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Mutter erkennt: „Die Kinder müssen ihren Weg finden, nicht ich.“

Wenn Kinder erwachsen werden, müssen sie ihre Entscheidungen selbst treffen. Das ist ein Lernprozess für die Kinder und ihre Eltern. Eine Mutter berichtet von ihrem Weg.

Als die Kinder klein waren und unseren täglichen Alltag bestimmten, habe ich immer wieder den Satz gehört: „Die Kinder werden so schnell groß.“ Im Stillen habe ich mich dann müde und erschöpft gefragt: „Wann wird das denn endlich sein?“ Ich fühlte mich Lichtjahre von diesem Zeitpunkt entfernt und spürte gleichzeitig eine gewisse Sehnsucht nach Freiheit. Und dann ging doch alles so schnell. Und ich komme gedanklich und emotional kaum hinterher. Ich weiß, es ist an der Zeit. Wenn ich unsere Kinder so betrachte, dann überragen sie mich längst mit ihrer Körpergröße. Sie sind zu jungen Menschen herangewachsen, von Kindern keine Spur mehr. Meine jüngste Tochter meinte kürzlich: „Mama, wir sind doch beide aus dem Alter raus!“ Ehrlich, deutlich und unmissverständlich.

Steine aus dem Weg räumen

Ein neues Lebenskapitel für uns Eltern und auch für die Kinder beginnt. Sie suchen ihren Lebensweg und ihre berufliche Zukunft. Viele Entscheidungen sind abzuwägen und zu treffen. Welche Ausbildung, welcher Studiengang ist richtig? An welchem Ort kann man eine selbstbestimmte Heimat finden? Das Bildungsangebot ist vielfältig und die Fragen berechtigt. In so manchen Gesprächen versuche ich, eine Antwort zu finden und weiterzuhelfen. Mehr geht nicht, entscheiden müssen die Kinder selbst. So mancher gut gemeinte Ratschlag trifft auf Unverständnis. Ich muss lernen, ruhig zu bleiben. Eigene Erfahrungswerte können wertvolle Lebensbegleiter der Kinder sein. Es fällt mir nicht leicht, ihre Gedanken und Ziele anzunehmen. Zu gern möchte ich auch jetzt mögliche Steine aus dem Weg räumen und mich schützend vor sie stellen. Doch ich kann sie nicht mehr vor allem bewahren.

„Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“, sagte Søren Kierkegaard. Ich spüre: So manche Entscheidung meiner Lieben könnte in die falsche Richtung gehen. Das kann nicht gut gehen, denke ich. Die gesteckten Ziele und Vorstellungen der Kinder sind nur schwer realisierbar. Mein Herz sagt ziemlich laut „Nein“. Doch dann schreit mein Verstand ein lautes „Ja“. Ich muss es einfach aushalten! Die Kinder müssen ihren Weg finden, nicht ich.

Ohne Groll und Vorhaltungen

In diesen Situationen kommt mir immer meine Lieblingsgeschichte aus der Bibel vom „verlorenen Sohn“ in den Sinn (nachzulesen in Lukas 15). Der Vater lässt seinen Sohn ziehen. Er versorgt ihn finanziell und materiell mit allem, was er benötigt, er ist großzügig im Geben. Ein letztes Mal nimmt er ihn fest in die Arme. Welche Gedanken werden ihm durch den Kopf gegangen sein? Ob er da schon ahnte, dass dieser Weg der falsche ist? Dennoch macht er keine Vorhaltungen, er lässt seinen Sohn ziehen. Lange schaut er ihm nach und schickt seine Liebe und seinen Segen mit auf dessen Lebensreise. Nach vielen Wochen kehrt der Sohn heim, er ist nicht mehr der, der er bei der Abreise war. Abgemagert, am Ende und mit leeren Händen kehrt er zurück. Wie oft wird der Vater nach seinem Sohn bereits Ausschau gehalten haben, vielleicht sogar täglich? Und dann ist der Tag da und er sieht ihn von ferne. Ohne Groll und Vorhaltungen läuft er ihm mit offenen Armen entgegen, so schnell seine alten Beine ihn noch tragen. Der geschundene und gezeichnete Körper seines Sohnes hindert ihn nicht, er drückt ihn fest an sein Herz. Diese tiefe Vaterliebe überstrahlt alle Vorwürfe und Fehler. Der Sohn ist auf- und angenommen. Ein großes Festmahl mit feierlicher Kleidung bringt die Freude des Vaters über diesen verlorenen und wiedergefundenen Sohn zum Ausdruck.

Offene Arme und Türen

Von dieser bedingungslosen Annahme und Liebe will ich lernen, auch wenn alles „schiefgelaufen“ ist und die Befürchtungen des Vaters sich bewahrheitet haben. Und auch wenn unsere Kinder Wege einschlagen, die wir als Eltern nicht befürworten oder bei denen wir Zweifel haben, will ich sie fürsorglich verabschieden, sie ziehen lassen. Ich bete für sie, halte Ausschau nach ihnen und erkundige mich. Und egal, wie sich ihr Weg und ihre Entscheidung gestalten, möchte ich sie stets aufnehmen. Ohne ein „Ich habe es doch gewusst …“ stets die Türen offenhalten und meine Arme entgegenstrecken.

Dieses Bild aus der Geschichte vom verlorenen Sohn will ich mir immer wieder vor Augen halten. Auch wenn mein Herz anders denkt und fühlt, möchte ich ebenso wie der Vater den Weg frei machen. Und egal, wie sich die Kinder entscheiden und welche Erfahrungen sie auf ihrem Lebensweg machen: Die Türen und Arme sind immer geöffnet.

Birgit Ortmüller ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Buchenau. Sie ist als Dozentin an der Hochschule und in der Erwachsenenbildung tätig.

Alles falsch gemacht?

Wenn das Verhalten eines Kindes Fragen aufwirft, stellen sich Eltern schnell die Frage, ob es ihre Schuld ist. Stefanie Böhmann ist überzeugt, dass diese Frage nicht weiterhilft.

Unser Sohn kam in die erste Klasse. Nach einigen Wochen war er nachmittags nach Schule und Hort so empfindlich, dass er ganz schnell die Beherrschung verlor. Es ging so weit, dass er teilweise wie ein Löwe brüllte und mit seinem Kopf gegen die Wand donnerte. Schnell kam in mir die Frage auf: Was habe ich falsch gemacht? Ist es richtig, dass ich wieder angefangen habe zu arbeiten? Was hat unseren Sohn so verunsichert, dass er nur noch die Möglichkeit sieht, mit dem Kopf wortwörtlich durch die Wand zu rennen? Hilft es, sich die Frage zu stellen, ob man etwas falsch gemacht hat? Eins ist klar: Die Symptome sind ein Schrei des Kindes, dass es ihm nicht gut geht und es Hilfe braucht.

JEDER MACHT FEHLER

Als Lehrerin erlebe ich in der Schule oft, dass Kinder, wenn sie Auffälligkeiten zeigen, noch mehr Stress zu Hause bekommen, weil sich die Eltern mit der Lage überfordert fühlen. Statt Liebe entsteht Abneigung. Dabei braucht es ein Aufeinanderzugehen und ein neues Miteinander, das nach Lösungen ringt. Cathy und Daniel Zindel fassen das in ihrem Buch „Man erzieht nur mit dem Herzen gut“ so zusammen: „Jeder von uns macht Fehler, und wir brauchen Korrektur und Ergänzung. In einer Familie geht es nicht primär um Erziehung, sondern um Beziehung.“ Suche ich selbst die ganze Zeit danach, was ich falsch gemacht habe, bin ich gefangen in einem Gedankenkarussell, das mich in die Isolation und nicht in die Beziehung führt. Ich darf und muss mir als Mutter und Vater bewusst sein, dass ich Fehler mache und gemacht habe. Aber wenn ich sie zur Sprache bringe und um Vergebung bitte, führt dieser Prozess in die Freiheit und in den Austausch. Und: Meine Kinder lernen von mir, wie man mit Fehlern umgehen kann.

INS GESPRÄCH KOMMEN

Als Eltern sind wir Vorbilder für unsere Kinder. Sie lernen und schauen von uns ab. Und das passiert bei jedem Kind mit seiner eigenen Wahrnehmung. Unser Sohn rülpste neulich ziemlich laut, und ich ermahnte ihn. Da grinste er: „Mama, das machst du auch. Und in der Öffentlichkeit weiß ich, wie man sich verhält.“ Im Vertrauen darauf habe ich mich geschlagen gegeben. Er hatte Recht. Wie gut, dass wir gesprochen haben. So lernen auch unsere Kinder, dass sie Fehler machen dürfen und es wichtig ist, darüber zu sprechen. Das nimmt viel Druck aus Beziehungen und bringt uns ins Gespräch. Ich freue mich immer wieder über unsere sechzehnjährige Tochter. Wenn sie sich nicht sicher ist, ob sie richtig gehandelt hat, fragt sie nach. Im Gespräch konnten wir schon manchen für sie gefühlten Elefanten als kleines Mäuschen entlarven und dem schlechten Gewissen den Wind aus den Segeln nehmen.

VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN

Kinder sollen in Verantwortung mit hineingenommen werden und das Gefühl bekommen, dass sie gehört werden und wichtig sind. Natürlich tragen Vater und Mutter die Hauptverantwortung, aber uns ist es wichtig, dass auch unsere Kinder – zum Beispiel durch Dienste im Haus – Verantwortung mittragen. Und dass sie lernen, mit Konsequenzen umzugehen, wenn sie der Verantwortung nicht gerecht werden. Natürlich nur solche Konsequenzen, die vorher gemeinsam festgelegt wurden. Der sonntägliche Familienrat gibt uns eine gute Plattform, um uns gegenseitige Rückmeldung zu geben, wie wir mit der jeweiligen Verantwortung umgegangen sind. Und wenn unsere Tochter dann bei der Anerkennungsrunde feststellt, dass sie nicht weiß, was sie mit einem Elternteil überhaupt Besonderes in der Woche erlebt hat, bringt mich das auch zum Nachdenken. Dann überlege ich, wie ich meiner Rolle als Mutter wieder mehr Gewicht geben kann, um meiner Verantwortung gerecht zu werden.

EINE PLATTFORM ZUM AUSTAUSCH

Die Wahrnehmung unserer Kinder ist unterschiedlich. Das hängt aber auch von den unterschiedlichen Entwicklungsphasen ab, in denen sie sich befinden. Im Alter von vier und fünf Jahren dreht sich beispielsweise alles darum, wahrgenommen und bewundert zu werden. Die Kinder sehnen sich nach Strukturen, die ihnen Halt und Sicherheit geben. Dagegen merken Jugendliche ab 13 oder 14, dass andere Menschen Schwachpunkte haben. Und sie fangen an, Rituale in Frage zu stellen, die bis dahin Gültigkeit hatten. Aber in jeder Altersgruppe brauchen sie eine Plattform zum Austausch innerhalb der Familie. Um auf das Beispiel vom Anfang zurückzukommen: Unserem Sohn fehlten damals Halt, Strukturen und Sicherheit. Er war den ganzen Tag in der Schule angespannt, weil er Mitschüler hatte, die ihn ärgerten, sodass er nachmittags ein Ventil brauchte, um all die Anspannung rauszulassen. Er bat darum, vom Hort abgemeldet zu werden, weil es ihm zu viel wurde. Als wir das in die Tat umsetzten, wendete sich das Blatt schlagartig. Er wurde ausgeglichener und ruhiger. Heute als vierzehnjähriger Teenager freut er sich über jede Möglichkeit, mit Gleichaltrigen unterwegs sein zu können und nicht mehr zu Hause sitzen zu müssen.

DIALOG AUF AUGENHÖHE

Und nicht nur von den Entwicklungsphasen ist das Erleben und Verhalten eines Kindes abhängig, sondern auch davon, wie unsere Kinder ein Geschehen beurteilen. Das haben wir als Eltern nicht in der Hand. Sie beurteilen mit ihrer momentanen Gefühlslage, mit ihrem Gewordensein und ihrem Blick auf sich selbst. Um herauszufinden, was sie zu einem bestimmten Verhalten bewegt, hilft es nicht weiter, sich die Schuld zu geben, sondern den Dialog auf Augenhöhe zu suchen. Wir Eltern sind keine Superhelden, sondern Begleiter, Gesprächspartner und Ermutiger. Mit unseren Fehlern, Stärken und Schwächen können wir unserem Kind auf seinem Weg helfen, den eigenen Platz im Leben zu finden, Interesse an anderen zu entwickeln und einen eigenen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten. Dafür brauche ich als Elternteil lediglich die Überzeugung, dass in jedem Kind etwas Gutes und Potenzial steckt, das es zu entfalten gilt. Dann kann es richtig laufen.

Stefanie Böhmann ist Pädagogin und individual-psychologische Beraterin. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

„Mama, ich will ein Haustier“ – Expertin verrät, ob Hund, Katze oder Maus zu Ihnen passen

Sollte Ihre Familie ein Haustier kaufen? Und wenn ja: Welches Tier kann es werden? Anika Schunke verrät, wie Sie Frust vermeiden.

„Unsere Kinder wollen unbedingt ein Haustier. Was müssen wir beachten und welches ist das richtige Tier für uns?“

In jeder Familie kommt früher oder später die Diskussion auf, ob ein Tier Teil der Familie werden soll und wenn ja, welches das richtige ist. Auch wenn das Tier in den meisten Fällen für das Kind ausgesucht wird, muss Ihnen als Eltern bewusst sein, dass Sie besonders in den ersten Monaten ebenso Zeit für die Pflege des Tieres einplanen müssen. Junge Kinder müssen hier über einen gewissen Zeitraum konstant angeleitet werden. Daher ist es unabdingbar, das Sie sich genauestens über mögliche Haustiere informieren. Mit der Zeit kann alters- und entwicklungsgerecht immer mehr Verantwortung an die Kinder abgegeben werden.

Die Klassiker der Haustiere für Kinder sind kleine Nagetiere wie Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen, oder Katzen und Hunde. Bei verschiedenen Tierarten ist es wie bei uns Menschen auch, jedes Individuum hat verschiedene Bedürfnisse. Ich würde möglichst junge Tiere aussuchen, denn diese wachsen, wie die Kinder auch, in die Situation und das Leben der Familie hinein. Wenn die Tiere von klein auf an das turbulente Familienleben gewöhnt sind, stresst sie das nicht so sehr. Darüber hinaus bleibt es spannend, denn die Aufgaben ändern sich mit dem Heranwachsen der Tiere.

Nager: Mitunter kurze Lebensdauer

Bei Hamstern und Mäusen gilt es zu bedenken, dass sie nachtaktive Tiere sind, nur eine kurze Zeit leben und meistens nicht so zahm werden wie Meerschweinchen oder Kaninchen. Meerschweinchen und Kaninchen sind in ihrer Haltung ziemlich ähnlich. Sie leben in Gruppen. Hier ist eine sorgfältige Pflege und Beschäftigung außerdem unabdingbar. Ob Kaninchen oder Meerschweinchen, ob in der Wohnung oder draußen, beide sollten einen großen Käfig und täglichen Auslauf haben.

Katzen: Auf die Rasse achten

Hier ist es sehr wichtig, ein besonderes Augenmerk auf die Rasse zu legen. Nervöse, ängstliche Katzen sind nicht für Familien mit Kindern geeignet. Je nach Wohnsituation sollten die Katzen Möglichkeiten zum Freigang haben. Wenn sie sich gegen den Freigang entscheiden, ist es wichtig, der Katze in der Wohnung verschiedene Plätze zu schaffen, an denen sie schlafen, spielen, klettern und kratzen kann. Hier ist die tägliche Beschäftigung durch den Menschen ebenfalls unabdingbar. Futter- und Such-Aufgaben sowie Jagdspiele sollten das Minimum sein.

Hunde: Echte Zeitfresser

Die Anschaffung eines Hundes muss wirklich gut durchdacht sein. Wenn Sie viel in der Natur unterwegs sind, spazieren gehen, Inliner oder Fahrrad fahren, ist das schon mal eine gute Voraussetzung. Verbringen Sie viel Zeit zu Hause, muss Ihnen klar sein, dass ein Hund einen kompletten Lebenswandel bedeutet, denn je nach Rasse muss er mindesten dreimal am Tag ca. 45 Minuten raus, bei Wind und Wetter. Hunde müssen geistig wie körperlich ausgelastet sein und fordern viel Zeit vom Menschen ein. Auch die Größe des Hundes spielt eine Rolle, denn große Hunde kosten im Unterhalt mehr als kleine.

Überstürzen Sie die Anschaffung eines Tieres nicht, sondern informieren Sie sich umfassend. Sprechen Sie mit Freunden, der Familie und Bekannten. Vielleicht können Sie auch erst mal ein Tier in Pflege nehmen (zum Beispiel, wenn jemand in den Urlaub fährt) und somit einen Probelauf starten.

Anika Schunke lebt in der Nähe von Karlsruhe, ist Erzieherin und bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an: familie-bewegt.de. Außerdem ist sie Autorin des Buchs „Kleine Räume, großer Spaß“. 

Über andere reden …

Es ist gar nicht so leicht, beim Reden über andere Menschen nicht ins Abwerten oder „Lästern“ zu verfallen. Eva Ricarda John zeigt die Hintergründe auf und gibt konkrete Hilfestellungen zur Selbstreflexion.

