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Studie zeigt: Wer sich in Beziehungen mächtig fühlt, ist zufriedener damit

Menschen, die das Gefühl haben, Einfluss in ihrer Partnerschaft zu haben, sind zufriedener mit ihrer Beziehung. Das ist das Ergebnis einer Studie von Prof. Astrid Schütz von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Doktorand Robert Körner von der Universität Halle-Wittenberg.

Macht ist für viele ein negativ besetzter Begriff. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen Macht und Beziehungsqualität fest. Wie geht das zusammen?
Astrid Schütz:
Das Image von Macht ist zu Unrecht so negativ, denke ich. Wenn wir von der Möglichkeit sprechen, Einfluss zu nehmen, dann klingt es schon nicht mehr so negativ. Eigentlich wollen wir alle in unserem Leben Kontrolle und Einfluss haben. Das Gegenteil wäre Ohnmacht und das ist ja ganz klar ein negativer Begriff. Es geht nicht darum, jemanden zu unterdrücken, sondern darum, in angemessener Weise die eigenen Ziele zu verfolgen. Dann ist eine zufriedene Beziehung und Macht auch kein Gegensatz.

Sie unterscheiden zwischen objektiver Macht und subjektiv empfundener Macht.
Robert Körner:
 Es geht zum einen um die erlebte Macht. Wie sehr glaubt man selbst, den Partner oder die Partnerin in einer Beziehung beeinflussen zu können? Wie sehr ist man davon überzeugt, in der Beziehung Entscheidungen zu treffen? Die positionelle Macht ist ein objektives Macht-Merkmal. Da geht es um Einkommen, den beruflichen Status, den Bildungsabschluss etc.

Liegen objektive Macht und das Macht-Erleben in der Beziehung denn auch mal weit auseinander?
Robert Körner:
 Da ist schon ein Zusammenhang. Wer objektiv viel Macht hat, der erlebt das auch so, dass er oder sie Entscheidungen treffen kann. Allerdings können die Aspekte im Einzelfall auch losgelöst voneinander sein.

Ist ein Gleichgewicht nicht besser?

Mich hat überrascht, dass Sie keinen positiven Zusammenhang zwischen Beziehungsqualität und Macht-Balance feststellen konnten.
Astrid Schütz:
 Ja, wir waren auch überrascht.
Robert Körner: In früherer Forschung wurde tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Macht-Balance und Beziehungsqualität festgestellt. Allerdings haben wir die Zusammenhänge statistisch differenzierter ausgewertet und aktuellere Methoden verwendet. Es könnte aber auch sein, dass unsere Stichprobe durch Paare charakterisiert war, die sowieso ein Macht-Gleichgewicht hatten. Dann wäre trotzdem denkbar, dass sich ein extremes Macht-Ungleichgewicht negativ auf die Beziehungsqualität auswirkt.
Astrid Schütz: Ich denke, es geht darum, dass beide damit zufrieden sind, wie sie Einfluss ausüben können. Solange die Person, die weniger Macht hat, das Gefühl hat: „Ich kann das, was mir wichtig ist, durchsetzen“, ist die Macht-Balance nicht so entscheidend.

Was ist eine effektive Form der Einflussnahme in Beziehungen?
Astrid Schütz:
 Ich sehe die gewaltfreie Kommunikation, wie sie Rosenberg beschrieben hat, als eine effektive Strategie der Einflussnahme. Sie stößt beim anderen auf weniger Abwehr, als wenn ich versuche, etwas durchzudrücken. So kann ich auf Dauer konstruktiv Einfluss nehmen.

Wie wurde die Studie umgesetzt?

Wie messen Sie Beziehungsqualität?
Robert Körner:
 In dem Fragebogen konnten die Befragten bestimmten Aussagen zustimmen. So lässt sich insgesamt die Beziehungsqualität abbilden. Wir haben uns verschiedene Bereiche angeschaut: Die Bewunderung für den Partner beziehungsweise die Partnerin, daneben das Vertrauen, das man gegenüber der anderen Person hat. Auch Sexualität haben wir uns angeschaut und ob man sich unterdrückt oder eingeschränkt fühlt. Außerdem spielte das Engagement für die Beziehung eine Rolle.

Bei Leuten, die sich nicht als einflussreich in ihrer Beziehung empfunden haben, waren diese Werte niedriger?
Robert Körner:
 Genau. Das Gefühl, Entscheidungen in der Ehe bestimmen zu können, hat entscheidenden Einfluss auf die erlebte Qualität der Beziehung.

