DER LICHTERKETTENBALDACHIN FÜRS KINDERBETT
Katharina Hullen gräbt sich auf der Suche nach hübschen Einrichtungsideen durchs Internet. Ihr Mann will lieber Strukturen optimieren.
Katharina: Jedes Projekt braucht eine Initialzündung. Unsere Kinder haben inzwischen gelernt, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben, ihre phlegmatischen Eltern zu größeren Projekten zu motivieren. So zog im vergangenen Sommer, vermutlich an einem Freitag, eine lautstarke Kinderdemo mit selbstgemalten Plakaten durch unser Haus: „Unser Wohl ist Euer Wohl!“ „Wir sind bald in der Pubertät und brauchen ein eigenes Zimmer!“ und „Ruhe ist wichtig für Hausaufgaben und Konzentration!“
Sofort hatten sie den besten Opa von allen überzeugt und schon wenige Tage später begann dieser, auf dem Dachboden neue Wände zu ziehen. So kam das Zimmer-Karussell für fünf Kinder in Schwung. Heute, ein halbes Jahr später, haben wir ein neues tolles Jugendzimmer – sogar mit eigenem, frisch gebautem Bad –, ein umdekoriertes Mädchenzimmer, und zwei frisch transformierte Räume von „typisch Mädchen“ auf „typisch Junge“. Und alles ist so schön geworden!
Nachdem wir anfänglich den Ehrgeiz hatten, dass unsere Mädchen selbst die Neugestaltung des eigenen Zimmers in die Hand nehmen und dabei lernen, Maße und Möglichkeiten voll auszunutzen, wurde schnell klar: Außer der Wandfarbe ist es 10- und 12-jährigen Kindern völlig egal, welche Möbel oder Wandgestaltungen schön und sinnvoll wären. Aber nicht nur den Kindern war das schnurz, auch mein lieber Ehemann wollte von all meinen schönen Ideen nichts wissen. „Wieso denn andere Tapeten? Wir streichen einfach alles weiß und dann sollen sie sich bunte Kissen oder was auch immer hinlegen!“ Ginge es nach Hauke, hätte es wahrscheinlich auch keine Höhlenmalerei gegeben – die Wand ist doch gut so, wie sie ist! Doch das Internet ist voll von kreativen, praktischen, effektvollen Tipps und Angeboten. „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ – Ich habe also viel Zeit damit verbracht, nach passenden Wandtattoos, Tapeten, Bordüren, Teppichen und Kissen zu suchen. Wenn wir schon für jedes Kind ein Zimmer bauen, dann darf es doch bitte auch gut zu ihm passen, oder? „Warum denn so ein Baldachin? Dann ist doch schon wieder ein Loch mehr in der Wand!“ Es liegt vielleicht daran, dass es außerhalb der männlichen Kompetenz liegt, sich vorzustellen, was einem anderen Menschen womöglich gefallen könnte oder was gut zu ihm passt. Ginge es darum, die Funktionalität einer Sache zu verbessern, Strukturen zu optimieren oder einfach um irgendein elektrisches Gerät, dann wäre Hauke voll in seinem Element und er verbrächte Stunden, Tage, Wochen mit der Internetrecherche.
Immerhin ist er ja wirklich ein großer Schatz, denn letztlich verbaut, verklebt, verschraubt und verarbeitet er alles, was ich an Material herbeischaffe. Nun fährt bei den Jungs eine hübsche Eisenbahn die Wand entlang und das Zimmer erstrahlt in frischem Grün und eins unserer Mädchen schlummert selig unterm Lichterkettenbaldachin.
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
DEPRIMIERENDE FARBKLECKSE AUF DER RAUFASERTAPETE
Hauke Hullen liebt weiße Wände und hätte wahrscheinlich Apple gegründet, wenn nicht so viel Zeit für Stilfragen im eigenen Hause draufginge.
Hauke: Weiße Wände sind was Wunderbares! Wenn sich diese ebene, makellose Fläche frisch gestrichen vor einem ausbreitet, wenn weder Nagel noch Dübel die Perfektion stören und noch keine kratzende Kommode und kein kritzelndes Kleinkind Spuren hinterlassen haben – dann möchte ich diesen Moment für die Ewigkeit festhalten! Denn eine weiße Wand bietet Raum für Visionen: Welche fantastischen Formen und Farben könnten sich hier manifestieren? Alles erscheint möglich, nie fühlt man sich so frei und losgelöst von allen irdischen Sachzwängen. Alles könnte hier entstehen!
Ich betone: könnte. Denn sobald der erste Farbklecks auf der Raufaser detoniert, ist es vorbei mit der schöpferischen Allmacht – dann ist das Zimmer halt froschgrün und nichts anderes mehr. Aus unendlichen Möglichkeiten wurde – grün. Das ist deprimierend.
Neben diesen eher philosophischen Aspekten gibt es noch weitere gewichtige Gründe, weswegen die Wände lieber weiß bleiben sollten: Es erspart unserer Familie den quälenden Prozess, sich auf irgendeine Farbe einigen zu müssen. So hat ein großer Internet-Händler über 200.000 Treffer beim Stichwort „Tapeten“ – und den größten Teil hat sich die beste Ehefrau von allen auch tatsächlich angesehen, was aber die Entscheidungsfindung nicht erleichtert. Kathi hat dann zwar schon ein paar Favoriten herausdestilliert, in ihr keimt aber das ungute Gefühl, dass sich irgendwo im Netz eine noch schönere Tapete versteckt. Also wird weitergesucht.
Was für eine Verschwendung von Lebenszeit! Was könnte man stattdessen alles machen und schaffen! Apple-Gründer Steve Jobs hat sich ein paar hundert schwarze Pullover angeschafft, Facebook-Chef Marc Zuckerberg trägt jeden Tag ein graues T-Shirt – und prompt wurden sie zu den reichsten Menschen der Welt, einfach weil sie morgens vor dem Kleiderschrank keine Zeit mehr mit Farb- und Stilfragen verplemperten. Wo könnte die Familie Hullen heute sein, wenn wir in den letzten Jahren nicht … ach, lassen wir das.
Zudem bin ich auch kein besonders leidenschaftlicher Handwerker. Meine Freude am Renovieren beschränkt sich darauf, mich zu freuen, dass es vorbei ist. Wenn etwas einen funktionellen Mehrwert bietet, bastele ich gerne daran herum, aber wen außer meiner Frau interessiert es, ob ein Zimmer grün, rot oder lila-getupft ist? Und steht nicht auch schon in der Bibel (wenngleich auch mit einem irritierenden Rechtschreibfehler), dass man nach „Weißheit“ streben solle? Doch ein paar Wochenenden später sehen die Zimmer natürlich so aus, wie es sich die bessere Hälfte erträumt hat. Und ja, irgendwie sind sie auch schön geworden. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass sich Kinder und Einrichtungstrends ab sofort nicht mehr verändern.
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.