Vater und Kind halten Mittagsruhe. Symbolbild: Getty Images / Halfpoint

Eine göttliche Ruhezeit

Bisher dachte Miriam Koller, dass der Sabbat nichts mit unserem Leben heute zu tun hat. Doch als sie sich näher damit beschäftigt, stellt sie fest, wie sehr ein Ruhetag in der Woche das Leben bereichert.

Manchmal habe ich das Gefüh, dass Gott mir etwas Bestimmtes sagen will. Wenn mir ein Thema – scheinbar wie durch Zufall – immer und immer wieder über den Weg läuft, ich mich jedes Mal direkt angesprochen fühle und spüre, hier „stupst“ Gott mich gerade an. Vor Kurzem ging es mir so mit dem Thema „Sabbat“. In drei unterschiedlichen Büchern, die ich zeitgleich las, kam wie aus dem Nichts plötzlich in allen diese biblische Tradition zur Sprache. Zunächst dachte ich, das Thema beträfe mich im Heute nicht mehr, schließlich haben wir in unserer westlichen Welt den Sonntag als Ruhetag und ich arbeite an diesem Tag auch nicht. Und doch ahnte ich: Sabbat ist mehr als unser Sonntag und Gott will mich auf die Spuren dessen führen. Ich verschlang die besagten Bücher. Eines davon war „Das Ende der Rastlosigkeit“ von John Mark Comer. Was ich da las, entfachte ein Feuer in mir. Das wollte ich ausprobieren; das erleben, was diese Menschen hier beschrieben. Die „Sehnsucht Sabbat“ war in mir geweckt, und ich forschte weiter.

Mehr als nur ein Gebot

In der Bibel machte ich folgende Entdeckungen: Für Jesus, der uns ein Vorbild sein will, war der Sabbat ein fester Bestandteil seines Lebensrhythmus. Man kann aber noch sehr viel weiter zurückgehen in der Bibel, um der Wichtigkeit dieses Tages auf den Grund zu kommen. Genau genommen bis an den Anfang der Welt. Gott schuf die Welt in sechs Tagen und am siebten Tag ruhte er. Und in den Zehn Geboten hielt er seine Geschöpfe dazu an, es ihm gleichzutun. Der Sabbat schien für Gott also etwas ganz Essenzielles zu sein. Und wenn ich ehrlich in mich hineinlauschte, merkte ich, dass meine Seele sich eigentlich auch danach sehnt: einen Tag pro Woche wirkliche Ruhe!

Dann wurden jedoch andere Stimmen in mir laut: Du hast eine kleine Tochter, die auch sonntags bespaßt und bekocht werden will. Du hast sonntags Dienste in der Gemeinde. Und nie und nimmer schaffst du es, alles pünktlich zum Samstagabend fertigzuhaben: deinen Haushalt picobello fertig, das Essen für einen Tag vorgekocht, alle Arbeiten deiner To-do-Liste erledigt. Wie bitte soll ein Tag völliger Ruhe praktisch aussehen?

Sabbat – ein Verb

Eine Schlüsselerkenntnis war für mich die wörtliche Übersetzung des jüdischen Wortes „sabbat“. Es ist ein Verb und bedeutet „aufhören/innehalten“. Für mich frei übersetzt: liegen lassen, ganz aktiv liegen lassen! Ich beschloss: Ich probiere es einfach mal aus. Ich lasse am Vorabend unseres Sabbats alles stehen und liegen, atme tief durch und nehme wahr, welche Freiheit mir diese Akzeptanz gibt. Die Akzeptanz der Staubschicht auf meinen Regalen, des noch nicht zusammengelegten Wäschebergs, der noch unbeantworteten E-Mails. Ich darf jetzt einfach 24 Stunden aus dem alltäglichen Hamsterrad der Aufgaben und Erledigungen aussteigen, innehalten, aufhören, durchatmen, ausruhen, meine Hände in den Schoß legen und einmal nicht produktiv sein. Und kann mich dadurch tatsächlich neu für Gottes Gegenwart öffnen.

