Auf eigenen Füßen – „Meine Tochter wirkt rastlos“
Elternfrage: „Meine Tochter (23) tanzt sprichwörtlich immer auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig. Ihr fällt es schwer, Einladungen abzusagen, und sie wirkt oft getrieben. Welche Anregungen könnten ihr helfen, den Alltag fokussierter zu gestalten?“
Ihre Tochter tanzt sich durchs Leben. Wie schön ist das! Sie ist in der Blüte ihrer Kraft, scheint beliebt zu sein, wird eingeladen. Auch das ist wunderschön, denn es zeigt, dass sie Menschen wichtig ist. Es ist häufig so, dass etwas Gutes auch seine Schattenseite hat. Sie als Elternteil haben das bereits bemerkt. Ihre Tochter eventuell noch nicht? Das ist nun die große Herausforderung: Wie können Sie sie neugierig machen auf Lösungen, die sie selbst anscheinend noch nicht sucht?
Antreiber und Erlauber
Vielleicht haben Sie eine gemeinsame Bekannte, die sich auch durchs Leben tanzt, aber bereits mehr Fokus im Leben hat. Dann lohnt ein zarter Hinweis von Ihnen: „Schau mal, die Saskia! Die ist ja auch richtig beliebt, aber sie nimmt sich ganz bewusst auch Zeiten für sich allein. Ich finde das toll. Sie chillt in der Badewanne mit einem leckeren Kakao samt Buch. So was lässt doch immer wieder gut runterkommen.“ Könnte sein, dass Sie damit geheime Sehnsüchte Ihrer Tochter wecken können.
Sollten Sie beide es gewöhnt sein, auch über Persönliches miteinander ins Gespräch zu kommen, können Sie natürlich auch tiefer einsteigen. Teilen Sie ehrlich Ihre Befürchtungen mit: „Du, Große, manchmal wirkst du etwas gehetzt. Kann es sein, dass du privat ganz schön viel um die Ohren hast?“ Wenn es gut läuft, könnte sich ein Austausch über unsere Antreiber anschließen. Es sind die geheimen Prägungen, die unser Denken, Fühlen und Handeln oft unbewusst bestimmen. Jeder Mensch hat sie, und es ist lohnenswert, sie zu finden. Vielleicht möchte Ihre Tochter es gern allen recht machen? Vielleicht fällt es ihr schwer, Nein zu sagen? Sobald sie ihre Antreiber gefunden hat, kann sie sich eine Suchrunde gönnen. Denn wir dürfen uns Erlauber geben. Also Sätze, die dem alten Antreiber die Macht über uns nehmen. Der Erlauber könnte lauten: „Ich darf auch mal Nein sagen. Ich darf mir etwas Gutes gönnen, statt überall mitzumischen.“ Es wird Ihrer Tochter guttun, wenn sie anschließend erlebt: Meine Freundinnen oder Verwandten bedauern meine Absage, haben mich aber genauso lieb wie vorher, auch wenn ich mal nicht mit von der Partie bin. Andere sind oft wesentlich verständnisvoller als wir denken.
Mit Abstand entscheiden
Neben dieser inneren Schiene kann man sich im Alltagswahnsinn eine gute Ampel aufstellen. Ich persönlich gönne mir bei jeder Einladung oder Anfrage erst mal „einmal drüber schlafen“. Also zunächst rot statt grün. Dadurch entsteht Abstand. Den kann man nutzen für ein Abstandstraining:
- zum Beten: Gott, ist das für mich dran?
- zum Fühlen: Was sagt denn mein Bauchgefühl?
- zum Planen: Was gibt mein Kalender in dieser Woche her?
Dadurch entsteht gesunder Fokus auf das Wesentliche. Nach den ersten positiven Erfahrungen, in denen Ihre Tochter hoffentlich erfährt, dass sie viel entspannter durch die Woche kommt, fällt es deutlich leichter als am Anfang, eigene Grenzen fcund Bedürfnisse zu achten.
Kerstin Wendel ist Rednerin, Seminarleiterin und Autorin des Buches: Weniger. Was wir brauchen, um mehr Leben zu haben (SCM R.Brockhaus).