Allein mit Kevin

Wenn Christof Matthias mit seinem behinderten Pflegesohn einige Runden dreht, öffnet sich eine innere Tür.

Wow, ist das stürmisch. Der Wind pfeift durch den hochgeschlagenen Kragen direkt in den Nacken. Ich versuche, mich nicht beirren zu lassen und schiebe den Buggy kräftig weiter auf dem holperigen Wanderweg. Kevin jauchzt aber gerade dabei aus voller Kehle. Für ihn gibt es kein schlechtes Wetter und auch keine schlechte Stimmung.

Ab und zu übernehme ich es, eine Runde mit unserem schwerstbehinderten Pflegesohn zu gehen. Das ist eine Abwechslung in meinem eher ausgefüllten Alltag, in dem ich zwischen Seminaren, den Gesprächen mit Klienten und der Arbeit am Computer hin und her springe. Ich schrieb an dieser Stelle schon von dem Treffen mit den Skatbrüdern und über das Angeln. Diese Tankstellen anzulaufen, fällt mir leicht, aber als Mann mit 56 Jahren ein Kind über die Wiesen zu schieben, ist nun nicht gerade der Burner – oder entspricht nicht dem typisch männlichen Vorzeigehobby, bei dem Mann in der Rangordnung seinesgleichen einen Platz aufsteigt.

Trotzdem oder gerade deshalb fällt es mir nicht schwer, in meinen Gedanken zur Ruhe zu kommen. Leise fange ich an zu singen; bekannte Lieder oder einfach Eigenkompositionen, die mir gerade für meinen Kevin in den Sinn kommen. Er lebt in seiner eigenen Welt, die mir Gott manchmal näher scheint als die meine. Ich scheine als Lenker und Schieber des Buggys durch eine Tür gehen zu können, der unbewussten Umklammerung des Alltags zu entkommen. Meine Gedanken werden leichter und freier, mir scheint, ich könne die Welt aus anderen Augen sehen. Manchmal sind es nur Minuten, bevor ich neue kreative Ideen bekomme, oder eine Reise der Selbstreflexion beginne.

Womit beschäftige ich mich eigentlich in letzter Zeit, und was bringt mich näher zu Gott? Matthäus 7,22-23 kommt mir immer wieder in den Sinn: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!“ Eine Hammerbotschaft für alle fleißigen Christen, die viel für Gott und die Welt unterwegs sind und einiges bewegen – für Menschen wie mich. Meine Aktivitäten werden am Ende womöglich weniger bedeutsam sein. Die Tränen laufen mal wieder. Hier und jetzt, wo ich mit und für Kevin unterwegs bin, scheine ich näher an dem zu sein, worum es geht: Gott persönlich zu begegnen, ihn kennenzulernen. (Jeremia 9,22-23)

Der, den ich da transportiere, ist ein Geschenk Gottes an uns, das uns immer wieder in seine Gegenwart führt. Die Tränen laufen mal wieder. Hier und jetzt, wo ich mit und für Kevin unterwegs bin, scheine ich an dem zu sein, worum es geht. Bei diesen Spaziergängen tanke ich den Edelkraftstoff Gottes.

Christof Matthias ist freiberuflicher Supervisor und Regionalleiter von Team.F, Vater von drei leiblichen Söhnen, einem mehrfach behinderten Pflegesohn, zwei Schwiegertöchtern und Opa von zwei Enkeltöchtern.

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