Wenn aus Fremden Freunde werden
Was tun, wenn in der Nachbarschaft ein Asylbewerberheim eröffnet? Ganz einfach: klingeln, Hallo sagen, unglaublich süßen Tee schlürfen. Aber Vorsicht: Am Ende entstehen dabei womöglich Freundschaften! Katrin Faludi und ihre Familie haben das erlebt
Egal aus welcher Kultur sie stammen, eins haben alle Kinder gemeinsam: Sie lieben es, auf Betten zu hüpfen! Paya und mein Sohn Joel hopsen und kullern mit lautem Geschrei auf dem Bett von Payas Eltern herum: zwei billige Metallrahmen, die mit Kabelbindern zu einem Doppelbett zusammengeschnürt sind. Es füllt fast die Hälfte des Zimmers aus, das sich die dreiköpfige Familie im Asylbewerberheim teilen muss. Payas Mutter Parisa sitzt auf der Matratze und passt auf, dass keines der Kinder sich an Fensterbrett oder Heizung stößt. Ihr Mann Payman gluckst vor Lachen und feuert die beiden Knirpse an. Immer wieder wuchte ich Paya in die Höhe, denn wie das mit dem Hüpfen funktioniert, hat er noch nicht ganz raus. Joel macht es ihm vor und springt wie ein Flummi jubelnd auf und ab. Auch Paya strahlt über das ganze Gesicht und strampelt begeistert, wenn ich ihn rücklings auf die Matratze schubse. Als ich wenig später einen völlig ausgepowerten, aber glücklichen Joel in seine Jacke packe und mich verabschiede, lächeln die Eltern. „Danke“, sagt Payman. „Wir haben schon lange nicht mehr so viel gelacht wie heute!“ Am nächsten Morgen stelle ich überrascht fest, dass ich Muskelkater im Gesicht habe. Offenbar habe ich auch schon lange nicht mehr so gelacht.
DAS ALTE LEBEN VERLOREN
Viel zu lachen hatte die junge Familie aus dem Iran in den letzten Monaten nicht. „Wir haben fünfzehn Jahre lang hart gearbeitet“, sagt Payman. „Wir hatten gerade erst unsere schöne Wohnung gekauft. Doch nach einem halben Jahr mussten wir fliehen. Jetzt haben wir alles verloren.“ Traurig vergräbt er das Gesicht in den Händen. Ich sehe ihn oft so: zusammengesunken und mit hängenden Schultern. In seiner Heimat war er Versicherungskaufmann und lebte in bescheidenem Wohlstand. Jetzt sind er und seine Familie von Sozialleistungen abhängig und wohnen in einem fremden Land, dessen Sprache sie kaum verstehen. Nicht arbeiten zu können und stattdessen Almosen zu empfangen, nagt an ihrem Stolz. Parisa versucht, das kleine Zimmer so wohnlich wie möglich zu gestalten. Sie hat Familienbilder an die Wand gehängt. Alle paar Wochen stellt sie die Möbel um. Ihr Zimmer bietet gerade genug Platz für das Bett, einen Spind, einen Tisch, zwei Stühle, das Kinderbett und einen Kühlschrank. Zu ihrem Leidwesen muss sich ihre Familie die kleine Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, das nun ein Asylbewerberheim ist, mit anderen Flüchtlingen teilen. Die eingeschränkte Privatsphäre macht ihnen zu schaffen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Flüchtlingen haben sie Glück, überhaupt eine Tür zu haben, die sie hinter sich schließen können.
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