Zwei Narzissten sind keine gute Mischung

Kann das gutgehen, wenn zwei Alphatiere zusammenfinden?
Astrid Schütz:
 In einer Studie zur Stressbewältigung in Familien haben wir auch den Selbstwert angeschaut. Wir haben die Partner zu einem konflikthaften Ereignis, auf das man sich vorher verständigt hatte, getrennt befragt. Es gab Personen mit überhöhtem Selbstwert, Narzissmus würden wir sagen, meist waren es Männer. Diese Leute haben den Fehler stets bei der anderen Person und nicht bei sich gesehen. Solch ein überhöhter Selbstwert war in keinem Fall bei beiden vorhanden. Ich denke, so eine Konstellation kann nur sehr kurz gutgehen.
Robert Körner: Wenn beide zum Beispiel hohe positionelle Macht haben, also eine Führungsposition im Beruf, muss sich das nicht negativ auf die Beziehung auswirken. Wenn beide aber ein starkes Bedürfnis haben, Macht in der Beziehung auszuüben, dann kann das negative Folgen für die Beziehung haben – das hat die Forschung gezeigt.
Astrid Schütz: Ja, diese Unterscheidung ist wichtig. Wir alle tragen ja das, was wir im Beruf machen, nicht notwendigerweise mit nach Hause. Es gibt Studien zu Gender-Effekten, die zeigen, dass Frauen, die hohe Leitungspositionen bekleiden, zu Hause sehr zurückhaltend sein können und sich nicht unbedingt durchsetzen.

Zwischenmenschlich starke Personen vergeben leichter

Sie haben auch untersucht, wie Vergebungsbereitschaft und Machtempfinden zusammengehen.
Robert Körner:
 Ja, das haben wir in einer deutschen und einer israelischen Stichprobe untersucht, insgesamt waren es über 300 Paare. Selbstwert und das Empfinden, Einfluss zu haben, geht mit höherer Vergebungsbereitschaft einher. Wir erklären uns das so: Wenn man jemandem vergibt, verlässt man die Opferrolle. Das erfordert zwischenmenschliche Stärke.
Astrid Schütz: Anders gesagt: Ein stabiler Selbstwert ist hier essenziell.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Christof Klenk

„Ballte seine Hand zur Faust“: Leonies Traummann wird ihr Albtraum

Schläge, Verbote und Misstrauen bestimmen ein halbes Jahr lang die Beziehung von Buchautorin Leonie Hoffmann*. Dann kann sie wie durch ein Wunder fliehen.

Gerade hatte ich mein Abitur abgeschlossen und war beflügelt von einem nie da gewesenen Freiheitsgefühl. In dieser Zeit lernte ich ihn kennen. Ihn, der mir diese große Freiheit mit all ihren Möglichkeiten innerhalb weniger Monate wieder nahm – und beinahe mein junges Leben.

Ich traf ihn auf einer Sommerparty in meiner Heimatstadt: Alex. Dieser Mann gab mir alles, wonach sich mein junges Herz gesehnt hatte: tiefe Liebe und das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Die ersten Monate mit ihm schwebte ich im siebten Himmel. Ich glaubte, in ihm tatsächlich den Richtigen gefunden zu haben.

Alex wird rasend vor Eifersucht

Seine „abgöttische Liebe“ zu mir hatte jedoch eine unangenehme Begleiterscheinung. Was ich anfangs als schmeichelhaftes Nähebedürfnis interpretierte, entwickelte sich zunehmend zu einer besitzergreifenden Eifersucht. Wenn mein Blick zufällig den eines anderen Mannes streifte, konnte dieses „Vergehen“ ausreichen, um einen schönen Abend in hitzigen und tränenreichen Diskussionen enden zu lassen.

Doch diese zunehmenden kleinen Dramen änderten nichts an meinen großen Gefühlen für Alex. Ich war diesem Mann einfach hoffnungslos verfallen und ohne es zu merken, rutschte ich immer mehr in eine emotionale Abhängigkeit von ihm. Denn Alex schaffte beides: meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung zu stillen und gleichzeitig durch subtile Kritik meine ohnehin schon großen Selbstzweifel zu nähren. So wurde ich buchstäblich süchtig nach diesem guten Gefühl, das scheinbar nur er mir geben konnte.

Ein Umzug aus Panik

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion zog ich nach nur drei Monaten Beziehung in seine spärlich eingerichtete Wohnung. Alex sagte, dies sei die einzige Chance, unsere Beziehung zu retten, nachdem ich mit einer Lappalie „sein Vertrauen endgültig zerstört habe“. Um mir wieder vertrauen zu können, wollte er mich eine Zeit lang kontrollieren – und ich ließ mich darauf ein. Denn der Gedanke, ihn sonst zu verlieren, versetzte mich in blanke Panik. Außerdem wusste ich ja, dass ich ihm treu war, und hoffte, endlich wieder zu unserem Anfangsglück zurückkehren zu können, wenn er sich auf diese Weise selbst davon überzeugen könnte.

Ein paar Tage später eskalierte die Situation zum ersten Mal bei einem seiner nun täglichen Verhöre. So war Alex der festen Überzeugung, ich hätte in meinem gerade begonnenen Studium einen anderen Mann kennengelernt. „Sag mir endlich die Wahrheit!“, schrie er mich immer wieder an. Seine Augen waren weit aufgerissen. Eisblau und eiskalt. Dieselben Augen, in denen ich früher so viel bedingungslose Liebe gesehen hatte. Zunächst packte er mich nur fest an den Schultern und drückte mich gegen die Wand. Dann schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann noch mal. Und noch mal. Immer fester. Schließlich ballte er seine Hand zur Faust. In meinem Kopf begann es zu hämmern.