Wie geht es dann aber weiter? Was genau mache ich dann? Studierende, Rentner, Ehepaare mit großen Kindern – sie alle würden sich damit leichttun. Meine Tochter dürfte jedoch von der Vorstellung eines ganzen Tages des Nichtstuns weniger zu überzeugen sein … Wie kann Sabbat praktisch gelebt werden in einer jungen Familie?

John Mark Comer schreibt: „Am Sabbat tun wir nichts als ausruhen und Gott anbeten. Wenn ich Sabbat halte, prüfe ich alles, was ich tun will, an diesem Doppelraster: Ist es Ruhe und Anbetung?“ Als ich unseren Ruhetag unter diesem Blickwinkel begutachtete, fielen mir einige Dinge ein, die ich selbst mit kleinem Kind machen konnte: bewusstes Zeitnehmen, um in der Kinderbibel zu lesen, gemeinsames Musikmachen und Gott mit Liedern loben, für ihn tanzen, malen, lachen, reden, kuscheln, spielen, ein entspanntes Treffen mit engen Freunden, ein Spaziergang im Wald, ein gemeinsames Familien-Mittagsschläfchen und immer wieder am Tag bewusst Gespräche mit Gott führen – die Gebete ruhig laut ausgesprochen und gemeinsam mit dem Kind. Ich kann meiner Tochter so viel von klein auf mitgeben – warum nicht auch diese wichtige Praxis: einen Ruhetag pro Woche zu begehen, der dem Herrn geweiht ist und an dem wir ihm Dank bringen für die Fülle, die er uns in unserem Leben schenkt.

Zeit für Gott und Genuss

Und wenn die Kleine im Bett liegt, beginnt für mich eine ganz besondere Zeit. Ich mache mir schönes Licht an, öffne vielleicht eine Flasche alkoholfreien Sekt und mache es mir bewusst gemütlich – mit Gott: Ich lese in der Bibel, spreche intensiv mit ihm, versinke im Lobpreis und genieße es, seine Gegenwart zu spüren. Im trubeligen Alltag geht eine solche bewusste „Zeit mit Gott“ oft unter – leider. Umso mehr genieße ich es, dass ich nun am Sabbat einen festen Abend pro Woche extra dafür reserviert habe. Es tut mir und meiner Beziehung zu Gott so gut.

Mir ist inzwischen unser Ruhetag so zum Gewinn geworden, dass ich ihn nun fest in meinen Terminkalender einplane. Mal kann ich uns den Samstag, mal den Sonntag blockieren, je nachdem, welche Termine und Verpflichtungen anstehen. Es gab auch schon Wochen, in denen kein Sabbat möglich war, weil bereits das ganze Wochenende verplant war. Nach einem solchen Wochenende habe ich am Montagmorgen aber einen erheblichen Unterschied gespürt: Ich kam vor Erschöpfung kaum aus dem Bett, war ungeduldig und unzufrieden mit mir selbst. Ich stellte fest, wie sehr ich einen Ruhetag pro Woche tatsächlich brauche. Ich nahm meinen Kalender zur Hand und habe für die ganzen restlichen Wochen des Jahres gleich meine „Sabbat“-Eintragung gesetzt, damit mir das nicht noch öfter passiert.

