Gewaltfreie Kommunikation: Diese 4 Schritte helfen zum Familienfrieden
Gedankenlose Kommentare führen in Konfliktsituationen schnell zur Eskalation. Gewaltfreie Kommunikation hilft, dies zu vermeiden. Eine Expertin verrät, wie es funktioniert.
Ich kenne, nutze und übe Gewaltfreie Kommunikation (GFK) seit etwa fünf Jahren. Es ist ein Kommunikationskonzept, das von dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde. Wenn ich Menschen, die GFK nicht kennen, begeistert davon erzähle, ernte ich meist irritierte Blicke. Der Begriff führt leicht zu Missverständnissen. Kommuniziert jemand, der GFK nicht kennt, automatisch gewalttätig? Das wird oft als Vorwurf verstanden und löst wenig Begeisterung aus.
Begriffe wie „kooperative Kommunikation“, „wertschätzende Kommunikation“, oder „Sprache der Verbindung“ würden den Kern der Methode auch treffend beschreiben. Marshall B. Rosenberg erkannte dieses Dilemma, aber der Name war schon sehr verbreitet. Er wurde ursprünglich in Anlehnung an Mahatma Gandhis Konzept des Nicht-Verletzens gewählt.
Am Anfang war die Gewaltfreie Kommunikation für mich ein Werkzeug. Ich suchte nach Lösungen, wie wir in unserer Patchworkfamilie mit sechs Kindern – damals zwischen sechs und sechzehn Jahren – besser mit Konflikten umgehen konnten. Meistens waren es Kinderthemen, die zu Paarkonflikten wurden und sich auf die Stimmung im Haus auswirkten. Wir hatten wenig Möglichkeiten, da wieder herauszukommen, außer abzuwarten. Aber dann kam schon das nächste Thema. Wir begannen mit einem Einführungsseminar über GFK.
Gewaltfreie Kommunikation in vier Schritten
GFK als Werkzeug betrachtet, bietet im Grundsatz vier Schritte an:
- Beobachtung
- Gefühl
- Bedürfnis
- Bitte
Wenn ich etwas von jemandem möchte, klären oder besprechen will, beginne ich mit einer Beobachtung. Möglichst objektiv benenne ich nur das, was auch eine Kamera beobachten würde. Wenn ich an dieser Stelle mit meiner eigenen Bewertung beginne, kann es sein, dass mein Gegenüber einen Vorwurf hört, sich angegriffen fühlt und sofort in den Verteidigungsmodus schaltet.
Danach nenne ich mein Gefühl, wie ich mich in der Situation fühle und mein Bedürfnis, warum mir das wichtig ist. Mit Bedürfnissen sind Dinge wie Freiheit, Zugehörigkeit, Sicherheit, Ruhe, Anerkennung, Gemeinschaft gemeint. Über Bedürfnisse kann man nicht streiten, wohl aber über die Strategien, mit denen jeder versucht, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Jeder mag seine Lieblingsstrategie im Kopf haben, aber grundsätzlich gibt es immer Alternativen. Marshall B. Rosenberg ist davon überzeugt, dass man das Problem nicht verstanden hat, wenn man nur eine Strategie zur Lösung eines Problems oder zur Erfüllung eines Bedürfnisses kennt. Wenn man also weiß, worum es jedem geht, eröffnen sich mehr Möglichkeiten und man ist der Lösung schon viel näher.
Der vierte Schritt ist die Bitte. Sie wird oft vergessen, ist aber sehr kraftvoll. Es gibt verschiedene Arten von Bitten. Es ist wichtig zu prüfen, ob man eine echte Bitte ausspricht oder doch insgeheim eine Forderung, nur hübscher formuliert. Eine echte Bitte kann ohne Konsequenzen abgelehnt werden. Das gilt auch für Jugendliche. Umso schöner ist es, wenn sie Bitten freiwillig erfüllen, weil sie verstehen, worum es mir geht.
Konflikte lösen
Konflikte sind normal. Gewaltfreie Kommunikation bedeutet nicht, dass wir uns in Watte packen. Im Gegenteil, GFK sorgt oft für die entscheidende Klarheit und ist eine Hilfe, um gut aus einem Konflikt herauszukommen. Wenn ich in einer akuten Konfliktsituation stecke, eine Provokation oder einen Vorwurf höre, habe ich verschiedene Möglichkeiten zu reagieren:
- Selbstempathie: Ich finde es unmöglich, was da gerade passiert und atme erst einmal tief durch. Warum trifft mich das so? Wie fühle ich mich gerade? Welches Bedürfnis habe ich? Der Fokus liegt bei mir, ich reflektiere kurz. Es hilft, etwas Pfeffer aus der Situation zu nehmen, um gelassener reagieren zu können.
- Ehrlicher Selbstausdruck bzw. Aufrichtigkeit: Ich reagiere auf die Situation mithilfe der vier Schritte. Aus meiner Sicht schildere ich die Beobachtung, mein Gefühl, mein Bedürfnis und eine Bitte. Wenn es mir vor allem um den Kontakt mit der anderen Person geht, könnte eine Kontaktbitte zum Beispiel lauten: „Wie geht es dir, wenn du das von mir hörst?“ Der Fokus liegt bei mir, denn ich möchte mit meinem Anliegen gesehen werden.
