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Beten und arbeiten?

Elisabeth Vollmer reibt sich an einem bekannten Luther-Zitat.

Es gibt Sprüche, die begleiten mich durchs Leben. Einen davon fand ich lange gut und habe ihn dann und wann auch zitiert und weitergegeben. Jetzt habe ich mich von ihm verabschiedet und merke, wie entlastend und wohltuend das für mich ist. Ich rede von Martin Luthers Satz: „Bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt, und arbeite, als ob alles Beten nichts nützt.“ Eigentlich soll dieser Satz ja motivieren – zu Gebet und Arbeit gleichermaßen. Aber für mich liest er sich, je länger desto mehr, wie das Lebenskonzept einer frommen schwäbischen Hausfrau auf dem direkten Weg in den Burnout. Er überfordert mich und ist ein Antreiber, dem ich gekündigt habe. Stattdessen möchte ich beten im Bewusstsein, dass ich als Christin in dieser Welt eine Aufgabe habe, die ich ausfüllen kann und darf. Dass ich ausgestattet bin mit Begabungen, die wichtig und es wert sind, gelebt zu werden. Und ich möchte arbeiten im Bewusstsein, dass ich das Meine, andere das Ihre und Gott das Seine tun kann und wird. So wie Paulus es im 1. Brief an die Korinther schreibt: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen.“ Im Zusammenspiel mit Gott möchte ich meine Verantwortung in dieser Welt wahrnehmen. Arbeit und Gebet möchte ich nicht als getrennte Bereiche sehen oder gar gegeneinander aufrechnen. Stattdessen möchte ich leben (und das beinhaltet auch Arbeit und Gebet) in der Gelassenheit und Zuversicht, dass ich es nicht bin, die die Welt retten muss. Und das ist noch ein Punkt, weshalb ich mich an besagtem Zitat gerade so reibe: Es fordert mich doch quasi dazu auf, nicht zu leben, was ich glaube – nämlich, dass mein Gebet und/oder meine Arbeit fruchtbar sein kann. Neben dem Antreiber zur Höchstleistung, den ich dabei im Nacken spüre, ist es vor allem auch die innere Haltung, die mich verkrümmt, wenn ich sie einnehme. Wie schrecklich wäre es doch, wenn ich in der Überzeugung leben und beten müsste, als wäre all mein Arbeiten wirkungs- und wertlos? Und wie unfassbar anstrengend, wenn ich so arbeiten müsste, als hinge von meinem Einsatz alles ab? Ich bin wirklich froh, dass beides nicht der Fall ist! Stattdessen möchte ich im Vertrauen leben, was ich glaube und wovon ich überzeugt bin. Klingt ja so banal und gelingt mir doch immer wieder im Alltag so wenig … Ich bin davon überzeugt, dass der Sonntag ein Ruhetag ist, an dem es gut ist, nicht zu arbeiten, sondern aus der Ruhe heraus in die neue Woche zu starten. Aber dann war da neulich wieder einmal so viel los und ich habe mir überlegt, dass ein paar Stunden am Sonntagnachmittag den Arbeitsberg der Woche so weit abbauen könnten, dass ich dann eine ruhigere Woche habe. Und schon war sie dahin, meine Überzeugung, und ich drehte das Hamsterrad auch noch über den Sonntag hinaus. Keine gute Idee. Ich habe es direkt gespürt und meine Umgebung leider auch … Oder die Sache mit der Sorge um meine Kinder. Die buchstabiere ich seit Jahren durch. Immer wieder und wieder. Ich bin sozusagen Meisterin im Sorgenmachen. Denn: ja, ich glaube, dass Gott als guter Hirte meine Lämmchen im Blick hat und ihnen nachgeht. Aber dann lebe ich es so wenig. Wälze mich stattdessen in unruhigen Nächten hin und her und kreiere Horrorszenarien. Bis ich es dann wieder merke und mir eingestehe, dass ich ja nur das Mutterschaf und nicht der gute Hirte bin. Dass ich meines tun kann, aber nicht der Hirte sein kann und muss. Und das entlastet so ungemein. Irgendwie bin ich Luther doch dankbar für das Zitat, an dem ich mich die letzten Wochen so gerieben habe. Ich weiß jetzt besser, was ich glaube. Jetzt muss es mir nur noch gelingen, das zu leben.

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

Die Sorgenkralle bezwingen!

Stefanie Diekmann ist anfällig für Sorgen.

