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Besser als gedacht: Debora und ihr Mann gestalten ihre Ehe mit einem Business-Tool

Eigentlich soll die Methode „OKR“ Unternehmen nach vorne bringen. Debora Herwig und ihr Mann haben sie im Familienalltag ausprobiert, mit erstaunlichem Ergebnis.

Ein Business-Tool für die Ehe? Und das soll ein Ehekurs sein? Für mich klang OKR, also „objectives and key results“ (Ziele und Schlüsselergebnisse) nach Arbeit, nach Zielen und Unternehmensplänen, sehr fremd und wenig einladend. Außerdem war ich mit unserem Sohn im Kleinkindalter so ausgelastet, dass ich keinen Nerv dafür hatte, mir eine Ehe-Vision zu überlegen, die ich auch noch umsetzen soll. Mein Mann war jedoch sofort Feuer und Flamme, als er vom Seminar „OKR für Paare“ hörte. Mit OKR ist er vertraut, da er die Methode im Beruf anwendet.

Wir hatten uns bei unserer Hochzeit vor sieben Jahren vorgenommen, einmal im Jahr etwas ganz Besonderes für unsere Ehe zu tun. Wir gönnen uns zum Beispiel ein Wochenende zu zweit oder einen Ehekurs, um unserer Beziehung etwas Gutes zu tun und sie frisch zu halten. Der Kurs „OKR für Paare“ war aber ganz anders gestrickt als die Ehekurse, die wir bereits besucht hatten.

Partner entwickeln eine gemeinsame Vision

Wie können wir unser Leben so gestalten, dass wir uns nach unseren Zielen ausrichten und unsere Wünsche und Bedürfnisse Erfüllung finden? Genau darum geht’s bei „OKR für Paare“. Das fand ich spannend und überzeugend. Es gibt in diesem Kurs keinen Input zu klassischen Beziehungsthemen. Wir lernten eine Methode kennen, die uns in kurzer Zeit helfen sollte, das Leben zu leben, das wir uns wünschen. Es geht dabei um eine Ehe mit Sinn und tiefer Verbundenheit zum Ehepartner – trotz vieler Aktivitäten und begrenzter Zeit im Alltag.

Zunächst entwickelten wir eine gemeinsame Ehe-Vision basierend auf der Fragestellung: Wie soll unser (Ehe-)Leben in den nächsten Jahren aussehen? Dann arbeiteten wir eine Mission aus und definierten fünf Strategiefelder oder Bereiche, in denen wir diese Vision leben wollen.

Konkret sieht dies bei uns so aus: Wir haben viele großartige Menschen um uns herum, die nicht wissen, wie wertvoll sie sind und wie sie ihre Begabungen entfalten können. Wir haben daher die Vision entwickelt: „Die Welt blüht auf, weil Menschen eine neue Perspektive leben.“ Davon abgeleitet haben wir die Mission: „Menschen in unserem Umfeld erkennen ihren Wert und leben ihre Berufung.“ Dafür schlägt unser Herz! Zuallererst möchten wir diese Mission bei unseren Kindern und den Menschen um uns herum leben. Zusätzlich habe ich mich als Lebens- und Familienberaterin selbstständig gemacht. Mein Mann ist als Mentor für junge Männer tätig.

Leitfragen bestimmen den Alltag

Nun kann man große Visionen haben, ohne dass sie im Alltag eine Rolle spielen. Und irgendwann fragt man sich, welches Leben man eigentlich gelebt hat. Genau hier kommen die OKRs ins Spiel. Abgeleitet von den großen Linien werden viermal im Jahr konkrete Wünsche, Bedürfnisse und Ziele für die nächsten drei Monate entwickelt. Hierbei geht es nicht um To-do-Listen. Die Leitfrage lautet vielmehr: Wie soll sich unser Leben in drei Monaten anfühlen? Und woran erkennen wir, dass dabei herauskommt, was wir möchten? Die OKRs werden dann in einem „Wochencheck“ besprochen.

