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Veronika hält nichts von Minimalismus-Star Marie Kondo – und bewahrt sogar einen Plastikbecher auf

Mutter Veronika Smoor ist ein Fan des Ausmistens. Mit zu starren Wegschmeißregeln kann sie allerdings nichts anfangen.

Ich halte rosa Pumps mit lächerlich schmalen und hohen Absätzen in der Hand. Sie sind hoffnungslos aus der Mode. Vor 15 Jahren trug ich sie an meinen Füßen während unserer standesamtlichen Trauung. Und seitdem habe ich sie nie mehr getragen. Alle Kratzer am Absatz stammen von dem Kopfsteinpflaster vor dem Bamberger Rathaus, als Freunde Luftballons in den Himmel steigen ließen und ich fünf Minuten zuvor zum ersten Mal in meinem Leben hinter meinen Vornamen den Nachnamen meines Geliebten setzte.

Wir sehnen uns nach dem Weniger

Die Pumps stehen in meinem Kleiderschrank neben drei weiteren Paar High Heels, die ich wohl lange nicht mehr anziehen werde angesichts einer Pandemie, die mir das Ausgehen verleidet hat. Fast wären die rosa Treter in der Altkleidersammlung gelandet, vor fünf Jahren, als ich „Magic Cleaning“ von Marie Kondo las – der gehypte Aufräumratgeber des neuen Jahrtausends. Der weltweite Bestseller hängte sich an den Minimalismus-Trend, der schon einige Jahre zuvor an Momentum gewonnen hatte: die Sehnsucht unserer westlichen übersättigten Gesellschaft nach weniger, mitten im Konsumkollaps. Nach lichtdurchfluteten Wohnungen, eingerichtet mit schnörkellosen Mid-Century-Stücken aus Pinienholz, skandinavischem Understatement und einer einsamen, keramik-ummantelten Topfpflanze in der Ecke. Nirgendwo Papierkram oder Werbekugelschreiber oder halbfertige Bastelarbeiten oder zerlesene Bücherstapel.

Marie Kondo ist mit Kindern kaum anwendbar

Ich erhoffte mir Erleuchtung seitens der Lektüre, so wie wir alle die ultimative Offenbarung beim Griff nach dem nächsten angesagten Selbsthilfe-Buch erwarten. Aber sie blieb aus. Irgendwo zwischen meinem 38. und 42. Lebensjahr war ich der Appelle, mein Leben zu ändern, müde geworden. Ich identifizierte mich mit den Grundaspekten des Minimalismus, aber Marie Kondos Aufräumgesetze in einem Alltag mit Kindern waren praktisch kaum anwendbar. Laut ihrer Methode mistet man über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Kategorien aus. Man nimmt jeden Gegenstand in die Hand und fragt sich: Bringt mir dieser Freude? Wenn die Antwort Nein lautet: weg damit. Jeder Gegenstand bekommt seinen festen Platz. Kleidungsstücke werden nach der KonMari-Methode gefaltet. Alles, „was man irgendwann nochmal brauchen könnte“, wird ebenfalls ausgemustert. Soweit der grobe Überblick. Wenn du dich an all diese Punkte hältst, musst du nie mehr ausmisten, so lautet das Versprechen des Buches. Bei dieser gewagten Aussage legte ich das Buch zur Seite, ärgerte mich drei Tage lang und verschenkte es dann an eine Freundin.

Das Leben ändert sich nunmal

Das Leben besitzt nun mal die lästige Eigenschaft, dass es sich ändert. Das, was wir vor fünf Jahren brauchten, steht heute nutzlos in der Ecke. Wie zum Beispiel der Windeleimer. Oder 93 Duplosteine. Oder Autokindersitze. Und das, was wir heute benötigen, werde ich ebenfalls in einigen Jahren wieder aussortieren: Schulrucksäcke, Turnbeutel, Wörterbücher und selbstgebaute Schleichpferde-Bauernhöfe. Die T-Shirts meines Mannes halten nicht ewig, genauso wenig wie meine BHs – ja, auch wenn wir qualitativ hochwertig einkaufen. Der Vorschlaghammer steht an 364 Tagen des Jahres ungenutzt im Keller, aber im Juni hole ich ihn raus, um Tomatenpflöcke in den Boden zu rammen. Es passierte mir, dass ich im Eifer des Gefechts meine „Flotte Lotte“ ausmusterte und drei Tage später dringend gekochte Himbeeren passieren musste. Mein Mann kann ein Lied von verschwundenen Kabeln und Ordnern und Schraubenziehern und Levi’s Jeans singen.