„Genuss“ ist auch noch ein wichtiger Bestandteil unseres Ruhetags: Den Sabbatabend beginnen wir ganz feierlich mit einem besonderen Essen bei Kerzenschein. Wir lesen einen Psalm zusammen, ich spreche meiner Tochter einen Segen zu, wir genießen Traubensaft und Challa-Brot – das traditionelle jüdische Zopfbrot, das daran erinnert, dass Gott in alle Wochentage eingeflochten ist – und danken für Gottes Versorgung. Hinterher gibt es einen besonderen Nachtisch, zum Frühstück am nächsten Morgen Obstsalat, den alle gemeinsam schnippeln. Zum Mittag gibt es ein Wunsch-Lieblingsessen, im Winter nachmittags Tee mit Lebkuchen, im Sommer mal ein Eis mit Schokostreuseln. Wir wollen uns bewusst etwas gönnen und nebenbei die strahlenden Kinderaugen genießen. Und so wird der siebte Tag der Woche zu einem richtigen kleinen „Feiertag“ – mitten im Alltag. Oder wie ein Urlaubstag. Was habe ich mich früher immer quälend von Urlaub zu Urlaub gehangelt … Nun erlebe ich es als einen Quell der Energie, das jetzt einmal pro Woche erleben zu dürfen, und empfinde solch eine Dankbarkeit meinem Schöpfer gegenüber, dass er das so perfekt für uns Menschen eingerichtet hat.

Ausklinken aus der Welt

Was bedeutet Sabbat für mich noch? Kein Kaufen und kein Verkaufen an diesem Tag – auch kein Onlineshopping, kein Essengehen, keinen Lieferservice anrufen. Gezielt nichts unterstützen, das andere Menschen dazu zwingt, an diesem Tag arbeiten zu müssen und keinen Ruhetag zu haben – egal, ob wir samstags oder sonntags unseren Sabbat halten.

Und dann noch das, was für mich die einschneidendste und gleichzeitig gewinnbringendste Übung wurde: Ich schalte mit Beginn des Sabbats mein Handy aus. Ja, so richtig. Für einen kompletten Tag. Auch alle anderen Multimedia-Geräte bleiben am Sabbat bei uns aus. Es ist immens, welchen Effekt das auf mich und uns hat. Erst dadurch fiel mir zum Beispiel auf, wie viel Zeit ich pro Tag mit meinem Handy verbringe (eigentlich: verschwende). Es fühlt sich an wie ein „Ausklinken“ aus dieser lauten Welt. Und auch wenn es anfangs schwer ist, das auszuhalten, diese neue Ruhe in unserer Wohnung und in meinem Kopf – sie ist so unglaublich wohltuend für mich.

Die schönste Erfahrung, die ich machen durfte, war, dass dieser eine Ruhetag pro Woche auch meine restlichen Wochentage verändert hat. Ich komme nicht mehr so sehr an meine Grenzen. Vermutlich lebe ich am Wochenbeginn noch aus der Kraft heraus, die ich am vergangenen Sabbat schöpfen durfte. Und für die letzten Tage der Woche gibt mir die Vorfreude auf den bevorstehenden Sabbat den nötigen Energieschub. Christina Schöffler hat in ihrem Buch „Slow living – Aus der Ruhe leben“ ein wunderschönes Gedicht veröffentlicht. Es beschreibt genau das, was ich Woche für Woche fühle, und was der Grund dafür ist, warum ich unser neues liebgewonnenes Ritual des Sabbats nicht mehr aus unserem Alltag streichen möchte:

Aus dem Nähkästchen
Das Leben reißt und zerrt,
sechs Tage die Woche,
dann hole ich am Sonntag meinen Flickkorb,
nehme einfach den Faden, der gerade obenauf liegt,
und lege ihn in Gottes Hände.
Und dann beobachte ich,
wie er die zerrissenen Teile
Stich für Stich wieder zusammenfügt.
Und während es draußen schon dunkel wird
und er die letzten Fäden abschneidet,
breitet sich sein Schalom in mir aus.
„So, das müsste halten, zumindest bis zum nächsten
Sonntag!“, sagt Gott lächelnd
und legt das Leben zurück in meine Hände.

Christina Schöffler, aus: „Slow living – Aus der Ruhe leben“ (Gerth Medien)

Miriam Koller lebt und arbeitet in Weinstadt in der Nähe von Stuttgart. Sie ist Buchhändlerin in einer christlichen Buchhandlung und Mutter einer Tochter im Kindergartenalter.