Wir wünschen uns mehr Ruhe und Zeit für uns? Wir wünschen uns eine tiefere Beziehung zu unseren Kindern? Wir möchten uns geliebt fühlen? All dies können Ziele für ein Quartal sein.

Eines unserer Strategiefelder ist zum Beispiel unsere wachsende Familie. Ein weiterer Sohn bereichert mittlerweile unsere Familie. Wir haben uns vorgenommen, dass wir herausfinden, was unseren Kindern Freude bereitet, und bauen dies bewusst in unseren Alltag ein. Unser Erstgeborener spielt gerne mit Wasser. Erst kürzlich wollte er mir in der Küche helfen und hat für mich „gespült“. Ich wusste, dass er danach von oben bis unten nass sein und die ganze Küche unter Wasser stehen würde. In unserer Strategie steht jedoch, dass unser Sohn glückliche Momente erleben soll, in denen er zum Beispiel „nass ist“. So konnte ich mich über seine Hilfe beim Spülen freuen, auch wenn das für mich hinterher viel Arbeit bedeutete.

Mehr Glück durch Wochenchecks

In unserer Strategie haben wir auch die Beziehungen zu unseren Herkunftsfamilien angeschaut und überlegt, wie wir diese leben möchten. Die Oma von meinem Mann ist schon alt. Es ist uns wichtig, dass unsere Kinder eine gute Beziehung zu ihr aufbauen können und wir die Zeit nutzen, die wir (noch) mit ihr haben. Konkret wurde daraus ein regelmäßiges Essen bei ihr zu Hause. Dass wir unser Abendbrot in einen Korb packen und zu ihr fahren, bedeutet für uns wenig Mehraufwand, es bereichert aber unsere Beziehung zu ihr. Das macht einen großen Unterschied.

Auch unsere Paarbeziehung ist ein wichtiger Teil unserer Strategie. Dort haben wir festgehalten, dass wir uns jede Woche Zeit als Paar nehmen, dass wir uns gemeinsam engagieren wollen, uns ein gemeinsames Hobby suchen wollen und unsere Kinder merken sollen, dass wir uns lieben. Hierzu haben wir uns überlegt, wann wir uns selbst vom anderen geliebt fühlen und dann immer beim Wochencheck reflektiert, wie stark wir dies in der vergangenen Woche erlebt haben. Das klingt im ersten Moment unromantisch, jedoch ist der Vorteil, dass wir unsere konkreten Wünsche im Blick haben, unsere Beziehung im Alltag bewusster gestalten und dadurch glücklicher sind.

Schwierige Gespräche, gutes Ergebnis

Der Wochencheck hilft nicht nur, die gemeinsame Entwicklung im Blick zu behalten, er schafft auch eine tiefe Verbindung zueinander, weil wir uns intensiv darüber unterhalten, wie es uns geht, was uns beschäftigt, was uns fehlt … Diese Gespräche sind sehr wertvoll, auch wenn sie ab und an schwierig sind, da es hier ans Eingemachte geht. Uns wird immer wieder deutlich, dass es schmerzhaft ist, wenn Bedürfnisse und Wünsche im Alltag untergehen. Manchmal stehen sich Bedürfnisse auch gegenseitig im Weg. So wünsche ich mir Sicherheit und Zeit mit der Familie, während mein Mann seine Selbstständigkeit gerne ausbauen möchte. Es ist herausfordernd, solche Themen zu klären, gleichzeitig ist es sehr wichtig, hinter unsere Wünsche und Ziele zu schauen. Genau solche Knackpunkte zu besprechen, die Bedürfnisse herauszufinden und vielleicht auch ganz neue Lösungen zu finden – dafür bietet die Methode einen guten Rahmen.

Nach über einem Jahr mit „OKR für Paare“ können mein Mann und ich diese Methode wärmstens empfehlen. Mit geringem zeitlichem Aufwand kann sich viel Positives in der Ehe und im Alltag verändern – das ist beeindruckend!

Debora Herwig ist Diakonin und Systemische Beraterin (deboraherwig.de). Sie lebt mit ihrer Familie im Kreis Calw im Nordschwarzwald.