiter mit dem Überlegen: Bin ich damit zufrieden? Kann ich das anders anstellen? Ich würde empfehlen, möglichst konkrete Aufgaben und Probleme zu benennen.

Rollen und Herausforderungen

Als Vater hat man verschiedene Rollen. Welche genau sind das?
Die Mutter- und Vaterrolle sind Begriffe aus der Entwicklungspsychologie, die gut eingeführt sind, aber die nicht grundsätzlich an Geschlechter geheftet sind. Da sind einfach zwei Menschen, Vorbilder, die ein Kind für eine günstige Entwicklung haben sollte. An der Vaterrolle ist das Wichtigste, dass man einen Elternpart hat, der eher den Herausforderer spielt, das Kind mit neuen Aufgaben konfrontiert, das Kind mehr lockt und ermutigt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass das immer der Vater sein muss.

Es gibt Situationen in unserer Ehe, da ist meine Frau eher in der Rolle der Herausforderin. Wenn wir im Urlaub sind, steigt sie mit dem Kind auf irgendwelche Klippen und springt wieder runter. Ich denke dann: „Spinnt ihr, ihr könnt euch wehtun! Bleibt doch besser hier, das ist doch viel zu gefährlich!“ Da bin ich eher der schützende, behütende Part. Das sind die zwei wesentlichen Dinge, die einem Kind guttun: Es sollte einen Part geben, bei dem es sich eher Schutz suchend zurückziehen kann, und einen Part, der eher nach außen zieht, der sagt: „Guck mal, geh doch mal da hin! Du kannst das!“ Das können sich Partner natürlich hin- und herspielen, wie es für sie passt. Nur diese Dualität ist gut.

Als Mann, als Vater, steht man vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen: Man möchte ein guter Vater sein, für die Kinder da sein, für die Ehefrau, man soll genug Geld verdienen, erfolgreich im Beruf sein. Wie sollte man mit diesen Erwartungen umgehen?
Indem man sich nur eine Person vornimmt, der man irgendetwas schuldig ist – und das ist das Kind. Natürlich kommen tausend Erwartungen: die des Chefs, der Partnerin, der Freunde, der Eltern und so weiter. Aber die einzige Person, der ich wirklich etwas schuldig bin, ist das Kind. Und das ist auch der einzige wirkliche Referenzpunkt, ob man seine Sache gut gemacht hat oder nicht. Das wird das Kind einem schon irgendwann sagen. Leider haben wir heute gar nicht so seltene Fälle von Vätern, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, nachdem sie ausgezogen sind. Und die leiden darunter, weil da einiges grundlegend falsch gelaufen ist. Wichtig ist: Man kann Dinge ganz anders machen, als die Gesellschaft das sagt. Man kann Dinge auch anders machen, als die eigene Frau das gut findet. Es geht einzig um das Kind. Wenn das Kind der Verlierer ist, dann ist etwas schiefgelaufen.

Vater – zwischen Beruf und Familie

Gibt es Berufe, die nicht familienkompatibel sind?
Mein Beruf gilt als nicht familienkompatibel. Und trotzdem arbeite ich seit über zwanzig Jahren in Teilzeit und habe ein abwechslungsreiches Arbeitsleben. Wir Männer glauben, wir können alles verändern, alles schaffen. Das männliche Bild ist: „The sky is the limit“, „Wir schaffen das!“ Aber dann diktiert der Job unser Leben. Das soll unabänderlich sein? Das glaube ich nicht! Wenn ich es will, dann kann ich mir die Dinge so biegen, dass ich für andere Menschen auch greifbar bin. Und wenn man sagt, das ist ein Job, der nicht kompatibel sei – ja, was soll das denn für ein Job sein? Einer, der mit einem glücklichen Leben nicht kompatibel ist? Ich glaube, wir müssen uns abgewöhnen zu denken, dass viele Überstunden das Maß der Dinge sind. Und mal ehrlich: Vierzig Stunden mehr in der Woche am Computer zu sitzen, ist, mit etwas Distanz betrachtet, auch nicht so toll.

Was würden Sie einem jungen oder werdenden Vater als wichtigsten Rat mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste ist, dass er sich vergegenwärtigt, dass Vatersein – genauso wie das Muttersein – das Leben komplett ändert. Und es ist das größte Abenteuer, das man als Mensch bestehen kann, einen anderen Menschen großzuziehen.

