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Unterschiedliche Wünsche beim Sex? So finden Sie eine gemeinsame Lösung!

Unser ganzes Leben prägt, was für Vorstellungen wir von Sex haben. Aber: Wir müssen nicht so bleiben, wie wir sind, sagt Sexualberaterin Dr. Ute Buth.

Tom und Lena (Namen verändert und Fall verfremdet) sind noch nicht so lange verheiratet. Für Tom ist es die zweite Ehe. Seine erste Frau ist vor wenigen Jahren gestorben. Seit der Hochzeit kreisen beide um die Frage: Wie leben wir unsere Sexualität so, dass sie für beide zufriedenstellend ist? Tom hat Sex in seiner ersten Ehe als besonders erfüllend erlebt, wenn sie dabei eine bestimmte Position einnahmen. Lena jedoch mag diese überhaupt nicht.

Anfangs traute sie sich kaum, dies zu sagen, schließlich war er doch der Erfahrenere von beiden. Auch wollte sie den Beginn ihrer gemeinsamen Sexualität nicht verkomplizieren und gleich zu Anfang rummeckern. Sie hoffte, dass sich dies mit der Zeit geben würde, spätestens wenn sie ihre Sexualität miteinander erst einmal richtig entdeckt hatten. Nach und nach jedoch wurde ihr klar, dass Tom jedes Mal darauf hinwirkte, dass er in genau jener Position zum Höhepunkt kam. Schließlich kommen sie in die Beratung: Über die sexuellen Begegnungen berichten sie von häufigen „Abstürzen“ und regelrechtem Streit. Lena fühlt sich für seinen Höhepunkt benutzt und dadurch fremdgesteuert.

Was ist die sexuelle Lerngeschichte?

Die Entstehung der sexuellen Lerngeschichte lässt sich am Beispiel einer zunächst leeren Computerfestplatte verdeutlichen. Jeder Mensch hat sie zu Beginn des Lebens mitbekommen. Tom und Lena mögen ein besonders anschaulicher Fall sein, aber man muss nicht zum zweiten Mal verheiratet sein oder Erfahrungen mit vorherigen Partnern gemacht haben, um auf die Platte zu schreiben. Jeder Mensch hat seine ganz einzigartige und persönliche sexuelle Lerngeschichte. Sie beginnt bereits, wenn wir als Babys im Mutterleib heranwachsen und setzt sich über die Kindheit und Teenager-Zeit bis ins Erwachsenenalter fort. Sie endet erst mit unserem Tod, auch wenn die aktive Sexualität für manche Menschen eventuell schon früher keine Rolle mehr spielt. Und sie besteht auch bei Menschen, die Sex gar nicht aktiv ausleben.

Sexualität ist eine besonders intensive Form der Kommunikation, die nonverbal und verbal stattfinden kann. Und die größtmögliche Nähe, die man zu einer anderen Person haben kann. Lebenslang wirken sich unzählige Faktoren auf die sexuelle Lerngeschichte aus. Alles, was nur im Entferntesten mit Sexualität oder auch Beziehungen zu tun hat, speichern wir ab und setzen es in Relation zu Vor- und Folgeerfahrungen. Wir bilden uns unsere Meinung. Wir weben gleichsam lebenslang einen hochkomplizierten individuellen Orientteppich rund um dieses Thema. Bereits im Mutterleib nehmen wir Mutter, Vater, andere Menschen und auch deren Beziehung zueinander wahr.

Als Kleinkind lernen wir, in Beziehung zu anderen Menschen zu stehen. Wir entdecken unsere Geschlechtlichkeit und die anderer Menschen. Wir erleben, wie offen oder verschlossen das Gespräch über Sexualität geführt wird. In Menschen, die uns begegnen, haben wir unfreiwillige und unbewusste Lernobjekte und Lebensmodelle. Wie wir uns im Laufe unseres Lebens positionieren, ist komplex und höchst individuell.

Mentale Festplatte lässt sich nicht löschen

Selbstverständlich gehört die Sexualaufklärung mit in dieses Webmuster unseres ureigensten Teppichs. Sogar dann, wenn sie scheinbar nicht stattgefunden hat. Denn auch das konsequente Schweigen zum Thema Sexualität spricht Kindern gegenüber eine laute und deutliche Sprache: „Darüber spricht man nicht!“ Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Werbung und anderer visueller Reize wie Fotos und Filme.

