Der gefangene Mann

Wenn die Arbeit Ehemänner und Väter fesselt, leiden Partnerschaft und Familie. Doch es gibt Auswege aus den Zwängen. Von Jörg Berger

Er ist freundlich und gewinnend. Er begeistert sich schnell und setzt sich voll ein. Auch Ausdauer, Belastbarkeit und Verlässlichkeit gehören zu seinen Qualitäten. Trotzdem erzählen Ehefrauen ihren Freundinnen mit einem Seufzen von ihm, manchmal auch mit Tränen in den Augen. Kleinkinder fremdeln und lassen die Mama nicht alleine weg, obwohl doch der Papa da ist. Schulkinder beklagen sich: „Du bist nie da.“ Jugendliche behandeln ihn wie einen WG-Mitbewohner.

Der gefangene Mann hätte das Zeug zum perfekten Ehemann und Vater. Aber eine dunkle Macht zieht ihn immer wieder aus dem Haus, raubt ihm das Beste, was er zu geben hat und entlässt ihn erst spät abends – müde und zerstreut – nach Hause. Natürlich hat das Ehepaar schon oft über das Thema Arbeit gesprochen. Es hat gestritten, Vorsätze gefasst und Schlachtpläne geschmiedet. Es hat kleine Siege über die Fremdbestimmung errungen wie zum Beispiel ein völlig freies Wochenende. Aber sobald das gemeinsame Bemühen nur ein wenig erlahmt, nimmt die Arbeit wieder zu. Die Macht der Arbeit erweist sich als stärker als die Macht der Liebe.

Als ich meiner Familie beim Mittagessen von dem anstehenden Artikel erzähle, verstehe ich das Gelächter nicht gleich. Ob sie als Betroffene etwas dazu schreiben soll, fragt meine Frau. Nein, ich schreibe hier über die anderen, die richtig schweren Fälle. Oder doch nicht? Bin ich auch schon auf dem Weg zum gefangenen Mann? Oder komme ich in manchen Wochen dem Prototyp, den ich hier beschrieben habe, schon bedenklich nahe? Auch wenn Sie noch nicht im Endstadium angelangt sind, kann es spannend sein, einmal das eigene Arbeitsverhalten und die Beweggründe dafür unter die Lupe zu nehmen. Ich schreibe bei diesem Thema über Männer, weil es mir bei ihnen in der Praxis häufiger begegnet. Auch Frauen kann die Arbeit gefangen nehmen, dies zeigt sich aber in anderen Formen, und auch die Beweggründe sind andere.

Wenn Arbeit gefangen nimmt, hat das unterschiedliche Gründe. Vier davon stelle ich Ihnen im Folgenden genauer vor.

 

Auf Namenssuche

WEICHENSTELLUNG – Bei der Suche nach einem schönen Namen für ihr Kind haben die Hullens schon eine gewisse Routine, aber das hilft nur bedingt.

Katharina: Unglaublich: Bald wird ein fünfter kleiner Hullen diese Welt ein bisschen bunter machen! Wir freuen uns riesig – und grübeln nun darüber nach, wie unser Kind wohl heißen soll. Die Verantwortung, die Eltern in dieser Frage tragen, wiegt schwer. Der Name kann dem Kind den Weg in ein leichteres oder schwereres Leben ebnen. So viele Dinge, die beachtenswert sind:

  • Passt der Name zum Nachnamen? Luis Hullen – zuviel U, Smilla Hullen – zu viel L …
  • Welche Bedeutung hat der Name? Irgendwie ist es nicht so toll, wenn mein Kind „die Hinkende” (Claudia), die „Bittere” (Miriam) oder „der Gehörnte” (Cornelius) heißt. Ganz egal, wie schön der Name ist.
  • Überhaupt, wie klingt der Name, wenn ich das Kind mal rufen muss? „JASON!“ über den Spielplatz gebrüllt ist ganz nah dran an: „SCHE_I_SSEN!” Auch bei Max würde es mir schwerfallen, beim Schimpfen ernst zu bleiben. MAX! Max, Mux, mix … maunz!
  • Was assoziiert man mit einem Namen? Alle Kevins und Chantalles wissen, was ich meine. Welchen ersten Eindruck vermittele ich, wenn ich mich mit Bosse Hullen vorstelle? Denkt nicht jeder sofort an ADHS, wenn mein Kind Sturmius- Vito heißt?
  • Außerdem gibt es noch die historischen Vorbilder, die man unter die Lupe nehmen sollte, bevor man sich für Namen wie Kain, Nero oder Brutus entscheidet. Darum ist auch „Mats” seit der letzten Bundesliga- Rückrunde für meinen Mann keine Option mehr.
  • Und nicht zuletzt sollen die Namen der Geschwister in Klang und Länge gut zusammenpassen. Wenn man aber bereits vier Kinder mit Doppelnamen hat, sind die besten schon weg.

