Ira Schneider (geb. Kaca) ist in Norddeutschland groß geworden, ihr Mann David auch. Trotzdem fragen sie sich manchmal: Sind wir eigentlich ein interkulturelles Paar?

Albanierin und Deutsche zugleich: So lebt Ira ihre interkulturelle Beziehung

Ira Schneider (geb. Kaca) ist in Norddeutschland groß geworden, ihr Mann David auch. Trotzdem fragen sie sich manchmal: Sind wir eigentlich ein interkulturelles Paar?

Sind wir nun ein interkulturelles Paar oder nicht? Wir können die Frage eigentlich gar nicht so schwarz oder weiß beantworten. In unserem Alltag spielt sie meist keine Rolle, aber dann sind da diese Momente, in denen wir einen anderen, ich nenne es mal: Kosmos beschreiten. Eine andere Welt mit völlig anderen Verhaltensweisen und Werten und vor allem Kommunikationsweisen, die uns manchmal staunen lassen, aber auch kurz in unserer Kosmos-Vorstellung erschüttern. Da wären Situationen wie diese:

Wir sind im Sommerurlaub in Albanien und sitzen in der Küche meiner Tante. Ein kleiner Mückenstich nervt und ich kratze kurz an meinem linken Arm. Es sind höchstens drei Sekunden, aber meiner Tante ist es nicht entgangen. Besorgt, panisch – ja, schon fast hysterisch, zumindest für mich, die ich in Norddeutschland geboren und sozialisiert bin – erwähnt meine Tante, dass ich dringend Zitronensaft auf die Stelle schmieren sollte. Dankend lehne ich ihr Angebot ab, da mich der Stich nicht stört und ich auch keine Lust verspüre, mich jetzt weiter damit zu beschäftigen.

Doch bevor ich mich versehe, hat meine Tante die Zitrone geteilt und meine beiden Arme komplett mit Zitrone eingerieben. Ich sitze da und frage mich irritiert, was da gerade passiert ist. Überall finde ich Fruchtfleisch an meinen Armen. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder doch etwas ärgerlich sein soll. Also entscheide ich mich für ein tiefes Schmunzeln. Humor war doch immer schon die beste Strategie mitten in meinen zwei Welten, mitten in meinem Dazwischen.

Übergriffig und liebevoll

Ich blicke zu meinem Mann, der offensichtlich verwirrt ist, aber in sich hineingrinst. Da sitzen wir nun in der Küche meiner Tante, in Albanien, in der Hauptstadt Tirana. Ich bin zwar in Deutschland geboren, aber meine Familie kommt aus einem Land, aus einer Kultur, die so anders ist als das, was unseren Alltag ausmacht. Diese zitronenfruchtfleischige Mückenstich-Milderungs-Aktion, die ich vielleicht als Grenzüberschreitung wahrnehme, scheint nun mal ein Zeichen tiefer Liebe und Fürsorge zu sein. Ich bin scheinbar nur nicht ganz empfänglich dafür.

Immer wieder erlebe ich meine Familie – ich nenne das Kind beim Namen – als übergriffig und fühle mich überwältigt. Dann frage ich mich, ob meine Abgrenzungsfähigkeiten mangelhaft sind, ich vielleicht übertreibe oder ob das, was ich als hysterisch empfinde, legitim ist und ich die Situation falsch einschätze. Fakt ist: Die albanische Mentalität gliedert sich in kollektivistischen Denkstrukturen. Es ist eine Kultur, die in klaren familiären Hierarchien und Rollen denkt. Ehre und Würde steht dem zu, der sich aufopferungsvoll für seine Familie einsetzt. Dabei dürfen die selbstlosen Taten mit ausladendem Pinselstrich dargestellt werden, denn es herrscht Konsens, dass dies keine Angeberei ist, sondern die gute Norm. Je nachdem, wie lange ich in so einem Sommerurlaub verweile, mutiere ich. Ich passe mich dieser Art des Umgangs an, obwohl sie anfangs Befremden bei mir auslöst, denn ich merke: Irgendwie mag ich es, irgendwie bin ich das auch.

Kein Streit, nur ein Telefonat

Ein immer wieder irritierendes und zugleich spannendes Erlebnis für meinen Mann: Telefonate zwischen mir und meinen Verwandten. Diese finden natürlich auf Albanisch statt. Mein Mann hat ein kleines stolzes Bilderwörterbuch und kann schon Sätze sagen wie: „Die Zeitung ist für Opa.“ Da hört’s dann aber auch auf. Ihm ist nicht nur die Sprache fremd, sondern auch die Lautstärke und das emotionale Engagement, mit der meine Verwandten und ich miteinander verhandeln. Da geht es mit viel Temperament zur Sache. Fast nach jedem Telefonat mit meiner albanischen Familie muss ich meinem Mann erst mal erklären, dass es sich nicht um einen Konflikt handelte, sondern ein Austausch über ganz banale Dinge stattfand.