Das Gemeine an der Sorgenkralle in meinem Leben ist: Sie krampft sich unvermittelt um mein Herz. Ich gebe mein Schulkind zum Segeln ab und realisiere den erstaunlichen Größenvergleich von Frachter und Segeljolle mit meinem Kind (das sehr fröhlich winkt). Dann auf einmal gibt die Sorgenkralle ihr Bestes: „Wenn sie kentert? Und was ist, wenn sie dann unter dem Boot bleibt?“ Eng wird es mir und vor Sorge bleibt fast die Luft weg. Die Sorgenkralle scheint auch meine wunden Punkte zu kennen. Beim Klaviervorspiel hat meine Tochter besonders großes Herzklopfen und möchte sich am liebsten drücken. Sie drückt sich sogar tatsächlich! Und ich spüre von einem Moment auf den anderen zermürbende Sorgen: Wieso traut sie sich so wenig zu? Was habe ich vermittelt, was ihr nicht guttut und sie bremst? An einigen Tagen bin ich sehr vertraut mit der Sorgenkralle und komme kaum dazu, einen Blick auf etwas anderes zu werfen. Ich sorge mich rein in ein Gefühl der Machtlosigkeit und der groben Erziehungsfehler und bin mehr und mehr gefangen in einer rostigen Kralle der „Wenns“ und „Achs“ … Jesus kennt unsere Anfälligkeit zum Sorgen und hat eine Idee: „Sorgt nicht!“, sagt er wiederholt. Was zu banal klingt, übe ich täglich. Spüre ich den Druck der Enge im Herzen, habe ich eine Art Spezialöffner für Sorgenkrallen. Ich schüttele ab, was sich für Szenarien in mir abbilden wollen und atme betend durch. Ich richte mich auf, als Mutter, als Frau, als Ich. Manchmal entweicht mir ein kleines: „Herr, segne du!“ oder ein „Jesus, hilf mir!“, manchmal nutze ich die scheinbare Enge, um über Freiheit und Mut zu beten. Das mag die Sorgenkralle gar nicht. Wenn ich bei Bekannten mitbekomme, wie sie in ihrer Ehe um Vorteile zerren, reagiert die Sorgenkralle verzögert. Erst nicke ich beim Zuhören zustimmend, wenn eine Frau über ihren Mann schimpft. Doch dann will mir die Sorgenkralle das Gefühl von Beziehungsmüdigkeit und von lieblosen Missverständnissen vor Augen führen. Bis ich meine eigene Ehe sorgenvoll betrachte. Auch hier will ich mich schneller aus dem Zugriff der Sorgenkralle befreien. Ich versuche, Gutes über meinen Mann und unser Miteinander zu sagen. Ich strecke der Sorgenkralle die Zunge raus, denn ich übe mich darin, meinem Mann direkt einen fast unaussprechlichen Wunsch an unsere Beziehung zu nennen. Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist: Die Zeit in der Sorgenkralle verbringe ich allein, und sie kostet mich viel Kraft. Wenn ich mich herauswinde, habe ich die Chance, Gestalterin zu sein und nicht ausgelieferte Untätige. Ich setze mich zum Bügelperlen bezwingenden Kind dazu. Oder ich mache meinem Jugendlichen, der einen Studienort sucht, einen Tee. Ich bin Teil ihrer Gedanken, anstatt mich in der Distanz zu sorgen. Ich richte meinen Blick auf das Jetzt und das Miteinander. Ich lebe, sehe in die Augen des anderen, lache, schimpfe, höre zu. So wird mein Herz stark und lebendig. Die Sorgenkralle passt gar nicht mehr richtig drum … Beim Segeln ist übrigens nie etwas passiert.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

 

 

