„Dumm und faul“: Jedes vierte Kind wird geschlagen und beschimpft

Gewalt ist für viele Kinder und Jugendliche in Deutschland normal. Vor allem in sozial schwachen Familien gehören Missachtung und Ohrfeigen oft zum Alltag. Große Sorge bereitet Experten aber auch die wachsende Gruppe der „Piesacker“.

Fast jedes vierte Kind wird einer neuen Studie zufolge von Erwachsenen geschlagen. Insgesamt 22,3 Prozent der Befragten zwischen sechs und 16 Jahren erlitten oft oder manchmal körperliche Gewalt durch Erwachsene, heißt es in einer am Montag in Berlin vorgestellten Studie der Universität Bielefeld. Gewalt sei in Deutschland für viele Heranwachsende erschreckender Alltag. Kinder ab sechs Jahren seien dabei öfter betroffen (28 Prozent) als Jugendliche (17 Prozent).

Auffällig sei, dass Gewalt ein in allen Schichten verbreitetes Phänomen sei, sagte Professor Holger Ziegler von der Fakultät für Erziehungswissenschaften an der Universität Bielefeld. Jedoch würden Kinder in schwierigen sozialen Verhältnissen häufiger und heftiger geschlagen.

Insgesamt 32,5 Prozent der sozial benachteiligten Kinder zwischen sechs und elf Jahren geben an, oft oder manchmal von Erwachsenen geschlagen zu werden, davon rund 17 Prozent so heftig, dass sie blaue Flecken haben, sagte Ziegler. Bei den durchschnittlich bis privilegiert gestellten Kindern kommt das mit 6,6 beziehungsweise 1,4 Prozent dagegen weitaus weniger vor.

Interessant sei auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Eltern und Kindern besonders in den privilegierten Schichten, sagte Ziegler. Weniger als ein Prozent dieser Eltern gaben zu, ihr Kind in der vergangenen Woche geohrfeigt zu haben, ein Wert, der sich mit den Aussagen der Kinder (23 Prozent) nicht deckt. Bei den sozial schwachen Eltern räumten immerhin 14 Prozent Gewalttätigkeiten ein.

Ein großes Problem seien auch Missachtungs- und Mobbingerfahrungen, sagte Ziegler. Rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen (25,1 Prozent) berichten davon, von Erwachsenen als „dumm“ oder „faul“ beschimpft zu werden. Besonders Kinder aus sozial schwachen Familien (45 Prozent) fühlen sich zudem in der Schule von Lehrern schlechter behandelt als ihre privilegierten Mitschüler. Von denen teilen nur 22,6 Prozent diese Erfahrung.

Sozial schwache Schüler werden auch häufiger gemobbt. Über 70 Prozent geben an, gehänselt zu werden, bei den privilegierten sind es rund 60 Prozent. „Insgesamt kann man sagen, je schwächer Kinder sozial sind, desto stärker sind die Mobbingerfahrungen“, sagte Ziegler. Missbrauchs- und Mobbingerfahrungen wirkten sich stärker als körperliche Gewalt auf den Umfang von emotionalen Problemen, das Wohlbefinden und das Selbstvertrauen aus, warnte er.

Bei der Typisierung der Kinder, die mit Gewalt zu tun haben, bereiten dem Erziehungswissenschaftler „die Piesacker“ die größten Sorgen: Diese seien zumeist Jungen aus privilegierten Verhältnissen, mit einem guten Verhältnis zu ihren Eltern, überdurchschnittlich ausgeprägtem Selbstbewusstsein und trotzdem einem hohem Maß an eigener Gewalttätigkeit. Ihr Anteil liegt laut Ziegler derzeit bei rund 16 Prozent – mit wachsender Tendenz. Die „Piesacker-Haltung“ sei erfolgsorientiert und deswegen gesellschaftlich weit verbreitet: „Man muss sehen, wo man bleibt und der Erfolg gibt einem Recht.“

Der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerkes „Die Arche“, der Berliner Pastor Bernd Siggelkow, berichtete von seinen eigenen Praxiserfahrungen. Demnach habe es in den vergangenen Jahren „eine extreme Zunahme der Gewalt unter Kindern und Jugendlichen“ gegeben. Nichtige Anlässe reichten oft aus, um eine Schlägerei anzuzetteln. „Kinder, die immer unterdrückt und gereizt werden, reagieren irgendwann selber nur noch mit Gewalt“, warnte Siggelkow.

Für die „Gewaltstudie 2013 – Gewalt- und Missachtungserfahrungen von Kindern und Jugendlichen heute“ befragten Wissenschaftler knapp 900 junge Menschen in Berlin, Köln und Dresden. Die Ergebnisse seien somit repräsentativ, hieß es. Entstanden ist die Studie im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung, die seit 2008 Förderprogramme für sozial benachteiligte Kinder finanziell unterstützt.

 

Quelle: epd

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