In unserem Fall kommt noch hinzu, dass Hauke Lehrer ist und viele Namen durch Schüler „verbrannt” sind. Er will sein Kind nicht nach den größten Chaoten benennen. Ebensowenig kann er seiner Tochter den Namen der tollsten Schülerin geben. Wie sähe denn das aus?

Das ist wohl der Grund, warum er sich weitestgehend raushält aus der Namensfrage. Ich versuche zwar seit Wochen, ihm das Vornamen-Lexikon unterzujubeln – lege es ans Bett, auf die Klausuren, neben den Teller beim Abendbrot. Aber letztlich läuft es wohl wieder so:

Ich wälze wochenlang dieses Buch, erstelle eine Liste meiner Favoriten. Hauke liest sich nur noch diese Essenz durch, streicht die Schülernamen, findet meinen Vorschlag eigentlich ganz gut, will aber selbst nochmal überlegen. Und dann entscheiden wir uns. Für meinen Vorschlag, denn Hauke findet, dass man sich irgendwann sicher an jeden Namen gewöhnt – und irgendwie muss das Kind ja heißen. Und wir sind beide glücklich! Hoffentlich unser Kind auch.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

NOMEN EST NONSENSE – Verbaut man mit dem falschen Namen die Karriere des Sprösslings?

Hauke: Puh, eine Namenssuche ist echt schwer! Klang, Form und Bedeutung – auf was man da alles achten muss! Nun glaube ich nicht daran, dass vom Namen eine magische Wirkung ausgeht, die Charakter oder Schicksal des Kindes bestimmt. Nicht jede Bianca (= weiß) ist blond, nicht jede Melanie (= schwarz) dunkelhaarig, nicht jede Sophie (= Weisheit) klug. Und die Frage, ob mein eigener Name ein Fehlgriff war (Hauke = Geist, Verstand), würden meine Mutter und meine Frau möglicherweise unterschiedlich beantworten. Möglicherweise bejahen sie auch beide.

Trotzdem: Ich möchte mein Kind mit etwas Positivem benennen! Linus ist süß, heißt aber „der Klagende” – ist das ein Hinweis auf eine Anwaltskarriere? Cecilia-Lea ist die blinde Wildkuh, Edwin der Besitzliebende, Cameron der Schiefnasige … und selbst schöne Bedeutungen wie „edler Wolf” (Adolf) scheiden aus historischen Gründen aus.

Früher war‘s unkomplizierter. Einfach die Namen der Großeltern kombinieren, fertig. Heute verteile ich Lebenschancen, das will gut durchdacht sein! Ein Maximilian wird für intelligenter gehalten als ein Justin-Maurice, ein Alexander für erfolgreicher als ein Alex. Namen vorne im ABC machen leichter Karriere – wahrscheinlich weil hier und da Leistungen in alphabetischer Reihenfolge abgefragt werden, der Alexander also immer glänzen kann, der Xaver aber nicht mehr drankommt. Vernünftigerweise sollte ich meinen Sohn Drago Philipp Alexander nennen, dann kann er sich direkt mit Dr. phil. Alexander Hullen abkürzen.

Dummerweise heißt schon jeder Zweite Alexander. Leon ist doch eigentlich schon Kevin 2.0, oder? Ein bisschen eigen sollte der Name schon sein, aber auch nicht zu abgedreht. Die Verteilung bekloppter Vornamen in der Gesellschaft beschreibt ja ungefähr eine U-förmige Parabel: In der Unterschicht gibt es deutlich mehr „Josephine-Estelle-Priscilla Kunzes” als in der Mittelschicht, dafür tauchen ganz oben wieder die abgefahrensten Kreationen auf. Paradebeispiel sind die vier Kinder des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, welche „Blue- Cheyenne-Gonzales-Jimi-Rocco-Savannah-Stark-Wilson” heißen. Ich habe die Namen alphabetisch sortiert, suchen Sie sich einfach eine lustige Kombination aus … Und sollte ich in Hollywood-Manier mein Kind wirklich „Duisburg” nennen, nur weil es dort gezeugt wurde?!?