Ein Plastikbecher als Erinnerung

Viele Dinge in unserem Haushalt entfachen keine ekstatischen Freudefunken, manche benötige ich nur alle Schaltjahre. Wie zum Beispiel die drei Schränke, in denen ich unser Archiv angelegt habe. Darin sind Dinge enthalten, die laut Marie Kondo entsorgt werden müssten: Glückwunschkarten, Tagebücher von anno dazumal, Dias, Jahrbücher, Foto-Negative. Ich bin eine Bewahrerin und Geschichtensucherin, und dieses anti-minimalistische Archiv ist eine Quelle sinnloser Freuden. Erst vorgestern erzählte ich am Abendbrottisch von meinem verrückten Lateinlehrer, der einst Mäusegedichte schrieb und diese zusammen mit Schnappschüssen von Schülerinnen im Eigenverlag veröffentlichte. Ich musste nur fünf Schritte gehen, den Schrank öffnen, ein bisschen wühlen und meinen ungläubigen Kindern das Beweisstück liefern. Und wenn sie mich nach dem staubigen Plastikbecher neben den Tagebüchern fragen? Ha! Daraus hat Sting auf einem Flug von Florenz nach Paris sein stilles Wasser getrunken, als ich ihn damals bediente. Ich hebe ihn auf (den Becher, nicht Sting). Gegen jeden Protest meines Mannes und trotz der Frage meiner Kinder: Wer ist Sting?

Ich glaube, wir müssen uns bei den Dingen, die wir behalten wollen, fragen: Erzählen sie uns gute Geschichten? So wie avantgardistische Mäusegedichtbände und rosa Hochzeitspumps. Es ist eine fast schon unbarmherzige Haltung, so finde ich, Dinge auszumisten, die nicht ständig von Nutzen und Freude sind. Wenn wir den Gedanken konsequent weiterspinnen, enden wir beim Menschen. Und was machen wir mit den Menschen in unserem Leben, die uns nicht nützen?

Die Frage nach dem Ausmisten ist auch eine nach Konsum

Wenn du mich kennst, dann weißt du, dass ich ein Fan des Ausmistens bin. Aber ich pflege die pragmatisch-realistische Haltung, dass Ausmisten ein andauernder Prozess ist. In diesem Herbst wirst du mich auf meinem Hofflohmarkt finden, auf dem ich Duplosteine und unnütze Stilettos und Autokindersitze und selbstgebackene Zimtschnecken anpreise. Sind wir ehrlich: Die Tipps des milliardenschweren Marie-Kondo-Unternehmens, das in seinem Webshop Dinge wie gefilzte Ananas-Buchstützen und Ordnungsboxen verkauft, entzaubern sich bei näherer Betrachtung als gesunder Menschenverstand.

Auch ohne den Erwerb von Aufräumratgebern wissen wir instinktiv, wie wir unseren Besitz ordnen und minimieren können. Und zum gesunden Menschenverstand gehört noch mehr. Wenn wir ihn anwenden wollen, dann müssen wir uns noch vor allen Ausmist-Methoden nach unserem Konsumverhalten fragen. Alles, was wir nicht ins Haus tragen, müssen wir auch nicht mehr hinaustragen. Und glaubt mir, ich lerne diese Lektion immer noch. Der Spontankauf der niedlichen Bambus-Kaffee-Thermobecher? Hab ich bereut, da sich jene als gesundheitsschädlich erwiesen.

Kataloge kommen ungesehen in die Papiertonne

Zu Beginn des Jahres überprüfte ich mein Online-Einkaufsverhalten. Ich ging die letzten Jahre durch und war schockiert, welche Einkäufe eigentlich völlig unnötig waren. Ich setzte mir zum Ziel, meine Online-Einkäufe um zwei Drittel zu reduzieren und bisher läuft das prima. Mir hilft mein Leitsatz: Brauche ich oder möchte ich das? Um es mir einfacher zu machen, lasse ich alle Werbeprospekte und Kataloge ungesehen in die Papiertonne wandern und streiche Stadtbummel von der Liste meiner Freizeitaktivitäten.