Im Laufe der eigenen Entwicklung wird die Festplatte mit Wissenswertem, Erfahrungen und Entscheidungen beschrieben. Oder anders gesagt: Unser Gehirn speichert all dies ab und verwebt es in unzähligen neuronalen Verschaltungen. In der IT ist es gar nicht so einfach, gespeicherte Daten komplett zu löschen oder zu überschreiben. Das Formatieren der Festplatte reicht nicht. Häufig können Fachleute selbst nach einem unvorhergesehenen Crash vieles wiederherstellen. Ungleich komplexer verhält es sich mit unserer mentalen „Festplatte“. Wir können ja keine Bereiche dieses internen Speichers markieren und aus unserem Blickfeld verbannen oder gar löschen, zum Beispiel, wenn sie nicht mehr zu den eigenen Wertvorstellungen passen. Wir können nur umlernen, neue Erfahrungen abspeichern oder im Bild des Webteppichs neue Fäden einweben. Auch deshalb ist es unerlässlich, die eigene sexuelle Lerngeschichte verantwortungsvoll zu gestalten.

Neue Lerngeschichte schreiben

Tom ist frustriert. Er hat zunehmend den Eindruck, dass Lena nicht auf seine Wünsche eingehen möchte. Inzwischen funktioniert es anders aber gar nicht mehr. Besonders ist die Situation des Witwers: Für Tom ist es wichtig, die Trauer über den Tod seiner Frau und die damit erloschene Sexualität zu verarbeiten.

Doch Tom und Lena müssen nicht bei alten Erfahrungen stehen bleiben. Sie haben die Chance, eine neue gemeinsame Lerngeschichte zu schreiben. Die partnerschaftliche Sexualität trägt das Potenzial in sich, dass sie im Laufe der Zeit erfüllender wird. Doch nur wenn es beiden ein Anliegen ist und sie bereit sind, auf ihr Gegenüber einzugehen.

Wenn verlassene Trassen zuwachsen

Sobald Frauen und Männer die Grundprinzipien der sexuellen Lerngeschichte verstanden haben, können sich Türen in neue Lebens- und Lernbereiche hinein öffnen. Das Paar ist dem Erlebten nicht mehr hilflos ausgeliefert. Dabei ist es ratsam, nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen. Auf Basis dieser Erkenntnisse können die Partner schauen, welches Verhalten sie langsam und schrittweise neu prägen möchten.

Vielleicht könnte Lena dann feststellen, dass sie es gerne hat, wenn sie an bestimmten Stellen sanft von Tom berührt wird. Vielleicht würde dann Tom spüren, dass es ihn selbst erregt, wenn er merkt, dass Lena Gefallen an seinen Berührungen findet. Wenn Tom nicht darauf fixiert bleibt, auf eine bestimmte Weise Sex zu erleben, dann können Bereiche, die nicht mehr bedient werden, im Laufe der Zeit gleich einer verlassenen Bahntrasse mitunter zuwachsen. Die Prägung an sich aber bleibt im Gehirn angelegt. Wichtig ist, nicht frustriert aufzustecken, falls sich manche Prägungen als stark oder unveränderbar herausstellen. Stattdessen gilt es, den eigenen Handlungsspielraum wahrzunehmen und in dem Bereich gestalterisch voran zu gehen, wo eine Entwicklung möglich ist.

Neue Strecken anlegen

Vielleicht gibt es in einer bestimmten Lebensphase gute Gründe, nicht mehr so viel Zeit aufs Vorspiel zu verwenden, weil jederzeit ein Kind um die Ecke biegen könnte. Die vormals gebahnte Trasse beginnt schmaler zu werden. Irgendwann besteht die Gefahr aber nicht mehr, doch wenn das Paar die neuen Freiräume nicht auszuloten beginnt, wird es noch auf der eingefahrenen bisherigen Trasse unterwegs sein.

Neue Strecken wollen und können angelegt werden. Das gilt für Paare, die noch wenig Erfahrungen miteinander gemacht haben, aber genauso auch für Paare, die schon lange miteinander unterwegs sind. Tom lernt in der Beratung, seine Trauergefühle zu verarbeiten. Für Lena ist es hilfreich, die vorhandenen Muster zu durchschauen. Beide sammeln jetzt neue Erfahrungen miteinander. Tom erfährt, dass auch andere Berührungen lustvolle Gefühle in ihm hervorrufen. Lena lernt, dass sie nicht für Toms Gefühle verantwortlich ist. Sie darf sich an ihren eigenen lustvollen Gefühlen freuen und diese erstmals bewusst beachten und ausloten. Tom wiederum lernt, sich ein wenig zurückzunehmen und sich an Lenas neuen Impulsen zu erfreuen, die auch für ihn frischen Wind in die gemeinsame Intimität bringen.

Lena muss sich nicht länger anstrengen, um Tom aus der Reserve zu locken und sie muss keine Angst mehr haben, dass ihre Grenzen überschritten werden. Sie sind auf einem guten Weg, ihre gemeinsame sexuelle Lerngeschichte positiv weiterzuschreiben.