„Du hast dieses Monster aus mir gemacht“

Irgendwann ließ er von mir ab und brach in Tränen aus – scheinbar entsetzt über sich selbst. Nach wenigen Augenblicken kehrte jedoch die Anklage zurück: „Du hast dieses Monster aus mir gemacht! Das gerade wäre niemals passiert, wenn du einfach immer ehrlich zu mir gewesen wärst. Ich bin zu so etwas doch nur fähig, weil ich dich so unendlich liebe.“ Damit hatte er mich. „Vielleicht habe ich es ja verdient, so behandelt zu werden?“, fragte ich mich: „Vielleicht liebt er mich tatsächlich mehr als ich ihn – wenn ich ihn so zum Ausrasten bringe?“

Heute weiß ich, dass nichts davon wahr ist. Nichts, rein gar nichts rechtfertigt Gewalt in einer Beziehung. Damals zog ich es dennoch ernsthaft in Erwägung. Eine Tatsache, die mich im Nachhinein schockiert. Genauso wie der Umstand, dass sich meine Gefühle für diesen Mann offensichtlich nicht totschlagen ließen. So traf ich die größte Fehlentscheidung meines Lebens: Ich blieb. Monate später sagte mir meine Therapeutin: „Wenn man nach dem ersten Schlag nicht geht, geht man auch nicht nach dem zweiten oder dritten.“ Das ist die traurige Wahrheit. Umso wichtiger ist es deshalb, eindeutige Grenzüberschreitungen in einer Beziehung als solche wahrzunehmen und sich vor Augen zu halten: Auch die scheinbar grenzenloseste Liebe muss Grenzen haben, die niemals überschritten werden dürfen. Denn ist dies erst einmal passiert, gibt es kaum noch einen Weg zurück.

Zwischen Küssen und Schlägen

Die sechs Monate zwischen dem ersten und dem letzten Schlag vermischen sich in meiner Erinnerung zu einer zähen grauen Masse. Meine beängstigende Erkenntnis aus dieser Zeit: Man gewöhnt sich an alles. Erschreckenderweise gab es zwischendurch sogar immer noch Momente, in denen es mir gelang, mich so in den Augenblick zu versenken und alles andere auszublenden, dass unsere „Liebe“ die einzige Realität war. Der ganze Horror schien dann unwirklich. Es waren jene Momente, in denen ich sein „wahres Ich“ wieder zu erkennen glaubte. In diesen Momenten fühlte ich mich darin bestätigt, dass er „ja eigentlich ganz anders“ war.

Ja, noch immer konnte Alex mir das Gefühl geben, ihm alles zu bedeuten, die schönste und tollste Frau der Welt zu sein. In solchen Momenten war es unvorstellbar, dass sich der Schalter jemals wieder umlegen würde. Dass sich die Hände, die mich eben noch so zärtlich streichelten, irgendwann wieder zu Fäusten ballen und brutal auf mich einschlagen würden. Dass mich derselbe Mund, der mich eben noch anstrahlte und liebevoll küsste, irgendwann wieder anschreien, bespucken oder so bestialisch beißen würde, dass Muskeln dabei durchtrennt wurden. Aber es passierte. Immer wieder. In immer kürzeren Abständen. Denn genauso funktioniert die Abwärtsspirale der Gewalt.

„Ich hatte alles – außer Selbstvertrauen“

Ich log meine Eltern und Freunde mehrfach an, ignorierte etliche Nachrichten und Anrufe. Kümmerte mich von heute auf morgen nicht mehr um mein Pflegepferd und gab die Leitung meines Jugendkreises ab. Ich erschien zu einem lange geplanten Konzert meiner Band einfach nicht. Und das alles, weil ich nicht durfte. Ich hatte mehrfach buchstäblich Todesangst in Alex‘ Nähe, aber log lieber zwei Polizisten an, anstatt mit ihnen zu gehen und den ganzen Wahnsinn endlich zu stoppen.

Das alles ist nun zwölf Jahre her. Wie oft habe ich seitdem an diese Zeit zurückgedacht und mir immer wieder dieselbe Frage gestellt: „Wie konntest du nur?“ Mittlerweile habe ich meine Antwort gefunden: Ich konnte mir alles nehmen lassen, weil ich als 19-jährige Abiturientin eigentlich alles hatte – außer einem gesunden Selbstvertrauen. Ich sehnte mich nach einem Partner, der mir genau das geben könnte – der mich sehen und erkennen würde, wie ich wirklich war, und mich genauso lieben würde. Und dann traf ich ihn, der mir nur all das nehmen konnte, weil er mir vorher alles gab. Heute wage ich zu behaupten, dass ausnahmslos jeder in so eine Abhängigkeit geraten kann, der nicht in seiner wahren Identität gefestigt ist und weiß, wer er ist und wie unglaublich viel wert er ist, vor allem in den Augen Gottes.

