Baustelle Familie

Jede Familie hat ihren eigenen Charakter, eigene Prägungen und Strukturen. Auch die Familie von Stefanie Diekmann.

Splitter einer Unterhaltung wirken in mir nach: Wie habe ich mir Familie gedacht, als mein erstes Kind kam? Ich war Studentin und hatte wenig Vorstellungen von Familie. Ich habe viel beobachtet: Wie leben Eltern? Was will ich? Was passt zu mir?
Ich hatte mir vorgenommen, es müsse so weitergehen wie vorher. Schon vor 16 Jahren gab es den blöden Trend, dass Frauen fix wieder in die alte Jeans passen, kurz nach der Geburt wieder shoppen gehen (und dafür auch abstillen) und das alte Leben wenig unterbrechen lassen.
Dann kam Timna: wunderbare Prinzessin auf der Erbse. Sie beklagte den unsanften Weg ins Leben, in das sie vier Wochen zu früh geholt wurde, und ich auch: Ich fühlte mich plötzlich allein. Ich spürte: Jetzt bin ich definitiv erwachsen. Und für diese Maus verantwortlich. Klar, mit Henrik zusammen. Aber wenn er nicht da ist, dann …
Ich kann Mamas sehr gut verstehen, die sich allein fühlen, denen ein Tag zu lang vorkommt. Aber ich bin sicher: Dass ich aus dieser Schrecksekunde ins Muttersein gewachsen bin, das ist meine Top-Errungenschaft bis heute! Ich habe es geschafft! Trotz blutender Nasen, Niveacreme im Wohnzimmer, Einkaufen mit drei Kindern, gescheiterten Diäten, abgebrochenen Sportkursen, gemeisterten Ehekrisen – ich bin Mummy!
Die ersten fünf Monate war ich am Limit. Nach außen lächelnd und in die alte Hose passend, zu Hause aber dann Tränen, Wut und Hilflosigkeit. Warum fühle ich mich so eingeengt? Bin ich zu egoistisch? Wenn ich nachts um zwei, vier und sechs Uhr stillte, hatte ich das Gefühl, ich bin die Einzige, die nachts wach ist.
Als wir ein Jahr Familie waren, haben wir angefangen, mehr über unsere Strukturen nachzudenken: Wo und was essen wir? Wie verbringen wir bewusst Zeit mit Timna? Unser Familiengefühl entstand. Nichts, was sich vorher absprechen und klären ließ. Nichts, was planbar ist. Aber immer motiviert von anderen Familien mit Ausstrahlung, von Büchern oder Vorträgen.
Familie geht nicht einfach bei uns – Familie ist Arbeit. Ich muss meine Herkunftsfamilienerfahrung ablegen und offen sein für das, was sich in meiner kleinen Familie entwickelt. Mir ist zum Beispiel bis heute wichtig, dass Kinder nicht tricksen oder die Eltern beschummeln. Anderen Eltern ist das total egal: Sie sind dem Charme des Keks stibitzenden Jungen jedes Mal erlegen. In meiner Familie ginge das nicht, und ich spüre: Familie ist ein sehr persönliches Konstrukt. Das Betrachten anderer Familien hat mir geholfen, meinen Stil zu finden, mich hinterfragen zu lassen, mich aufzuwecken. Dazu gehört auch die Offenheit, seine Ansichten nicht als Weltweisheit zu empfinden. Meine Familie ist eine Baustelle – noch immer.
Wenn ich an die ersten fünf Jahre Familien-Tapsschritte denke, fällt mir Folgendes ein:
Badezimmerfeste, Vorlesestunden, müde sein zum Umfallen, Fassungslosigkeit über so viel Chaos, zur Kindermusik von Kallauch und Jöcker singen und tanzen, jeden Tag raus, Blätter suchen, rennen, Tiere ansehen, mit Gott sprechen, immer weniger Tütenessen, immer mehr bewusstes Kochen, Gemütlichkeitshosen, Segnen am Bett und vor dem Kiga, Sonntagsessen mit vielen Menschen, Tränen und Wutausbrüche bei Mutter und Kindern, „Nein“ und „Stopp“ lernen, Warten auf den Pastoren-Mann, Kuschelalarm im Ehebett …
Und deine Entwicklung zur Familie?

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