Keine Scheu vor Hilfe!

In dem Verstehen der eigenen geprägten Geschichte, können wir ab heute neue Weichen stellen, hin zu einer sinnerfüllten Sexualität. Es sollte uns nicht belasten oder beschämen, wenn wir Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter aufsuchen, die uns in diesem Prozess helfen. Große Schiffe brauchen auch mitunter einen Lotsen. Wer sein Ziel nicht kennt, erreicht es nicht. Wer sein Ziel kennt, es aber nicht erreicht, steht letztlich vor dem gleichen Ergebnis.

Daher sollten wir die Scheu ablegen und uns aufmachen, das gute Land einzunehmen, das uns mit der Sexualität gegeben ist.

5 Fragen für Paare, die ihre Sexualität weiterentwickeln möchten:

  • Sprechen Sie über eure individuellen Lerngeschichten. Wie wurde über Sex in Ihrer jeweiligen Herkunftsfamilie (nicht) gesprochen? Welche Schlüsse haben Sie als Kind und Jugendliche daraus gezogen?
  • An welches Mal miteinander können Sie sich noch besonders gut erinnern? Warum ist Ihnen gerade dieses Mal in Erinnerung geblieben?
  • Was empfinden Sie nach wie vor als besonders schön? Wo würden Sie sich gerne von Gewohntem trennen oder entfernen?
  • Was würden Sie gerne (erneut) ausprobieren? Wo könnten Sie neue Bahntrassen anlegen, wo alte reaktivieren?
  • Gibt es negative oder schwierige sexuelle Erfahrungen aus der Vergangenheit, die Ihre Partnerschaft belasten? Bleiben Sie nicht allein damit, sondern suchen Sie sich qualifizierte Hilfe.

Dr. med. Ute Buth ist Fachärztin für Frauenheilkunde, zertifizierte Sexualberaterin und Weißes Kreuz Fachberaterin. Die Buchautorin u. a. von „Frau sein – Sexualität mit Leib und Seele“ leitet die Beratungsstelle „herzenskunst“ in Bochum.

Aufklärung: So können Eltern mit Kleinkindern über Sex reden

Was tun, wenn das Kind sich an Penis oder Vagina fasst? Wie darüber sprechen, wo Babys herkommen? Sexualberaterin Ute Buth zur Aufklärung.

Warum ist die Phase, in der Kinder sich mit dem Thema Sexualität und ihren eigenen Geschlechtsorganen auseinandersetzen, so wichtig?
Wenn Kinder heranwachsen, entdecken sie Geschlechtsorgane wie alles andere, was sie entdecken. So gesehen ist es also eigentlich gar keine besondere Phase, die Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt erlebt haben müssen. Das ist höchst individuell. Die Kinder entdecken auch, dass sie selbst Geschlechtsorgane haben und manche, dass sie schöne Gefühle machen. Wichtig ist, dass die Kinder lernen, dass diese Organe zu ihrem Körper gehören, sie zu benennen, ihren Körper zu schützen und die Körpergrenzen anderer zu respektieren. Dieses Grundwissen spielt nicht zuletzt in Zeiten von #metoo eine wichtige Rolle.

Dass Kinder ihr Geschlecht entdecken, ist normal

Wenn ich mitbekomme, dass sich mein Kind an den Kitzler oder den Penis fasst, wie soll ich dann reagieren?
Wenn Kinder entdecken, dass sie Geschlechtsorgane haben und sich dort berühren, bedeutet das noch nicht, dass sie sich daran betätigen und sich selbst befriedigen. Manchmal juckt etwas oder sie ziehen nur die Kleidung gerade. Wenn sie die Organe entdecken, dann ja erst einmal, dass es da etwas wie die Genitallippen, den Kitzler oder den Penis oder Hoden gibt. Bei Jungen sind die Harnwege und die Geschlechtswege gleich. Ein Junge kommt also gar nicht umhin, sich mit seinem Penis zu beschäftigen. Er wird ja täglich zum Wasserlassen berührt, ist vorgelagerter und gut greifbar und so probieren sie auch aus, was sie damit machen können.

Bei Mädchen sind die Harn- und Geschlechtswege getrennt. Der Kitzler liegt verborgener unter den Genitallippen. Sie entdecken sexuelle Gefühle deshalb nicht so selbstverständlich wie Jungen. Manche entdecken sie beim Duschen, beim Trockenrubbeln danach oder wenn sie auf einer Sofakante sitzen. Wenn Kinder ihre Organe entdecken, anfassen, fühlen oder daran reiben, ist das also an sich normal. Wenn Sie das als Eltern mitbekommen, ist es ratsam, sich nicht aus Scham wegzudrehen, es pauschal zu verbieten oder einen abwertenden Kommentar abzugeben. Denn damit beschämen Sie Ihr Kind für etwas, was selbstverständlich zu seinem Sein dazu gehört. Dass unsere Geschlechtsorgane fühlen können, gehört zur Grundausstattung von uns Menschen und zum Menschsein.

