Eine Weile aufs Meer schauen
Ruhe – danach sehnen wir uns. Und suchen und genießen sie doch viel zu selten.
Ein Plädoyer für mehr Ruhe von Tomas Sjödin
Die Ruhe ist uralt. Sie führt uns zu etwas, das jenseits des Räumlichen und Sichtbaren ist, sie bringt uns in Kontakt mit dem Herzschlag, der seit Urzeiten im selben Rhythmus pocht und dessen Schlag nicht aufhören wird, wenn es uns nicht mehr gibt, weil wir „die ewige Ruhe“ erreicht haben, wie das Leben nach dem Tod bezeichnenderweise genannt wird. Arbeit und Ruhe, Arbeit und Ruhe, Arbeit und Ruhe. So monoton, so gewöhnlich und unspektakulär ist der Klang des guten Lebens.
Das Wort „Ruhe“ ist so kurz, so schlicht und so bescheiden, dass es im Geschnatter aller Nachrichten fast untergeht. Dabei ist es doch raumgreifend. Es öffnet etwas: einen Raum, einen Windschutz, ein Versteck für die Liebe. Es ist etwas so Außergewöhnliches wie ein Weg zurück ins verlorene Paradies und etwas so Handfestes wie ein Rettungsring. Die Ruhe kann ein Augenblick sein, an dem ich noch auf dem Steg am See bleibe, oder ein langer, mehrere Wochen dauernder Urlaub. Ein Nickerchen oder eine kleine Joggingrunde, ein paar Minuten, in denen ich am Schreibtisch die Augen schließe, dasitze und mir vorstelle, dass ich eine Weile aufs Meer schaue oder auf ein wogendes Weizenfeld. Die Ruhe ist etwas, das wir wählen – um der Liebe willen und weil unser Lebenslauf nur mit Pausen gelingt.
„LASS ES SEIN!“
Es gibt einige ganz alltägliche Beobachtungen zur Ruhe. Die erste ist: RUHEN HEISST LOSLASSEN. Vieles in diesem Leben ist unerreichbar, solange man es angestrengt erreichen will. Aber dann gelingt es plötzlich, mit beeindruckender Selbstverständlichkeit – wenn man loslässt. Jeder, der Kreuzworträtsel löst, kennt das Phänomen. Wenn man das Kreuzworträtsel zur Seite legt, weil es einfach nicht zu lösen ist, und es später am Tag noch einmal zur Hand nimmt, fallen einem die fehlenden Wörter oft ohne Anstrengung ein. Ich habe für mich entdeckt, dass die simpelste aller Regeln – „Lass es sein!“ – eine glänzende Strategie für viele Dinge in unserem Leben ist. In der Liebe eröffnet sie geradezu schwindelerregende Perspektiven: Wenn man den anderen loslässt, gewinnt man ihn. Immer und immer wieder. Lieben heißt zu fallen. Ruhe bedeutet, eine Zeit lang zuzulassen, dass man die Kontrolle verliert – und das Leben auf einen zukommt.
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