Mit dem Wohnzimmer-Trick stärkt Mutter Stefanie den Kontakt zu ihren Teens
Familie Diekmann will für ihre Teenager da sein und trotzdem Freiraum lassen. Ihnen gehört jetzt ein eigener Raum.
Es war in irgendeinem Vortrag. Ein Satz ist mir tief ins Herz gerutscht: „Unser Verhalten als Eltern lässt den Heranwachsenden oft nur eine Wahl: fliehen. Das Haus verlassen. Ganz weit weg!“ Weil wir keine wilde Musik, hysterisches Gekicher oder unendliche Duschorgien ertragen.
Eigenes Wohnzimmer statt dunkler Park
Wir beschließen als Eltern, uns den neuen Bedürfnissen zu stellen und den Teenagern einen sicheren Ort zu ermöglichen. Sie brauchen einen Platz ohne Elternblicke, kritische Kommentare und Fragen – aber nicht im dunklen Park oder in fremden Partykellern. Einen Platz, wo es einen Kühlschrank gibt, eine Möglichkeit zum Filmegucken und einen Haufen Matratzen und Schlafsäcke für Übernachtungspartys. Und so wird aus einem Arbeitszimmer unter dem Dach ein zweites Wohnzimmer.
Erst bin ich skeptisch, ob ich schlafen kann, wenn die sechs gackernden Mädels sich nachts Spiegeleier braten oder ein Konsolen-Tanzspiel spielen. Ich schlafe tatsächlich wenig, aber genieße das späte Frühstück am Mittag mit den jungen Damen. So bekommen wir viel mit, ohne zu bohren. Je älter die Teens werden, umso öfter starten ihre Besuche mit Kochaktionen, zu denen wir eingeladen werden und beim Essen in gute Gespräche kommen. Einmal kommt nachts unsere Tochter zu uns und braucht Hilfe, weil der Liebeskummer der Freundin zu arg ist.
Weinflaschen im Rucksack
Das ist unser Gedanke bei dem eigenen Rückzugsort: Die Jugendlichen können sich erproben, wir sind aber greifbar und zeigen mit der investierten Nervenkraft unseren Rückhalt. Auch die ersten „Weinproben“ sind so in unserer Nähe, auch wenn unsere Teens denken, wir hören das Klirren der Flaschen im Rucksack nicht. Viel zu oft verlieren Eltern und Teens den Kontakt zueinander. Wir wollen den Kontakt halten und so Nähe in turbulenten Zeiten ermöglichen. Das zusätzliche Wohnzimmer kann das fördern.
Übrigens haben wir diesen Grundgedanken auch in unserem Gemeindehaus umgesetzt. Jeder Jugendliche, der wollte, bekam einen Schlüssel und war eingeladen, jederzeit (besonders nachts) dort Zeit zu verbringen. Das Vertrauen, dass die jungen Menschen sorgsam mit den Räumen sind, haben sie nie missbraucht. Nicht selten wurde dort abends gekocht oder gespielt. Bis sie auf das Matratzenlager in unserem Wohnzimmer Nr. 2 fielen und ich beruhigt „nicht-schlafen“ konnte.
Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Kindern.