Mir kommt eine weitere Situation in den Sinn. Neulich hat sich mein Schwiegervater einen neuen Schreibtisch gekauft. Es ist eins dieser fancy Teile, an denen man stehen kann und die sich hoch- und runterfahren lassen. Dafür hat er mir seinen wunderschönen großen Schreibtisch aus Holz geschenkt. Mein Mann hat diesen an einem Samstag abgeholt.

Gebrauchter Schreibtisch: Hip oder Schrott?

An jenem Samstag telefonierte ich mal wieder mit meiner Oma. Sie fragte, was wir am Wochenende so machen würden. Begeistert erzählte ich, dass ich den alten Tisch von meinem Schwiegervater erhalte. Meine Oma war geschockt, dass mein Schwiegervater mir seinen alten Tisch gibt, statt mir einen neuen zu schenken. Ich bin direkt in eine verteidigende Haltung gegangen und habe die liebevolle Geste meines Schwiegervaters betont, der für mich zu den großzügigsten Menschen gehört, die mir bisher begegnet sind.

Erst in der Reflexion danach konnte ich es nachvollziehen. Wenn ich mir die wenigen Mittel und die völlig anderen Lebenszustände meiner Großeltern anschaue, dann beginne ich die Empörung meiner Oma zu verstehen. Altes auf Flohmärkten kaufen – das ist in Albanien kein Hipster-Lifestyle, sondern wird einem niedrigeren gesellschaftlichen Status zugeordnet. Hinzu kommt, dass Geschenke und Großzügigkeit in der albanischen Kultur einen besonderen Stellenwert haben. Meine Oma denkt sich: Warum verschenkt man etwas Altes, wenn man etwas Neues und Gutes schenken könnte? So komme ich wieder an den Punkt, dass mein Kosmos ein völlig anderer ist als der meiner albanischen Familie.

Jede Familie hat ihren eigenen Kosmos

Aber solche Feststellungen machen sicher nicht nur Paare, deren Familien aus unterschiedlichen Ländern stammen. Ich bin davon überzeugt, dass jede Familie ein Stück weit ihren eigenen kleinen Kosmos lebt, den es zu bereisen und zu erforschen gilt. Wenn ich mir diese Situationen zwischen Zitronen, Telefonaten und alten Möbeln anschaue, dann stelle ich fest, dass sich verschiedene Themen herauskristallisieren: Grenzen, Kommunikation oder auch der Umgang mit Materiellem und Geld.

Sind wir nun interkulturell? Wir kommen ins Gespräch miteinander über diese Themen und stellen fest: Wir sind auf einer Welle. Wir finden Einigung und spüren Verbindung. Wir spüren eine gemeinsame neue Familienmentalität und -identität. Unser Alltag ist nicht davon bestimmt, dass meine Familie woanders herkommt. Wenn es darum geht, wie wir uns organisieren, wie wir miteinander lachen und streiten, wie wir einander unsere Herzen ausschütten, dann spielen die zwei Kulturen fast keine Rolle.

Albanisch – und doch deutsch

Ich spreche Deutsch besser als Albanisch. Manches albanische Wort fehlt mir aber im Deutschen, weil es keine direkte Übersetzung gibt. Zum Beispiel das Wort ,,ta gzofsh“, was so viel heißt wie: „Mögest du es feiern.“ Das sagt man zum Beispiel, wenn der andere ein Geschenk bekommt oder gerade eine gute Note geschrieben hat und man daneben steht und die Anteilnahme und Freude darüber ausdrücken möchte. Definitiv ein Wort, das ich gerne öfter sagen würde.

Ich stelle fest, dass ich doch oft sehr – wie soll ich es sagen – deutsch ticke. Und noch während ich es ausspreche und schreibe, widerstrebt es mir. Denn wenn es darum geht, andere Menschen herzlich zu umarmen, mit dem Herzen auf der Zunge ungestüm Wertschätzung auszusprechen oder Gastfreundschaft zu leben, meldet sich doch wieder die Albanerin in mir. Dann weiß ich genau, woher ich diese Gewohnheiten und Schätze habe. Das Schöne ist, dass ich sie in unsere Familie hineintragen darf.

Ira Schneider ist Lehrerin mit den Fächern Darstellendes Spiel und Englisch. Außerdem ist sie Paarberaterin (Euer-Paarcoaching@web.de). In ihrer Freizeit ist sie gerne kreativ und hat einen kleinen Shop und Blog auf Instagram unter: ira. schneider_

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