Am Ende ist doch immer alles eine Frage der gesunden Balance jenseits vom hysterischen Ausmist-Zeitgeist. Von den einst 30 Paar Schuhen, die ich mal besaß, sind 7 Paar übriggeblieben. Plus ein paar rosa Pumps, die mir eine richtig gute Geschichte erzählen von einem Tag im Mai 2005, als ich mit diesen über das Kopfsteinpflaster stöckelte, die eine Hand hielt die meines Mannes, die andere den Brautstrauß. Der liegt übrigens getrocknet auf unserem Kleiderschrank. Staubig und grau. Demnächst miste ich ihn aus.

Veronika Smoor aus Obersulm ist Autorin, Referentin und zweifache Mutter. Sie bloggt unter veronikasmoor.com – ein Treffpunkt für alle, die sich nach greifbarer Alltagsspiritualität sehnen.

Nur noch kurz die Welt retten

Was kann ein Einzelner bewirken, um die Welt zu verändern? Mehr, als viele denken, meint Ruth Weißenborn und fängt an, müllarm zu leben.

Ich träume davon, dass wir den leisen Gedanken zuhören, die Gott uns manchmal zuflüstert und die zu einer großen Sache werden können. Ich glaube, dass jeder von uns sie hat, diese kleinen Ideen und Träume. Denn so fängt Veränderung an. Mit einer Idee, einem, der sie umsetzt und dem nächsten, der sich anstecken lässt. Ich träume davon, dass wir anfangen zu tun. Dass wir selber wagen, anstatt auf andere zu warten. Ohne Rücksicht auf Perfektion, die uns nur aufhält. Wir können viel bewirken mit einer Idee, etwas Idealismus und einer Spur Blauäugigkeit, die uns etwas riskieren lässt. Das ist in der Theorie einfacher als in der Praxis. Können wir trotzdem heute zusammen etwas wagen? Und sei es nur, unseren Traum zu Ende zu träumen: Was möchte ich verändern, verbessern, verschönern? Was liegt mir auf dem Herzen? Was würde ich tun, wenn ich nicht scheitern könnte? Und was brauche ich, um meine leisen Gedanken in die Tat umzusetzen?

ZERO WASTE
Werner Boote hatte die Idee, einen Film über die katastrophalen Auswirkungen von Plastik zu machen. Sein Großvater war in den 60er Jahren Geschäftsführer der deutschen Interplastikwerke. Sandra Krautwaschl aus Österreich war von dem Film so bewegt, dass sie mit ihrer Familie beschloss, einen Monat lang komplett ohne Plastik zu leben und Online-Tagebuch darüber zu führen. Das war 2009, und Familie Krautwaschl lebt heute noch plastikfrei. Bea Johnson aus Kalifornien dachte, sie lebe umweltbewusst, weil sie ja ihren Müll ordentlich trennt. Bis sie durch Bücher und Dokumentationen anfing „zu verstehen, nicht nur, wie stark unser Planet gefährdet ist, sondern auch, wie sehr unsere alltäglichen, gedankenlosen Entscheidungen alles noch schlimmer machten für unsere Erde und die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen“. Sie lebt seitdem nicht nur plastik- sondern fast müllfrei: Ihre vierköpfige Familie produziert etwa ein Weckglas Restmüll pro Jahr. 2014 eröffneten in Deutschland die ersten Lebensmittelläden ohne Einwegverpackungen. Mittlerweile gibt es etwa 40 Unverpackt-Läden, weitere sind in Planung.

MÜLL HALBIERT
Vor zwei Jahren entdeckte ich beim Youtube-Surfen Werner Bootes Dokumentation „Plastic Planet“. Nach der Hälfte des Films wusste ich, dass ich nicht mehr ruhigen Gewissens weitermachen kann wie bisher. Ich musste etwas ändern – und zwar sofort. Ich habe mich im Netz informiert und schrittweise Plastik aus unserem Haushalt entfernt. Dann stieß ich auf Bea Johnsons Buch „Zero Waste Home“. Deutsche Literatur gab es Anfang 2015 kaum. Mittlerweile sind aber diverse Bücher und noch mehr Blogs erschienen. So fing ich an, unsere Wohnung zu entrümpeln und die Müllquellen in unserem Fünf-Personen-Haushalt durch müllfreie Alternativen zu ersetzen. Was wir aussortierten, wanderte ins soziale Kaufhaus oder in die Kleinanzeigen. Überrascht stellte ich fest: Für fast jeden Wegwerf- oder müllproduzierenden Artikel gibt es eine wiederverwendbare, aufladbare, auffüllbare oder DIY-Alternative. Zurück zur guten alten Pfandflasche und einem simplen, unverpackten Stück Seife. Manchmal ist etwas Kreativität gefragt, um zum Beispiel herauszufinden, dass man aus Joghurt und einer Prise Salz Labneh herstellen kann, der uns Frischkäse und Quark ersetzt. Innerhalb von ein paar Monaten halbierte ich unseren M üll. U nkompliziert u nd o hne großen A ufwand, weil ich eine Sache nach der anderen umstellte und nur das wählte, wo mir die Alternative leicht fiel: Auf dem Wochenmarkt kann ich mir Oliven und Schafskäsecreme direkt ins Bügelglas füllen lassen. Für Butter ist mir noch keine geeignete Alternative begegnet, deshalb kaufe ich sie weiterhin konventionell. Genau wie Zahnpasta. Die kann man zwar wunderbar selber machen, aber nach meinem Zahnpasta-Experiment wollte mein Mann mich nicht mehr küssen.