Der Wendepunkt

Das Ende dieser Schreckenszeit kam dann wie ein Wunder: Es war Karfreitag. Alex hatte mir erlaubt, den Fernseher anzuschalten, und es lief „Ben Hur“. Die Karfreitag-Tradition meiner Familie! Der Gedanke durchbohrte mich, ob ich jemals wieder Ostern mit ihnen feiern würde, ob ich sie überhaupt noch einmal sehen würde. Seit Monaten hielt Alex mich inzwischen in seiner Wohnung gefangen und hatte mir alle Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt genommen. Und endlich hatten die immer mehr eskalierende Gewalt und die immer selteneren schönen Momente die Hoffnung in mir totgeschlagen, dass sich jemals nochmal etwas ändern würde. Ich wollte nur noch weg, doch hatte inzwischen jede Hoffnung auf eine Befreiung aufgegeben. Alle Rettungsversuche meiner Angehörigen waren ins Leere gelaufen, und ich befürchtete, dass sie mittlerweile wirklich glaubten, dass ich den Kontakt nicht mehr wolle – wie Alex es sie durch Nachrichten in meinem Namen immer wieder wissen ließ.

Plötzlich stehen die Eltern vor der Tür

Ich ging ins Bad und schaute durch das kleine Dachfenster in den strahlenden Frühlingshimmel. Er wirkte friedlich und gleichzeitig erschreckend leer. Ich wagte seit Langem wieder ein Gebet zu Gott, dem ich in der Beziehung mit Alex ebenfalls den Rücken gekehrt hatte: „Gott, wenn du mich mittlerweile nicht ganz abgeschrieben hast, dann bitte hole mich hier raus, und ich will dir mein Leben lang dienen!“ Wenig später klingelte es. Nach allen gescheiterten Rettungsversuchen standen sie noch einmal vor unserer Wohnungstür: meine Eltern. Denn warum auch immer stand an diesem Tag die Haustür sperrangelweit offen. Alex drohte mir mit einem Besenstil und befahl mir, leise zu sein. Sie sollten denken, niemand sei zu Hause. Dann schubste er mich ins Schlafzimmer und schlug auf mich ein. Meine Eltern hörten, dass wir da waren. „Wir wollen euch nur zu einem Eis einladen und reden“, sagte mein Vater in unfassbarer Sanftmut. Da platzte Alex der Kragen. Er ließ von mir ab, riss die Wohnungstür auf und ging auf meine Mutter los. Ich rannte ihm hinterher.

Mein Vater gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass ich diesen kurzen Augenblick, in dem die Tür offen war, nutzen sollte. Während er zwischen Alex und meine Mutter ging, drängelte ich mich an ihnen vorbei. In die Freiheit. Meine Eltern eilten hinterher. „Wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder!“, rief Alex mir nach. Was früher seine schlimmste Drohung war, wurde nun zur Befreiung. Ostern verbrachte ich mit meiner Familie. Die Sonne schien. Die Welt blühte. Und wir feierten nicht nur Jesu Auferstehung von den Toten.

Bis zur Anzeige vergehen Jahre

Nun war ich zwar körperlich wieder frei, aber der Weg in die innere Freiheit sollte noch ein langer werden. Natürlich gab Alex nicht sofort auf. Erst nachdem ich alle Nachrichten von ihm ignorierte und dann mit einer Anzeige drohte, ließ er mich in Ruhe. Aufgrund von Alex‘ massiven Morddrohungen zeigte ich ihn nicht sofort an. Nach Monaten in permanenter Angst hatte ich einfach keine Kraft mehr.

Doch als ich eineinhalb Jahre später erfuhr, dass eine andere Frau in der Beziehung mit Alex ebenfalls Opfer von Gewalt wurde, wagten wir gemeinsam diesen Schritt. Er wurde verurteilt und saß jahrelang in einer geschlossenen forensischen Klinik ein.

Brecht das Schweigen!

Heute ist mein Leben schöner, als ich es mir jemals hätte erträumen können. Gott hat mich zurück ins Leben und in die Freiheit geführt – eine Freiheit, die nirgendwo sonst zu finden ist. So habe ich die befreiende Kraft der Vergebung erfahren und inzwischen nicht nur mir selbst, sondern auch Alex von ganzem Herzen vergeben können, auch wenn ich keinerlei Kontakt mehr zu ihm möchte. Ich kann wieder unbeschwert leben – sogar lieben und vertrauen, was ich niemals für möglich gehalten hätte.

Mein Tipp an Betroffene ist so simple wie schwer: Bitte brecht das Schweigen und holt euch Hilfe, solange es noch möglich ist! Kämpft euch zurück in die Freiheit, die euch zusteht und für die ihr geboren wurdet, erinnert euch an euren Wert und eure unantastbare Würde, die euch nichts und niemand nehmen darf.

*Leonie Hoffmann ist ein Pseudonym. Die vollständige Geschichte ist im Buch „ÜberWunden“ (Gerth Medien) aufgeschrieben. Teile des Artikels erschienen zuerst in der Zeitschrift LYDIA 2/19.