Über andere reden? Das macht man doch nicht! Oder doch? Natürlich, jeder redet über andere! Das geht ja auch gar nicht anders. Doch was ist das richtige Maß? Welches sind die richtigen Worte? Wie ist es mit dem rechten Zuhören? Wo fängt „lästern“ an?

Wir reden über andere. Natürlich tun wir das. Wir kümmern uns voller Nächstenliebe um andere, also tauschen wir Informationen aus. Wir dienen einander, beten füreinander, also teilen wir Gebetsanliegen aus dem Leben anderer. Auch wenn man jemanden um einen Rat bittet, ist es zuweilen nötig, etwas über andere zu erzählen. Rechtes Erzählen ist in Ordnung – mit Wertschätzung, Offenheit und ohne zu richten. Ich kann einen geschützten Raum mit einem vertrauensvollen Gegenüber dazu suchen. Je älter ich werde, umso mehr verstehe ich Jesu Worte aus Matthäus 7: Wir sollen einander nicht richten und bewerten, denn das Maß, das ich an einen anderen lege, das wird das Maß sein, das Jesus zur Beurteilung von mir anlegen wird. Autsch – das ist mal ein Statement!

Wie Zahnpasta aus der Tube …

Ich kann die Motive anderer für ihr Verhalten, Reden und Leben nicht kennen. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden, bin nicht ihre Wege gegangen. Darum ist es mir nicht gestattet, Vermutungen oder Beweggründe zu nennen, warum ein anderer so lebt oder handelt. Außer ich rede offen mit ihm selbst darüber. Die Offenheit an sich ist, so glaube ich, ein Kern in diesem Thema: Wenn alles, was ich sage, so formuliert ist, dass ich es auch dem Betreffenden genau so sagen kann, dann bin ich sicher auf einem guten Weg. Wähle ich jedoch abwertende, bewertende oder lästernde Worte über Dritte in meinem Gespräch, dann habe ich den guten Ton verlassen!

Den guten Ton hat man auch dann verlassen, wenn man nur schlechte Dinge über andere zu berichten weiß und das lauthals tut. Oder wenn man andere wortreich niedermacht. Oder wenn man aus Sensationslust über Dritte redet. Oder wenn das Reden geprägt ist von Zynismus und Sarkasmus. Oder wenn nur spitze Andeutungen in halben Sätzen angerissen werden und so über Dritte bewusst Geschichten gestreut werden, die der Zuhörer zu Ende fantasieren muss. Oder wenn nur die Schwächen und Fehler von Dritten benannt werden, wenn es nur immer um das Negative geht. Dann sollten beim aufmerksamen Zuhörer alle roten Lampen angehen!
Denn dahinter steckt keine Liebe. Im 1. Johannes-Brief heißt es: „Wer seinen Bruder nicht liebt, der ist nicht aus Gott …“ Wenn ich also meinen Nächsten liebhabe, kann ich eigentlich nichts Böses über ihn reden. Psalm 15 klärt darüber auf, dass niemand, der in Gottes Nähe lebt, einen Mitmenschen in Verruf bringt oder ihm Schaden zufügt. Wir sind aufgerufen, eine „Zunge der Weisen“ zu haben (Sprüche 12,18) und nicht unbedacht zu reden. Im Jakobusbrief werden wir gewarnt vor dem, was die Zunge anrichten kann: ganze Waldbrände! Das ist etwa so wie Zahnpasta aus der Tube. Was da einmal raus ist, das ist raus – niemals bekommst du es zurück in die Tube. So ist auch schlechtes Reden über andere. Das wird seine Kreise machen. Die Bibel sagt, dass der Herr mit Freude auf die schaut, die nach seinem Willen leben: in Liebe! Und dass er sich allen entgegenstellt, die Böses tun oder reden. Das ist ein klares Wort. Wie schnell vergessen wir das.

Den eigenen Wert erhöhen

Bevor wir konkret überlegen, wie wir das im Alltag besser umsetzen können, macht es Sinn, einmal zu schauen, warum Menschen schlecht reden oder lästern. Ein Hauptgrund ist, dass der Mensch sich oft besser fühlt, wenn er andere herabsetzt. Jemanden niedermachen, indem man ihn abwertet, heißt: Macht nehmen über den anderen, um den eigenen Wert zu erhöhen. Manchmal sind es auch verletzte Menschen, die vom Opfer zum Täter werden nach dem Motto: „So wie es mir ergangen ist, soll es auch dir ergehen.“ Ein anderer Grund ist Neid. Neid ist ein Gefühl, vor dem die Bibel warnt. Wir haben kein Recht, den Erfolg, Besitz oder die Fähigkeiten anderer abzuwerten oder zu verlästern. Die Bibel fordert uns auf, Liebe zu üben, selbst unseren Feinden gegenüber. Manchmal ist da nicht mal ein Feind, sondern einfach nur ein unsympathischer Mensch. Dabei sollten wir uns fragen: Wa- rum entsteht in mir diese Antipathie? Was sich in meinem Inneren abspielt, kann viele Gründe haben und ist immer meine Aufgabe!

Dann gibt es noch die Menschen, denen es nicht in die Wiege gelegt wurde, Empathie für andere zu empfinden. Sie haben kein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sie mit ihren Worten verletzen, kränken, Schaden anrichten. Zuweilen erlebt man, dass Ärger, Frust oder Wut im Herzen des Sprechers oder der Sprecherin das Gespräch übernehmen in der Annahme, das jetzt mal rauslassen zu dürfen. Eine innere Haltung, dass immer die anderen schuld sind, kann ebenfalls zu übler Nachrede führen.
Eigentlich ist sie jedoch ein Indiz für mangelnde Selbstreflexion: Wir sollten nämlich zuallererst auf uns selbst achthaben (Lukas 17). Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass auch eine Gruppe einen hohen Druck auszuüben vermag, wenn dort in einer Art und Weise über andere geredet wird, die nicht angemessen ist. Die Bibel ist da klar: Jeder habe acht auf sich selbst! Ich bin vor Gott für mich verantwortlich!

Selbstcheck

Es gibt zwei Wege, in diesem Dilemma etwas zu lernen. Der Grundsatz bleibt: Andere kann ich nicht ändern. Ansetzen kann ich immer nur bei mir selbst. Jeder sollte seine eigene Rede und sein eigenes Denken überprüfen. Dazu einige Fragen, sowohl für den Redenden als auch für den Zuhörenden.

1. Wie rede ich?

Gut ist es, sich selbst einmal bewusst zuzuhören und sich selbst zu reflektieren:

Wie rede ich?
Ist das, was ich erzähle, wahr?
Weiß ich, dass es wahr ist, oder nehme ich es nur an?
Spüre ich die Stimmung, in der ich rede? Ist es Liebe? Sorge? Ärger? Wut? Neid? Fürsorge? Verletzung? Überforderung?
Ist es zwingend notwendig, dass ich „es“ erzähle? Wem nutzt es?
Hat das, was ich erzähle, mit dem anderen zu tun oder doch eher mit mir?
Dient es dem Betroffenen?
Dient es der Sache?
Oder diene ich mir gar selbst?
Bin ich sensationslustig?
Was ist mein Motiv?
Fühle ich mich besser, wenn andere schlechter dastehen?
Ist das, was ich erzähle, etwas Gutes?

2. Wie reagiere ich?

Ich habe als Zuhörer oder Zuhörerin immer die Wahl:

Wie reagiere ich, wenn andere mir etwas erzählen und ich dabei ein beklemmendes Gefühl habe?
Bin ich höflich und höre deshalb zu oder kann ich ehrlich rückmelden, mich abgrenzen?
Gebe ich durch Zuhören und Rückfragen einer Sache zu viel Bedeutung?
Weiche ich aus oder bin ich klar?
Kann ich Klartext reden?
Kann ich, wenn nötig, eine Distanz herstellen? Wenn nicht: Treibt mich meine Neugier an oder bin ich einfach zu feige?

Verantwortung übernehmen

In Workshops bitte ich meine Teilnehmer, sich im Stillen einer Situation aus dem eigenen Alltag zu stellen. Mit dieser privaten Situation im Kopf werden dann einmal diese und ähnliche Fragen durchwandert. Schriftliche, nur für den eigenen Bedarf genutzte Antworten bringen Licht in das Dunkel in mir. So lerne ich mich besser kennen, habe ich acht auf mich selbst und übernehme vor Gott Verantwortung für mein Reden und Zuhören. Das erfordert etwas Übung. Doch mit der Zeit können wir lernen, diese Haltung mit in den Alltag zu nehmen. Und es wird immer schneller gehen, sich selbst zu prüfen und zu hinterfragen. Das ist ein Zeichen von Reife und Weiterentwicklung im Christenleben: Wir lernen nie aus!

