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Ohne Vollmacht geht es nicht

Beim Thema Vorsorge sollte man nicht nur an die alten Eltern denken. Auch für erwachsene Kinder ist eine Vollmacht unerlässlich. Annunziata Hoensbroech hat das erfahren müssen.

Sie machen sich dafür stark, dass Eltern für ihre erwachsenen Kinder eine Vorsorgevollmacht haben. Warum ist das wichtig?
Ich habe selbst erfahren, dass es sehr wichtig ist. Als Eltern gehen wir davon aus, dass wir uns als Problemlöser oder als Krisenbewältiger einbringen, wenn es für unsere Kinder eng oder schwierig wird. Aber bei unseren jungen, erwachsenen Kindern haben wir mit deren Volljährigkeit das Recht verloren, so zu agieren. Es gibt dieses gefühlte Naturrecht der Eltern im juristischen Sinn nicht. Eltern fehlt ohne eine Vorsorgevollmacht die Basis, sich in einer Krise auch weiterhin um ihr Kind zu kümmern, es zu vertreten, wenn es dies nicht selbst tun kann und über 18 ist.

Sie haben auf Ihre persönlichen Erfahrungen hingewiesen …
Mein Sohn hat mit 26 Jahren während eines Studienaufenthaltes in Barcelona einen Unfall erlitten. Er wurde schwerstens verletzt und lag acht Wochen im Koma. Er war nicht in der Lage, für sich selbst zu handeln. Durch eine glückliche Fügung hatte ich eine Generalvollmacht von ihm. Von dem Moment, als ich nach Spanien flog, bis anderthalb Jahre später, als er wieder richtig auf seinen eigenen Beinen stand, habe ich diese Vollmacht unendlich oft gebraucht, um im Interesse meines Sohnes und für ihn Entscheidungen zu treffen.

Wie kam es, dass Sie für Ihren Sohn so eine Vollmacht hatten?
Für Menschen meiner Generation Mitte 50 ist es ganz normal, unsere älter werdenden Eltern zu fragen, ob sie uns eine solche Vorsorge-Vollmacht ausstellen. Im Zuge dessen habe ich auch über mich selbst nachgedacht. Ich habe das Naheliegende gemacht und meine Kinder gefragt, ob sie so eine Bevollmächtigung von mir annehmen. Das alles passierte im Vorfeld einer großen, sehr abenteuerlichen Motorradreise, die mein ältester Sohn mit seinem Zwillingsbruder geplant hatte. Da habe ich gesagt: „Alles, was mir passieren kann, kann euch auch passieren. Gerade wenn ihr jetzt auf eine Reise geht durch die Türkei, den Iran, rund ums Schwarze Meer – wollt ihr das nicht auch umgekehrt machen?“ Und so haben wir gegenseitig diese Vollmacht ausgetauscht.

Der Unfall passierte dann ja nicht bei der Motorradreise, sondern später beim Studium in Spanien. Was hätte passieren können, wenn Sie keine Vollmacht gehabt hätten?
Mit so einer Vollmacht schafft man überhaupt erst eine Gesprächsgrundlage. Die haben Sie als Eltern eines volljährigen Kindes sonst nicht. Es gilt sofort – zu Recht – die ärztliche Schweigepflicht. Um den Arzt und sich selbst auf eine juristisch abgesicherte Gesprächsgrundlage zu stellen, müssen Sie so eine Vollmacht haben. Erst dann darf ein Arzt Ihnen überhaupt Informationen über den Zustand des Patienten geben. Nur mit einer Vorsorgevollmacht haben Eltern einen Anspruch darauf, Antworten zu bekommen auf ihre Fragen: Was ist passiert? Was sind die Konsequenzen? Welche Therapien werden vorgeschlagen? Jede Operation, jede Spritze ist eine Körperverletzung, in die der Patient einwilligen muss. Wenn ein kranker Mensch dies selbst nicht kann, braucht er jemanden, der das für ihn übernimmt. Wenn keine Vorsorgevollmacht da ist, wird das Krankenhaus den vorgeschriebenen Weg zu einem Gericht gehen und sagen: „Ich brauche einen gerichtlich bestellten Betreuer, der sich um diesen Patienten kümmert.“ Das Gericht kann als Betreuer bestellen, wen es möchte. Es kann ein Familienmitglied sein, muss es aber nicht. Weil Sie in so einer Krisensituation sowieso schon schwer belastet sind, brauchen Sie nicht noch eine Auseinandersetzung mit einem Gericht, ob es Sie als Betreuer einsetzt.

