Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Immer nur zu Hause

„Mein Sohn geht, außer zur Schule, nie weg und ist fast immer nur zu Hause. Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt Freunde hat. Müssen wir uns Sorgen machen, dass er vereinsamt?“

Prinzipiell sind wir Menschen auf Beziehungen angelegt. Von Anfang an gehen Kinder in Kontakt mit anderen Menschen – zuerst mit den Eltern und dann mehr und mehr mit Gleichaltrigen, mit denen sie Freundschaften aufbauen. Gerade im Jugendalter, wenn sie sich von den Eltern lösen, spielen Freunde eine wichtige Rolle – sie geben Anerkennung, stiften Identität und sind Ansprechpartner bei Problemen.

INTROVERTIERTE KINDER BRAUCHEN RUHE

Vor diesem Hintergrund ist es schon berechtigt, dass Sie sich Sorgen machen, wenn Ihr Sohn außerhalb der Schule keinerlei Kontakte pflegt. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob er schon immer ein eher introvertiertes Kind war, für das Freundschaften nicht so bedeutsam sind. Solche Kinder gibt es. Es sind die Kinder, die vielleicht schon in der Kindergartenzeit weniger Lust auf Gruppenspiele und gemeinsame Aktionen hatten und lieber für sich allein herumtüftelten. Auch in der Schulzeit sind für sie weniger die anderen Kinder im Fokus, sondern das Gespräch mit den Lehrern und die spannenden Sachthemen. Sind Kinder grundlegend eher so veranlagt, sind sie mit ein, zwei Freunden glücklich und zufrieden.

Wenn Sie Ihren Sohn diesem Charaktertyp zuordnen können, er einen ausgeglichenen Eindruck macht und die Zeit zu Hause positiv gestaltet, dann können Sie gelassen sein. Vielleicht ist sein Bedürfnis nach einem anstrengenden Schultag einfach nur Ruhe. Gleichzeitig würde ich aber auch empfehlen, Ihren Sohn ohne Druck immer wieder mal zu motivieren, wenige Kontakte zu pflegen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob er in der Schule wirklich gar keine Freunde hat. Fragen Sie ruhig vorsichtig nach, wenn ihr Sohn nicht viel erzählt. Außerdem wäre es sinnvoll, die Lehrer um ein Gespräch zu bitten, damit Sie eine Einschätzung bekommen, wie es ihm im Schulalltag ergeht und welche Kontakte er hat.

HAT SICH IHR KIND VERÄNDERT?

Mehr Grund zur Sorge besteht, wenn ihr Sohn sich in der letzten Zeit verändert hat. Gab es vorher Freundschaften und Aktivitäten am Nachmittag, die er aufgegeben hat? Welchen Eindruck haben Sie insgesamt von Ihrem Sohn? Wirkt er zufrieden oder könnte ihn etwas beschäftigen? Wie verbringt er die Nachmittage zu Hause? Welche Rolle spielt der Medienkonsum? Wenn aus Ihrem kontaktfreudigen und aktiven Sohn ein Stubenhocker geworden ist, der sich mehr und mehr zurückzieht, besteht tatsächlich Handlungsbedarf.

Auf der einen Seite kann es sein, dass ihm „nur“ die Herausforderungen der Pubertät zu schaffen machen und er deswegen viel mit sich selbst beschäftigt ist. Dann kann schon das eine oder andere vertrauensvolle Gespräch hilfreich sein. Auf der anderen Seite können aber auch schwerwiegende Probleme dahinterstehen wie Mobbing, Missbrauchserfahrungen, Streit unter Freunden oder Ähnliches. Dann braucht Ihr Sohn Hilfe. Sollte sich die Situation schon so zugespitzt haben, dass Sie als Eltern an Ihren Sohn nicht mehr herankommen, ist eine professionelle Unterstützung unbedingt ratsam.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. www.sonja-brocksieper.de Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com