Reagieren, wenn Kinder Sex nachspielen

Wenn man sich nicht wegdrehen, es nicht pauschal verbieten oder abfällige Kommentare dazu machen soll, wie soll man denn dann reagieren?
Dafür gibt es kein Patentrezept. Wichtig ist, das Kind nicht zu beschämen. Man kann schon zum Beispiel fragen, was es da macht und wie es dem Kind damit geht. Oder man kann in der Situation oder danach ins Gespräch darüber kommen, dass es einen intimen Privatbereich gibt und wie man den schützt. Erstmal ist es doch so: Die Kinder stellen fest: Was ich da tue, macht mir schöne Gefühle. Sie denken sich nichts Böses dabei. Manchmal erzählen sie auch begeistert davon und wollen ihr neu gewonnenes Wissen mit den Eltern teilen, im Sinne von ‚ich gebe einen guten Tipp weiter‘.

Gibt es auch Situationen, auf die man reagieren sollte, und wie?
Wenn ein Kind explizit irgendwelche sexuellen Handlungen nachspielt und das immer wieder, dann könnte man sich fragen, wo es das womöglich gesehen hat. Ist es vielleicht mit Pornografie in Kontakt gekommen? Wenn ein Kind sich selbst befriedigt, würde ich schauen, wie oft es das macht, ob es dieses Verhalten sehr in Beschlag nimmt und sich irgendwelche Muster abzeichnen: Wenn es sich immer dann, wenn es traurig oder gestresst ist, so verhält, dann kann es sein, dass Selbstbefriedigung zum Tröster oder Entspannungstool wird. Falls Sie als Eltern unsicher sind, können Sie auch ihren Kinderarzt um Rat bitten.

Wenn die Selbstbefriedigung eine Funktion erfüllt und Sie sie einfach unterbinden würden, machen es die meisten Kinder heimlich weiter – dann aber belastet mit einem schlechten Gewissen. Suchen Sie mit dem Kind gemeinsam nach Alternativen, indem Sie überlegen, was es beruhigt, was sonst noch guttut. Wenn es sich in der Öffentlichkeit, wo andere es sehen und sich darüber lustig machen können, an seine Geschlechtsorgane fasst oder sogar befriedigt, sollte es lernen, seinen Privatbereich in Sachen Intimität zu schützen.

Kinder lernen spätestens ab der Schule, woher Babys kommen

Welche Rolle spielen Eltern bei der Aufklärung der Kinder?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sexualität eine große Rolle spielt. Eltern sollten sich bewusst machen, dass sie keine Aufklärungshoheit haben und dass sie auch nonverbal aufklären. Das permanente Schweigen zum Thema Sex sendet auch die Botschaft, darüber spricht man nicht! Wenn ein Kind bis zum Schuleintritt nicht weiß, woher die Babys kommen und was Sex ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es das in der Schule lernt, riesengroß – und damit meine ich nicht in erster Linie den Aufklärungsunterricht! Bis dahin haben sie in aller Regel schon etliches auf dem Schulhof, von anderen Kindern oder in den Medien erfahren.

Medienwissenschaftler weisen darauf hin, dass die ersten Informationen, die man auf einem Wissensgebiet erhält, einen viel stärker prägen als Folgeinformationen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Eltern möglichst vor dem Schuleintritt eine gute Grundlage für die Aufklärung ihrer Kinder legen. Ich ermutige Eltern, Aufklärung als Aufgabe und Chance zu begreifen und sich auch mit der eigenen Lerngeschichte auseinanderzusetzen. Wenn sie schambestimmt reagieren, weil ihr Kind sich mit seinen Geschlechtsorganen beschäftigt, hat das häufig mit Hilflosigkeit aber auch mit der eigenen Prägung zu tun. Wenn ich gelernt habe, dass man so etwas nicht tut, was ich aber nun mein eigenes Kind tun sehe, dann gerate ich womöglich schon dadurch in einen inneren Konflikt, bei dem eine Klärung hilfreich sein kann.