Bevor alles erledigt ist…

… darf man sich durchaus Schönes gönnen. Von Elisabeth Vollmer

„Nehmt euch Zeit für die Dinge, die euch glücklich machen“, steht jetzt seit 30 Tagen auf unserem Familienplaner. Und bevor sich das Kalenderblatt wendet, schaue ich noch einmal bewusst auf die Termine dieses Monats. Ich finde viel Alltag, ein paar herausfordernde Schwierigkeiten und – einige echte Glücksmomente. Mittendrin in diesem Monat steht eine Konzertlesung von 2Flügel. Jürgen hat mir diesen Abend zu Weihnachten geschenkt, und spontan haben wir an einem ganz normalen Samstag beim Frühstück beschlossen, nicht nachts die 140 km wieder nach Hause zu fahren, sondern uns in einem kleinen Landgasthof vor Ort einzuquartieren. Es war ein wunderschöner Abend, und als ich morgens neben meinem Mann aufgewacht bin, habe ich das Glück mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele wahrgenommen und genossen. Es ist ein Geschenk, so genießen zu können und der Abend war natürlich auch etwas Besonderes. Aber ich finde auch alltäglichere Glücksmomente wie eine Verabredung mit meiner Tochter: Wir haben ein gemeinsames Projekt gestartet, von dem noch nicht klar ist, ob es was werden wird. Aber allein die Tatsache, dass wir gemeinsam daran denken und träumen, macht mich glücklich. Mit meinen Geschwistern (fünf an der Zahl) und meinen Eltern habe ich mich getroffen, und wir verbrachten einen wunderschönen Nachmittag und Abend. Was für ein Glück, dass ich zu dieser Familie gehöre! Aus der Zugehörigkeit zu dieser Familie kommt aber auch ein weniger glücklicher Satz: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, war und ist die Maxime meiner fleißigen Eltern, der mir bis heute immer mal wieder in den Ohren klingt … Seit ein paar Jahren halte ich ihm aber frech und zunehmend gelassener einen anderen Satz entgegen: „Spaßmenschen dürfen sich zuerst Schönes gönnen und schöpfen daraus die Kraft für den schnöden Alltag mit seinen ungeliebten Aufgaben, den sie dann trotzdem erledigen.“ Ich zähle mich zu der Spezies dieser „Spaßmenschen“ und bin Ute Passarge dankbar für den (inzwischen fast zehn Jahre alten) Joyce-Artikel dazu, der mir seitdem die Erlaubnis gibt, mir Schönes zu gönnen, bevor alles erledigt ist. Dass auch noch ein Professor Günter Bauer das (hoffentlich seriös, ich hinterfrage das lieber nicht) wissenschaftlich untermauert, was ich schon lange fühle, lässt mich gelassener werden. Er findet, Spaß sei eine Überlebenshilfe, schaffe Freiräume und bringe Elan, Kraft und Kreativität in einer Weise ins Leben, die wir uns mit aller Anstrengungsbereitschaft nicht erkämpfen könnten. Was für eine wunderbare Erlaubnis! Denn es sind nicht nur und nicht einmal vor allem die Glücksmomente, die als Termin in meinem Kalender stehen, die ich immer mehr entdecken und genießen möchte. Es sind die kleinen Dinge des Alltags: die Wärmflasche, die mir mein Mann ins Bett gelegt hat, als ich spät abends nach Hause komme, spontane gute Gespräche am Familientisch oder die nette WhatsApp, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Ich brauche nicht nur Zeit für die Dinge, die mich glücklich machen, sondern vor allem einen wachen Blick dafür und die Freiheit, sie zu genießen. Sonst kann es nämlich passieren, dass all diese schönen Dinge mit „Glückspotenzial“ im Alltagsgrau unsichtbar werden, anstatt mich glücklich zu machen.

 

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

Zweite Halbzeit

Ingrid Jope hat nachmittags „frei“. Das heißt, sie sitzt nicht im Büro. Dafür flitzt sie von Aufgabe zu Aufgabe …

