Simone Heintze nach der Chemo bei der Reha auf Sylt, Foto: Privat

„Ein Wunder“: Vier Mal kämpft Simone gegen den Krebs – und siegt

Mit 13 Jahren wurde bei Simone Heintze das erste Mal Krebs diagnostiziert, ein Lymphdrüsentumor. Dreimal kommt die Krankheit zurück, davon einmal als Brustkrebs. Heute ist Simone Heintze 46 und gilt als geheilt. „Ein Wunder“, sagt sie.

Simone Heintze hat ein gelbes Tuch umgebunden. Gegen den Wind. Ein luftiger Sommertag in Herne im Ruhrgebiet, ein paar Wolken am blauen Himmel. Eine Kanne Tee, Kekse, ein Schälchen mit Kirschen, die sie vom Besuch in ihrer württembergischen Heimat am Wochenende mitgebracht hat. „Wir sitzen in einem windigen Eckchen“, lächelt sie. „Es erinnert mich an die See“.

Aus Krankheitsgründen Rente

Sie erzählt von ihrem Ehrenamt als „Versichertenälteste“ bei der Deutschen Rentenversicherung Westfalen. Als nach der dritten Chemo 2017 klar war, dass sie nicht mehr würde arbeiten können, hat sie sich dem Ehrenamt gewidmet. Einmal die Woche macht sie jetzt Rentenberatung „für Leute wie mich“, die aus Krankheitsgründen berentet werden. Die Arbeit macht ihr Freude, und „ich weiß, wie sie sich fühlen; diese Empathie tut kranken Menschen gut“.

Sorge um die Kinder

Wir sind mitten im Thema. Wie ist es, wenn das Leben durchgerüttelt wird? „Da ist alles drin“, sagt Simone Heintze nachdenklich. Zeitweise war es „ein Kampf“. Erschöpft hat sie in manchen Phasen gesagt: „Ich will und kann nicht mehr!“, als Jugendliche schon gefragt: „Was soll dieses Leben?“ Sie empfindet es als „Gnade, dass ich nicht bitter geworden bin“. Manchmal hat sie trotzig gesagt: „Ich schaff das schon …“ Ist es gut, das zu sagen, oft wider alle Vernunft? „Für einen selber manchmal ja“. Am Anfang einer Krankheitsphase ist so ein Satz auch „eine Botschaft an die Kinder: dass sie nicht in Panik geraten“. Das war bei den Erkrankungen 2013 und 2017 ihre größte Sorge. „Manchmal sagt man sowas auch unbewusst, um die anderen zu beruhigen.“

„Meine Ehe hat’s nicht überstanden“

„Echt schlimm“ war für Simone Heintze die Trennung von ihrem Mann, 2013, im Zuge ihrer Brustkrebserkrankung: „Die Chemo war schon schlimm, aber die Trennung hat das noch getoppt.“ Für sie „war immer klar: Ich bleib mein Leben lang verheiratet. Ich dachte: Irgendwie findet man wieder einen Weg zueinander.“ Es kommt anders. Sie schüttelt den Kopf: „Dass das so auseinanderdriftet, dass wir uns überhaupt nicht mehr kennen, dass jeder sich so verändert – das war erschreckend! Da knabber‘‚ ich heut noch dran.“ Sie möchte nicht näher darüber reden, auch mit Rücksicht auf ihren Ex-Mann. Nur so viel: „Meine Brustkrebserkrankung hab ich überlebt, aber meine Ehe hat’s leider nicht überstanden.“

Endlich wieder Haare

Sie streicht ihre Haare zurück, die der Wind zerzaust. Eine leichte Bewegung nur, aber eine wichtige. Weil neben den medizinischen Fragen auch kosmetische eine Rolle spielen. Andere können die Krankheit sehen. „Auch wenn man selbst morgens die Glatze sieht, wird einem bewusst: Du bist richtig krank!“ An manchen Tagen, wenn sie partout keine mitleidigen Blicke ertragen konnte, hat sie ihre Perücke aufgesetzt – und öfter Komplimente für die „schicke Frisur“ erhalten, schmunzelt sie. Perücken sind mittlerweile so gut, dass viele nicht merken, dass man eine trägt. Vor allem aber freut Simone sich, dass die Haare bei ihr schnell nachwachsen. Nach der letzten Therapie begann es „mit einem weichen Kükenflaum“. Ihre Kinder haben ihr danach doppelt gern über den Kopf gestreichelt. „Selbst die Ärzte fanden das toll! Mein Arzt, Dr. Abdallah von den evangelischen Kliniken Gelsenkirchen, sagte: ‚Ich muss einmal über Ihre Haare streichen‘.“

