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„Fühle mich fast schizophren“ – Erfolgreiche Erzieherin scheitert oft als Mutter. Dann greift sie endlich durch

Als Anika Schunke Mama wird, muss sie feststellen: Ihre Erziehungstipps kann sie bei sich selbst nicht umsetzen. Doch dann macht es Klick.

Mehr als die Hälfte meines Lebens bin ich Erzieherin, oder, um dem Ganzen den Qualitätsstempel zu verleihen, den es verdient: pädagogische Fachkraft im Elementarbereich. Zehn Jahre lang war ich in derselben Einrichtung tätig, welche zum Großteil dazu beigetragen hat, dass ich heute beruflich so gefestigt bin. Ich stand mit beiden Beinen im Leben, war etwa sieben Jahre lang stellvertretende Leitung, war von Kolleginnen und Eltern geschätzt und machte mich sogar nebenberuflich selbstständig. Ich habe pädagogische Prinzipien, Überzeugungen und Wertvorstellung, die sich in dieser Zeit fest verankert haben. Mir war immer bewusst, dass es etwas anderes sein würde, Mutter zu sein, spielen hier ganz andere Faktoren eine Rolle. Doch was da kommen sollte, wäre mir im Traum nicht eingefallen.

Die erste Zeit mit Baby ist für alle frisch gebackenen Eltern emotional. Daher war es für mich erst mal nicht dramatisch, dass ich nicht so entspannt und ausgeglichen war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Da sich die Erziehung zu Beginn noch im Rahmen hielt, beruhigte ich mich mit Sätzen wie „Das wird schon noch“, „Ist halt am Anfang so“ etc. Doch mit den Monaten merkte ich, das ich Dinge tat und dachte, die ich als Erzieherin nie tun oder denken würde und von denen ich sogar schon vielfach abgeraten hatte. Und obwohl es mir bewusst war, war es mir nicht möglich, anders zu handeln oder zu denken. Ich fühlte mich schon fast schizophren.

Schock im Bällebad

Zu Beginn waren es Kleinigkeiten. Zum Beispiel saß ich mit meiner etwa fünf Monate alten Tochter in einem öffentlichen Bällebad. Mit jeder Minute, die ich drin saß, mit jedem Ball, den sie anfasste und ablutschte, schrie es lauter in mir. Eine Stimme in mir rief: „Gefahr! Gefahr! Es ist ein Bazillenbad, getarnt als Bällebad.“ Doch ich hielt tapfer durch und lies meine Tochter und ihr Immunsystem lernen und wachsen. Denn die Erzieherin in mir winkte entspannt ab nach dem Motto: „Das ist nicht so wild, im Gegenteil. Und du weißt es.“

Mittlerweile ist meine Tochter fast drei Jahre alt. Wir können uns wirklich nicht beschweren, sie ist ein tolles Kind. Wir haben selten Schwierigkeiten mit ihr und wenn wir es für anstrengend und stressig halten, ist es im Vergleich zu manch anderen Familien harmlos. Aber die Konflikte häufen sich. Sie probiert mehr aus, diskutiert, bekommt kleine Wut- und Trotzanfälle, was eben alles zum Großwerden dazu gehört. Und hierbei macht sich nun die Schizophrenie zwischen Erzieherin und Mutter deutlich bemerkbar.

Ich weiß genau, dass dieses Verhalten völlig normal ist, sogar sein muss, um eine gefestigte Persönlichkeit zu entwickeln. Ich weiß auch, dass es richtig ist, wenn wir konsequent sind. Und trotzdem sitze ich heulend da und frage mich, was hier los ist. Warum kann ich nicht mit meiner gewohnten Professionalität darauf reagieren? Warum stellt sich die emotionale Mutter in mir so sehr gegen die souveräne Erzieherin? Und das, obwohl sie weiß, dass es uns allen besser ginge, wenn sie mehr mitreden könnte.

Erzieherin und Mutter im Dauerstreit

Da gibt es beispielsweise die „Situation Schnuller“. Dieser ist Fluch und Segen. Als Säugling wollte meine Tochter den Schnuller nicht, was ich prinzipiell gut finde. Jedoch hätte sie sonst den ganzen Tag an der Brust gehangen, um sich zu beruhigen, und das wollte und konnte ich nicht zulassen. Also musste der Schnuller Abhilfe schaffen. Mittlerweile ist es so, dass sie ihn ziemlich oft im Mund hat. Und das stört mich. Denn sie ist jetzt fast drei Jahre alt und ich finde, der Schnuller ist nach wie vor zur Beruhigung gedacht, also zu Ausruh- und Schlafenszeiten.