Wie rede ich nun „richtig“ – oder, wie die Bibel sagt, „weise“ –, wenn es nötig ist, über Dritte zu reden? Ich überlege genau, mit wem ich vertrauensvoll reden kann. Ich wähle Zeit und Ort, um einen geschützten Raum zu haben. Ich sage nur das, was wahr ist. Ich sage nur das, was ich dem Dritten auch genauso persönlich sagen würde. Ich sage genau so viel wie nötig und so wenig wie möglich über andere. Ich berufe mich nie auf Dinge, die ich nur vom Hörensagen kenne. Ich bleibe bei der Wahrheit. Ich streue keine Gerüchte. Und vor allem frage ich mich, ob das, was ich sage, zur Ehre Gottes ist und ob die Worte, die ich wähle, auch Worte sind, die ich in der Gegenwart Gottes gebrauchen würde.
Und dann könnte es noch sein, dass ich Opfer werde. Dass mich andere enttäuschen. Dazu sagt die Bibel, dass der Herr die Herzen kennt und jeden Einzelnen von uns sieht. Das ist ein großer Trost! Zu guter Letzt fällt mir dazu der Rat meiner Uroma Erna ein: „Redet einer schlecht von dir, so sei es ihm erlaubt. Du aber lebe so, dass es ihm keiner glaubt!“

Eva Ricarda John arbeitet selbstständig in der psychologischen Beratung und therapeutischen Seelsorge und als Personal Coach (www.coach-and-vivify.de). Sie lebt mit ihrem Mann in Wiesbaden, sie haben vier Söhne und drei Enkelkinder.

Plötzlicher Kindstod: Was tun, wenn die Sorge ums Baby zu groß wird?

Angst um das eigene Kind ist vollkommen normal, sagt Hebamme Martina Parrish. Doch ab einem gewissen Punkt sollten Mütter reagieren.

„Seit meiner Schwangerschaft, aber besonders seit mein Baby auf der Welt ist, habe ich ständig Angst, dass es stirbt – am plötzlichen Kindstod zum Beispiel oder bei einem Unfall. Ist das normal? Und wie gehe ich mit der Angst um?“

Oh, wie gut kann ich mich an diese Zeit erinnern: die ersten Monate mit dem ersten Kind – eine ganz besondere Zeit im Leben. Zum einen spürt man die absolute Faszination für das Wesen, das im eigenen Körper gewachsen ist, und das Staunen über die Perfektion dieses kleinen Menschleins. Zum anderen gibt es enorm viele Fragen, Herausforderungen, Unsicherheiten und eben auch Ängste.

Alles wird zur potenziellen Gefahr

Oft werden alltägliche Dinge zu gefühlten Bedrohungen: stark parfümierte Besucher, die mein Kind auf den Arm nehmen wollen, eine laute Umgebung und erst recht der erste Schnupfen. Alles bekommt eine intensive Bedeutung und wird aus dem Blickwinkel heraus betrachtet, was die jeweilige Situation für mein Kind bedeutet und inwiefern es ihm schaden könnte. Wenn sich dann sogar der plötzliche Kindstod oder eventuell auftretende Unfälle in die Gedanken der jungen Mutter schleichen, dann kann das so manche von ihnen kaum aushalten und es entwickeln sich echte Ängste.

Wenn die Ängste zu stark werden

Viele Eltern kennen diese Ängste und bis zu einem gewissen Grad halte ich sie für normal. Die Verantwortung für ein so kleines Lebewesen zu tragen, ist eine große Herausforderung. Und gerade beim ersten Kind weiß man vieles noch nicht und ist in vielen Fragen entsprechend unsicher. Wenn diese Ängste mich jedoch in meinem Alltag zu sehr einschränken, lähmen und mir die Freude am unbeschwerten Umgang mit meinem Kind nehmen, dann ist es an der Zeit, sich mit diesen Ängsten intensiver auseinanderzusetzen und zu fragen, woher sie kommen.

Oft ist es in solchen Situationen hilfreich, sich Unterstützung zu suchen, zum Beispiel bei der Wochenbetthebamme oder der behandelnden Frauenärztin. Sprechen Sie offen über Ihre Gefühle und haben Sie keine Hemmungen, die Situation so zu schildern, wie Sie sie empfinden. Eine andere Möglichkeit wäre es, sich mit dem Verein „Schatten und Licht“ in Verbindung zu setzen, der sich auf psychische Probleme rund um die Geburt spezialisiert hat.

Mit anderen Müttern sprechen

Manchen Müttern hilft auch ein einfacher Realitätscheck: Wie häufig passiert das, wovor ich mich fürchte? Und was sind die häufigsten Auslöser? Was kann ich also durch einen aufmerksamen Umgang mit meinem Kind vermeiden?

Für viele Mütter ist auch das Gespräch mit Frauen in der gleichen Lebenssituation das, was ihnen aus dem Grübeln und ihren Ängsten hinaushilft. Gehen Sie mit Müttern aus Ihrem Rückbildungskurs oder Krabbelkurs gemeinsam spazieren oder eine Tasse Kaffee trinken und tauschen sich über dieses neue Universum „Muttersein“ aus. Sie werden staunen, wie viele Frauen ähnlich empfinden wie Sie.

Martina Parrish ist Hebamme, Stillberaterin, Mutter, dreifache Oma und lebt in Berlin.

Ständig Angst ums Baby

„Seit meiner Schwangerschaft, aber besonders seit mein Baby auf der Welt ist, habe ich ständig Angst, dass es stirbt – am plötzlichen Kindstod zum Beispiel oder bei einem Unfall. Ist das normal? Und wie gehe ich mit der Angst um?“

Oh, wie gut kann ich mich an diese Zeit erinnern: die ersten Monate mit dem ersten Kind – eine ganz besondere Zeit im Leben. Zum einen spürt man die absolute Faszination für das Wesen, das im eigenen Körper gewachsen ist, und das Staunen über die Perfektion dieses kleinen Menschleins. Zum anderen gibt es enorm viele Fragen, Herausforderungen, Unsicherheiten und eben auch Ängste.

Oft werden alltägliche Dinge zu gefühlten Bedrohungen: stark parfümierte Besucher, die mein Kind auf den Arm nehmen wollen, eine laute Umgebung und erst recht der erste Schnupfen. Alles bekommt eine intensive Bedeutung und wird aus dem Blickwinkel heraus betrachtet, was die jeweilige Situation für mein Kind bedeutet und inwiefern es ihm schaden könnte. Wenn sich dann sogar der plötzliche Kindstod oder eventuell auftretende Unfälle in die Gedanken der jungen Mutter schleichen, dann kann das so manche von ihnen kaum aushalten und es entwickeln sich echte Ängste.

Wenn die Ängste zu stark werden

Viele Eltern kennen diese Ängste und bis zu einem gewissen Grad halte ich sie für normal. Die Verantwortung für ein so kleines Lebewesen zu tragen, ist eine große Herausforderung. Und gerade beim ersten Kind weiß man vieles noch nicht und ist in vielen Fragen entsprechend unsicher. Wenn diese Ängste mich jedoch in meinem Alltag zu sehr einschränken, lähmen und mir die Freude am unbeschwerten Umgang mit meinem Kind nehmen, dann ist es an der Zeit, sich mit diesen Ängsten intensiver auseinanderzusetzen und zu fragen, woher sie kommen.

Oft ist es in solchen Situationen hilfreich, sich Unterstützung zu suchen, zum Beispiel bei der Wochenbetthebamme oder der behandelnden Frauenärztin. Sprechen Sie offen über Ihre Gefühle und haben Sie keine Hemmungen, die Situation so zu schildern, wie Sie sie empfinden. Eine andere Möglichkeit wäre es, sich mit dem Verein „Schatten und Licht“ (www.schatten-und-licht.de) in Verbindung zu setzen, der sich auf psychische Probleme rund um die Geburt spezialisiert hat.

Sprechen Sie mit anderen Müttern

Manchen Müttern hilft auch ein einfacher Realitätscheck: Wie häufig passiert das, wovor ich mich fürchte? Und was sind die häufigsten Auslöser? Was kann ich also durch einen aufmerksamen Umgang mit meinem Kind vermeiden?

Für viele Mütter ist auch das Gespräch mit Frauen in der gleichen Lebenssituation das, was ihnen aus dem Grübeln und ihren Ängsten hinaushilft. Gehen Sie mit Müttern aus Ihrem Rückbildungskurs oder Krabbelkurs gemeinsam spazieren oder eine Tasse Kaffee trinken und tauschen sich über dieses neue Universum „Muttersein“ aus. Sie werden staunen, wie viele Frauen ähnlich empfinden wie Sie.