Also, was nun? Je mehr Namen ich recherchiere, desto mehr scheiden aus. Darum plädiere ich für Durchnummerierung. Wie bei den Borg von Star Trek: Seven of Nine. Dann ist unser Kind Nummer 5 von 7. Einfach, eindeutig, einprägsam. Jetzt muss ich nur noch meine Frau überzeugen.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Der Beikost-Start

„Meine Tochter ist fünf Monate alt und wir kommen mit dem Stillen gut klar. Nun bin ich aber unsicher, wann ich mit der Beikost beginnen soll. Muss man wirklich mit Beginn des 7. Monats Brei füttern, wie es oft zu
lesen ist?“

Es gibt keinen fixen Termin, an dem unbedingt Beikost eingeführt werden müsste. Frühestens zu Beginn des 5. Lebensmonats, eher nach dem 6. Lebensmonat ist es für die meisten Babys soweit. Voraussetzungen für den Start sind:

  • Eine gute Hand-Mund-Koordination (das Baby kann Dinge greifen und zielgerichtet zum Mund führen)
  • Deutliches Interesse an Nahrung
  • Der Zungenstoßreflex ist verschwunden (das Baby kann die Nahrung schlucken und stößt sie nicht mehr mit der Zunge heraus).
  • Das Baby kann für die Mahlzeit mit geringer Unterstützung im unteren Rücken aufrecht sitzen (auf dem Schoß oder im Hochstuhl).

SPASS AM ESSEN
Nun kann am Familientisch experimentiert werden: Was sich gut greifen lässt und mit den Kieferleisten zerkleinert werden kann, ist bis auf wenige Ausnahmen geeignet. Zu diesen Ausnahmen gehören Nahrungsmittel, an denen sich das Kind verschlucken kann, Honig für das gesamte erste Lebensjahr und Kuhmilch (frühestens nach dem vollendeten 6. Lebensmonat, gekocht als Brei und in kleinen Mengen geben). Natürlich müssen die Eltern dabei bleiben und rechtzeitig eingreifen, falls zu große Stücke im Mund landen und damit das Baby sich nicht verschluckt. Das Lernziel lautet: Essen ist interessant und macht Spaß!

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO soll während des gesamten ersten Lebensjahres die Muttermilch Hauptnahrungsquelle sein, die Nährstoffe muss das Baby also erst einmal nicht über Beikost-Anfänge abdecken. Es geht eher darum, neben den Milchmahlzeiten spielerisch Erfahrungen mit Essen zu sammeln, als sofort Mahlzeiten umzustellen. Wer das anschließende Saubermachen scheut, k ann auch B rei f üttern. D as gilt natürlich auch, wenn das Baby weichere Konsistenzen bevorzugt.

VERSORGUNG MIT EISEN
Selbst wenn irgendwann recht große Portionen verputzt werden, möchten viele Kinder direkt im Anschluss gestillt werden. Das ist ganz normal und auch sinnvoll: Muttermilch enthält unter anderem Enzyme, die das Verdauungssystem bei seiner neuen Hochleistungsaufgabe unterstützen.

Die Empfehlung, spätestens nach dem vollendeten 6. Lebensmonat mit Beikost zu beginnen, hängt mit der Organreifung zusammen. Andere Nahrung kann jetzt besser verdaut werden. Außerdem sind dann die frühkindlichen Eisenreserven verbraucht – Eisen sollte nun über die Nahrung zugeführt werden. Muttermilch enthält zwar relativ wenig Eisen, aber in günstiger Verfügbarkeit, sodass die Sorge um Eisenmangel beim bis dahin voll gestillten, gesunden Kind erst einmal unnötig ist. Dennoch sollte Eisen nun über die Nahrung ergänzt werden, wobei tierisches Eisen besser aufgenommen werden kann als pflanzliches. Zusätzlich kann die Eisenaufnahme durch Vitamin C unterstützt werden. Neben Fleisch sind (hartgekochtes) Hühnereigelb, Vollkorn- oder Hirsebrei gute Eisenlieferanten für das Baby. Vitamin C könnte über Obst, aber auch (neue Pell-)Kartoffeln oder Petersilie zugeführt werden.

Das Lebensalter ist für die Einführung von Beikost weniger entscheidend als das kindliche Verhalten. Der Start sollte weder forciert noch unnötig hinausgezögert werden.