Das Zweite ist, dass es kein Job ist. Wenn Männer von ihrer angehenden Vaterschaft sprechen, dann sagen sie häufig, eine große Verantwortung liege jetzt vor ihnen und das alte Leben sei vorbei. Nein, es ist nicht vorbei. Das alte Leben ist das Leben, das man einem Kind vorlebt. Und es ist ganz wichtig, dass man Spaß daran hat und dass man es so macht, wie es für einen passt, weil es dann auch für das Kind meistens ganz gut passt. Man kriegt dafür keine Beförderung, es gibt keine Sternchen. Es gibt aber ein fantastisches Leben mit einem anderen Menschen.

Und das Dritte ist, dass man Vaterschaft auf die Lebensspanne sehen muss. Oft hat man das als Vater so im Kopf: Ich muss Geld verdienen und für das Kind sorgen, bis es ausgezogen ist, dann habe ich meine Arbeit gemacht. Nein, man ist ein Leben lang Vater – und ein Referenzpunkt für das Kind. Es guckt zu, wie man alt wird, wie man sein Leben in den Griff kriegt. Das, was sich dabei ändert, ist der zeitliche Horizont, in dem man tatsächlich Zeit mit dem Kind verbringen und sich als Vater einbringen kann. Es gibt eine Zahl – ich habe sie leider nicht nachgeprüft –, dass mit dem 12. Lebensjahr des Kindes die Face-to-Face-Zeit, die ein Kind mit seinen Eltern verbringt, schon zu 80 Prozent rum ist. Danach bleiben noch 20 Prozent. Das heißt, bis zum 12. Lebensjahr passiert das meiste.

Aber das ist gleichzeitig die Zeit, in der die Väter meistens voll im Job sind, das Häuschen abbezahlen, aber die wertvollste Zeit verpassen. Meist bemerkt man erst spät, wie krass das ist, weil man danach auch nicht mehr alles nachholen kann. Daher würde ich immer dazu raten, dies bei den wichtigen Entscheidungen zu bedenken.

Verlorenes aufholen

Wenn ein Vater in den Teenager-Jahren der Kinder feststellt, dass er im Kleinkindalter kaum zu Hause war und viel verpasst hat, kann man das zumindest teilweise nachholen?
Man kann einiges nachholen, anderes nicht. Ich glaube, es ist auch die Frage, wie weit man bereit ist, dem Kind gegenüber Fehler zuzugeben. Auch ich musste mit meiner ältesten Tochter viel sprechen und viel nacharbeiten. Das ist nicht einfach! Es ist einfacher, wenn man Dinge zusammen erlebt, als wenn man das später nacharbeitet. Man kann viel Vertrauen und Tiefe in der Beziehung später herstellen, aber man muss es wirklich wollen und das dem Kind von Herzen zeigen. Ich glaube, Kinder reagieren nicht gut darauf, wenn sie denken: „Aha, jetzt, wo sein Job nicht mehr so wichtig ist, bin ich plötzlich wichtig!“ Um diesen Eindruck zu vermeiden, braucht es schon ein bisschen Überzeugungskraft.

Sie haben Kinder sowohl im Teenager-Alter als auch schon erwachsene, und Sie haben die ganze Entwicklung schon durchgemacht. Wie verändert sich das Vatersein mit dem Aufwachsen der Kinder?
Es ist natürlich immer mehr ein Reden auf Augenhöhe. Kinder sind vom ersten Tag an als Persönlichkeit da. Und ihr Feedback wird konkreter. Meine Tochter Lotta hat mir kürzlich gesagt, dass es für sie immer wichtig war, dass ihre Eltern mit ihr auf Augenhöhe sprechen. Denn wenn man von oben herab behandelt wird, erzählt man irgendwann auch nichts mehr. Man kann sich früh bewusst machen, dass es nur sehr kurze Zeit ein echtes Machtgefälle zwischen Eltern und Kindern gibt. Der Einfluss, den Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder haben, in der sie alles in der Hand haben, existiert nur im Kleinkindalter. Aber danach nimmt es rasch ab und ist irgendwann gar nicht mehr da. Und wenn ich mich nicht darauf einlasse, meine Kinder ernst zu nehmen, dann kann ich auch nicht erwarten, dass meine Kinder mich ernst nehmen.

Vielen Dank für das Gespräch und die wertvollen Anregungen!

Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.

Tillmann Prüfer ist stellvertretender Chefredakteur des Zeitmagazins und Autor mehrere Bücher. Zuletzt erschien sein Buch „Vatersein: Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen“ (Rowohlt/Kindler)