Schönen Feierabend!“ – wünscht mir mein Kollege wie fast jeden Tag, als ich gegen 13.30 Uhr das gemeinsame Büro verlasse. Während ich mich auslogge, den Büroschlüssel im Rucksack verstaue und Auto- sowie Hausschlüssel zutage fördere, rumort es in mir. Da ploppt ein Gedanke in meinem Hirn auf, den ich in die „Schublade“ schiebe: „Muss ich gleich im Auto aufschreiben, damit ich es morgen im Büro nicht vergesse.“ Danach steuere ich unsere Familienkutsche durch die Dreißiger-Zone, die am Ende einer Sackgasse zum Kindergarten führt. Das Wort „Feierabend“ liegt mir immer noch etwas ungeschmeidig auf der Zunge. Es klingt nach in Ruhe etwas Leckeres essen, Beine hochlegen, vielleicht ein Buch lesen oder eine gute Zeitschrift, wahlweise einen warmen Tee oder ein kühles Bier trinken. Was mich jetzt gleich erwartet, fühlt sich anders an. Ein verschwitzter Dreckspatz begrüßt mich verhalten begeistert. Vor Müdigkeit und voller Eindrücke ist er nicht mehr der besten Laune und schafft es kaum, sich aus der versandeten Matschhose und der verdreckten Jacke zu schälen. Wenige Minuten später kommt unsere Tochter mit sechs Stunden Schultrubel in den Knochen nach Hause. „Mama, hier ist ein Elternbrief.“ – „Mama, ich hab solchen Hunger!“ – „Mama, fährst du mich heute zu Carina?“ – „Mama, wo ist mein Sammelalbum?“ Als das selbstgebaute Legoschiff zerbricht, steht der erste Geschwisterstreit ins Haus. Ich bin beschäftigt damit, das Küchenchaos zu managen, wütende Kinder zu besänftigen, den Antwortabschnitt für die Schule auszufüllen, Termine zu planen, Waschmaschine und Meerschweinchen zu füttern. Schon ermahne ich die Kinder: „Beeilung, sonst kommen wir zu spät zur Logopädie.“ Auf dem Rückweg kaufe ich noch die Zutaten fürs Abendessen ein, anschließend koche ich, hänge Wäsche auf, beantworte schnell noch ein paar Mails, telefoniere mit der Mutter einer Freundin unserer Tochter, um die Fahrt zum späteren Schulanfang morgen abzusprechen. Glücklich schaffe ich es gerade noch so zu meiner Pilates-Stunde. Der Mann, den ich liebe, übernimmt das „Abendchaos“. Als ich nach der Dusche aufs Sofa sinke, ist das Wort wieder da: Feierabend! Diesmal mit dem richtigen Gefühl. Wenn ich an die Zeit zwischen 13.30 Uhr und jetzt denke, passt eine andere Bezeichnung viel besser: Zweite Halbzeit. So ein volles Familien- und Berufsleben verdient keinen Bequemlichkeitspreis. Es ist stressig und hält mich in Atem, besonders wenn zusätzliche Arbeitsstunden im Büro und zu Hause oder Krankheitszeiten anstehen. Irgendwas ist immer. Aber inmitten meines wirklichen Feierabends weiß ich auch: Es ist so kostbar, eine Familie zu haben. Und es inspiriert und erfüllt mich, als Reha-Prozessbegleiterin zu arbeiten. Diese „Rush-Hour des Lebens“ fordert mich, sie lässt mich aber auch wachsen – an Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, kreativer Krisenbewältigung. Oder – wie das Schild besagt, das ich kürzlich auf dem Schreibtisch eines anderen Kollegen entdeckt habe: „Mich regt nichts auf – bin dreifacher Vater!“

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.

 

Verschmierte Brille

Oder: Die Unmöglichkeit, einen Granatapfel ohne Spritzer zu entkernen. Von Stefanie Diekmann.

Quirliges Toben in der Teengruppe. Interessant, wer die Witze reißt und wer nicht darüber lacht. Wer sich entspannt verhält und wer nicht, so wie Dustin. Ein Junge wie ein explosives Pulverfass. Immer wieder wandert mein Blick zu Dustins Brille. Sie ist so schmierig und verschmutzt, dass fast jeder irgendwann fragt: „Soll ich dir mal die Brille putzen? Du siehst doch gar nichts.“ Vehement schüttelt der herausfordernde Teen dann den Kopf: „Finger weg! Ich will das so!“

Mit meinem Muttersein geht es mir ähnlich. Mein Alltag hat an meinem Blickfeld Spuren hinterlassen. Einiges an meinem Mutter-Ich funktioniert automatisch: das Heraussuchen von Büchern zum Familienlesen, das Feste-Vorbereiten zum Zeugnis, Geburtstag oder einfach so, meine Reaktionen bei versemmelten Mathearbeiten. Einiges aber braucht mehr Hinsehen und Üben: gerecht bleiben beim Streiten, Nähe suchen, zuhören. Das fühlt sich dann so an, als würde ich einen Granatapfel entkernen. Trotz YouTube-Videos finde ich Spritzer im Gesicht und auf dem Shirt. Meine Tätigkeit hinterlässt Spuren. So ergeht es mir auch bei meinem Mutter-Sein: Das „Kümmern“ und Im- Blick-Behalten, das Fördern und Loslassen sind Übungen für mich, die nicht ohne „Spritzer“ und „Flecken“ an mir vorübergehen.