Kind kein Aufklärungsgespräch aufzwingen

Und wenn sich mein Kind gar nicht für das Thema interessiert?
Dass ein Kind nicht danach fragt, bedeutet nicht, dass es keine Fragen in seinem Kopf hat. Es kann durchaus sein, dass es Fragen hat, vielleicht sogar auch schon Kontakt mit dem Thema hatte und es so schräg findet, dass es meint, mit den Eltern nicht darüber sprechen zu können oder Sorge hat, Ärger oder peinliche Rückfragen zu bekommen, wenn es Fragen stellt. Wichtig ist, sich möglichst früh sprachfähig auch zu sexuellen Themen zu positionieren. Dann lernt Ihr Kind, dass es normal ist, dass die Eltern dazu ansprechbar sind.

Überfordern Sie Ihr Kind nicht und zwingen Sie ihm kein peinliches Aufklärungsgespräch auf. Es geht ja auch nicht darum, den ganzen Tag über Sex zu reden, aber eben auch darüber zu reden. Manchen Kindern hilft es, über die eigene Zeit als Baby ins Gespräch über das Thema zu kommen. Die Eltern können auch von der Schwangerschaft erzählen und so nach und nach Informationen vermitteln.

Aufklärung nach dem Baukastenprinzip

Wie klärt man Kinder am besten auf?
Aufklärung ist kein Termin im Kalender, den man abhakt und dann ist es erledigt. Aufklärung ist ein Lebensstil. Es geht im Prinzip darum, dass ich wie beim Baukastenprinzip immer wieder an vorhandenes Wissen weitere Informationen anbaue und dafür vor allem zu Beginn Begriffe aus der Alltagswelt des Kindes benutze.

Haben Sie dafür Beispiele?
Ich habe meinen Kindern immer erzählt, dass Mütter im Bauch das Zimmer „Gebärmutter“ haben und darin die Babys wohnen. Vom Zimmer Gebärmutter führt der Gang „Scheide“ nach draußen. Aus dem kommen die Babys dann heraus. Auf dem Weg zum Schwimmkurs knöpfte ich einmal daran an und erklärte, dass das Zimmer Gebärmutter auch ein Schwimmbad ist, dass da Wasser drin ist und es den Babys Bewegung ermöglicht und wie sich die Gebärmutter durch das Wasser dehnt. Ein anderes Mal sagte eine ältere Dame zu meiner 3-jährigen Tochter: „Du hast die Augen und die Haare von deiner Mama.“ Ich erklärte ihr daraufhin, dass wenn ein Baby entsteht, es die Hälfte von Mama und die andere Hälfte von Papa bekommt. Damit hatte ich Zeugung erklärt, aber auf einem ganz niedrigen Level – nichts von Samen, Eizellen, Penis, Scheide und Sex.

Daran kann man dann anbauen und darüber sprechen, dass Frauen im Bauch kleine Eier haben. Eier können sich die Kinder gut vorstellen und Samen kennen sie auch – zum Beispiel aus dem Frühjahr, wenn sie Samen aussäen, damit daraus etwas wächst. Nur dass man Papas Samen nicht in den Boden stecken und gießen kann, damit ein Baby daraus wächst, sondern dass sie die winzigen Eier von der Mama treffen müssen. So gibt man immer weitere kleine Informationen dazu, damit die Kinder nach und nach ihr Wissen auf eine breitere Basis stellen können.

Die Fragen stellte Ruth Korte.

Erektionsstörung: So überstanden Cathrin und Daniel gemeinsam die Krankheit

Als Daniels Prostata entfernt wird, stürzen seine Frau Cathrin und er in ein Tief. Dr. Ute Buth erzählt, wie die beiden ihre Sexualität dadurch neu entdeckten.

Cathrin und Daniel empfanden ihre Sexualität anfangs als aufregend und zugleich auch als herausfordernd. Nicht alles lief, wie sie es sich vorgestellt hatten. Manch eine Prägung aus ihren sexuellen Lerngeschichten* fuhr ihnen in die Parade, musste eingeordnet und verstanden werden. Trotz mancher Irrfahrten blieben sie auf Kurs: Gemeinsam entwickelten sie ihre Sexualität in Höhen und Tiefen, manchmal auch mit Unterstützung in einer Fachberatung.

Mit der Zeit genossen und schätzten sie ihr intimes Miteinander immer mehr. Daniel beschreibt es so: „Diese besondere intime Nähe, diese Vertrautheit, die teilten nur wir zwei. Wir haben erst lernen müssen, über Sex zu reden, das war in unseren Familien so gar nicht selbstverständlich.“ Doch von der Sprachfähigkeit profitierte die Zweisamkeit, denn sie begannen, „uns immer mehr unsere gegenseitigen Vorlieben anzuvertrauen. Und das hat Früchte getragen.“ So konnten sie ihre Sexualität miteinander genießen und feiern.