How to say: I’m sorry!

Genau genommen kann man sich nicht entschuldigen, nur um Entschuldigung bitten. Alles andere wären Rechtfertigungen und selbstbezogene Erklärungen. Eine Anleitung zu ehrlichen Entschuldigungen von Jörg Berger

Um wen geht es bei der Entschuldigung? Um mich? Dass ich es nicht so gemeint habe? Dass es Erklärungen für mein ungutes Verhalten gibt? Oder dass ich die verletzten Gefühle und den berechtigten Zorn meiner Frau aus der Welt schaffe, weil sie mir unangenehm sind? Oder geht es mir um meine Frau? Um die Verletzung oder den Nachteil, den ich ihr zugefügt habe? Um ein Verständnis für ihre Gefühle? Um eine Wiedergutmachung, wo das möglich ist? Wo es mir um mich selbst geht, wird meine Entschuldigung meine Frau nicht berühren, vielleicht sogar verärgern. Nur eine echte Entschuldigung bewirkt Versöhnung und räumt das beiseite, was zwischen uns steht.

Wenn ich Sie in das Geheimnis wirksamer Entschuldigungen einführe, lassen Sie sich bitte nicht unter Druck setzen. Denn eine Entschuldigung muss nicht perfekt sein, um das Herz des anderen zu erreichen. Außerdem genügt es in vielen Fällen, eine Entschuldigung einmal ehrlich und ausführlich auszusprechen – wenn der andere weiß, wie es gemeint ist, genügt beim nächsten Mal auch ein „Entschuldigung!“

Wer um Entschuldigung bittet, muss erst einmal selbst sein inneres Gleichgewicht finden. Denn auch schuldig werden stresst: Es belastet mit Schuldgefühlen, greift das Selbstwertgefühl an und weckt Angst vor der Reaktion des anderen. Weisen Sie, wenn nötig, Selbstanklagen oder Selbstabwertungen ab: Jeder darf Fehler machen und jeder wird in der Liebe schuldig werden. Machen Sie sich bewusst, dass Sie stark genug sind, einen Zorn, eine Enttäuschung oder eine verletzte Überreaktion Ihres Partners auszuhalten. Nun können Sie mit ganzer Aufmerksamkeit für den anderen da sein.

TREFFSICHERE ENTSCHULDIGUNGEN

Worum geht es Ihnen, wenn ein anderer Sie verletzt oder Ihnen einen Schaden zugefügt hat? Vermutlich erst mal um ein ehrliches Eingeständnis. Denn Schuld braucht eine Würdigung und eine Anerkennung. Außerdem muss der Schuldige auch verstanden haben, wie er schuldig geworden ist, denn sonst muss man ja fürchten, dass sich das Gleiche bald wiederholt. Und umgekehrt: Wenn wir schuldig werden, hängt fast alles davon ab, ob wir erkennen, was nicht gut gelaufen ist, und ob wir das aussprechen können. Weil das nicht so einfach ist, habe ich eine Sammlung treffender Entschuldigungen für Sie zusammengestellt. Vermutlich erkennen Sie sich in einigen Formulierungen wieder und entdecken: „Genau das mute ich meinem Partner manchmal zu.“ Außerdem erhalten Sie Anregungen, wie Sie eine Entschuldigung formulieren können, auch wenn Sie dann andere, eigene Worte verwenden. Ich habe die Entschuldigungen in sieben typische Bereiche geordnet, in denen wir in der Liebe aneinander schuldig werden.

Schuldig werden, in dem ich den anderen herabsetze:

  • „Ich habe dich gerade viel zu scharf und viel zu hart kritisiert. Das tut mir leid!“
  • „Ich bin gerade in meinem inneren Film aus meiner Kindheit gelandet: ‚Ich bin von Idioten umzingelt!‘ So habe ich dich gerade auch behandelt. Das stimmt natürlich nicht. Tut mir leid!“
  • „Das muss gerade geklungen haben, als hättest du einen furchtbaren Charakter. Dabei hast du nur einen kleinen Fehler gemacht und dir nichts Böses dabei gedacht. Sorry.“
  • „Ich habe erst an deiner Reaktion bemerkt, wie spöttisch und verletzend meine Bemerkung war. Das hast du nicht verdient. Tut mir leid.“

Schuldig werden, indem ich dem anderen seine Freiheit nehme:

  • „Ich habe dein Nein nicht akzeptiert und so lange auf dich eingeredet, bis du doch zugestimmt hast. Das war bestimmt nicht angenehm für dich. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir gar nicht die Möglichkeit gelassen, mitzuentscheiden. Tut mir leid für diese Vereinnahmung.“
  • „Ich habe dich gerade mit meiner Meinung und meinen Wünschen bedrängt, oder? Sorry.“
  • „Jetzt habe ich dich gar nicht zu Wort kommen lassen. Entschuldige bitte.“

Schuldig werden, indem ich mich selbst darstelle: 