Ein Treffen mit Freunden nach langer Zeit. Sie lieben unsere Kinder, und im Gespräch fallen Rückmeldungen zu unserem Familienalltag. Zunächst fühle ich mich so wie Dustin und möchte rufen: „Ich brauche keine Kommentare. Ich sehe klar. Ich will das so!“ Mein Blick auf meine Kinder, meine Art, Liebe zu vermitteln, meine Art, mit ihnen zu glauben, wird vom Alltag verschmiert und manchmal bleiben sogar verzerrte Bilder übrig.

Meinem Helfer und Freund Jesus Christus die Brille zum Reinigen anzubieten, fühlt sich unnötig an. Ich bin doch als Mama gut unterwegs. Oder? Durch das Beispiel von Dustins Schatten- und Schlieren-Brille ahne ich: Ich habe den klaren Blick verloren.

Wie gut, dass Jesus mir eine Idee gibt, neu hinzusehen, die Spritzer wegzuwischen. Geht es allen Kindern mit unserer Lösung gut, wie wir den Haushalt organisieren? Sind die Rollen, die ich durch Kommentare, Stöhnen und Blicke festlege, fördernd für meine Familie? Ist das kritische Denken über mich nicht auch dem verschmierten Blick durch die Alltagsbrille geschuldet? Was sehen andere, wenn sie uns als Familie sehen?

Ich darf einen neuen Blick wagen. Neue Worte finden zu den täglich gleichen Dingen und Konflikten. Neue Seiten an meinem Mann, an mir und sogar an Gott entdecken. Ich sehe mit Abstand sogar, wo mich mein Sohn bei den Medienzeiten um den Finger wickelt. Ich bin verblüfft: Durchblick kann sogar Spaß machen, erleichtern. Ob ich das Dustin mal erzähle?

DiekmannStefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin
und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

 

 

Wertvolle Freundschaft

Ingrid Jope schätzt tiefgehende Beziehungen – auch zu Büchern.

Manchmal kostet es mich einiges an Überwindung. Wenn an einem Abend mal keine Behördenpost zur Erledigung ansteht, mir kein Abgabetermin im Nacken sitzt, kein Elternabend stattfindet und auch kein Treffen in der Gemeinde, wenn keines der Kinder Fieber hat oder Husten oder Albträume oder einfach nur Einschlafschwierigkeiten, kein wichtiges Telefonat Aufmerksamkeit fordert – dann lasse ich beim feierabendlichen Zusammensinken auf unseren Polstermöbeln gern mal die aufschiebbare Arbeit Arbeit sein. Bei Wäschebergen und Nadel-und-Faden-Reparaturen besteht schließlich keine akute Fluchtgefahr.

Dann widerstehe ich der Versuchung namens Fernbedienung und greife stattdessen zu einem der vielen Bücher auf meinem Stapel. Gute Lektüre hilft mir, aus dem Alltag auszusteigen, mal auf andere Gedanken zu kommen. Sie inspiriert mich mehr als das Allermeiste, was aus der Kiste flimmert. Zum Besten gehört für mich gelebtes Leben zwischen zwei Buchdeckeln.

Zwei davon haben mich in den vergangenen Monaten bereichert: Die Biografie von William Wilberforce und die von John Newton, beides Engländer. Newton hat einen echten Vom-Saulus-zum-Paulus-Lebenslauf: Zunächst brutaler Sklavenkapitän, später Pfarrer und passionierter Prediger der Gnade Gottes. Er war nicht nur der Verfasser des weltweit bekanntesten Chorals „Amazing Grace“, sondern auch Mentor und Wachstumshelfer für Schlüsselpersonen seiner Zeit in Kirche und Politik. William Wilberforce war kein Prediger, sondern schnöder Politiker. Mehr als zwei Jahrzehnte lang setzte er sich im britischen Unterhaus für die Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei ein. Er verwirklichte damit auf politischer Ebene, wovon Newton so leidenschaftlich predigte. Wilberforce kämpfte unermüdlich dafür, das Herzensanliegen seines Freundes in praktische Gesetze und tatsächliches Handeln zu übersetzen. Newton wiederum war ein entscheidender Mentor und unerlässliche Inspirationsquelle für seinen jüngeren Freund. Ohne ihn hätte es Wilberforce‘ Lebenswerk nicht gegeben. So unterschiedlich die Betätigungsfelder der beiden Männer waren, ihre Freundschaft zueinander stärkte ihre jeweilige Lebensberufung. Ohne den einen hätte es die Leistung des jeweils anderen nicht gegeben. An diesem Punkt hat ihr Leben viel mit mir zu tun.