- Empathie: Ich antworte mit Fokus auf den Gefühlen und Bedürfnissen des anderen. Empathie ist der Schritt, der Mauern einreißt und Verbindung ermöglicht. Um aus Konfliktsituationen wieder herauszukommen, braucht es jemanden, der bereit ist, als Erstes auf den anderen zuzugehen und empathisch zuzuhören.
Empathie hilft zu verstehen
Empathie bedeutet, bereit zu sein, mein Gegenüber wirklich zu verstehen, sich einzufühlen in das Gegenüber, zu versuchen, in seinen Schuhen zu stehen, durch seine Augen zu sehen. Rosenberg hat Empathie als „den Verstand leer machen und mit dem ganzen Wesen zuhören“ beschrieben. Wichtig ist hierbei, mal nichts zu sagen, keine Ratschläge zu geben, keine Lösungen zu präsentieren, sondern einfach meine Präsenz zu schenken.
Es ist, als wäre man Gast im Haus des anderen: Man schaut sich neugierig um, lernt das Haus kennen, fragt nach den Hintergründen. Es bedeutet nicht, dass man die Dinge, die man in diesem Haus sieht, gut finden muss. „Verstehen heißt nicht automatisch einverstanden sein“ lautet der Grundsatz. So kann ich, oft auch in Situationen mit Jugendlichen, interessiert zuhören, den anderen verstehen, auch wenn ich es selbst nicht gut finde. Allein das Verstehen hilft, dass sich mein Gegenüber gesehen fühlt, dass es ihm besser geht und wir im Gespräch bleiben.
Wenn ein Jugendlicher mit einem unfreundlichen „Chill mal“ um die Ecke kommt, muss das kein Vorwurf an mich sein. Vielleicht ist es ein Ausdruck seines Bedürfnisses nach Ruhe. Das Bild, dass Vorwürfe nur Verpackungen für unerfüllte Bedürfnisse sind, hilft mir, damit besser umzugehen. Wenn ich aufgebracht bin, gelingt es mir nicht, empathisch auf andere zu reagieren. Genauso, wenn mein Energietank leer ist. Dann werde ich daran erinnert, dass GFK ein ständiges Entwicklungsfeld bietet. Um Empathie geben zu können, brauchen wir selbst Empathie. Sich selbst Empathie geben zu können, ist besonders schwierig und gleichzeitig sehr hilfreich.
Auf die innere Haltung kommt es an
Rosenberg ging es in seinem Konzept um die innere Haltung, mit der wir uns selbst und anderen Menschen begegnen wollen, um mehr Kooperation, Gemeinschaft und Freude im Zusammenleben. Spätestens hier entfaltet sich die Gewaltfreie Kommunikation als Weg zur Persönlichkeitsentwicklung. Sie hilft, sich selbst und andere besser zu verstehen. Mit einem oder mehreren Seminaren ist es nicht getan. Es ist Übungssache, wie wenn wir eine neue Sprache lernen. Durch weiteres Üben und tieferes Einsteigen in die Thematik werden die eigenen Gefühle und Bedürfnisse weiter erforscht. Je besser das gelingt, desto besser kann man unerfüllte Bedürfnisse benennen und geeignete Strategien finden, um sie zu erfüllen.
Unsere Kinder haben den Vorteil, dass sie diese Haltung bereits als Jugendliche erfahren. Sie erleben, wie wir über unsere Gefühle und Bedürfnisse sprechen, sie danach fragen, und üben so, selbst Worte für ihre Empfindungen zu finden. Ein wertvoller Wortschatz.
Andere begleiten
Mit Gewaltfreier Kommunikation kann ich meine eigene Kommunikation und Haltung reflektieren. Es gibt aber auch Hilfsmittel und unterstützende Fragen, mit denen ich anderen helfen kann, aus schwierigen Situationen einen guten Ausweg zu finden. Das gilt für Ärger und Wut genauso wie für Enttäuschungen und Trauer. Wir versuchen dabei gemeinsam herauszufinden, worum es dem anderen im Innersten geht, sodass es leichter wird, damit umzugehen.
Meine eigene GFK-Reise umfasste nach dem Einführungsseminar eine erste GFK-Familienfreizeit, in der wir das Konzept gemeinsam erleben und lernen durften, sowie eine Jahresausbildung. Für regelmäßige Übungsgruppen, die es überall (auch online) gibt, fehlte mir die Zeit. Die Familienfreizeit wurde bald zu unserem gemeinsamen Highlight des Jahres. Hier erleben und üben wir GFK nicht nur im Seminarraum, sondern im Miteinander. Auch die Kinder lernen die Gemeinschaft und den respektvollen Umgang miteinander sehr zu schätzen. Inzwischen bringen meine Familie und ich uns aktiv in die Organisation dieser Freizeit ein.
GFK schafft Nähe und Verbindung untereinander. Wir lernen uns besser kennen, verstehen uns besser und haben die Sicherheit, auftretende Konflikte gut lösen zu können. Für unsere Familie hat GFK wesentlich zu mehr Familienfrieden beigetragen und vor allem unsere Paarbeziehung gestärkt.
Clara Röder ist Beraterin für Arbeitssicherheitskultur, Mutter und Bonusmutter von sechs Kindern und Organisatorin der GFK-Familienfreizeit „FamilieTanken“ (familietanken.de).