Foto: Julia Asshoff

Der Angst ins Gesicht schauen

Sara Bohlen hat mit „Furchtlos“ ein Buch geschrieben, in dem sie sich intensiv mit einer Strategie gegen die Angst auseinandersetzt.

Bist du furchtlos?
Gute Frage. Ich glaube nicht, dass man wirklich dahin kommt, komplett ohne Angst zu sein. Ich glaube auch nicht, dass es das Ziel ist, keine Angst mehr zu haben. Angst ist eine Emotion, die Gott uns gegeben hat. Der Titel meines Buches ist von daher vielleicht ein bisschen provokant. Trotzdem glaube ich, dass ich immer mehr reflektieren kann, wo ich von Furcht geleitet bin oder war und mich bewusst entscheiden kann, mutige Entscheidungen zu treffen. Das ist das Ziel: Die Angst zu kennen und ihr ins Gesicht zu schauen und dann zu sagen: Ich möchte aber diese Richtung einschlagen und mutig meine Bestimmung leben.

Was sind denn Dinge, vor denen du Angst hast?
Ich kämpfe immer wieder mit der Frage: Was denken Leute über mich? Ich habe Angst, als Leiterin oder als Mama zu versagen. Das hat auch mit meinem eigenen Anspruch an mich selbst zu tun.

Und wie war das für dich in der Corona-Zeit?
Corona war schrecklich und hat sehr viele Ängste hochgeholt, die mir gar nicht so bewusst waren. Wir leiten eine junge Kirche, und bis zu Corona hatten wir eine wahnsinnige Dynamik. Es kamen viele Leute, und wir waren eher ein bisschen überfordert mit dem Wachstum. In der Corona-Zeit war es total schwierig zu merken: Man spürt die Leute nicht. Und die Leute sind vielleicht nicht so verbunden mit der Gemeinde, wie wir uns das gewünscht hätten. Auf einmal kommen Frust und komische Gespräche und Kritik. Ich hatte nicht viel Angst vor dem Virus selbst, sondern Angst, nicht allem gerecht zu werden, Angst, zu versagen, Angst, Leute zu verlieren, Angst vor Kritik und davor, dass ich mich nicht mehr erfolgreich fühle. Da hat Gott mich entlarvt und ich habe gemerkt: Ich möchte nicht, dass ich davon motiviert bin.

Was hat dir geholfen?
Mir hat tatsächlich die Auseinandersetzung mit dem Thema für das Buch geholfen. Ich habe das Gefühl, dass es ein Trick war von Gott, dass ich mich damit auseinandersetzen musste, weil ich mich vorher nicht unbedingt als furchtsamen oder ängstlichen Menschen bezeichnet hätte. Aber die Auseinandersetzung mit dem Thema hat mir gezeigt, dass Angst oft anders aussieht, als man denkt. Nicht nur die haben mit Angst zu kämpfen, die sich die Decke über den Kopf ziehen und sich einigeln, wenn Corona kommt. Angst kann ganz unterschiedlich aussehen. Die Auseinandersetzung mit diesen inneren Glaubenssätzen, mit den Ursachen und den Schutzfunktionen, die man ergreift, wenn man ängstlich ist, hat mir total geholfen. Und das Gebet, Gott zu suchen, um Hilfe zu rufen.

Hast du eine Strategie, wenn du merkst: Jetzt kommt Angst in mir hoch?
Wir haben in dem Kurs, der meinem Buch zugrunde liegt, eine Formel entwickelt: See, Reflect, Choose, Act. Das sind vier Schritte, vier Fragen, die man sich stellen kann. Und das mache ich tatsächlich immer mal wieder. „See“ bedeutet: Was fühle ich gerade? Und auch: Wie reagiert mein Körper? Warum bin ich grad so negativ? „Reflect“ heißt: Wo kommt das her? Wann hat das angefangen? Und „Choose“ bedeutet: Was möchte ich denken? Mein Inneres ist in irgendeine Richtung abgebogen, aber es gibt auch einen anderen Weg, für den ich mich entscheiden kann. Und „Act“ ist dann, diesen Weg zu gehen und entsprechend zu handeln. Diese Formel, diese vier Fragen gehe ich immer mal wieder durch.

Jesus sagt ja häufig: „Fürchtet euch nicht.“ Aber wie passt das zusammen mit seiner Aussage: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“?
Ich glaube, dass Angst etwas Normales ist und dass wir keine Angst vor der Angst zu haben brauchen. Wenn Jesus sagt: „In der Welt habt ihr Angst“, bedeutet das: Angst gehört zu uns, zu unserer Menschlichkeit und auch zu dem Umfeld, in dem wir leben, dazu. Das ist nun mal nicht sicher, es ist bedrohlich für uns und auch gefährlich. Jesus sagt: „Ihr habt Angst, das ist normal, das gehört dazu.“ Und diese Aussage „Fürchtet euch nicht“ in der Bibel ist eigentlich immer verknüpft mit „… denn ich bin bei dir“. Das finde ich so stark, dass es nicht heißt „Fürchte dich nicht!“ im Sinne von „Du sollst das nicht fühlen!“. Sondern: „Hey, du brauchst dich nicht zu fürchten, denn ich bin bei dir. Es gibt eine größere Realität in dieser Situation jetzt gerade. Gott hat Macht über unser Weltgeschehen.“ Oder: „Gottes Sicht von mir ist wichtiger als die Sicht von Menschen.“ Wir gucken dann nicht mehr auf das, was uns beängstigt, sondern eben zu Jesus und zu seinen Alternativen.

Du hast einen Bibelvers aus dem 2. Timotheus-Brief als Motto über dein Buch gestellt: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Was fasziniert dich an diesem Vers?
Je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto mehr sehe ich, dass Kraft, Liebe und Besonnenheit nicht nur theologisch, sondern auch psychologisch richtige Pfunde gegen die Angst sind. Wenn ich weiß, ich habe die nötige Kraft, ich habe das nötige Beziehungsfundament, ich habe die nötige Unterstützung und ich habe Besonnenheit – was bedeutet, ich reagiere nicht impulsiv, sondern mit Weisheit, mit einer bewussten Entscheidung –, sind das auch psychologisch Schlüssel gegen die Angst. Aber da steht eben auch: Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit. Dass der Heilige Geist das mitbringt in unser Leben und diese Sachen in unserem Leben etablieren möchte, finde ich toll. Dass wir nicht nur angewiesen sind auf Psychologie, sondern dass wir eine Kraft an unserer Seite haben. Ich finde es unglaublich schön, dass wir nicht allein sind, sondern Gott an unsere Seite kommt, um uns in die Freiheit zu führen.

Interview: Bettina Wendland

Sara Bohlen leitet zusammen mit ihrem Mann Renke die „Kirche im Pott“ mit Standorten in Bochum, Dortmund und Münster. Für ihre Gemeinde hat sie zusammen mit einer Psychologin den Kurs „Fearless“ entwickelt, auf dessen Grundlage ihr Buch „Furchtlos“ (SCM R.Brockhaus) entstanden ist. Sara lebt mit Renke und ihren drei Töchtern Amie, Mila und Ella in Bochum.