Gute Freundinnen helfen mir, meine Berufung zu entdecken, zu entfalten und nachzujustieren, wenn der Alltag mir das Ruder aus der Hand gerissen hat. Bücher selbst können in gewissem Maß solche Freunde sein. Aber es braucht auch Exemplare aus Fleisch und Blut. Die Freundin, die ich anrufen kann, wenn mir das Wasser bis zum Halse steht. Die mir zuhört und gute Fragen stellt, mir Gedankenblitze schenkt, mich begleitet, für mich betet, die mir hilft, meinen Lebensmarathon nicht mittendrin aufzugeben. Freundinnen helfen einander, das ureigene Leben zu leben, das Gott sich gedacht hat, als er sie geschaffen hat. So knapp bemessen die Zeit auch ist – es lohnt sich immer, eine oder wenige solcher Freundschaften zu pflegen. Das Problem der Langeweile hatten Wilberforce und Newton garantiert nicht, aber sie wussten um den Wert von tiefgehenden Beziehungen.

JopeIngrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin.
Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/ Ruhr.

 

 

Shit happens

Was ein gestürzter Apfelkuchen alles auslösen kann. Von Elisabeth Vollmer.

Ich hatte grade einen richtigen Flow und fühlte mich supergut! Vor dem Gottesdienst hatte ich die Idee, meinen Eltern einen spontanen Besuch abzustatten. Das machen wir selten, so ganz ohne Anlass. Aber irgendwie passte es grade rein. Und schließlich werden meine Eltern älter, und wer weiß, wie lange wir einander noch haben. Mein Mann war auch dafür, und so knetete ich vor dem Gottesdienst noch schnell einen Mürbeteig zusammen. Nach dem Gottesdienst waren dann auch unsere Teens wach und erstaunlicherweise willig, sich dem Spontanbesuch anzuschließen. Das bewog mich dazu, den geplanten gedeckten Apfelkuchen noch mit einer Vanillecremefüllung aufzupeppen. Die von meinem Mann geliebten Mandelsplitter vervollständigten das köstliche Werk.

Ich war also, wie gesagt, so richtig im Flow, als ich auf dem Weg war, das duftende Gebäck auf die Terrasse zum Abkühlen zu bringen. Wie es dann genau passierte, entzieht sich meiner Erinnerung (Verdrängung? Schock?). Jedenfalls schaffte ich es, mit einem Kuchen den maximalen Sauereifaktor zu erzielen. Das Parkett, der Teppichboden, die Balkontür und nicht zu vergessen meine Jeans (Aua! Heiß!): alles voll. Nur ein kleiner Rest befand sich noch in der Form. Mein Flow verwandelte sich im Sturzflug in einen Abgrund. Ich wusste nicht, ob ich heulen oder schreien sollte. Es waren nicht vor allem die Sauerei und der nicht mehr vorhandene Prachtkuchen, die mir zu schaffen machten. Es war das peinlich-kindische Gefühl, dass das so nicht fair war. Dass ich so sehr das Gefühl gehabt hatte, dass jetzt alles genau so richtig ist – und dass Gott dann doch bitte dafür hätte sorgen können, dass mir diese Form nicht aus den Händen fällt.

Glücklicherweise passiert mir solch ein Kuchen-Missgeschick sehr selten. Aber das Gefühl, dass ich mein Bestes gebe und das Resultat dann trotzdem unterirdisch sein kann, kenne ich leider auch aus anderen Alltagssituationen. Ich weiß: Das Leben ist keine berechenbare Matheaufgabe. Meine Illusion, dass bei optimalem Input zwangsläufig auch ein entsprechender Output die Folge sein müsste, hält sich trotzdem hartnäckig – und manchmal stimmt es ja auch. Aber, wie eine Freundin sagt: „Shit happens“. In jedem Leben, immer wieder, auch in meinem. Das ist ärgerlich, aber normal – und kein Anlass, mich oder Gott in Frage zu stellen. Und so ist mir dieser „Trümmerkuchen“ Anlass geworden, wieder neu Gelassenheit darin zu üben, dass das einfach so ist. Meine Jeans ist inzwischen gewaschen. Balkontür und Parkett waren schnell wieder sauber, mit dem Teppichboden war es etwas kniffliger …

An besagtem Sonntag hat mein Mann jedenfalls den Kuchen vom Boden weitgehend abgekratzt. In einer Schüssel haben wir ihn zu meinen Eltern mitgenommen. Wir hatten einen richtig schönen Nachmittag zusammen. Der Kuchen war so lecker, wie er vor dem Unfall aussah. Eigentlich gab es gar keinen Grund, mich in den emotionalen Abgrund zu stürzen. Shit happens – und das ist ganz normal!