Martina Parrish ist Hebamme, Stillberaterin, Mutter, dreifache Oma und lebt in Berlin.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Ich liebe einen schwierigen Menschen“

Manche Menschen zerstören durch ihr Verhalten auf Dauer jede nahe Beziehung. Kann man mit ihnen zusammenleben? Von Jörg Berger

Manchmal wird es in einem einzigen Augenblick ganz deutlich: „Was mein Partner tut und sagt, ist nicht normal.“ In diesem Moment bricht ein Damm aus Beschönigungen und Entschuldigungen. Eine Flut schmerzlicher Einsichten spült alte Gewissheiten fort. Die Erkenntnis verändert die gesamte Sicht, und das Leben steht unter Wasser. Dem eigenen Umfeld kann man kaum erklären, was da passiert. Schließlich sind Freunde und Verwandte auch davon ausgegangen, dass alles weitgehend in Ordnung ist. Oder haben sie bereits alles geahnt und nur aus Taktgefühl geschwiegen?

Was bitte ist normal?

Doch wie soll man mit Sicherheit sagen können: „Mein Partner ist schwierig.“ Haben nicht beide ihren Anteil? In etwa 90 Prozent aller Paarbeziehungen ist es auch eine gute Regel, dass sich jeder am besten an die eigene Nase fassen sollte. Doch in etwa zehn Prozent der übrigen Paarbeziehungen führt das nicht weiter. Die Lebensweisheit, dass immer beide schuld sind, verdeckt dann eine schmerzliche Wahrheit, denn es gibt Menschen, die sich in nahen Beziehungen so verhalten, dass mit ihnen ein Zusammenleben konfliktreich und frustrierend ist. Es gibt extreme Verhaltensmuster, die in einer Paarbeziehung schwer erträglich sind. Folgende kommen am häufigsten vor:

Dominanz und Kontrolle. Ein Partner versucht, das gemeinsame Leben weitgehend allein zu bestimmen. Er verwickelt den anderen in zähe Machtkämpfe, wenn dieser mitbestimmen will. Es kommt häufig zu Grenzüberschreitungen: zum Versuch, das zu beeinflussen, was eindeutig in der Entscheidungsfreiheit des anderen liegt. Auch übermäßige Kritik kann ein Mittel von Kontrolle sein.

Verschlossenheit. Ein Partner zieht sich bei Konflikten zurück und verweigert sich emotionaler oder sexueller Nähe. Vielem, was andere Paare gemeinsam tun, entzieht sich der verschlossene Partner ebenfalls.

Verantwortungsflucht. Ein Partner vernachlässigt den Einsatz für das Familieneinkommen, den Haushalt oder die Kindererziehung in schwerwiegender Weise. Er kümmert sich kaum um die eigene Entwicklung und auch nicht um die Paarbeziehung.

Aggression. Ein Partner kann seine Aggression nicht zurückhalten, die sich in lautem Streit, Beleidigungen, Abwertungen, Drohungen, Gewalt oder Racheakten entfesselt.

Sucht. Sie ist ein Sonderfall schwierigen Verhaltens. Ein Suchtmittel wie Alkohol wird zunehmend zum Mittelpunkt des Lebens, und für Partnerschaft und Familie fallen nur noch Reste ab. Hier ist es die Macht der Sucht, die einen Partner schwierig macht, der, abgesehen davon, ein umgänglicher Mensch sein kann.

Ein sicheres Unterscheidungskriterium findet sich außerhalb der Paarbeziehung. Ein schwieriger Partner hat entweder keine nahen Beziehungen außerhalb der Partnerschaft oder es treten ähnliche Probleme wie in der Paarbeziehung auf, sobald Beziehungen näher und verbindlicher werden. Wenn Sie solche Differenzen im Umfeld Ihres Partners feststellen, dann ist die Diagnose eindeutig: „Nicht ich bin schwierig, sondern ich liebe einen schwierigen Menschen.“

Was kann ich tun, damit sich mein Partner ändert?

Partner von schwierigen Menschen suchen meist erst nach leidvollen Jahren eine Seelsorge, Beratung oder Psychotherapie auf. Oft stellen sie eine Frage, auf die es nur eine ernüchternde Antwort gibt. Sie fragen: „Was kann ich tun, damit sich meine Frau/mein Mann anders verhält?“ – „Nichts“, müssen Fachleute dann ehrlich sagen. „Ändern kann sich nur jeder selbst.“ Schwierige Partner sind nicht bereit, in eine Paarberatung oder -therapie zu gehen. Wenn sie dies tun und ernsthaft mitarbeiten, dann stimmt die Einschätzung „schwierig“ nicht, denn dass sie sich nicht korrigieren lassen, ist ein charakteristisches Merkmal schwieriger Menschen. Wenn sich schwierige Partner unverhofft doch selbst in Beratung oder Therapie begeben, ist das eine Chance. Ich kenne jedoch auch Fälle, in denen schwierige Menschen ihre Probleme und Lebenssituation in der Therapie verschleiert haben. Gestärkt von der persönlichen Begleitung leben sie dann ihre unguten Muster umso selbstbewusster aus: „Ich habe gelernt, mich abzugrenzen.“ – „Ich muss auch einmal für mich selbst sorgen.“

Im Zusammenleben mit einem schwierigen Menschen müssen sich betroffene Partner ihrer Ohnmacht stellen: „Selbst wenn ich mich auf der Stelle in eine Heilige/einen Heiligen verwandle, wird das am schwierigen Verhalten meines Partners nichts ändern.“ Als Ausweg öffnen sich drei Wege: eine Trennung als letzte Konsequenz ins Spiel bringen, ein Gleichgewicht aus Unabhängigkeit und Einsatz finden oder die Selbstaufopferung in der Bindung an Gott.

Der erste Weg: Die Trennung als letzte Konsequenz

Für diesen Weg entscheiden sich heute viele, die jahrelang unter einem schwierigen Ehepartner gelitten haben. Sie gehen ihn allerdings zu spät, dann nämlich, wenn sie mit der Beziehung bereits abgeschlossen haben. Es gibt schwierige Menschen, die tatsächlich den Weg der Veränderung suchen, wenn eine Trennung droht. Etliche habe ich in dieser Situation schon begleitet. Aber ihr ernsthaftes Bemühen und ihre Fortschritte nützen manchmal nichts mehr. Sie klopfen wieder beim Partner an. Aber die Tür bleibt verschlossen.

Wenn man dem Partner mit Trennung droht, dann sollte man das früh genug tun, zum Beispiel mit einer Haltung wie dieser: „Ich bin nicht mehr bereit, deine Verschlossenheit zu ertragen. Unser gemeinsames Leben kann man schon längst nicht mehr Ehe nennen. Wenn sich im nächsten halben Jahr nichts ändert, werde ich mich trennen. Zunächst in der Hoffnung auf Änderung, wenn nötig, auch endgültig.“

Ich habe Ethikpapiere unterschiedlicher Kirchen zu diesem Thema studiert. Keines sieht die Ehe als einen Freibrief für einen Partner, sich gehen zu lassen. Keines bindet Menschen in einer bereits gescheiterten Ehe fest. Wenn der veränderungsbereite Partner alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, tragen Kirchengemeinden aller Denominationen einen Weg der Trennung mit. Besonders bei Aggressionsdurchbrüchen, sadistischem Verhalten, schwerer Verantwortungsflucht und Suchtverhalten wird man Mitstreiter finden, die auch helfen, die praktischen Auswirkungen einer Trennung aufzufangen. Vielleicht ist das aber gar nicht nötig, weil dem schwierigen Partner am Ende die Ehe doch wichtiger ist als das Beharren auf seinen Eigenarten, wie auch im folgenden Fall.

Rainer hat sich von der Sexualität zurückgezogen, weil er sich von Leonore kritisiert gefühlt hat. Seit Jahren gibt er kaum noch etwas preis, behält seine Gedanken und Gefühle für sich. Dafür öffnet er sich einer Arbeitskollegin. Rainer gibt sich gar keine Mühe, die Innigkeit mit ihr zu verbergen. Als Leonore nachfragt, räumt er Komplimente, Umarmungen und französische Begrüßungsküsschen ein. „Mir gibt das viel“, sagt Rainer.

Nach einem halben Jahr hat Leonore genug. Sie ist zur Trennung entschlossen, wenn Rainer sich nicht von der Kollegin distanziert. Einige Wochen steht die Zukunft auf der Kippe, dann gibt Rainer nach. Dadurch wird der Alltag auch wieder angenehmer. Leonore und Rainer kommen besser ins Gespräch, die Unternehmungen als Familie machen wieder Freude.