Heike Gutknecht-Stöhr ist Krankenschwester und Laktations- und Stillberaterin IBCLC. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

„Wir haben beide unseren Platz gefunden“

Patric Graf ist Hausmann, seine Frau arbeitet Vollzeit. Ein Modell, das sich für sie bewährt hat.

Als meine Frau Kerstin mit unserer heute 18 Jahre alten Tochter schwanger war, war ich für längere Zeit krankgeschrieben. Meine damalige Arbeit konnte ich nicht wieder aufnehmen. Da ich durch meine Arbeitszeiten in der Bäckerei schon von Beginn unserer Beziehung an die Haushaltstätigkeiten überwiegend übernommen hatte und auch gerne koche, kam uns die Idee, die typischen Rollen zu tauschen. Nach der Geburt unserer Tochter und dem gesetzlichen Mutterschutz arbeitete meine Frau wieder zu 100 Prozent in ihrem Beruf als Krankenschwester. Schnell merkten wir, dass ihre Arbeit im Dreischichtbetrieb viele Vorteile für uns hatte: Wir konnten zum Beispiel Kinderarzttermine so legen, dass wir gemeinsam hingehen konnten. Später, als die Kinder im Kindergarten waren, hatten wir als Eltern die Möglichkeit, ohne Kinder etwas zu unternehmen, sei es der Wocheneinkauf oder ein gemeinsames Frühstück in einem Café.

Bei unserem Sohn (15) und unserem Nesthäkchen, unserer achtjährigen Tochter, behielten wir diese Rollenverteilung bei. Seit 13 Jahren arbeite ich zusätzlich auf 450-Euro- Basis in der Systemgastronomie. Ich habe das Glück, dass ich meine Arbeitszeiten dem Dienstplan meiner Frau anpassen kann. Diese Arbeit ist für mich ein Ausgleich zum Hausmannsjob. Ich komme mit vielen Menschen aus verschiedenen Nationen in Kontakt, da unser Betrieb auf einem Autohof an der Autobahn liegt.

Wenn das Kind seine Mama (nicht) braucht

Gegenüber ihrem Chef bei der Bundeswehr muss sich unsere Autorin rechtfertigen, dass sie „nur“ Teilzeit arbeitet. Andererseits hat sie Gewissensbisse, dass sie einige typische „Mama-Aufgaben“ nicht übernehmen kann.

Wie, zwei Jahre Elternzeit? Andere kommen doch auch schon nach einem Jahr zurück in den Beruf!“ Mit dieser Bemerkung meines Chefs fing alles an. Gerade hatte ich meinen Antrag auf zwei Jahre Elternzeit eingereicht, schon musste ich mich das erste Mal für meine Entscheidung, für mein Lebensmodell, für mein Mutterdasein rechtfertigen.

Die zwei Jahre zu Hause habe ich in vollen Zügen genossen. Ich hatte ein sehr entspanntes Kind und konnte unseren Alltag so gestalten, wie man sich das Leben einer Vollzeitmama vorstellt: montags Frühstück mit Freundinnen, dienstags Babyschwimmen, mittwochs Zeit für mich und meinen Sohn allein, donnerstags Kaffeetrinken … Zwei Jahre Auszeit waren genau die richtige Entscheidung für mich, mein Kind, meine Familie.

Doch auch diese Zeit ging vorbei und ich freute mich darauf, wieder zu arbeiten. Im Kindergarten lief die Eingewöhnung super. Mein Sohn geht bis heute sehr gerne dorthin. Dennoch waren die ersten Wochen nicht leicht. Ständig überkamen mich Zweifel: „Ist es so auch wirklich das Beste für mein Kind? Er ist doch noch so klein. Warum tue ich mir den Stress eigentlich an?“

Unsere Freiheit, ganz anders zu leben. Oder auch nicht.

Anja Schäfer plädiert dafür, dass Familien ihren eigenen Weg finden, das Familienleben zu planen – ohne sich gegenseitig kritisch zu beäugen.

Die ältere Dame hob ihre Augenbrauen und blickte mich tadelnd an. Wir waren auf einer christlichen Veranstaltung, hatten geplaudert, und ich erzählte ihr, dass wir unseren zweijährigen Sohn an drei Vormittagen in der Woche zu einer Tagesmutter brachten. Auf dem kleinen Bio-Bauernhof spielte er zwischen Hühnern und Treckern mit drei oder vier anderen Kindern, und mittags holten wir ihn ab. Perfekt, fanden wir. Die ältere Dame nicht. Fremdbetreut in diesem Alter, das hielt sie für entschieden nicht mit dem biblischen Familienmodell vereinbar.