Bildschirmfoto 2016-02-18 um 10.14.41Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin
und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen
bei Freiburg.

Baustelle Familie

Jede Familie hat ihren eigenen Charakter, eigene Prägungen und Strukturen. Auch die Familie von Stefanie Diekmann.

Splitter einer Unterhaltung wirken in mir nach: Wie habe ich mir Familie gedacht, als mein erstes Kind kam? Ich war Studentin und hatte wenig Vorstellungen von Familie. Ich habe viel beobachtet: Wie leben Eltern? Was will ich? Was passt zu mir?
Ich hatte mir vorgenommen, es müsse so weitergehen wie vorher. Schon vor 16 Jahren gab es den blöden Trend, dass Frauen fix wieder in die alte Jeans passen, kurz nach der Geburt wieder shoppen gehen (und dafür auch abstillen) und das alte Leben wenig unterbrechen lassen.
Dann kam Timna: wunderbare Prinzessin auf der Erbse. Sie beklagte den unsanften Weg ins Leben, in das sie vier Wochen zu früh geholt wurde, und ich auch: Ich fühlte mich plötzlich allein. Ich spürte: Jetzt bin ich definitiv erwachsen. Und für diese Maus verantwortlich. Klar, mit Henrik zusammen. Aber wenn er nicht da ist, dann …
Ich kann Mamas sehr gut verstehen, die sich allein fühlen, denen ein Tag zu lang vorkommt. Aber ich bin sicher: Dass ich aus dieser Schrecksekunde ins Muttersein gewachsen bin, das ist meine Top-Errungenschaft bis heute! Ich habe es geschafft! Trotz blutender Nasen, Niveacreme im Wohnzimmer, Einkaufen mit drei Kindern, gescheiterten Diäten, abgebrochenen Sportkursen, gemeisterten Ehekrisen – ich bin Mummy!
Die ersten fünf Monate war ich am Limit. Nach außen lächelnd und in die alte Hose passend, zu Hause aber dann Tränen, Wut und Hilflosigkeit. Warum fühle ich mich so eingeengt? Bin ich zu egoistisch? Wenn ich nachts um zwei, vier und sechs Uhr stillte, hatte ich das Gefühl, ich bin die Einzige, die nachts wach ist.
Als wir ein Jahr Familie waren, haben wir angefangen, mehr über unsere Strukturen nachzudenken: Wo und was essen wir? Wie verbringen wir bewusst Zeit mit Timna? Unser Familiengefühl entstand. Nichts, was sich vorher absprechen und klären ließ. Nichts, was planbar ist. Aber immer motiviert von anderen Familien mit Ausstrahlung, von Büchern oder Vorträgen.
Familie geht nicht einfach bei uns – Familie ist Arbeit. Ich muss meine Herkunftsfamilienerfahrung ablegen und offen sein für das, was sich in meiner kleinen Familie entwickelt. Mir ist zum Beispiel bis heute wichtig, dass Kinder nicht tricksen oder die Eltern beschummeln. Anderen Eltern ist das total egal: Sie sind dem Charme des Keks stibitzenden Jungen jedes Mal erlegen. In meiner Familie ginge das nicht, und ich spüre: Familie ist ein sehr persönliches Konstrukt. Das Betrachten anderer Familien hat mir geholfen, meinen Stil zu finden, mich hinterfragen zu lassen, mich aufzuwecken. Dazu gehört auch die Offenheit, seine Ansichten nicht als Weltweisheit zu empfinden. Meine Familie ist eine Baustelle – noch immer.
Wenn ich an die ersten fünf Jahre Familien-Tapsschritte denke, fällt mir Folgendes ein:
Badezimmerfeste, Vorlesestunden, müde sein zum Umfallen, Fassungslosigkeit über so viel Chaos, zur Kindermusik von Kallauch und Jöcker singen und tanzen, jeden Tag raus, Blätter suchen, rennen, Tiere ansehen, mit Gott sprechen, immer weniger Tütenessen, immer mehr bewusstes Kochen, Gemütlichkeitshosen, Segnen am Bett und vor dem Kiga, Sonntagsessen mit vielen Menschen, Tränen und Wutausbrüche bei Mutter und Kindern, „Nein“ und „Stopp“ lernen, Warten auf den Pastoren-Mann, Kuschelalarm im Ehebett …
Und deine Entwicklung zur Familie?

Geburtstagsgeschenk von Gott

Ingrid Jope lernt, im Regen zu tanzen.

ch atme auf, als ich aus dem Auto steige. Drei freie Stunden liegen vor mir. Ich will einfach mal bummeln gehen. Ganz allein. Ganz ohne Zeitdruck und Kindergequengel. Winterstiefel suche ich – und nebenbei Entspannung. Es tut mir gut, mal auf andere Gedanken zu kommen. Im ersten Geschäft finde ich überraschend ein Weihnachtsgeschenk, das garantiert die Augen des Beschenkten strahlen lässt. Prima – so habe ich lange vor Advent schon mal ein wenig Vorweihnachtsstress abgebaut. Im zweiten Schuhgeschäft hat es mir ein Paar Lederstiefel angetan. Sie passen, haben die Farbe, die ich gesucht habe, sind leider nicht ganz preisgünstig, aber gerade noch machbar. Mit einem befriedigten Gefühl trage ich meine Beute zur Kasse. Dort erfahre ich von der selbst überraschten Verkäuferin: Der Preis für die Schuhe wurde aktuell um 30 Euro gesenkt. „Yippie!“, denke ich mir und schicke still ein „Danke, Gott!“ nach oben. Zur Verkäuferin meine ich grinsend: „Das muss daran liegen, dass ich heute Geburtstag habe.“ Das ist nämlich der Grund, warum ich mitten in der Woche den Vormittag frei habe. Mein Mann meistert zu Hause das Mittagsgewühl mit den Kindern, nachmittags werden wir fröhlich zusammen Kaffee trinken und abends ein ruhiges Essen zu zweit genießen. Ich verlasse den Laden mit dem beflügelnden Gedanken: Das war gerade ein Geburtstagsgeschenk von Gott. Hach – wie gut es tut, einfach mal durch die Stadt zu schlendern und nach Schönem Ausschau zu halten, einfach mal Pause zu haben von Familie, Job und Haushalt, einfach mal dürfen und nichts müssen! Aber der Geburtstag ist noch nicht zu Ende und Gott mit seinen Geschenken an mich auch nicht. Beim weiteren Stöbern bleiben meine Augen an einer Postkarte hängen:

Life isn’t about waiting for the
STORM TO PASS
it’s about learning how to
DANCE IN THE RAIN

Das Leben besteht nicht darin, darauf zu warten,
dass der Sturm vorübergeht.
Es besteht darin, zu lernen, wie ich im Regen tanzen kann.

Volltreffer! Der Sinnspruch zaubert mir ein ertapptes Lächeln aufs Gesicht. Es ist, als wolle der Allmächtige mich in meinen freien Stunden wohlwollend begleiten und mir ins Bewusstsein rufen: Es ist gut, mal eine Oase zu haben. Aber das Leben besteht nicht in einer Aneinanderreihung von Ruhepausen. Es enthält Höhen und Tiefen, Sonnenschein, harmlose Winde und heftige Stürme. Glücklich ist, wer sein Leben nicht damit zubringt, auf das Ende der Stürme zu warten, sondern wer lernt, im Regen zu tanzen, also aus den Turbulenzen das Beste zu machen. Daran erinnert mich diese dekorative Postkarte seither in unserem Flur. Am kommenden Sonntag im Gottesdienst „bindet“ Gott dann noch eine „Schleife“ um sein Geschenk, als mich die Worte dieses Liedes tief im Herzen berühren:

„Berge mich in deinem Arm.
Schütze mich mit deiner starken Hand. Komm, ruh dich aus bei deinem Gott.
Trau auf ihn und seine große Kraft.
Wenn die Meere toben, Stürme weh‘n, werd‘ ich mit dir
übers Wasser gehen. Du bist König über Wind und Flut, mein Herz wird still,
denn du bist gut.“
(Feiert Jesus 4, Nr. 140, SCM Hänssler )

Na dann – auf ins neue Lebensjahr mit dem, der solche Geschenke macht!