Wolke 7 trifft auf Alltag

Doch selbst eine gelingende, aufregende partnerschaftliche Sexualität ist kein permanentes Schweben auf Wolke 7. Sie findet live statt und will auf dem Boden alltäglicher Rahmenbedingungen gelebt werden. Sexualität lebt davon, dass beide Partner sich kennen, sich vertrauen und dass sie Wege finden, mit den alltäglichen ungeschminkten Herausforderungen des Lebens weise umzugehen.

„In den unterschiedlichen Lebensphasen“, so Cathrin, „haben wir gelernt, in den zahlreichen Wetterlagen des Alltags unsere sexuelle Nische lebendig zu halten. Das war besonders in der Kleinkindphase unserer beiden Kinder nicht immer einfach.“ Beide schmunzeln. Cathrin ergänzt: „Manchmal haben wir uns einen Babysitter geholt und sind für einen langen Abend ins Hotel gefahren. Anfangs fuhr dann einer wieder nach Hause, um den Babysitter abzulösen. Der andere konnte im Hotel in Ruhe ausschlafen. Unsere Flexibilität und Kreativität hat uns später in der Krise sehr geholfen.“

Daniel kämpft mit Erektionsstörungen

Auslöser dieser Krise war eine Krebserkrankung. Mit Anfang 40 ging Daniel zum Urologen, „weil ich Probleme beim Wasserlassen hatte. Der Urologe entdeckte eine auffällige Prostatavergrößerung. Meine Prostata musste radikal entfernt werden.“ Die Operation verlief gut, der Tumor hatte nicht gestreut. Doch auf die Erleichterung folgte auch eine gewisse Ernüchterung, denn „sexuell lief danach gar nichts mehr“. Daniel hatte nach dem Eingriff mit Erektionsproblemen zu kämpfen. „Damit konnte ich als Mann nicht umgehen. Anfangs zog ich mich deshalb zurück.“

Auch Cathrin war mit der Situation überfordert. Sie wünschte sich ihre gemeinsame Sexualität zurück. Und zugleich war ihr klar, dass das so nicht möglich war. Vor allem aber vermisste sie die intime Nähe, die sie geteilt und genossen hatten. Sie wäre glücklich gewesen, mit Daniel zu kuscheln, sich an ihn zu schmiegen und ihm so ihre Liebe zu zeigen. Doch sie wollte ihn nicht bedrängen, stand hilflos vor der Situation und schwieg.

Daniel machte sich Sorgen. Was, wenn sich die Problematik nicht zurückbilden würde? Er sehnte sich nach Intimität mit Cathrin. Dass sie das Gespräch nicht suchte, verstand er als Enttäuschung und Rückzug. War er nun für sie nicht mehr „gut genug“?

Was hilft bei sexuellen Problemen?

Es ist normal, dass ein solcher Einschnitt beide Partner gewaltig erdet und zutiefst verunsichert. Sie verlieren einen Schatz, den sie sicher zu haben wähnten. An bewährte Strategien können sie nicht mehr anknüpfen, und zur Tagesordnung können sie auch nicht übergehen. In einer solchen Situation ist vor allem Mitgefühl gefragt. Mit sich selbst und mit seinem Gegenüber. Und möglichst auch der baldige Austausch darüber, wie es beiden geht. Denn nonverbal stellen sich, wie auch im Fall von Cathrin und Daniel, rasch Missverständnisse und Fehldeutungen ein.

Beim Urologen erfuhr Daniel, dass das Problem mit der Gliedsteife bis zu neun Monate andauern könne. In manchen Fällen würde es auch danach nicht besser. Daniels Verunsicherung war dadurch nicht weg. Die Tabletten, die ihm der Arzt verordnete, verbannte Daniel zunächst in eine Schublade.

Eines Abends ergab sich ein erstes zaghaftes Gespräch mit Cathrin über die aktuelle Situation, zuerst ganz allgemein, wie es beiden geht, aber auch, was all das mit ihnen als Paar gemacht hatte. Beide merkten, dass sie auf dem Weg Federn gelassen hatten, und wie sehr Missverständnisse ihr Verhalten beeinflussten. Doch sie erinnerten sich auch daran, dass sie sich früher in Herausforderungen ihrer Ehe und sexuellen Fragen in der Beratung Hilfe gesucht hatten. So entschieden sie, sich auch in diesem Fall Rat zu holen.

Eine Paarberatung kann helfen

In der Beratung sprachen sie erstmals ohne Bewertung vom anderen darüber, wie es ihnen tatsächlich geht und welche Fragen und Sorgen, aber auch welche Bedürfnisse und Ideen da sind. Überrascht stellten sie fest, dass sie beide weiter ein starkes Nähe-Bedürfnis hatten, dieses aber durch ihren jeweiligen Rückzug nicht geäußert hatten.

