Symbolbild: Getty Images / iStock / Getty Images Plus / golubovy

Windelfrei ohne Stress

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Was für manche Eltern unvorstellbar klingt, gehört für Jessica Schmidt zum Familienalltag dazu. Im Interview erzählt die fünffache Mutter von ihren Erfahrungen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Ihre anthropologische Herangehensweise an das Thema Bindung nimmt uns Christen oft den Zugang zu ihrem Buch. Aber die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte