Viel Drama um nichts
Manchmal ergeben sich aus Banalitäten skurrile und schräge Streitigkeiten. Paarberaterin Ira Schneider berichtet, wie sie mit ihrem Mann aneinandergerät und dabei feststellt, wie wunderbar Unterschiede sind.
Ich knalle die Autotür ordentlich hinter mir zu und höre mich pampig „Dann fahr doch alleine!“ sagen. Ich verweile noch auf dem Parkplatz. David war nun also losgefahren.
Die Wasserkaraffe
Inhaltlich hatte alles ganz harmlos mit einer von mir ausgeliehenen Wasserkaraffe begonnen. Nun ging es nur darum, wer unsere ausgeliehene Wasserkaraffe zum Auto bringt. Doch dahinter versteckten sich unsere Unterschiedlichkeiten: Meine manchmal zu ausschweifende Gelassenheit, wenn es darum geht, etwas zurückzugeben, und Davids Gewissenhaftigkeit. Ich hatte die Wasserkaraffe versehentlich vor einigen Wochen aus unserer Kirche mitgenommen. Für mich war völlig klar: In unserer Kirche stehen genug Karaffen rum und wahrscheinlich wird sie niemand vermissen, auch wenn sie erst in ein paar Wochen – oder Monaten – wieder auftaucht. Im Ergebnis prallten nicht nur Davids Gewissenhaftigkeit, sondern auch sein Bedürfnis nach Ordnung – und dass die Dinge nicht ewig bei uns rumstehen – und meine Gelassenheit aufeinander.
Ein kleiner Machtkampf
Nun gut. Gerade hatten wir noch diskutiert und versucht, auszuhandeln, wer nun diese große, schwere und wirklich unzumutbare Aufgabe übernimmt, die Wasserkaraffe ganz alleine die 50 langen Meter bis zum Auto zu tragen. Doch wie sind wir eigentlich bei der zuknallenden Autotür gelandet? Das Ganze hatte sich dann nämlich ordentlich hochgeschaukelt. Ich wollte die Karaffe inzwischen gar nicht erst mitnehmen und habe in den Dickkopfmodus gewechselt. David wiederum wollte sie nun umso dringender unbedingt an jenem Sonntag zurückgeben. Wir beide sahen die Aufgabe, sie zum Auto zu tragen, definitiv bei der anderen Person. Ich sah die Verantwortung bei ihm, schließlich wollte er sie ja wegbringen. Er sah sie bei mir, weil ich sie ausgeliehen hatte. Eins stand fest: Keiner war bereit, nachzugeben und sich zu opfern und sie in einem Akt tiefgreifender Selbstaufgabe bis hin zum Auto zu tragen. David erweckte den Anschein, nahm sie in die Hand, schmuggelte sie unterwegs aber vorsichtig und flink in meine Tasche. In meinem grenzenlosen Scharfsinn bemerkte ich dies, ließ die Tasche einfach stehen und ging weiter. Hinter diesem Hin und Her verbarg sich ein kleiner Machtkampf ums Gewinnen und ums Rechthaben. Eigentlich ja ein Konfliktklassiker. Einer, den wir doch längst begraben glaubten. Einer, der uns nicht mehr passieren würde. Unsere Ehe ist doch erwachsen und reif. Wir? Nein. Wir zanken doch nicht unnütz! Wir hängen uns auch nicht an überflüssigen Themen auf. Scheinbar doch!
Und plötzlich haben wir einen Lachanfall
Nun stehe ich da und warte. Ein nicht allzu kleines Fünkchen in mir hofft und wiegt sich in dem Glauben, dass es nur wenige Sekunden dauern wird, bis wir uns wiedersehen. Er fährt sicherlich nur eine Runde um den Block und kommt dann wieder. Er fährt ja nicht wirklich los, denke ich mir. Tatsächlich drehe ich mich zur Seite und er kommt angefahren. Ich steige ins Auto ein und muss schon währenddessen irgendwie schmunzeln, aber ich verkneife mir mein Grinsen noch einen Moment.
Ich will noch einen Blick in sein Gesicht erhaschen und stelle fest, dass er ebenfalls krampfhaft versucht, nicht draufloszulachen. Da sitzen wir beide also und haben einen Lachanfall.
Nur ein wenig Drama
So einen intensiven Konflikt hatten wir lange nicht mehr, dachte ich mir. Aber irgendwas sagt mir, dass der Konflikt gar nicht so tragisch war. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass er künstlich aufgeblasen war; einfach ein wenig Drama. Schon mitten im Konflikt hatte ich den Eindruck, als würde ich uns, wie in einem Kino, von außen zuschauen. Ich fand uns amüsant, lächerlich und sogar etwas kindisch. Als wir einige Tage später nochmal darüber sprachen, berichtete David, dass er das ganz ähnlich wahrgenommen hatte – wie anders der Konflikt war –, verglichen mit einer ernsthaften Streitigkeit. Ich genieße dieses verbindende Gefühl, wenn wir in unserer Ehe eine gleiche Feststellung machen.
Viel geschafft, aber noch nicht fertig
Etwas in uns hatte sich verändert. Vielleicht hat uns der Konflikt sogar ein Stück weit Spaß gemacht. Uns zu zanken, uns zu necken, uns aneinander zu reiben und abzuarbeiten, den anderen als starkes Gegenüber zu erleben und herauszufordern, kann guttun. Konflikte sind immer auch eine Suche nach Verbindung. Wir leben die feste Überzeugung, dass eine Streitkultur gesund, wichtig und notwendig ist. Gutes Streiten ist eine Kompetenz. Es heißt ja nicht umsonst KonfliktFÄHIGKEIT. Eins war mir zumindest klar: Wir hatten dazugelernt. Wir verheddern uns weniger lang im Streit und verlieren die Außenperspektive nicht. Wir können mitten im Streit lachen, weil wir ein gemeinsames Grundverständnis gefunden haben und wissen, dass der Streit nicht die Oberhand behält, sondern dass wir ihn im Griff haben. Wir können uns selbst sogar ein bisschen zuschauen und uns über uns kompetente Zankexperten amüsieren.
Über sich selbst zu lachen und vor allem miteinander zu lachen, ist Gold wert. In dem Moment, in dem das Lachen ausbricht, haben wir nicht nur das beste Rettungsmanöver im Gepäck, sondern können einander feiern und schätzen! Denn wenn ich ehrlich bin, bin ich über Davids Gewissenhaftigkeit und Ordnung an den meisten Tagen überaus froh. Ohne unseren Putzplan, den er erstellt hat, würden wir im Chaos versinken. Ja, unser Anderssein beißt sich manchmal, aber darin liegt gleichzeitig eine riesige Chance. Wir können uns ergänzen, denn wir sind beide genau richtig und gut so, wie wir sind.
Auch wir als Paarberater sehen in Konflikten immer wieder eine Chance, uns langfristig besser zu verstehen. Wir lernen einander ebenfalls immer weiter kennen und auch, unsere Unterschiede zu zelebrieren.
Ira Schneider arbeitet als psychologische Beraterin in einer Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle. Gemeinsam mit ihrem Mann bietet sie Paarberatungen an.