  • „Sorry! Ich habe mehr versprochen, als ich halten kann.“
  • „Ich habe bei dir Erwartungen geweckt und dich dann enttäuscht, oder? Das tut mir leid.“
  • „Ich habe das so dargestellt, dass ich der Tolle bin und du dumm dastehst. Das hast du nicht verdient.“
  • „Ich habe mich in den Mittelpunkt gestellt und dir damit die Aufmerksamkeit genommen, die dir zusteht. Das tut mir wirklich leid.“

Schuldig werden, indem ich mich räche oder den anderen bestrafe:

  • „Ich habe mich zurückgezogen, weil ich sauer auf dich war. Ehrlich gesagt, wollte ich dich das auch spüren lassen. Aber das ist natürlich nicht in Ordnung. Entschuldige bitte.“
  • „Mit meiner Bemerkung eben habe ich dich da verletzt, wo es dir bestimmt sehr wehtut. Irgendetwas in mir wollte das auch. Aber das ist nicht fair. Bitte vergib mir.“
  • „Ich habe da völlig unnötig Nein gesagt und dich blockiert. Eigentlich geht es mir um ein ganz anderes Thema. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir eine unangenehme Szene gemacht. Ich war unzufrieden und verärgert. Aber es gibt natürlich bessere Wege, damit umzugehen. Sorry.“

Schuldig werden, indem ich mich vor Unangenehmem drücke:

  • „Ich habe mich einfach zurückgezogen, statt dir zu sagen, dass mich etwas gestört hat. Entschuldige bitte.“
  • „Da bin ich dir etwas schuldig geblieben, weil ich unsicher war und gezögert habe. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dich da sehr eingeschränkt, weil ich mich auf vieles nicht einlassen konnte. Das war bestimmt frustrierend für dich. Tut mir sehr leid.“
  • „Ich habe das so lange aufgeschoben, bis es dir Sorgen gemacht und dich frustriert hat. Vergib mir!“

Schuldig werden, indem ich den anderen in meine Probleme hineinziehe:

  • „Ich habe mich übernommen. Und jetzt musst du aushalten, dass ich so unausgeglichen und erschöpft bin. Tut mir leid!“
  • „Ich habe dich gerade zu meinem Helfer und Retter gemacht, oder? So möchte ich dich nicht strapazieren. Sorry!“
  • „Du machst dir wahrscheinlich Sorgen um mich. Ich wirke wahrscheinlich, als würde ich gleich zusammenbrechen. Entschuldige bitte. Ich möchte dich da nicht so reinziehen, wenn ich mir zu viel zumute.“
  • „Es tut mir leid: Ich bin gerade kopflos, weil ich schon wieder zu lange mit meiner Mutter telefoniert habe – obwohl ich weiß, dass mir das nicht guttut. Und jetzt musst du schon wieder auf mich warten. Das hast du nicht verdient.“

Schuldig werden, indem ich zu kämpferisch oder aggressiv auftrete:

  • „Gerade bin ich laut geworden, weil ich mich durchsetzen wollte. Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm das für dich ist. Tut mir leid.“
  • „Du sagst gar nichts mehr. Bin ich zu heftig geworden? Wenn ja, tut es mir sehr leid.“
  • „Mir ist gerade bewusst geworden, dass meine Worte wie Drohungen klingen. Vielleicht waren es sogar welche. Verzeih’ mir bitte!“
  • „Du hast vor zehn Minuten schon angedeutet, dass du lieber drüber nachdenken möchtest als mit mir so hitzig weiter zu diskutieren. Das habe ich einfach ignoriert. Tut mir leid.“

VERSÖHNUNG GENIESSEN

Treffsichere Entschuldigungen sind Balsam auf die Wunden, die man dem anderen zugefügt hat. Zugleich haben Sie beim Lesen vielleicht gespürt: Es ist nicht einfach, dermaßen ehrlich zu sein und seine Schuld so offen auszusprechen. Aber Ehrlichkeit lohnt sich. In vielen Situationen stellt sie in Sekunden wieder eine entspannte Beziehung her. Wenn die Verletzung tiefer oder ein Schaden größer war, braucht der andere noch Zeit, um darüber hinwegzukommen. Aber die ehrliche Entschuldigung verhindert, dass die Situation zu Bitterkeit führt oder im nächsten Streit wieder hochkommt.

Ein letzter Bestandteil einer echten Entschuldigung kommt dann fast von selbst dazu. Denn glaubhaft ist eine Entschuldigung nur, wenn ich den gleichen Fehler nicht gedankenlos wiederhole. Eine gesunde Scham über mein Verhalten, ein Schmerz über das, was ich meiner Frau zugefügt habe, geben mir die Motivation, die ich brauche, um an einem bestimmten Punkt achtsamer zu sein. Natürlich werde ich in einem schlechten Moment wieder einmal in meine Schwäche zurückfallen. Aber wenn das seltener passiert oder wenn ich es früher bemerke, macht das meine Entschuldigung glaubhaft. Und das wiederum wird mich auch glaubwürdig machen, wenn ich mich einmal an anderer Stelle entschuldigen muss.