Am meisten stört mich, wenn sie ihn draußen beim Spazierengehen oder beim Radfahren im Mund hat. Ich finde es schrecklich! Denn das Bild ist so kontrovers. Auch wenn die Erzieherin in mir täglich mehrere Elterngespräche mit der Mutter in mir führt, schaffe ich es einfach nicht, ihr den Schnuller nur für die oben genannten Zeiten zu erlauben. Es ist wie eine Blockade.

Streit ums Thema Essen

Genauso ist es mit der „Situation Essen“. Wir legen beide großen Wert darauf, dass sie um gute Tischmanieren weiß. In meinem Erzieheralltag habe ich vielen Kindern unter drei Jahren das selbstständige Essen mit Löffel und Gabel beigebracht. Meine Tochter benutzt immer noch oft die Finger, obwohl es mich stört und ich es anders möchte. Ich habe oft gepredigt, dass Konsequenz das A und O ist, und ich weiß es auch ganz genau. Doch auch hier scheint diese Funktion mit dem Mutterinstinkt nicht kompatibel zu sein. Nach fast einem Jahr Theater, Gemotze und Tränen am Tisch hat die Erzieherin in mir sich doch mal energisch der Mutter gegenüber gezeigt und eine Lösung gefunden.

Die sieht so aus: Wir haben uns dafür entschieden, ihr eine positive Konsequenz anzubieten, wenn sie ordentlich isst. Auf dem Tisch liegen vier Gummibärchen. Wenn wir schimpfen müssen, weil sie ihr Essen rumschmiert, mit der Gabel rumfuchtelt etc. nehmen wir, nach einer Vorwarnung, ein Gummibärchen weg. Das vierte Gummibärchen bekommt sie, wenn sie den Teller leer gegessen hat. Was ihr nicht schmeckt, muss sie allerdings nicht essen.

Die Erzieherin erwacht

So langsam scheint die Erzieherin in mir den Ernst der Lage erfasst zu haben und mischt sich öfter ein. Ich habe das Gefühl, die Mutter in mir ist sehr erleichtert, war sie doch so oft hilflos und verzweifelt, weil sie das nötige Wissen nicht abrufen konnte. Vielleicht hat die Erzieherin in mir einfach ein bisschen Urlaub genommen oder auf Teilzeit gewechselt und das ganze Wissen mitgenommen. Nun beginnen die beiden endlich, als Team zusammenzuarbeiten. Ich merke das daran, dass ich Fachwissen wieder abrufen kann. Ich kann schwierige Situationen und ihren Ursprung besser deuten und angemessen reagieren.

Zum Beispiel in der „Situation Selbstständigkeit“. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Tochter sich auch mal selbst beschäftigen kann. Bisher spielte das jedoch keine große Rolle, denn ich habe es als Mutter sehr genossen, viel Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Ich wollte sehen, was sie spielt. Somit war ich oft dabei, wenn sie in ihrem Zimmer gespielt hat. Dies hat aber zur Folge, dass sie es nicht gewohnt ist, sich alleine zu beschäftigen. Also stand wieder ein internes Elterngespräch an, in dem sich Erzieherin und Mutter schnell einig wurden, dass dies geübt werden muss. Die Erzieherin zaubert einige gute Ideen aus ihrem kompetenten, pädagogischen Hut und das Problem wird nun einfach angegangen. Im konkreten Fall heißt das beispielsweise: Während ich sauge, gebe ich ihr eine Aufgabe, welche sie in der Zeit erledigt. Das kann ein Puzzle sein oder etwas zum Nachbauen. So hat sie konkret ein Bild davon, was sie tun soll. Und falls das Saugen länger dauert als die Aufgabe, findet sie eher in ein selbstständiges Spiel.

Ich hoffe sehr, dass sich die nun beginnende, gute Zusammenarbeit nicht mit der Geburt des zweiten Kindes wieder auflöst. Zum Wohle aller.

Anika Schunke lebt in der Nähe von Karlsruhe und ist Erzieherin. Aktuell ist sie in Mutterschutz, arbeitete davor jedoch in einer Kita. Außerdem ist sie Autorin des Buchs „Kleine Räume, großer Spaß“. 

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