Stefan und Sabine Loß in Heidelberg drei Tage vor der Transplantation. Foto: Privat

TV-Autor: Als seine Organe zu versagen drohen, spendet seine Frau ihm eine Niere

Die Nierenwerte von Stefan Loß sehen zusehends schlechter aus. Dann beschließt seine Frau, ihm das Organ zu spenden – lebend.

Der Journalist Stefan Loß hat ein Faible für besondere Lebensgeschichten. Als TV-Autor hat er zahlreiche Menschen porträtiert, die davon berichten, wie ihnen der Glaube bei der Bewältigung ihrer Lebenskrisen geholfen hat. 2008 traf es ihn selbst. Die Diagnose „Zystennieren“ bedeutete, dass seine Nieren früher oder später versagen würden. Acht Monate lang war er schließlich an der Dialyse. Heute kann er wieder ohne künstliche Blutwäsche leben, weil ihm seine Frau Sabine eine ihrer Nieren gespendet hat. Hier erzählt er seine Geschichte.

45 Prozent Nierenfunktion

Im Sommer 2013, also fünf Jahre nach der ersten Diagnose, hatte ich nur noch fünfundvierzig Prozent Nierenfunktion. Ende 2014/Anfang 2015 spitzte sich das Ganze zu. Ich merkte deutlich, wie meine Kräfte nachließen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste anfangen, mich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen. An der Dialyse führte kein Weg vorbei. Und Dialyse bedeutete, dass ich für den Rest des Lebens von Maschinen abhängig sein würde, die mein Blut dreimal in der Woche reinigen. Ich war gerade mal Anfang fünfzig und fühlte mich nicht wirklich alt. So hart damit konfrontiert zu werden, dass meinem Leben in sehr naher Zukunft enge Grenzen gesetzt sein würden, machte mir zu schaffen.

Lebendspende?

Via Internet hatte ich einen Kontakt zu einem Mann bekommen, der ebenfalls Zystennieren hatte. Seine Frau hatte ihm eine Niere gespendet. Davon hatte ich noch nie gehört. Ich wusste, dass es so etwas wie eine Lebendspende gab. Aber nach meinem Kenntnisstand war das nur zwischen blutsverwandten Familienmitgliedern möglich. Meine Eltern waren zu alt und ich hatte keine Geschwister, deshalb hatte ich nie weiter über dieses Thema nachgedacht.

„Kann das Gejammer nicht mehr hören“

Plötzlich stand die Frage im Raum: Könnte meine Frau mir eine ihrer Nieren spenden? Zum Glück konnten Sabine und ich relativ entspannt miteinander über das Thema Lebendspende reden. Uns war klar, dass eine solche Spende nur dann möglich wäre, wenn wir beide ohne Wenn und Aber ein Ja dazu hätten. Eine Lebendspende unter Vorbehalt oder mit dem Gedanken: „Dann bin ich lebenslang abhängig vom anderen“ oder „Dann ist er mir aber was schuldig“ hatte für uns keinen Sinn. Natürlich war das für Sabine keine einfache Entscheidung.

Sabine ist es immer wieder wunderbar gelungen, der Thematik das Dramatische zu nehmen. Denn es kam immer mal wieder vor, dass Freunde und Bekannte unseren Plan einer Lebendspende arg romantisierten. Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo Sabine geantwortet hat: „Ich spende ihm eine Niere, weil ich das Gejammer nicht mehr hören kann.“

Monate der Untersuchung

Nachdem von den Transplantationsmedizinern das Okay kam, entschieden wir uns gemeinsam, den Weg der Lebendspende zu gehen. Für uns beide bedeutete das in den Wochen und Monaten davor auch, dass wir uns als Vorbereitung von den verschiedensten Fachärzten gründlich untersuchen lassen mussten. Für den Ablauf einer Lebendspende gibt es ein festes Verfahren, in das Ärzte, Psychologen und Juristen mit eingebunden sind. Das hat wesentlich länger gedauert, als wir dachten.

Warten, hoffen, beten

Der 24. Februar 2017 wurde als Transplantationstermin festgelegt. Für mich begann jetzt der medizinische Endspurt. Die Immunadsorption war erfolgreich abgeschlossen, es waren dauerhaft keine Antikörper mehr in meinem Blut nachweisbar. Zwei Tage vor dem geplanten OP-Termin bekam ich die Nachricht, dass die Transplantation aus organisatorischen Gründen verlegt werden musste. Für Sabine und mich hieß das: weiter warten, hoffen und beten.

Der vertraute Bibelvers begleitete mich in diesen Tagen: „Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Das passte sehr gut in meine aktuelle Situation, denn Grund, mir Sorgen zu machen, hatte ich genug. Obwohl jetzt alle Zeichen auf Grün standen im Hinblick auf die Transplantation, war da nach den Erfahrungen der letzten Monate immer noch die Angst, ob das alles wirklich so klappen würde.

Ein letztes Foto

Mit Sabine habe ich manche Nachmittage bei langen Spaziergängen am Neckar verbracht, oft bei strahlendem Sonnenschein. An der Neckarwiese haben wir ein gemeinsames Foto gemacht mit dem Schloss im Hintergrund. Eine Erinnerung an diese besondere Zeit vor der Transplantation. Dann musste ich wieder an die Dialyse. Wenn diesmal alles wie geplant klappen würde, wäre das das vorletzte Mal. Montag sollte es dann für uns beide in die Chirurgie gehen, und für Dienstag, den 28. Februar, war die OP vorgesehen.

Warten auf die OP

Wie geplant wurde ich am Montagmorgen zur Vorbereitung der Transplantation in die chirurgische Klinik verlegt. Am Dienstagmorgen begann nach einer unruhigen Nacht das Warten. Geplant war der Eingriff bei Sabine eigentlich schon für sieben Uhr und ich sollte gleich anschließend an der Reihe sein. Kommunizieren konnten wir nur via WhatsApp, weil Sabine mich auf der Station nicht besuchen durfte. Am Morgen haben wir uns noch kurz gegenseitig Mut gemacht. Dann kamen keine Antworten mehr. Erst später erfuhr ich, dass sie gegen Mittag in den OP gebracht wurde zur Entnahme der Niere. Der Eingriff verlief wie geplant, es gab – Gott sei Dank! – keine Komplikationen.

Mutmachende Worte

Ich wartete weiter. Es wurde Nachmittag. Mein Bettnachbar, von dem ich nur durch einen Vorhang getrennt war, bekam Besuch von seiner Frau. Ihm ging es nach der zweiten Lebertransplantation gar nicht gut. Er kam einfach nicht mehr auf die Beine, und es schien, als hätte er die Hoffnung verloren. Seine Frau las ihm einen Brief laut vor, den Freunde geschickt hatten. Zu meiner Überraschung kam Psalm 121 darin vor. Atemlos hörte ich zu: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn …“
In dem Moment konnte ich diese Worte für mich nehmen. Ich lag in meinem Bett und war tief berührt. Diesen Text gerade jetzt zu hören, „zufällig“ zitiert aus einem Brief von Freunden eines unbekannten Patienten. Gott hatte mir so seinen Segen mitgegeben. Ich spürte förmlich seine Hand auf meiner Schulter. Und dann hörte ich eine Stimme: „Herr Loß, jetzt sind Sie an der Reihe.“ Es war der Pfleger, der mich in den OP bringen sollte. Was für ein Timing, was für ein Gott!

Es wird ernst

Im Vorbeirollen bedankte ich mich freundlich bei der Frau meines Bettnachbarn für den Psalm. Ich wurde in den OP geschoben, den Blick nach oben. Im linken Augenwinkel sah ich dort einen kleinen fest verschlossenen grauen Plastikbehälter. Sabines Niere wartete schon eisgekühlt auf mich. Es folgten das routiniert freundliche Gespräch mit dem Anästhesisten und der Filmriss beim Zählen irgendwo zwischen 6 und 9. Es war tatsächlich ernst geworden.

Erster Tagebucheintrag

Am nächsten Morgen war ich schon wieder so fit, dass ich etwas in unseren Blog schreiben konnte. Das las sich dann so:

1. März, 7.52 Uhr: „7 Liter! … sind schon durchgelaufen. Die Niere ist schon auf dem OP-Tisch angesprungen. Ich werde mit NaCl (Kochsalzlösung) abgefüllt, damit ich nicht trockenfalle. Titer-Werte sind super. Besser hätte es nicht laufen können.
Stand heute schon wieder kurz auf eigenen Füßen, bin aber noch extrem schlapp. Halleluja! OP gelungen, Niere läuft. Sabine ist auch froh und glücklich, aber auch extrem erschöpft.
Hoffe sehr, dass wir uns bald sehen können. Wir sind extrem glücklich und dankbar!!!
Stefan“

Neubeginn an Aschermittwoch

Nach mehr als acht Monaten Wartezeit hatte es endlich geklappt. Der 1. März 2017 – in diesem Jahr war es der Aschermittwoch – wird für Sabine und mich immer ein besonderer Tag bleiben. Von wegen: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“ – wie die Narren singen! Aschermittwoch 2017 ist für mich der Tag, an dem etwas Neues, Großes, Wunderbares angefangen hat. Das Leben mit meiner neuen Niere.