Manchmal erscheinen Partner nachtragend, unversöhnlich, kleinlich im Verzeihen oder so, als ob sie erwarten würden, dass der andere nie einen Fehler macht. Doch in Wirklichkeit liegt das Problem woanders: Es gab nie eine echte Entschuldigung und deshalb war auch kein echtes Verzeihen möglich. Es ist eine überraschende, befreiende Erfahrung: Je ehrlicher wir sind und je näher uns geht, was wir verschuldet haben, desto großzügiger, versöhnlicher und vergebungsbereiter sind die Reaktionen unseres Partners.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg. Mit seiner Online-Paartherapie epaartherapie.de geht er gerade neue Wege in der Begleitung von Paaren.

„Zeigt euren Kindern, wie ihr euch versöhnt!“

Ein Gastbeitrag von Artur Wiebe:

„Wer von euch hat seine Eltern schon einmal streiten gesehen?“ Die meisten Schülerhände heben sich an einem Freitag in meinem Ethikunterricht zum Thema „Rache & Vergebung“. Dann frage ich weiter: „Und wer hat schon einmal gesehen, wie die Eltern sich wieder versöhnt haben?“ Ergebnis: Fast keiner hebt die Hand. Auf die Nachfrage, warum das so ist, bekomme ich von den Jugendlichen mit meist muslimischem Hintergrund nur eine vage Antwort: „Irgendwann war bei denen halt alles wieder okay.“

Streit in der Familie, der Gesellschaft und der christlichen Gemeinde geschieht „automatisch“: ein falsches Wort, eine ungünstige Situation oder einfach ein schlechter Tag. Versöhnung dagegen ist kein Selbstläufer. Eine Auseinandersetzung plant man eher selten. Aber im Unterschied dazu muss man bei Versöhnung bewusst Schritte aufeinander zugehen.

Menschen sehen und lernen am Vorbild. Kann es sein, dass es unseren Kindern an konkreten Beispielen fehlt, wie man sich nach einem Streit wieder versöhnt? Wenn sie unsere Auseinandersetzungen mitbekommen, lernen sie, dass und wie man sich streitet. Aber wenn sie unsere Schritte, wie man sich wieder versöhnt, nicht mitbekommen, lernen sie genau das nicht. Die Haltung „Schwamm drüber …“ oder „War doch gar nicht so schlimm …“ führt selten zu Frieden und Versöhnung. Wer seinen Streit unter den Teppich kehrt, versteckt dort gleichzeitig auch die Versöhnung. Nicht die Auseinandersetzung ist das Problem, sondern wie wir damit umgehen. Ich meine daher: Kinder, die ihre Eltern streiten sehen, haben auch ein Recht darauf, mitzubekommen, wie sie sich wieder vertragen. Denn dann sehen und lernen sie Versöhnung.

Artur Wiebe ist Redaktionsleiter der Zeitschrift CHRISTSEIN HEUTE.

„Ich habe einiges falsch gemacht“

Eltern machen Fehler. Kleine und große. Eine Auseinandersetzung damit ist unverzichtbar. Von Kathrin Koch

Neulich saß ich mit einer jungen Mutter im Gespräch zusammen. Sie offenbarte mir ihre Sorge: „Ich habe solche Angst, dass ich meinem Sohn keine gute Mutter bin. Und dass ich durch meine schwierige Vergangenheit Fehler an ihm mache.“ – „Herzlichen Glückwunsch“, war meine spontane Reaktion. „Du wirst definitiv Fehler machen, weil du und ich nicht perfekt sind. Willkommen im Club!“ Wir Eltern leben in großen, inneren Spannungsfeldern. Mit den eigenen Kindheitserlebnissen im Rücken wollen wir es bei den eigenen Kindern richtiger machen, als es geht. Für mich war es eine ernüchternde Feststellung, dass ich meine Kinder nur bedingt vor meinen Schwächen und Fehlern behüten kann. Ich bin nun mal ein Mensch und nicht Gott. Gott macht keine Fehler – ich schon.