Was muss man bei der Erstellung einer Vollmacht beachten?
Generell setzt sich Vorsorge aus verschiedenen Elementen zusammen. Für junge Erwachsene ist das Wichtigste eine Vorsorgevollmacht, die Eltern oder eine Vertrauensperson ermächtigt, für diesen Menschen zu sprechen und zu handeln. Diese Vollmacht sollte ein Jurist aufsetzen. Sie kann sich über verschiedene Bereiche erstrecken, zum Beispiel nur gesundheitliche Aspekte abdecken. Man kann aber auch eine Generalvollmacht erteilen. Diese deckt alle Aspekte des Lebens ab. Denn in der Regel sind mit solch einer Krise, wie wir sie erlebt haben, auch gerichtliche Auseinandersetzungen und wirtschaftliche Entscheidungen verbunden. Eine Generalvollmacht wird von einem Juristen aufgesetzt und sollte vom Notar beglaubigt werden. Das geht ganz schnell. Damit habe ich mir als Elternteil alle Handlungsfähigkeit erhalten. Ein zweites Element der Vorsorge ist die Patientenverfügung. Das ist die direkte Anweisung von mir als zukünftiger Patientin an einen zukünftigen Arzt. Eine Patientenverfügung beschäftigt sich mit medizinischen Ausnahmesituationen. Eventuell ist sie für ältere Menschen wichtiger als für junge Erwachsene.

Muss ich denn zum Rechtsanwalt gehen? Es gibt ja auch Vordrucke – zum Beispiel auch auf Ihrer Website. Reicht das nicht aus?
Auf meiner Homepage habe ich für Österreich, die Schweiz und Deutschland von Rechtsanwälten Vordrucke entwickeln lassen. Aber oft hat man das Bedürfnis, eine individuelle Anpassung vorzunehmen. Das sollte ein Jurist machen, damit es auch wasserdicht bleibt.

Und wenn das Kind den Eltern keine Vollmacht erteilen möchte?
Ich würde mich erst einmal erkundigen, woher dieser Widerwille rührt und nachfragen: Um was geht es genau? Ich würde meinem Kind erklären, dass es allem, was in einer Krise kommen mag, wirklich allein gegenübersteht. Ich würde wenigstens versuchen, ihm das dritte Element der Vorsorge nahezubringen: die Betreuungsverfügung. Damit geht es sicher, dass ein Gericht einen vorher genannten Betreuer einsetzt und ihn auch kontrolliert. Wenn das nicht die Eltern sind, ist das zu akzeptieren. Denn wen mein Kind bevollmächtigt, bleibt natürlich ihm überlassen.

Neben dem praktischen Aspekt dieser Generalvollmacht – was hat Ihnen persönlich geholfen in dieser Zeit, in der nicht klar war, wie die Geschichte ausgeht?
Als ich mich nach dem Unfall meines Sohnes in Barcelona wiederfand, hat es mich ungeheuer getragen, dass ich nicht allein durch diese Situation gehen musste. Ich habe das Glück, dass ich viele Geschwister und vier Kinder habe. Noch am selben Abend waren wesentliche Teile der Familie ebenfalls in Barcelona. Es hat eine unglaubliche Familiendynamik um uns herum stattgefunden, die wir nicht organisieren mussten. Es war immer jemand da, der uns unterstützt hat. Das war großartig, vor allem auch für Caspars Geschwister, die immer jemanden hatten, mit dem sie sprechen konnten.
Das zweite hört sich ein bisschen merkwürdig an. Ich habe einen Trick, mich selbst relativ zu setzen. Wenn es ganz dick und schwierig kommt, denke ich darüber nach, ob es jemanden gibt, der in dieser von mir als schwierig empfundenen Situation tauschen würde. Und wenn mir jemand einfällt, der mit mir tauschen würde, kann alles ja gar nicht so schlimm sein. Dann muss ich sogar noch ein bisschen dankbar sein für die Situation und für die Möglichkeiten, die ich habe. Selbst am ersten Tag im Krankenhaus sind mir Menschen eingefallen, die mit mir tauschen würden. Menschen, die keine Chance mehr haben, am Bett ihres Kindes zu sitzen und auf das Überleben zu hoffen. Was hätten die darum gegeben? Das hat mich in der Situation dankbar gemacht und mich angespornt.

Wie wichtig war für Sie das Gebet?
Das hat auch eine große Rolle gespielt. Ich war zwei, drei Tage überhaupt nicht in der Lage zu beten und habe das sehr vermisst. Das war mir vorher noch nie passiert, dass ich nicht beten konnte. Und dann hat ein Prozess eingesetzt. Mir wurde klar: Wenn ich bete, verpacke ich immer kleine Handlungsanweisungen an den lieben Gott: „Mach, dass dies und jenes passiert.“ Es sind kleine Aufträge, die wir in unser Gebet mit hineinflechten. Die Situation war aber so, dass ich nicht wusste, was jetzt passieren soll. Um was bitte oder bete ich? Das Überleben in unsäglichen Umständen ist schwierig. Aber um den Tod und das gnädige Erlösen des eigenen Kindes zu beten, ist vollkommen unmöglich. In dieser Situation hat sich der Gedanke gebildet: Ich bin für nichts verantwortlich. Ich bitte weder für das eine noch für das andere. Ich gebe mich einfach ganz in das Gottvertrauen rein: „Lieber Gott, dein Wille geschieht hier. Schenk mir nur die Kraft, damit fertig zu werden, was geschieht.“ Ich habe jede Handlungsanweisung aus meinen Gebeten herausgenommen und mich vollkommen darauf eingelassen zu beten: „Gott, dein Wille geschehe!“ Das hat mich sehr getragen – bis heute.

Das Interview führte Bettina Wendland.