„Homeoffice braucht andere Kompetenzen“
Ein Gespräch mit Felicitas Richter über die Herausforderungen für Familien im Homeoffice
Es gab schon immer Mütter und Väter, die vom Homeoffice aus gearbeitet haben. Was hat sich durch die Corona-Krise verändert?
Die Herausforderung, selbst im Homeoffice produktiv zu sein und gleichzeitig die Kinder zu betreuen und zu beschulen, brachte viele Eltern während der Corona-Zeit an ihre Belastungsgrenze. Dies ist aber nicht die Normalität einer gelingenden Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie in den eigenen vier Wänden. Denn wenn die Kinder in der Kita oder Schule sind, hat die Arbeit zu Hause auch eine Menge Vorteile. Auch wenn es anfangs noch gehakt hat, konnten viele in diesem Homeoffice-Riesenexperiment mal ausprobieren, ob das etwas für sie ist. Wir sind nun dabei, in eine neue Normalität zu finden: Immer mehr Arbeitgeber bieten nun (tageweise) mobiles Arbeiten und damit oft eine Flexibilisierung der Arbeitszeit an, die gerade Familien zugutekommt. Viele Beschäftigte sind ebenfalls auf den Geschmack gekommen, weil Fahrtwege und -zeiten entfallen. Paare haben Haus- und Erziehungsarbeit gerechter aufgeteilt, die gegenseitige Wertschätzung für das, was Mutter und Vater täglich leisten, ist gewachsen.
Sie beraten seit mehreren Jahren Mütter und Väter rund um den „Spagat zwischen Beruf und Familie“. Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Herausforderungen?
Die größte Herausforderung für berufstätige Eltern ist, Zeit für sich selbst und für die Partnerschaft zu finden. Beides wird oft über Jahre hintenangestellt. Und doch ist – und hier spreche ich vor allem die Mütter an – Selbstfürsorge das A und O. Wenn Mutter und Vater gut für sich sorgen, werden sie diese anstrengende Lebensphase gelassen meistern. Viele Paare müssen außerdem ihr Familienmodell verhandeln und das ist anstrengend. Auch wenn sich Väter (auch hier gab es durch die Corona-Lockdowns einen positiven Schub) heute vielmehr in Haushalt und Kindererziehung einbringen, haben noch meist die Mütter die To-Do-Listen im Kopf, die ihnen die Ruhe rauben. Außerdem fühlen sich viele Eltern unter Druck, den Kindern den bestmöglichen Start ins Leben mitzugeben – das heißt tägliche Hausaufgabenbetreuung, Begleitung zu vielen Freizeitaktivitäten, Beschäftigung der Kinder daheim. Das ist neben einer Berufstätigkeit eine große Herausforderung.
Was ist Ihr wichtigster Ratschlag für Eltern, die jetzt zum ersten Mal im Homeoffice arbeiten (müssen)?
Viele Menschen meinen, sie klappen den Laptop im Büro zu und können die Arbeit daheim am Esstisch 1:1 weitermachen. Das mag mal für einen Tag funktionieren. Homeoffice aber braucht – gerade mit Familie – noch einmal andere Kompetenzen als die Auswärts-Arbeit. Ich rate Eltern, sich und der Familie eine Einarbeitungszeit zu gönnen. Alle müssen sich erst an die neue Situation gewöhnen. Es braucht einen festen Arbeitsort, der vom Familienleben abgetrennt ist (das kann anfangs eine Ecke mit Paravent sein) und arbeitsfreie Zonen wie Esstisch, Bett oder Couch. Es braucht verbindliche Arbeitszeiten und arbeitsfreie Zeiten. Manche Eltern müssen erst lernen, „Nein“ zu sagen und die Kinder müssen lernen, dass Mama oder Papa nicht immer verfügbar ist, obwohl sie daheim ist. Es braucht Achtsamkeit für sich selbst und die Familie, damit das Homeoffice nicht zur Selbstausbeutung wird. Es braucht eine gute Familien- und eine passende Arbeitsorganisation. All das kann man lernen.
Die Arbeit von zu Hause aus benötigt ein großes Maß an Organisation und Disziplin. Aber sie kann gleichzeitig viel Flexibilität bieten. Wie sehen Sie das?
Ja, beides gehört zusammen. Ich betrachte eine gute Familien- und Arbeitsorganisation als das Standbein, um fokussiert und produktiv arbeiten zu können. Mit „gut“ meine ich sowohl individuell als auch für die Familie passend. Das kann sehr unterschiedlich sein. Dann ist Flexibilität möglich. Das ist das Spielbein. Wer einen guten Plan hat, kann davon im Notfall abweichen, ohne den Überblick zu verlieren. Statt Disziplin verwende ich lieber das Wort „Motivation“. Es ist wichtig herauszufinden, was mich bei der Arbeit daheim motiviert. Da gibt es ganz verschiedene Faktoren. Dann kommt die Disziplin von selbst. Was ich immer wieder betone: Wer Beruf und Familie im Homeoffice vereinbaren will, muss beides gut trennen. Das ist in den eigenen vier Wänden gar nicht so einfach.
Sie haben ein Buch zum Thema „Homeoffice mit Familie“ geschrieben. Wie kam es dazu?
Ich habe immer auch daheim gearbeitet. Meine vier Kinder sind quasi im Homeoffice großgeworden. In 20 Jahren habe ich gelernt, was gut funktioniert und wo die Stolperstellen für produktives Arbeiten und lebendige Familienzeit sind. Während der Corona-Lockdowns habe ich viele Eltern, die im Homeoffice waren, in Live-Talks und durch Coaching begleitet. Dabei konnte ich auf diese Erfahrungen zurückgreifen. All das ist schließlich ins Buch eingeflossen. Geschrieben ist es sowohl für Eltern, die angestellt oder selbstständig von zu Hause aus arbeiten – egal, ob sie gerade ins Homeoffice starten oder schon „alte Hasen“ sind. Profitieren werden aber auch Personalverantwortliche, die wissen wollen, welche Rahmenbedingungen produktive Arbeit in den eigenen vier Wänden (oder mobil) braucht.
Sie bieten Ihren Leserinnen und Lesern eine Fülle von Ideen. Mal ehrlich, gelingt Ihnen das auch, alles so zu organisieren, dass fast nichts zu kurz kommt?
Das ist wohl ein Grundgefühl, das alle teilen, die den Spagat zwischen Familie und Beruf meistern: Irgendetwas kommt immer zu kurz. Zumindest im Vergleich zu den eigenen Erwartungen. Das geht mir nicht anders. Wichtig ist, dass man weiß, an welchen Stellschrauben man drehen kann, wenn etwas hakt. Dabei gibt es nicht den „richtigen“ Weg. Jede Familie wird herausfinden, was für sie am besten funktioniert. Und das ist das Schöne an der Arbeit im Homeoffice: man hat viel Gestaltungsspielraum. Diesen nutzen zu können für einen erfüllten Alltag mit Beruf und Kindern wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern.
Felicitas Richter ist tätig als Professional Speaker, zertifizierte Business-Trainerin und -coach. Als Mutter von vier Kindern, die quasi im Homeoffice großgeworden sind, weiß sie, was es braucht, damit die Vereinbarkeit von Homeoffice und Familie auch wirklich funktioniert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Berlin. www.felicitas-richter.de
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