Der zweite Weg: Einsatz bringen und sich unabhängig machen

Es gibt Partner von schwierigen Menschen, die für sich einen zweiten Weg entdeckt haben: Sie investieren in ihre Ehe und grenzen sich gleichzeitig ab, wo es nötig ist. Man kann ihre Ehe in drei verschiedene Bereiche unterteilen: Den ersten Lebensbereich, in dem es trotz allem schön ist, können sie genießen und ausbauen. Dann gibt es einen zweiten Bereich, der nur dann gut läuft, wenn einer einseitig investiert, zum Beispiel einseitig Gelegenheiten zu Nähe sucht und nutzt. Solche Beziehungsbereiche können dann schön und befriedigend sein, wenn man die Einseitigkeit akzeptiert und sich nicht daran aufreibt, dass vom anderen nichts zurückkommt. Drittens gibt es die Beziehungsbereiche, die auch dann nicht schön werden, wenn einer einseitig investiert, weil der andere Partner hier zu stark blockiert. In diesen Bereichen kann man sich unabhängig machen.

Wenn ein Partner zum Beispiel nicht reden will, wird der andere seine Freundschaften vertiefen und dafür auch Zeit einsetzen, die andere mit ihrem Partner verbringen. Das kann man so vertreten: „Eigentlich hätte ich lieber mit dir mehr vertrautes Gespräch. Wenn das aber nicht möglich ist, verbringe ich diese Zeit lieber mit Freunden.“ In einer anderen Situation kann Unabhängigkeit so klingen: „Du drohst mir und beleidigst mich gerade. Wenn du das tust, brauche ich Abstand. Ich werde die Zeit bis zum Wochenende mit den Kindern bei meinen Eltern verbringen.“ Akzeptanz und Loslassen sind hier die Schlüssel, die eine glückliche Ehe ermöglichen, auch wenn im Vergleich zu anderen Ehen vielleicht Wichtiges fehlt.

Leonore steht vor einer weiteren Entscheidung. Wie stellt sie sich zu Rainers sexueller Verweigerung? Eine Paarberatung lehnt er ab, und tiefer gehende Gespräche sind nur alle paar Monate möglich, wenn Rainer einmal sehr gelöst ist. Soll sie noch mal alles aufs Spiel setzen, um ihren Mann hier in Bewegung zu bringen? „Nein“, entscheidet Leonore, „auf keinen Fall, solange die Kinder uns als Eltern brauchen.“ Stattdessen entschließt sie sich zu Unabhängigkeit. Sie öffnet sich gegenüber ihren besten Freundinnen: „In manchem habe ich es sehr gut mit Rainer, aber als Frau muss ich mit unerfüllten Bedürfnissen leben.“ Es tut gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Außerdem entschließt sich Leonore zu einer anspruchsvollen Fortbildung. Rainer meckert manchmal, weil sie nun viel außer Haus ist und sich oft zum Lernen zurückzieht. Rainer scheint jedoch zu ahnen, dass sie hier eine Erfüllung sucht, die ihr mit ihm fehlt. Letztlich unterstützt er sie bei ihrer Fortbildung.

Der dritte Weg: Eine selbstaufopfernde Liebe

Wenn ich mit Betroffenen nach Wegen suche, stelle ich auch diesen dritten Weg vor. Es ist ein spiritueller Weg, den zum Beispiel Menschen in der Nachkriegsgeneration gegangen sind. Hier sind mir einige Beispiele bekannt. Betroffene haben in einer schwierigen Ehesituation alle Wünsche losgelassen: nach Sicherheit, nach emotionaler und intimer Erfüllung, nach Wertschätzung und Respekt. Stattdessen haben sie sich entschlossen, ihrem Partner zu dienen und ihn zu lieben, ganz gleich, wie sich dieser verhält. Dies ist keine erotische Liebe mehr, sondern eine Nächstenliebe oder sogar Feindesliebe. Das geht freilich nur, wenn Betroffene ihre Bedürfnisse in eine tiefe Gottesbeziehung einbringen wie es Menschen tun, die im Zölibat leben. (Die Nachkriegsgeneration ist auch die letzte, die in größerer Zahl zu einem zölibatären Leben befähigt war.) Ein solcher Weg entspannt eine schwierige Beziehung oft. Mit den Jahren bessern sich schwierige Partner angesichts einer überraschenden und bedingungslosen Liebe.

Dieses Happy End fand die Beziehungsgeschichte von Marga und Heinz-Dieter. Sie blieben kinderlos und dies auch wegen Margas Alkoholproblem. Nüchtern war Marga über viele Ehejahre kaum zu ertragen. Sie war nervös und selbstbezogen. Die meiste Hausarbeit fiel Heinz-Dieter zu, Marga fehlte im Umgang mit ihm jedes Taktgefühl und jede Bereitschaft, seine Bedürfnisse wahrzunehmen. War es Bequemlichkeit oder sein Wachstum im Glauben, die Heinz-Dieter bei Marga hielten? Es war wohl beides. Mit der Entschlossenheit eines Liebenden verschlang Hans- Dieter geistliche Literatur, besuchte Exerzitien und brachte sich ins kirchliche Leben ein. Er gewann dort die Liebe, Ruhe und Großzügigkeit, die er zuhause verschenkte. Als Marga wegen des Trinkens ihren Job verlor, zwang sie das in eine Therapie. Marga reifte über die Jahre. Weil Hans- Dieter sie nicht verurteilte, konnte sich Marga für die Tatsache öffnen, dass sie ihrem Mann manches schuldig blieb. Sie lernte, fürsorglicher und aufmerksamer zu sein, was ihr je nach Tagesform manchmal besser, manchmal schlechter gelang. Rainer brachte die Entwicklung so auf den Punkt: „Eigentlich führen wir eine recht glückliche Ehe.“

Einen Weg aus Überzeugung gehen

Das Zusammenleben mit einem schwierigen Partner zieht Betroffene in einen Strudel der unterschiedlichsten Gefühle. Daher wechseln sie häufig ihre Strategie: Selbstaufopferung schlägt in eine Trennungsdrohung um, dem folgen Beschönigungen und dem wiederum der Versuch, dem Partner ins Gewissen zu reden. Diese wechselnden Verhaltensweisen heben nicht nur ihre Wirkung gegenseitig auf, sie erzeugen auch eine Verwirrung darüber, wo die Probleme liegen und wie es um die Paarbeziehung steht.

Deshalb sollte man sich nach reiflicher Überlegung für einen Weg entscheiden und diesen konsequent durchhalten. Nur dann helfen die genannten Strategien. Wer in der Beziehung den Halt verliert, muss ihn bei seinen tiefsten Überzeugungen finden. Wem das gelingt, der reift als Persönlichkeit und im Glauben enorm. Wenn ein schwieriger Partner dann doch zu einer Veränderung aufbricht, findet sich ein Glück in ungeahnter Tiefe.

 

Wenn Sie einen schwierigen Menschen lieben …

Es gibt Menschen, deren Charakter das Eheleben fast unerträglich macht. Ihre Partner sollten Folgendes beachten:

  • Suchen Sie die Schuld dafür, dass es nicht gelingt, echte Nähe zu Ihrem Partner herzustellen, nicht bei sich.
  • Schwierige Menschen lassen sich nicht ändern. Auch Sie können das nicht.
  • Investieren Sie in Bereiche, in denen Sie mehr Erfüllung finden als in Ihrer Ehe, zum Beispiel in Freundschaften, in die Karriere oder in Ihr geistliches Leben.
  • Suchen Sie nach einer Strategie, die für Sie funktioniert – drei mögliche Wege werden im Artikel beschrieben – und halten Sie mit großer Überzeugung daran fest. Ein ständiger Strategiewechsel wird Ihre Situation verschlimmern.

Jörg Berger ist Psychotherapeut in eigener Praxis. Er lebt mit seiner Familie in Heidelberg.

Zum Weiterlesen: Jörg Berger: „Stachlige Persönlichkeiten – Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen“ Francke Verlag, Marburg.

Dieser Artikel ist erschienen in Family 1/16. Ein neuer Folgeartikel ist zu finden in der Ausgabe 5/20 von Family und FamilyNEXT.

Zur Vertiefung: Unter www.derherzenskompass.de/schwereliebe finden Sie einen Kurs des Autors zum Thema „Ich liebe einen schwierigen Menschen.“

 

Urlaub ohne Eltern

„Unsere Tochter (16) möchte zusammen mit ihrer Freundin nach Italien fahren. Sollen wir das erlauben?“

Zum Erwachsenwerden gehören auch Sehnsucht nach Freiheit, Abenteuerlust und Urlaubsträume. Eigentlich toll, dass Ihre Tochter schon eigene Reisepläne hat und es sich zutraut, allein mit einer Freundin nach Italien zu fahren. Andererseits sollten Sie sehr sorgfältig abwägen, ob Sie Ihrer Tochter das erlauben möchten. Es gibt keine gesetzliche Regelung, ab wann Jugendliche allein in Urlaub fahren dürfen. Sie als Eltern tragen bis zum 18. Geburtstag die Verantwortung und haben die Aufsichtspflicht für Ihre Tochter. So sollte Ihre Entscheidung nicht allein vom Alter, sondern vor allem von der individuellen Reife Ihrer Tochter und deren Freundin abhängen. Wie selbstständig sind die Jugendlichen, zum Beispiel bei Planungen, Telefonaten und Einkäufen? Können Sie ihnen vertrauen, was den Umgang mit Alkohol angeht? Lassen sich die beiden leicht beeinflussen oder in gefährliche Situationen bringen? Wie gehen sie mit ungewohnten Situationen um? Sie dürfen sich bei der Entscheidung Zeit lassen. Beraten Sie sich auch mit den Eltern der Freundin. Wenn Sie nicht ganz sicher sind, brauchen Sie Ihre Zustimmung zu der Reise nicht zu geben.