Zwei oder drei Tage später traf ich mich mit Freunden in der Kneipe. Anschließend, vor der Tür, kamen wir auf das damals hochbrisante Thema „Betreuungsgeld“ zu sprechen, das ausgezahlt werden sollte an Familien, die ihre Kinder zwischen null und drei (!) Jahren zu Hause betreuten. Indiskutabel, empörten sich meine Freunde. Relikte alter Rollenbilder. Typisch bayerische Schnapsidee. Und so stand ich da in unserer Runde vor der Kneipe. Erst ein paar Tage zuvor hatte ich mich noch rechtfertigen müssen für unsere liebevolle Tagesmutter. Und hier stand ich mit meinen Freunden, für die es undenkbar war, eine Lebensform staatlich zu unterstützen, bei der Mama oder Papa eine Weile für ihre Kinder zu Hause bleiben. Ich musste fast lachen.

Ganz im Beruf, ganz im Familienalltag

Jan-Martin Klinge und seine Frau Angela teilen sich Erwerbs- und Familienarbeit. Und haben gelernt, wie sie sich trotzdem nicht als Paar verlieren.

Trinken, Papa!“, forderte meine Tochter mich mit ihren zwei Jahren damals unmissverständlich auf. „Wie sagen Erwachsene?“, entgegnete ich. Und man konnte den genervten Unterton in ihrer Stimme nicht überhören, als sie ein enttäuschtes Gesicht machte und mir erwiderte: „Später …“

Heute, viele Jahre später, werden wir von unseren Kindern immer noch und immer wieder in unserem Verhalten gespiegelt. „Wir“, das sind meine Frau Angela (38), Pastorin mit einer 70-Prozent-Stelle und ich, Jan-Martin (35), Lehrer an einer Ganztagsschule, zusammen mit unseren Töchtern Carolina (10) und Amélie (2). Unsere Berufe ermöglichen uns eine wunderbare Aufteilung der Familienarbeit: Ich bin vor allem vormittags unterwegs, kann mir aber die Nachmittage und Abende frei einteilen, während Angela eher in der zweiten Tageshälfte außer Haus ist. Diese Konstellation funktioniert weitgehend reibungslos, und jeder von uns liebt sowohl den beruflichen als auch den familiären Part.

GEMEINSAME ZEIT ERKÄMPFEN
Aber: So großartig die zeitliche Aufteilung der Kinderbetreuung funktioniert, so herausfordernd ist es, sich nicht als Ehepaar zu verlieren. Es gab Zeiten, da haben Angela und ich uns immer nur die Schlüssel in die Hand gedrückt. „Die Kinder sind versorgt, das Essen steht im Ofen – kümmere dich bitte um die Wäsche, und im Wohnzimmer muss dringend staubgesaugt werden!“ Natürlich gibt es so Phasen im Leben, aber wir mussten immer wieder aufpassen, dass sie unsere Ehe nicht zerstörten. Wenn man sich wochen-, manchmal monatelang nicht wirklich sieht, kann aus Familienleben schnell Zweckgemeinschaft werden und man verliert die gemeinsamen Hoffnungen, Träume und Ziele aus den Augen. Job und Kinderbetreuung, Predigtschreiben und Unterrichtsvorbereitung – kann das alles sein? Und während ich als Lehrer zumindest die Wochenenden frei gestalten darf, ist der Sonntag für eine Pastorin ein voller Arbeitstag. So praktisch die Verteilung von Haushalt und Kinderbetreuung ist – gemeinsame Zeit bleibt kaum noch.

„Allein auf weiter Flur“

Julia Strobel hat sich dafür entschieden, Vollzeit-Mama zu sein. Und fühlt sich damit ziemlich einsam.

Vor eineinhalb Jahren saß ich bei einem Kindergeburtstag mit anderen Müttern am Kaffeetisch zusammen, als mich plötzlich ein „Sag mal, bist du wieder schwanger?“ eiskalt erwischte. Nun saß ich da, ziemlich angeschlagen, mit einem Bauch, der nach dem zweiten Kind nicht mehr so recht weichen wollte, und einem Herzen, das sich nach einem weiteren kleinen Menschen in eben diesem sehnte.