AUS PUREM GEHORSAM
Unsere Kinder sind volljährig. Ich erlebe jetzt, wie sie als junge Erwachsene Entscheidungen treffen und in Situationen reagieren. In manchen Situationen hat mich das nachdenklich gemacht. Warum handeln sie so und nicht anders? Bei diesen Fragen kam ich nicht umhin, den Bogen auch zu mir und meinen erzieherischen Überzeugungen und Praktiken zu schlagen. Es war hart, mir einzugestehen, dass ich Fehler an meinen Kindern begangen habe, und obendrein auch noch die Auswirkungen davon in ihrem Verhalten sehe. Von meiner Ältesten habe ich im Teenageralter erwartet, dass sie an all unseren Gemeinde-Veranstaltungen teilnimmt, obwohl sie das nicht immer wollte. Sie saß also öfter aus purem Gehorsam in unseren Events. Einige der Prediger schenkten gerade den Teenagern ihre Aufmerksamkeit. Meine Tochter stand mehrmals ungewollt im Mittelpunkt. Das verletzte sie und veranlasste sie zu bestimmten Entscheidungen. Ich war in den jeweiligen Situationen nicht in der Lage, sie zu schützen. Ich war überzeugt, dass „ein bisschen Herausforderung“ gut täte. Erst Jahre später erkannte ich, dass die Verpflichtung meiner Tochter zu diesen Veranstaltungen keine guten Früchte trug. Noch schlimmer: Ich realisierte meinerseits ein Misstrauen ihr gegenüber. Ich traute ihr nicht zu, bezüglich des Glaubens gute Entscheidungen zu treffen. Und genau da begann mein Herz zu bluten. Ich war bestürzt und beschämt über meine Denk- und Handlungsweise. Es kostete eine ordentliche Portion Mut, mich dem eigenen Versagen zu stellen, der Wahrheit ins Auge zu sehen und mich für mein Verhalten angemessen zu entschuldigen.

ENTSCHULDIGUNG!
Wer meint, in Autoritätsverhältnissen – als Mutter gegenüber meinem Kind – diese demütigenden Prozesse nicht durchlaufen zu müssen, hat sich meiner Meinung nach geirrt. Gerade hier zeigt sich charakterliche Reife, die im Heilungsprozess für mein Kind sehr wichtig sein kann. Für mich wurde es auf zwei Ebenen praktisch:

1. Selbsterkenntnis ist die beste Erkenntnis: Ich hatte versagt! Trotzdem war jetzt wichtig zu differenzieren und nicht die ganze Erziehung an meiner Tochter als miserabel zu betrachten.

2. Es galt, ein Gespräch in angemessenem Rahmen zu suchen, mich vor ihr zu erklären und sie um Verzeihung zu bitten. Ganz nebenbei war nicht ganz unwichtig, wie ich meine Entschuldigung vorgetragen habe. Hier muss ich erwähnen, dass ich über Jahre Teil einer Elterninitiative in unserer Realschule war. Mit dem Gewaltpräventionsprojekt f.ü.r. (Freunde üben Rücksicht) haben wir Schüler im Umgang mit Wut und Ärger trainiert. Ein kleiner Teil des Programms zielt darauf ab, wie man sich richtig entschuldigt. Diese Vorgehensweise setze ich – weil es so hilfreich ist – in persönlichen Konfliktklärungen um:

Aufrichtig sein: Meine Entschuldigung soll von Herzen kommen. Mir ist klar, was ich falsch gemacht habe, ohne Wenn und Aber. Außerdem ist es wichtig, dass ich fähig bin, mich in die Lage des anderen zu versetzen. Das hilft zu verstehen, was ich verursacht habe. Konkret kommunizieren: Ich muss klar ausdrücken, für was ich mich entschuldige. Das zeigt auch, dass ich mich innerlich damit auseinandergesetzt habe und Verantwortung übernehme. Von Angesicht zu Angesicht: Zeit und eine persönliche Begegnung sind unerlässlich, um respektvoll eine Entschuldigung vorzubringen. Augenkontakt und mindestens ein fester Händedruck zur Versöhnung sind Standard. Schadensersatz/Wiedergutmachung leisten: Ich muss mich in irgendeiner Form für den Schaden praktisch verantwortlich machen. Das ist nicht immer möglich. Spätestens bei seelisch zugeführten Verletzungen kommt bei uns Christen das Kreuz ins Spiel. Das Kreuz, an dem Jesus für unsere Schuld gestorben ist. Das Kreuz als der Ort, wo wir Vergebung empfangen und auch vergebungsbereit unseren Nächsten entlasten können.

DIE VERANTWORTUNG ENDET HIER
Eine wichtige Feststellung ist, dass die gebräuchliche Formulierung „Ich entschuldige mich für …“ nicht korrekt ist. Wir können uns nicht selbst entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten. Unsere Bitte um Entschuldigung annehmen, akzeptieren und vergeben, also ENTschuldigen, kann nur der Geschädigte. Und genau hier habe ich die Geschicke im Gespräch mit meiner Tochter nicht mehr in der Hand. Hier endet die elterliche Verantwortung. Wie sie mit meiner Offenbarung umgeht, kann ich nicht beeinflussen. Wird sie mich aus der Schuld entlassen? Kann sie mir vergeben? Für meine Tochter war es befreiend zu erleben, dass ihre Mutter nicht perfekt ist und Fehlverhalten einsieht. Sie hat mir von Herzen verziehen. Doch es hätte auch anders ausgehen können. Wir Eltern können dann lediglich darauf vertrauen, dass unsere Kinder sich zur Entlastung der Schuld entscheiden. Und wir können darauf vertrauen, dass die Kraft des Kreuzes auch in der nächsten Generation keine Kraft verloren hat.

 

 

Kathrin Koch leitet die Arbeit von YWAM Altensteig. Sie ist verheiratet, hat drei volljährige Kinder und liebt es, zusammen mit ihrem Mann das Tanzbein zu schwingen.