KLEIN ANFANGEN
Überlegen Sie gemeinsam, was es für Alternativen geben könnte. Das Angebot an Jugendfreizeiten ist riesig. Wer mehr Freiheit möchte, könnte an eine begleitete Jugendreise denken. Seriöse Anbieter finden Sie auf der Internetseite des Bundesforums für Kinder- und Jugendreisen (www.bundesforum.de). Eine gute Möglichkeit ist auch eine Kombination aus Familienurlaub und eigener Reise: Die Familie mietet sich eine Ferienwohnung, und die Jugendlichen zelten in der Umgebung. Wenn es dann doch eine Reise auf eigene Faust sein soll, dann lassen Sie die Jugendlichen klein anfangen. Wie wäre es mit einem Städtetrip innerhalb Deutschlands für ein verlängertes Wochenende? So machen die Jugendlichen wertvolle Erfahrungen für den nächsten Urlaub. Wenn alles gut klappt, können Sie auch über eine Auslandsreise nachdenken. Dafür brauchen Jugendliche übrigens außer dem eigenen Personalausweis auch Ausweiskopien der Eltern sowie eine schriftliche Einverständniserklärung. Ein Handy sowie ein extra Zettel mit wichtigen Telefonnummern sind ebenso selbstverständlich wie genug Geld und eine vorgebuchte und möglichst auch schon bezahlte Unterkunft.

RIESENSCHRITT
Selbstständige Planungen und Reisen bedeuten einen Riesenschritt in Richtung Erwachsenwerden. Teilen Sie bei allen Vor sicht smaßnahmen und Überlegungen die Vorfreude Ihrer Tochter und vertrauen Sie darauf, dass alles gut geht, sie einen schönen Urlaub hat und viel Neues lernt. Reisen bildet … In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Gespräche und Entscheidungen! Übrigens: Mit sechzehn wollte ich mit einer Freundin die holländische Nordseeküste entlangradeln, von Jugendherberge zu Jugendherberge. Zu meinem eigenen Erstaunen erlaubten es meine Eltern. Es wurde eine tolle und unvergessliche Reise …

 

Astrid Zuche ist Apothekerin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt mit ihrem Mann in Saarburg.

„Immer seid ihr die Bestimmer!“

Wie viel Mitspracherecht soll ich meinem Kind einräumen? Ab welchem Alter kann ich was erlauben? Wie viel Freiheit ist gut für mein Kind? Antworten von Sonja Brocksieper

Vielen Eltern ist es ein Anliegen, ihre Kinder in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sehr bewusst wollen sie nicht allein bestimmen, wo es langgehen soll. Stattdessen fragen sie die Kinder nach ihrer Meinung und wägen gemeinsam mit ihnen ab. In unserer Gesellschaft hat es einen Wandel gegeben, der sich mittlerweile auch in einem veränderten Erziehungsverhalten zeigt. Die Familienstudie von Tobias Künkler und Tobias Faix („Zwischen Furcht und Freiheit“) hat gezeigt, dass in christlichen Familien die autoritären Strukturen immer mehr zurückgegangen sind und stattdessen Kommunikation und die Wertschätzung des kindlichen Standpunkts eine wichtige Rolle spielen. Kinder werden als gleichwürdige Persönlichkeiten gesehen, die Achtung, Respekt und damit auch ein Mitspracherecht verdienen. Ein Ergebnis der Familienstudie ist, dass 69 Prozent der Eltern ihre Kinder oft oder sehr oft nach ihrer Meinung fragen, nur 3 Prozent tun dies selten. Aber es ist klar, dass diese Mitbestimmung auch ihre Grenzen hat. Denn ohne solche Grenzen gäbe es bei manchen Kindern nur noch Schokolade auf dem Speiseplan, und Kindergartenkinder würden ihr Bedürfnis erfüllen, ein eigenes Smartphone zu besitzen. Wie schaffen Eltern also den Spagat zwischen Mitspracherecht und klaren Vorgaben?

WACHSENDE MITBESTIMMUNG
Zunächst ist es hilfreich, wenn sich Eltern Gedanken darüber machen, welche Ziele sie in der Erziehung ihrer Kinder haben. Sicherlich wünscht sich jede Mutter und jeder Vater, dass ihre Kinder einmal das Elternhaus als eigenständige Persönlichkeiten verlassen, die in der Lage sind, vernünftige und reife Entscheidungen zu treffen. Aber diese Selbstständigkeit müssen Kinder im Laufe der Familienzeit erst mal lernen und einüben. Kommt ein Baby auf die Welt, ist es zunächst absolut hilfsbedürftig und benötigt die verlässliche Fürsorge der Bindungspersonen. Die elterliche Kontrolle und Einflussnahme sind zu Beginn des Lebens also stark ausgeprägt, müssen aber mit der Reifung des Kindes nach und nach abnehmen. Schritt für Schritt erlangt der kleine Mensch neue Fähigkeiten, entdeckt seinen eigenen Willen und möchte Dinge allein tun. Die meisten Eltern erleben das sehr einschneidend in der so genannten Trotzphase, wenn ihr Kind die Worte „nein“ und „ich“ entdeckt. Dieser Selbstbehauptungstrieb ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, den die Eltern begleiten und in gute Bahnen lenken sollten. In dieser Zeit braucht das Kind die Erfahrung, dass der eigene Wille wünschenswert ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Eltern die Bedürfnisse und Gefühle ihrer Kinder ernst nehmen, gleichzeitig aber auch vermitteln, dass die eigenen Bedürfnisse nicht das Maß aller Dinge sind: „Jetzt bist du richtig sauer, dass du nicht die ganze Schokolade haben darfst. Das verstehe ich. Aber Sophie möchte auch was von der Schokolade essen, und deswegen teilen wir jetzt.“ Im Laufe der Kindheit und der Teenagerjahre müssen die Eigenständigkeit und Selbstkontrolle des Kindes immer mehr zunehmen. Je älter die Teenager werden, desto mehr sind sie in der Lage, abzuwägen und reife Entscheidungen zu treffen. Genau das können Eltern fördern, indem sie überwiegend eine beratende und begleitende Funktion übernehmen. Und das bedeutet auch, dass das Mitbestimmungsrecht in der Familie unbedingt mehr Platz einnehmen muss. Schreiben Eltern ihrem fünfzehnjährigen Teenager immer noch vor, wann er abends ins Bett gehen muss, ist die Einflussnahme zu groß. Er kann nicht selbst die Erfahrung machen, welche Auswirkungen es hat, wenn er bis spät in die Nacht chattet.

EIN GESUNDES MASS
Leider gibt es keine Patentantwort auf die Frage, in welchem Alter wie viel Mitbestimmungsrecht sinnvoll ist. Welche Grenze wann gesetzt wird, bleibt eine individuelle Entscheidung, die von der Lebenssituation, von den persönlichen Werten und vom Temperament und der Reife des Kindes abhängt. Der Familientherapeut Achim Schad gibt folgenden Ratschlag: „Beim Ermessen von Entscheidungsspielräumen für Kinder sollte nach dem Motto verfahren werden: So viel Mitbestimmung wie möglich, so viel elterliche Entscheidung wie nötig.“ Auf dieser Grundlage sollten sich Eltern immer wieder die Frage stellen: Führen meine Erziehungsmaßnahmen in größere Eigenständigkeit, oder zu größerer Abhängigkeit oder in die Überforderung? Das Mitspracherecht muss ein gesundes Maß haben. Auf der einen Seite sollten Eltern ihren Kindern viel zutrauen und sie altersangemessen in ihrer Eigenständigkeit bestärken. Auf der anderen Seite können Kinder aber noch nicht auf einen so großen Erfahrungsschatz wie Erwachsene zurückgreifen. Deshalb brauchen sie einen Rahmen, in dem sie ohne Überforderung oder Verunsicherung lernen können. Einige Beispiele sollen deutlich machen, wie eine angemessene Mitbestimmung aussehen kann: In der Grundschulzeit wird eine feste Mediennutzungszeit für eine Woche festgelegt. Das Kind kann entscheiden, ob es diese Zeit am Computer oder vor dem Fernseher verbringt und wie die Medienzeiten innerhalb der Woche verteilt werden. Bei einem Kindergartenkind entscheiden die Eltern, ob es im Winter ein Kleid oder eine warme Hose anzieht. Das Kind kann aber mitbestimmen, welche Hose es anzieht. Die Eltern bestimmen, welche Lebensmittel auf dem Tisch stehen, das Kind darf sich aus diesem Angebot sein Frühstück zusammenstellen. Geht die Mutter mit ihrer Teenagertochter shoppen, ist ein Budget festgelegt. Die Tochter kann entscheiden, ob sie sich die teure Markenhose kaufen möchte, dann aber auf ein Paar neue Schuhe verzichten muss.