EIGENE VERPACKUNGEN
Die größte Müllersparnis brachte die Umstellung unserer Einkaufsgewohnheiten: Wir kaufen Getränke und Milchprodukte in Pfandflaschen und kaum noch Fertigprodukte. Auf dem Wochenmarkt besorge ich Käse und Wurst (Edelstahldosen), Honig (Pfandglas), Brot (Brotbeutel), Obst und Gemüse (waschbare Gemüsenetze). Alle Utensilien warten in meiner Markttasche auf den nächsten Einkauf. Auf freundliche Nachfrage wurde mir die Bitte, meine eigene Verpackung benutzen zu dürfen, bisher nur selten abgeschlagen. Ein guter Kompromiss ist, den Behälter nur auf die Theke zu stellen, sodass der Verkäufer die Ware hineinlegen kann. Laut Verbraucherzentrale NRW gibt es branchenspezifische Leitlinien, aber letztendlich entscheidet jeder Marktleiter, ob eigene Behälter benutzt werden dürfen. Die Bäckereien sind bei mir auf Platz eins in der Müllfrei-Beliebtheitsskala: Mein Brotbeutel war immer sofort willkommen. Zwischendurch kaufe ich im Supermarkt ein. Leider ist dort meistens das konventionelle Obst und Gemüse lose, während bio eingeschweißt ist. Mein Mann bevorzugt bio, ich entscheide mich eher für plastikfrei. Zum 17 Kilometer entfernten Unverpackt-Laden fahre ich nur alle paar Monate, um einen Großvorrat an trockenen Lebensmitteln zu kaufen. Oder ich teile mir mit Freunden Großgebinde in Papierverpackung, die wir online bestellen. Ich lagere alle Lebensmittel in Bügelgläsern, in denen man auch hervorragend einfrieren kann, wenn man sie maximal zu drei Vierteln füllt.

ENTSPANNUNG STATT PERFEKTION
Mit „heiter bis wolkig“ lässt sich die Begeisterung meiner Familie zusammenfassen. Die erste Reaktion meines Mannes zum Thema Zero Waste war: „Ja okay, mach das. Drei Monate lang sag ich nichts dazu.“ Daran hat er sich gehalten, sogar sechs Monate lang, und dann angefangen zu protestieren. Nach einigen Runden verbalen Armdrückens haben wir unseren Mittelweg gefunden und entschieden, dass beispielsweise Chips für uns, trotz Plastikverpackung, dazugehören. Mir fällt es leicht zu verzichten, wenn es keine unverpackte Alternative gibt. Über die plastikverpackten Käufe meiner Familie hinwegzusehen, fällt mir schwerer. Ich versuche, mich dennoch mit meinen Töchtern über ein neues Shampoo und superniedliche Polyestertierchen mit Riesenaugen zu freuen. Aber zwischendurch werde ich rückfällig und bin die nervige Ehefrau und Mama mit Müll-Spleen und erhobenem Zeigefinger. Als Familie funktioniert nur der Weg, den alle gerne gehen. Unsere Zero-Waste-Reise ist von Chipskrümeln gesäumt und riecht nach Pfirsichblüten. Entspannung statt Perfektion.