Nach und nach stellten sie sich dem akuten Schmerz des Verlustes und auch der Möglichkeit, dass dieser endgültig sein könnte. Sie trauerten über das, was sie eingebüßt hatten, und übten sich dann darin, ihren Blick auf das zu richten, was ihnen an Ressourcen und Möglichkeiten geblieben war.

Intimität jenseits von Geschlechtsverkehr

Überraschend war für Daniel, dass Cathrin zunächst vor allem seine intime Nähe spüren wollte. Ohne Anspruch auf Sex. „Ich war perplex, traurig und freudig überrascht zugleich. Genau das hatte ich mir ja auch gewünscht und mich doch nicht getraut, danach zu fragen. Weil ich meinte, meinen Mann nicht stehen/ nicht liefern zu können.“ Gemeinsam entschieden sie, die Tabletten für später aufzuheben und sich erst einmal langsam wieder anzunähern. Sie belebten anfangs zaghaft, dann immer mutiger längst verschollene Möglichkeiten aus den Anfängen ihrer Partnerschaft: Kuscheln, Streicheln, Küssen, Petting, eine erotische Massage und auch die Stimulation mit der Hand. Vor allem aber genossen sie ihre Zeit zu zweit. Cathrin beschreibt es so: „Endlich war die Eiszeit zwischen uns vorbei. Unsere ganze Beziehung, vor allem aber die Vertrautheit und Nähe tauten auf.“

Viele Paare unterschätzen die Möglichkeiten, Intimität jenseits von Geschlechtsverkehr zu erleben, oder haben sie schlichtweg nie eingeübt. Dabei lässt sich hier viel Land einnehmen und kreativ gestalten. Oftmals kommt erst in der Beratung zur Sprache, wie sehr sich ein Partner Intimität über den Penis-Scheide-Verkehr hinaus wünscht. Fehlt beiden die Sprachebene, ist es sehr herausfordernd, diesen Wunsch einzubringen. Das kann dazu führen, dass man Körperkontakt meidet. Nach dem Motto: Besser nicht kuscheln, sonst versteht das der andere direkt als Einladung zum Sex. Hier helfen klare Absprachen. Wann gehen wir auf Sex zu, wann genießen wir uns bewusst anders und loten unsere Möglichkeiten aus?

Die Erektion: Ein willkommener Gast

Mit den Tipps aus der Beratung entdeckten Cathrin und Daniel ihre gegenseitigen „Körperlandkarten“ und erotischen Zonen neu. Es waren wenige orientierende Sitzungen, bis sie ihren Weg gemeinsam gehen und stärken konnten. Sie tasteten sich langsam vorwärts, lernten Sexualität mit den neuen Randbedingungen zu gestalten und waren überrascht, wie sie nach und nach ganz neu aufregende sexuelle Begegnungen miteinander erleben konnten. Wenn es dabei zu einer Erektion kam, hießen sie diese als Gast willkommen, doch sie suchten bewusst auch Wege, ihre Intimität und Sexualität auch ohne diesen Gast zu genießen und zu feiern.

Was bleibt

Als sich die Erektion Monate später wieder mehr oder weniger regelmäßig einstellte, feierten Daniel und Cathrin auch das. Doch bis dahin hatte sich ihre Sexualität schon deutlich verändert. Ihre neue sexuelle Wirklichkeit wollten sie nicht mehr missen. Ihr Fazit: „Diese Höhen und Tiefen haben uns noch mehr zusammengeschweißt. Wir hätten anfangs nie gedacht, dass gerade diese krasse Erfahrung unsere Sexualität am Ende bereichern würde.“

Daniel und Cathrin haben sich vorgenommen, in Zukunft frühzeitiger Hilfe zu holen und immer nach Auswegen zu suchen. Sie wollen den Einschränkungen nicht den Sieg überlassen und bereit sein, notfalls verlorenes Terrain zurückzuerobern.

Dr. med. Ute Buth ist Fachärztin für Frauenheilkunde, Weißes Kreuz Fachberaterin und zertifizierte Sexualberaterin und leitet die Beratungsstelle „herzenskunst“ (herzenskunst-beratung.de) in Bochum.

*Zum Begriff „Sexuelle Lerngeschichte“: Unabhängig davon, ob Sex aktiv gelebt wird, hat jeder Mensch seine sexuelle Lerngeschichte. Im Laufe unseres Lebens erhalten wir zahlreiche Informationen zum Thema Sexualität: Erlebnisse, Sachinformationen, Emotionen, Positives und auch Negatives. All diese Informationen verknüpft unser Gehirn wie in einem aufwendigen Orientteppich mit ganz individuellen Mustern. Unliebsame Bereiche kann man nicht wie beim Computer einfach markieren und löschen. Wir müssen umlernen, oder um im Bild des Teppichs zu bleiben: neue Fäden einweben und schauen, ob wir alte Fäden auslaufen lassen können.

