Klapp die Flügel ein!

Elisabeth Vollmer über ein neues Motto in ihrer Großfamilie

Eine unserer etwas speziellen Großfamilientraditionen ist das Waldspeck-Grillen am Fastnachtssamstag. Während andere sich die Füße beim Fastnachtsumzug platt stehen, sitzt meine Großfamilie im Wald um ein Feuer, wo der Speck auf dem Rost brutzelt, während zeitgleich das Stockbrot frisch gebacken wird. Ein Bach an der Grillstelle und der Wald drum herum sind Abenteuerspielplatz für die Kinder, während die Erwachsenen sich nur selten von der Feuerstelle entfernen.

So auch im letzten Jahr: Nachdem die Bäuche der Erwachsenen gut gefüllt sind, kommen irgendwann die Kinder wieder aus dem Wald. Es hat die Tage zuvor geregnet und entsprechend ist der Anblick. Im unteren Hosenbereich der drei jüngsten Jungs sieht es außerdem verdächtig nach Spuren einer (verbotenen) Bachbetretung aus. Während wir uns warm eingepackt ums Feuer scharen, stehen die Jungs im dünnen Pulli vor uns. Bei der zuständigen Mutter Marianne schrillen die Alarmglocken. Sie ermahnt die Jungs, sich etwas Warmes anzuziehen. Denen ist es jedoch überhaupt nicht kalt, und die Beine, so betonen sie mit Inbrunst, sind nicht nass und völlig warm. Während meine Schwester zur Gegenargumentation ausholt, meint mein Bruder Klemens flapsig: „Jetzt klapp mal deine Flügel ein! Du gackerst wie eine aufgeregte Henne, die ihre Küken unter die Flügel holt. Die Jungs sind groß, sie sind die ganze Zeit gerannt, ihnen ist warm. Lass sie einfach in Ruhe essen und entspann dich.“ Marianne klappt die Kinnlade runter und die Flügel ein. Ich grinse amüsiert. Die Jungs vertilgen ihren Grillspeck und sind bald wieder unterwegs im Wald – im dünnen Pulli, versteht sich …

Inzwischen sind auch die Mädels zurückgekommen und setzen sich ans Feuer. Da ich trotz Fleecejacke unter der Winterjacke fröstele, fordere ich meine Tochter Tabea auf, sich ihre Jacke anzuziehen. „Mir ist aber überhaupt nicht kalt“, protestiert sie. Während ich zur Gegenargumentation aushole, greift Marianne nach ihren Händen: „warm“, fühlt ihren Nacken: „warm“ und meint in meine Richtung grinsend: „Klapp die Flügel ein. Sie ist groß, die ganze Zeit gerannt und ihr ist warm.“ „Ich bringe sie dir dann, wenn sie erkältet ist“, grummle ich noch vor mich hin und klappe die Flügel ein …

Als der Aufbruch naht, verstauen wir die Übernachtungsutensilien von Cousine Laura im Kofferraum. Ich bespreche mit ihrem Vater Klemens die Rückkehr mit dem Zug. „Hast du dein Handy dabei?“, fragt er seine Tochter. Hat sie nicht. Während er ansetzt zu erklären, wie wichtig es ist, dass sie anrufen kann, falls was passiert, sage ich: „Klapp die Flügel ein! Sie ist groß. Ich setze sie in den Zug, du holst sie ab. Da passiert nichts.“ Wir grinsen uns an und beschließen, dass „Klapp die Flügel ein!“ ein ziemlich guter Spruch ist, den wir uns immer wieder mal gegenseitig sagen sollten.

Einen Tag später höre ich eine Predigt über das „Sorgt euch nicht!“ (Matthäus 6, 24-34), zu dem Jesus uns ermutigt. Der Pfarrer erwähnt eine Studie, die besagt, dass 95 Prozent unserer Sorgen unnötig sind, weil sie niemals eintreffen werden. Vielleicht sollten wir uns alle immer wieder sagen: „Klapp die Flügel ein!“. Wissend, dass wir und unsere Küken dabei immer unter Gottes Flügeln geborgen sind.

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

3 Kommentare
  1. Anja Teubert sagte:

    Super Artikel!!! Wir sind als Grossfamilie leider alleine, haben 6 eigene Kinder zwischen 1 und 13 Jahren, die Onkel und Tanten sind sehr weit weg und eher auch nicht die Typen für solche tollen Aktionen wie winterliches Grillieren im Wald. Aber das ist eine tolle Idee, die man ja auch selber starten kann. Danke für den guten Artikel!!!

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  2. Anja Teubert sagte:

    Noch eine Frage: Ist es möglich den Bericht oben als Worddokument oder so zu bekommen, um es sich selber auszudrucken zum Aufbewahren? Oder wird er in einer der nächsten Familie erscheinen? Ich würde ihn gerne aufbewahren, weiss aber nicht wie ich ihn ausdrucken kann ohne das ganze Drumherum, das nicht dazu gehört.

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