Kerzenflashmob

Simone Heintze deutet auf ein mehrstöckiges Gebäude nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt: „Da drüben ist übrigens meine Klinik, das Marienhospital Herne, wo ich in Behandlung war.“ Sie arbeitet da noch als „Grüne Dame“ in der Onkologie und läuft immer mal ihrem Onkologen Professor Strumberg über den Weg. Zu ihren Ärzten hat sich ein „inniges Verhältnis“ entwickelt. „Sie standen wie eine Wand hinter mir, haben mir signalisiert: Wir gehen mit Ihnen zusammen da durch.“ Besonders, als sich ihr Zustand während der Behandlung 2017 dramatisch verschlechtert, eine Lungenentzündung und eine Herzmuskelentzündung sich einschleichen, ihr Leben zeitweilig am seidenen Faden hängt. Es geht ihr „grottenschlecht“, als Prof. Strumberg sagt: „Wir schaffen das zusammen.“ Und Dr. Abdallah nimmt bei Gesprächen ihre Hand in seine, sendet das Signal: Jetzt passe ich auf Sie auf! Dazu kommt eine WhatsApp-Gruppe mit etwa 35 Freunden und Bekannten, aus ihrer Kirchengemeinde, die fast rund um die Uhr für sie beten. Als es ihr besonders dreckig geht, entzünden alle bei einem „Kerzenflashmob“ eine Kerze für sie.

Mehr als Glück

Die Behandlung ist erfolgreich, Simone Heintze als geheilt entlassen. Es war „ein ganzes Gebilde“, das sie mit ihrer Familie da durchgetragen hat. „So, wie ich jetzt dastehe, nach vier Erkrankungen, Chemotherapien, körperlichen Torturen, nach der Herzerkrankung – das kann sich keiner erklären.“ Wieder lächelt sie: „Ärzte tun sich ja schwer, ein Wort wie ‚Wunder‘ in den Mund zu nehmen, vor allem ein göttliches Wunder. Sie sagen dann: Da ist etwas passiert, was wir uns unter normalen Umständen nicht erklären können …“ Für sie ist klar: „Ich sehe es als Wunder; nicht nur eins, sondern viele Wunder sind da passiert. Was Menschen unmöglich ist, das macht Gott möglich.“

„Gott ist bei mir!“

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben sie gelassener gemacht. Natürlich hat sie Zweifel gehabt: „Gott, hast du mich jetzt doch vergessen?!“ Auch ihre Kinder fragen: Wie kann Gott das zulassen, wo du doch so gläubig bist?! Simone sagt: „Ihr habt recht, aber kein Christ schwebt auf einer rosaroten Wolke.“ Viel wichtiger findet sie „die Erfahrung: Ich bin nicht allein, Gott ist bei mir! Das erlebt man aber nur, wenn’s einem so geht“.

Original Sylter Korb, blau-weiß

Simone Heintze sitzt bei sich im Garten, in einem blau-weißen Strandkorb: ein Sylter Original, vor Jahren auf der Insel ausrangiert. Ein Erinnerungsstück und Geschenk von ihrem Ex-Mann zum 40. Geburtstag. Hier kommt alles zusammen: Sylt ist „meine Erholungs- und Seeleninsel“. Der Blick übers Meer hilft ihr, „als ob die Weite auch mein Inneres weitet“. Eine Erinnerung an 20 Jahre Familien-Urlaub auf der Insel: „Ich war 20 Jahre verheiratet, da war ja nicht alles Mist …“

Heulend auf dem Abiball

Hat sie Träume für die Zukunft? Sie möchte Freunde besuchen, Zeit zum Zuhören haben. Sie freut sich darauf, viel mit ihren Kindern zu erleben, zu sehen, wie sie selbstständig werden, mitfeiern zu können. Als ihr Sohn 2015 seinen Abiball gefeiert hat, hat Simone erst mal geheult – sie hätte nicht gedacht, dass sie das noch erleben würde. „Die Lebensfreude ist bei mir immens. Ich mache mir bewusst, wie viel ich schon erlebt habe, wie viel Wertvolles entstanden ist. Diese Dankbarkeit gibt mir Mut für die Zukunft.“

Über ihren Kampf gegen den Krebs hat Simone Heintze zusammen mit Julia Fiedler auch ein Buch geschrieben: „Wäre schön blöd, nicht an Wunder zu glauben“ (Gerth Medien).