Endlich ein Wiedersehen

Sabine hatte den Eingriff gut überstanden. Aber sie war noch sehr müde und brauchte noch ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Tag Zwei nach der OP konnte sie mich schon kurz besuchen kommen. Dick vermummt, mit grünem Kittel und Mundschutz, durften Besucher nur einzeln zu mir. Zu hoch war die Gefahr, dass ich mir irgendetwas einfing. Es war einfach wunderschön, sie wiederzusehen. Sie war noch ziemlich geschafft von der OP, und ihr Körper musste sich erst noch daran gewöhnen, dass nun eine Niere fehlte. Auf einen Schlag hatte sie immerhin fast die Hälfte ihrer Nierenfunktion verloren.

Ein Grund zum Feiern

Rund drei Wochen nach der OP reiste Sabine allein zur „Anschluss-Heilbehandlung“ nach Durbach bei Offenburg. Bis zur Visite am Vormittag hatte ich noch die vorsichtige Hoffnung, dass ich am nächsten Tag nachkommen könnte. Aber meine Leukozyten waren leider immer noch zu niedrig. Dafür wurden mir jetzt die letzten Schläuche gezogen. Nach fast drei Wochen konnte ich mich endlich wieder schlauchfrei bewegen. Auch das war ein Grund zum Feiern.

Die Taxifahrt ein Genuss

Eine Woche später bekam auch ich grünes Licht! Mit einem lauten „Halleluja“ reagierte ich auf diese gute Nachricht. Nach sechs Wochen durfte ich endlich die Klinik verlassen! Der gemeinsamen Reha mit meiner Frau stand endlich nichts mehr im Wege. Ich konnte es kaum erwarten, saß schon beim Frühstück auf gepackten Koffern. Visite, Arztbrief und dann ab ins nächste Taxi. Ich war so froh, in einem Auto durch die Gegend kutschiert zu werden. Nach so vielen Wochen in der Klinik war die Taxifahrt ein purer Genuss – jedenfalls für mich. Vor allem, weil ich bald Sabine wiedersehen sollte.

Geschafft!

Unterwegs hielt ich sie via WhatsApp auf dem Laufenden, und als wir auf den Parkplatz der Klinik einbogen, kam sie mir schon entgegen. Frisch wie das blühende Leben wartete sie vor dem Eingang auf mich. Ich konnte trotz meiner frischen Narbe kaum schnell genug aus dem Auto steigen. Wir fielen uns in die Arme und drückten uns so fest es bei unseren Operationsnarben ging. Erschöpft und froh lagen wir uns in den Armen. Endlich! Wir hatten es geschafft.

Die Zeit der Unsicherheit, des Wartens und Hoffens war vorbei. Jetzt konnte für uns beide ein neues Leben beginnen. Diese Begegnung auf dem Parkplatz vor der Rehaklinik in Durbach ist einer der glücklichsten Momente meines Lebens. Ich kann kaum ausdrücken, wie froh, dankbar und glücklich ich in diesem Moment war. Wir hatten es endlich überstanden!
Nach drei Wochen Reha, die ich wirklich genossen habe, bin ich dann, eine Woche später als Sabine, nach Hause entlassen worden.

Doppelt Ostern

Im Nachhinein wurde mir klar, was für einen besonderen Zeitpunkt wir für die Transplantation erwischt hatten: Am Aschermittwoch war ich mit einer neuen Niere in der Klinik aufgewacht und am Ostersonntag war ich glücklich wieder zu Hause angekommen. An diese doppelte Passionszeit werde ich mich mein Leben lang erinnern.

Während ich diese Zeilen schreibe, lebe ich schon seit drei Jahren mit einer Niere meiner Frau. Gott sei Dank hatte ich nach der Transplantation überhaupt keine Probleme mit der neuen Niere. Ich hatte weder mit Abstoßungsreaktionen noch mit Infektionen zu tun. Ich musste auch nie wieder an die Dialyse – die neue Niere funktionierte vom ersten Moment an perfekt. Sabine hat den Eingriff ebenfalls gut verkraftet. Unsere Nierenfunktion ist heute ungefähr gleich – bei jeweils sechzig Prozent. Also fast so gut wie bei einem gesunden Menschen.

Stefan Loß ist Redakteur, Autor, Coach und Moderator. Er arbeitet als Ausbildungsleiter und Moderator für ERF Medien. Der Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus seinem Buch „Auf Herz und Nieren – Als das Leben mit mir Achterbahn fuhr“, das im Brunnen Verlag erschienen ist.