Eben saß ich noch entspannt mit einem Stück Maulwurftorte auf dem Teller mitten in dem ganzen Trubel – und im nächsten Moment versuchte ich, die Fassade meines bröckelnden Selbstbilds aufrecht zu erhalten. Die beiden anderen Mütter am Tisch waren überzeugte Ein- Kind-Mamas, die mein erschüttert-knappes Nein mit Erleichterung aufnahmen und gleich mal alle „Vorzüge“ des Mutterseins aufzählten: schlaflose Nächte, fremdbestimmt sein, abends das Haus nicht mehr ohne großen organisatorischen und/oder finanziellen Aufwand verlassen können, Urlaube antreten, die mit dem eigentlichen Sinn (nämlich Erholung) nichts mehr zu tun haben … Die beiden redeten sich geradezu in Rage, und ich fühlte mich mal wieder fehl am Platz. Ich kannte das schon: Ich habe meine beiden Kinder erst zu ihrem dritten Geburtstag in den Kindergarten eingewöhnt, sie besuchen die Einrichtung nur halbtags, mein Mann und ich wünschen uns ein drittes Kind … Gesellschaftlicher Mainstream sieht anders aus.

Der Segen der Wahlfreiheit

Jennifer Zimmermann ist gern mal kämpferische Hausfrau. Und trotzdem stolz auf ihre Mutter, die mit Baby auf dem Arm ihr Diplom machte.

Seit endlos scheinenden Minuten sitze ich fest. Auf dem Spielteppich in unserem Wohnzimmer stapeln sich Töpfe, eine Armada von Holzkochlöffeln umzingelt mich und strahlend hält mir mein Sohn die zwanzigste Tasse Murmel-Suppe entgegen. Zwischen meiner Schulter und meinem Ohr klemmt der Telefonhörer, meinen dreifachen Espresso halte ich fest umklammert, denn jeder Gedanke, den ich fassen will, endet in einem Gähnen. So wundert es mich gar nicht, dass da ein kleiner Funke Neid in mir knistert, als ich höre, wie meine Freundin am anderen Ende der Leitung vom Krippenstart ihres Sohnes erzählt. Um ihren Frust geht es, um die unerschöpfliche Energie eines Einjährigen, die sie dazu brachte, schon früher als geplant wieder arbeiten zu gehen. Und dann wieder mal diese Frage: „Wie machst du das? Wie schaffst du’s nur, zu Hause zu bleiben?“ Und nicht verrückt zu werden, ergänze ich still.

ROMANTISCH VERKLÄRTE VORFREUDE
1986. Meine Eltern hatten einen Plan: Lange schon träumte meine Mutter davon, ihr Abitur nachzuholen, Psychologie zu studieren und als Therapeutin zu arbeiten. Neun Jahre nach der Geburt meiner großen Schwester war sie nun auf dem besten Weg, sich diesen Traum zu erfüllen. Mühsam hatte sie sich neben Kind und Beruf durch die Abendschule gequält, ihr Studium gemeistert, sah das Diplom in Reichweite – und wurde mit mir schwanger. Ein zweites Kind hatte keiner geplant. Für mich hieß das vor allem: Oma-Zeit. Und so sehr ich diese Zeiten liebte, so sehr nagte auch die, mit Worten nicht fassbare, Gewissheit an mir, dass ich etwas Entscheidendes vermisste.

Als ich 2011 mit meinem ersten Kind schwanger wurde, stellte ich deshalb meine Bachelorthesis ins Regal und blieb daheim, obwohl uns das finanziell ans Existenzminimum brachte. Mit romantisch verklärter Vorfreude wartete ich nestbauend auf die heimelige Zeit fern von meinem Beruf in der liebevollen Zweisamkeit mit diesem wunderbaren neuen Menschen. Ziemlich unsanft schlug ich in der Mamarealität auf. Der neue Mensch begegnete mir mit unstillbarem Hunger zu allen Nachtzeiten und schlief ausschließlich auf meinem eigenen zarten Körper. Als ich an meinem ersten Tag allein daheim um drei Uhr nachmittags vor einer endlich aufgetauten Kürbissuppe saß und überlegte, ob ich dringender aufs Klo oder essen musste und just in diesem Moment wieder ein Schreien aus dem Schlafzimmer tönte, brach ich in Tränen aus. Die Unfähigkeit, meinen Sohn zufriedenzustellen, geschweige denn noch irgendetwas anderes zu leisten, traf mich unvorbereitet hart. Bin ich eigentlich noch genug, wenn ich mich einfach nur um mein Kind kümmere und sonst nichts schaffe?