Den Schambereich schützen

„Wie gehen wir damit um, wenn unser Sohn mit seinem Penis spielt?“

Zunächst gilt es zu unterscheiden: Nicht jede Berührung der Genitalien ist mit Selbstbefriedigung gleichzusetzen. Die Geschlechtsorgane von Jungs sind dem Körper zentral und gut „begreifbar“ vorgelagert. Harn- und Geschlechtswege sind gleich. Jungs kommen nicht umhin, sich mit dem Penis zum Wasserlassen zu beschäftigen. Beim Mädchen sind Harn- und Geschlechtswege getrennt. Das Lustorgan Kitzler liegt bis auf die Spitze verborgen unter der Haut. Mädchen entdecken lustvolle Gefühle ihrer Geschlechtsorgane etwas weniger selbstverständlich als Jungs, teils beim Abtrocknen nach dem Bad oder wenn der Duschstrahl diese berührt. Berührungen von Kindern im eigenen Intimbereich können unterschiedliche Gründe haben, Selbstbefriedigung ist nur einer davon. Es hängt mit von der sexuellen Lerngeschichte der Eltern ab, wie entspannt oder besorgt sie solche Berührungen wahrnehmen und wie sie dies einordnen. Nicht nur aus diesem Grund ist es für Eltern lohnenswert, sich mit ihrer eigenen Lerngeschichte auseinandersetzen, um besser zu verstehen, wie diese in die Erziehung ihrer Kinder mit hineinwirkt.

VON ANFANG AN GUT
Selbstbefriedigung kommt bei manchen Kindern vor, bei anderen nicht. Es ist weder eine lebenswichtige Entwicklungsphase, ohne die man etwas verpassen würde, noch eine Krankheit oder per se schädigend, wie man früher Menschen glauben machen wollte. Bei manchen spielt sie vorübergehend eine Rolle, bei anderen wird sie zur Gewohnheit, manche Menschen erleben sie als suchtartig. Doch zunächst gilt: Die Geschlechtsorgane inklusive der möglichen Gefühle in diesem Bereich gehören als Grundausstattung des Menschen von Beginn seines Lebens an dazu und nicht erst ab der Pubertät. Sie sind damit Teil des schöpferischen „sehr gut“ am 6. Schöpfungstag. Die Bibel nimmt zum Thema Sexualität an vielen Punkten Stellung, zur Selbstbefriedigung jedoch schweigt sie. Der explizite Begriff kommt nicht vor.

INTIMSPHÄRE SCHÜTZEN
Eltern sollten ihre Kinder daher nicht beschämen. Ein abfälliger Umgang kann zur Selbstverurteilung und negativen Wahrnehmung von Sexualität an sich führen: „Wie schlimm bin ich, schon als unschuldiges Kind habe ich so etwas Schlechtes getan.“ Stattdessen sollten Sie Ihren Kindern helfen, ihren Schambereich zu schützen. Intimität ist etwas sehr Persönliches und gehört daher nicht in die Öffentlichkeit, sondern in die Privatsphäre des eigenen Zimmers. Es ist wichtig, dass Kinder dies im Kindergartenalter lernen, damit sie in der Schule nicht von anderen beschämt oder ausgeschlossen werden. Weiterhin ist es bedeutsam, ihre Gesamtentwicklung im Blick zu haben, etwa ob sich Selbstbefriedigung zum Tröster entwickelt. Im Rahmen der Aufklärung können Eltern Kindern deutlich machen, dass sie selbst immer mehr Verantwortung für ihre eigene sexuelle Lerngeschichte übernehmen können. Das gilt insbesondere für die Kombination von Selbstbefriedigung mit pornografischen Bildern, die Kinder heutzutage über Smartphones immer früher erreichen.

Dr. med. Ute Buth ist Frauenärztin und Fachberaterin für das Weiße Kreuz Deutschland e.V. Sie hat das Aufklärungskonzept „Sexualaufklärung – Aufgabe und Chance©“ entwickelt, das Eltern ermutigt, früh Verantwortung für die Aufklärung ihrer Kinder zu übernehmen: www.aufgabe-und-chance.de

 

Zum Weiterlesen:
Weiterführende Artikel zum Thema finden Sie in der Mediathek des Weißen Kreuzes: www.weisses-kreuz.de.
Die Ausgabe 45 aus dem Jahr 2011 befasst sich mit dem Thema Selbstbefriedigung.