IMMER MEHR VERANTWORTUNG
Es ist hilfreich, die Mitbestimmung eines Kindes an die Übernahme von Verantwortung zu knüpfen. Ein Vorschulkind trägt zunächst für seinen eigenen kleinen Lebensraum Verantwortung. Dazu gehört, selbst an das Zähneputzen zu denken, die Spielsachen wegzuräumen und selbstständig zu essen. Wird das Kind älter, bekommt es mehr Verantwortung: kleine Aufgaben im Haushalt, die Versorgung des Haustiers, das selbstständige Erledigen der Hausaufgaben und ähnliche Pflichten. Je mehr Verantwortung ein Kind übernimmt, desto mehr wächst auch das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Hat ein Kind die Aufgabe übernommen, ein Mittagessen zu kochen, kann man ihm die Entscheidung überlassen, was auf dem Tisch stehen soll. Mit den Aufgaben wächst das Mitbestimmungsrecht und somit auch der Freiraum, eigene Erfahrungen zu machen.

GRENZEN DER MITBESTIMMUNG
Sobald die eigene Gefährdung im Raum steht, ist es notwendig, die Mitbestimmung zu begrenzen. Niemand würde sein dreijähriges Kind an einer viel befahrenen Straße allein laufen lassen, auch wenn das Kind auf sein Mitbestimmungsrecht pocht. Außerdem kann ein Kind durch zu viel Freiheit überfordert werden. Zum Beispiel wünschen sich viele Kinder spätestens zum Wechsel auf die weiterführende Schule ein Smartphone. Stellen Eltern ihrem Fünftklässler nun ein internetfähiges Handy zur Verfügung mit dem Kommentar „Aber spiel nicht so lange“, ist das weniger ein Zeichen von angemessenem Mitspracherecht als von grober Fahrlässigkeit. Die Freiheit hat auch dann eine Grenze, wenn die Rechte anderer verletzt werden. Rücksichtnahme, Teamfähigkeit und Beziehungsfähigkeit sind wichtige Kompetenzen, die Kinder im engen Zusammenleben in der Familie erwerben können. Kinder sind Teil einer Gemeinschaft und müssen deswegen auch lernen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse hin und wieder zurückstellen müssen.

EIGENE ENTSCHEIDUNGEN
Eine zentrale Aussage der oben genannten Familienstudie ist, dass Eltern, gerade im Hinblick auf die Glaubenserziehung ihrer Kinder, in einem Dilemma stecken: Sie wollen, dass sich ihre Kinder frei für den Glauben entscheiden, und gleichzeitig ist der christliche Glaube für sie alternativlos. Fakt ist, dass Eltern den Glauben ihrer Kinder nicht „machen“ können, und diese Spannung sollten sie aushalten können. Sie können Grundlagen schaffen, Angebote machen und vorleben. Aber je älter die Kinder werden, desto mehr müssen Eltern zurücktreten und akzeptieren, wenn die Kinder Entscheidungen treffen, die sie nicht gut finden. Einen Teenager in die Jugendgruppe oder in den Gottesdienst zu zwingen, ist äußerst schwierig, auch wenn die Not und Sorge der Eltern verständlich ist. Äußert ein zwölfjähriges Kind dagegen, dass es sonntags lieber ausschlafen will, ist es angemessen, wenn Eltern den Entscheidungsspielraum ihres Kindes einschränken. Ein Kompromiss kann sein, dass das Kind an einem Sonntag im Monat „frei“ hat. Bei ihren sechzehn- oder siebzehnjährigen Jugendlichen können Eltern nur noch Empfehlungen aussprechen und ihnen in erster Linie auf der Beziehungsebene begegnen. Darüber hinaus können sie ihr Kind im Gebet immer wieder vor Gott bringen. Letztlich sind Kinder ihren Eltern nur für eine begrenzte Zeit anvertraut und müssen als erwachsene Söhne und Töchter auf allen Ebenen ihre eigenen Entscheidungen treffen.

 

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin und arbeitet für das Kindergottesdienstmaterial SevenEleven und Team.F. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid, www.sonja-brocksieper.de.

 

 

Buchtipp: Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch „Frei erziehen – Halt geben“ (SCM R. Brockhaus), das von Tobias Künkler, Tobias Faix und Damaris Müller herausgegeben wird. Es enthält zahlreiche Artikel unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zur christlichen Erziehung.

 

Rauchverbot?

„Unser Sohn (17) raucht seit einiger Zeit. Wir könnten es ihm ja verbieten, aber ist das sinnvoll? Er würde es dann doch wahrscheinlich heimlich machen.“

Bei einem 17-Jährigen mit erzieherischen Maßnahmen eine Verhaltensänderung herbeiführen zu wollen, ist in der Regel wenig zielführend. Im späten Jugendalter sollte der größte Teil der Erziehungsarbeit abgeschlossen sein und die Entscheidungsfreiheit des jungen Menschen im Vordergrund stehen. Verbote sind jetzt einfach nur noch sehr bedingt möglich und treiben meistens in die Heimlichkeit.

NICHT WEGSEHEN!
Das heißt aber nicht, dass Sie als Eltern hier einfach nur wegsehen und ihren Sohn sich selbst überlassen sollten. Es ist durchaus angemessen, wenn Sie Ihre Bedenken zum Thema Rauchen äußern. Fakt ist, dass laut Jugendschutzgesetz Jugendliche unter 18 Jahren weder Zigaretten kaufen, noch in der Öffentlichkeit rauchen dürfen. Das gilt auch für EZigaretten und E-Shishas. Darauf können Sie sich als Eltern berufen und klar aussprechen, dass Sie nicht möchten, dass Ihr Kind raucht. Reden Sie mit Ihrem Sohn sachlich und ruhig über dieses Thema und fragen Sie ihn nach seinen Beweggründen, ohne dabei Druck aufzubauen. Natürlich kann es dann trotzdem sein, dass Ihr Sohn weiterraucht. Aber es macht einen Unterschied, ob er das mit Ihrem Wohlwollen tut oder nicht. Sicherlich ist Ihre Sorge darin begründet, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist und ein Suchtpotential mitbringt. Und diese Sorge ist nachvollziehbar. Aber wie bei so vielen Themen liegt die Verantwortung mehr und mehr bei Ihrem Sohn selbst. Es ist sein Körper und sein Leben. Diese Spannung müssen Eltern aushalten.

KLARE REGELN
Auch wenn es keinen Sinn macht, Ihrem Sohn das Rauchen an sich zu verbieten, ist es trotzdem absolut angemessen, dass es in Ihrem Haus Regeln gibt, die Sie bestimmen und an die er sich halten muss. Sogar dann, wenn Ihr Sohn schon 18 ist. Wenn Sie nicht möchten, dass er im Haus oder in seinem Zimmer raucht, sollten Sie darauf bestehen und dies klar kommunizieren. Gerade wenn jüngere Geschwister mit im Haus leben, ist das wichtig, damit diese erleben, dass Regeln nicht willkürlich sind. Hält sich Ihr Sohn nicht an die Absprache, können auch Konsequenzen angemessen sein. Das ist auch im realen Leben nicht anders. Am Arbeitsplatz oder im Restaurant darf zum Beispiel auch nicht geraucht werden. Und hält sich ein Arbeitnehmer nicht an das Rauchverbot, kann es zu einer Abmahnung kommen. Genauso brauchen sich Eltern nicht zu scheuen, klar zu sein und Konsequenzen einzusetzen. Wen sich ihr Sohn nicht an die Regeln hält, muss er damit rechnen, dass er das eine oder andere Privileg verliert. Das kann aber nur funktionieren, wenn grundsätzlich eine gute Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Sohn besteht. Je besser die Beziehung zu Ihrem Sohn ist, desto leichter wird er auch diese Regel akzeptieren können. Ist die Beziehung allerdings grundlegend belastet, kann das Thema Rauchen zum zentralen Kampfthema werden. Dann ist es ratsam, in erster Linie in die Beziehung zu investieren, vielleicht sogar mit professioneller Hilfe.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin, arbeitet in der Redaktion von SevenEleven und ist Mitarbeiterin von Team.F. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid. www.sonja-brocksieper.de