ES REICHT
Bin ich genug? Diese Frage verfolgte mich das ganze erste Jahr hindurch. Besonders eindringlich biss sie sich fest, wenn wieder mal eine Mama vom Krippen- und Arbeitsstart erzählte. Lange begegnete ich dann immer wieder dem kleinen Mädchen in mir, das so gern selbst mehr von seiner Mama gehabt hätte. „Ich kann nicht aus meiner Haut!“, sagte ich oft, mich mit meiner eigenen Geschichte für mein Hausfrauen-Dasein entschuldigend. Aber hier und da tauchte auch eine andere wohlvertraute Stimme in mir auf. Immer mehr konnte ich sehen, dass ich diesen Weg gehe, mitten in einer Gesellschaft, die Leistung und Selbstverwirklichung vergöttert. Heilsame Gott-Gedanken rückten mir die Perspektive zurecht, ganz schlicht: Es geht nicht um mich. Und ich bin genug, begabt, beschenkt, auch wenn mir das Geschenk manchmal verschwimmt vor meinen müden Augen. Ich bin genug, auch wenn ich nichts leiste. Ich bin begabt und diese Begabung verliert nicht an Wert, wenn ich mit ihr meine Kinder, meinen Mann, meine Nachbarschaft beschenke – und ein „nur“ gibt es hier nicht. Es reicht. Dankbarkeit macht sich breit in meinem Herzen, weil mein Aushalten daheim mich diesen Worten näher gebracht hat.

STOLZ AUF DIE MUTTER
Dankbar bin ich aber heute auch für meine Mutter, die eine andere Abzweigung genommen hat. Ich stehe als Frau in einer langen Reihe von Müttern, die nicht immer ihren eigenen Weg gehen konnten. Als mein Vater auf die Welt kam, managte seine Mutter einen Bauernhof, einen dement werdenden Schwiegervater und die Spätfolgen diverser Kriegstraumata. Für ihre zwei Kinder sicherte sie die Existenz und opferte dafür die Zeit mit ihnen. Tapfer ging sie diese Wegstrecke, unter der alle Beteiligten gelitten haben. Sie hatte keine Alternative. Es tut mir gut, hin und wieder diesen Blick über die Schulter zu üben, zu merken, dass Wahlfreiheit nicht selbstverständlich ist. Und neben dem kleinen Mädchen in mir gibt es dann eine erwachsene Frau, die stolz ist auf ihre Mutter, die mit dem Säugling auf dem Arm für die Diplom-Prüfung gelernt, mutig den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und sich mitten durch das Gestrüpp einer Gesellschaft gekämpft hat, die von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht viel wissen wollte.

TIEFER GRABEN
Das kleine Mädchen in mir verkleidet sich, nebenbei bemerkt, immer mal wieder als kämpferische Hausfrau, die plakativ den Wert der Daheimgebliebenen hochhält. Nur der Blick auf meine Geschichte holt mich immer wieder von meinem Thron des Schwarz-Weiß-Denkens herunter. Es gibt mehr als gute Hausfrauen und Rabenmütter. Und egal, wie meine Freundin sich entscheidet, ich will ihr eine Weggefährtin sein. Heute dürfen wir unseren Weg wählen. Da möchte ich ihr Mut machen, tiefer zu graben durch die vielen Schichten von Rollenbildern und Gesellschaftserwartungen hindurch. Ich will sie in ihrer einzigartigen Familiensituation ernst nehmen. Will ihr von meinem eigenen, ganz normalen Frust erzählen. Will sie betend umhegen, auf dass sie und ihr Mann den Weg finden, den sie mit ruhigem Herzen gehen, auf dem sie die Aussicht genießen können. Und ich will wertschätzen, was sie leistet, ganz egal, welche Abzweigung sie wählt.

Unser Gespräch wird unterbrochen, als mein Sohn arrhythmisch auf einen Topf einschlagend beginnt, Backe- Backe-Kuchen zu singen. „Wie machst du das?“, fragt sie mich noch. „Ich mache ja gar nichts!“, brülle ich lachend. Jennifer Zimmermann ist Sozialarbeiterin und derzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Homburg.