AUGEN AUF!
Plastik hält eine Ewigkeit und wird oft nur für wenige Augenblicke benutzt. Ich möchte dazu beitragen, dass wir die Augen öffnen für das, was um uns herum selbstverständlich geworden, aber der helle Wahnsinn ist. In Deutschland landen pro Stunde 320.000 To-Go-Becher im Müll, und wir verbrauchen zwei Milliarden Kaffeekapseln im Jahr. Zwei von vielen Beispielen, die wir im Handumdrehen ändern könnten. Erfreulich ist die Entwicklung beim Thema Plastiktüten: Durch die Einführung von Gebühren ist der Verbrauch von 5,6 Milliarden Tüten jährlich auf 3,6 Milliarden gesunken. Das sind ein Drittel weniger Plastiktüten als im Vorjahr. Mein Ziel ist „zero waste“, aber wir sind eine normale Familie mit unterschiedlichen Wünschen und Interessen. Ein Weckglas Restmüll im Jahr werden wir vermutlich nie erreichen. Doch wenn wir „Normalen“ uns zusammentun und jeder seinen Müll ein wenig reduziert, dann können wir zusammen viel verändern. Meine Hoffnung ist, dass einige anfangen und viele mitmachen. Der berühmte kleine Stein, der ins Wasser fällt und Kreise zieht. Jetzt kennen Sie meinen Traum. Wovon träumen Sie?

Ruth Weißenborn arbeitet in einer Freiwilligenagentur und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in einem kleinen Dorf bei Hannover.

 

 

Weniger Zeug, mehr Raum

Nicht erst seit Silbermonds Song „Mit leichtem Gepäck“ fragen sich Familien, wie sie ihr Leben vereinfachen und erleichtern können. Auch Rachel Suhre aus dem Hunsrück ist mit ihrer Familie minimalistisch unterwegs.

Eine ausrangierte Fahrradzeitschrift und diverse Holztiere liegen verstreut auf dem Boden herum. Hinter mir ein kleiner Haufen Krimskrams: Drei bunte Badeschwämmchen, ein lila Handspiegel, zwei Spielzeugautos, eine Dino-DVD und ein Handglöckchen aus Metall. Ein kleiner Haufen Spielzeug, der es vom Wohnzimmer nicht ins Kinderzimmer geschafft hat. So sieht das Leben als Familie aus, die sich mit dem Thema Minimalismus auseinandersetzt? Ja. Vor etwa sieben Jahren begann für uns das Weniger relevant zu werden. Wir lebten in einer Wohnung voller Dinge. So viel Besitz wie damals haben wir seitdem nicht mehr gehabt, dennoch ist es noch immer einiges.

DREIMAL MEHR
Es fing damit an, dass wir von allen vermeintlich notwendigen Babyutensilien mindestens zwei hatten: zwei Babyphone, drei Wippen, zwei Babyschalen fürs Auto, Unmengen Babykleidung. Wir begannen zu reduzieren. Erst den Babykram, dann Bücher, DVDs, Kleidung, Möbel.

Anfangs fehlte uns einfach der Platz. Dann wurde uns bewusst, wie viel Pflege und Arbeit viele Dinge erfordern. Sei es die Instandhaltung technischer Geräte oder das Säubern und Ordnen von Regalen und Kommoden. Beides erfordert Zeit, die wir plötzlich zurückgewannen und für anderes einsetzten. Das Leben wurde leichter, und wir hatten plötzlich wieder mehr Raum. Mehr Raum für uns, mehr Raum zum Spielen, mehr Raum zum Durchatmen. Das sind meine ganz persönlichen drei Mehr, von denen wir heute als Familie profitieren.

Nach dieser Erfahrung entschieden wir, nur noch das in unseren Haushalt hineinzulassen, was wir wirklich brauchen. Wir haben keinen Fernseher. Allerdings schauen wir ausgewählte Kinderserien am Notebook, und das Tablet darf zum Spielen verwendet werden. Ich stelle keine Regale im Wohnzimmer auf. Ich halte den Süßigkeitenkonsum gering, und das Spielzeug unterliegt meiner mal mehr, mal weniger strengen Auswahl. Unser Wasser trinken wir aus dem Hahn und nicht mehr aus der (Plastik-)Flasche. Wir kaufen viel frisch aus dem Bio-Hofladen und den Joghurt in Gläsern. Bücher leihen wir uns aus der Bücherei. Wir sind viel draußen unterwegs. Deshalb hat jeder ein eigenes Fahrrad. Ist das Minimalismus? Keine Ahnung. Das machen viele Familien so, ganz ohne das große Wort Minimalismus.