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Soziologieprofessor sagt: Diese drei Dinge machen eine gesunde Beziehung aus

Laut Aaron Antonovsky braucht es drei Stellschrauben für eine gute Partnerschaft. Paarberaterin Ira Schneider sagt, wie sie sich in der Praxis umsetzen lassen.

Mitten im Alltag zwischen all den Aufgaben bleibt die Partnerschaft die klitzekleinste Zelle unserer Gesellschaft. Wenn diese kleine feine Zelle gesund bleibt und munter ist, dann ist das Resultat eine pure Freude. Paare in gesunden Partnerschaften schöpfen aus einer besonderen Kraftquelle. Ich finde es spannend, dass es beispielsweise nachgewiesen ist, dass sie seltener krank werden oder auch beruflich erfolgreicher sind. Doch wie kann eine solche nachhaltig blühende und gesunde Partnerschaft gestaltet werden? Wie gesund ist unsere Beziehung? An welchen Stellschrauben können wir drehen, wenn es nicht so gut läuft?

Antanovskys Theorie

Ich stelle mir die Fragen für meine eigene Partnerschaft, aber auch im Kontext unserer Paarberaterarbeit. Vor allem aber stelle ich sie mir immer wieder neu. Von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt sind andere Herangehensweisen passend. Vor einigen Jahren bin ich auf Aaron Antonovsky, einen Gesundheitssoziologen aus dem 20. Jahrhundert, gestoßen. Immer wieder entdecke ich, wie sich seine Definition von Gesundheit auf die unterschiedlichsten Paardynamiken übertragen lässt. Er behauptet, dass für die Gesundheit ein Dreiklang bestehend aus Bewältigbarkeit, Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit notwendig sei.

Wie können wir unseren Alltag bewältigen? Wie können wir einander verstehen? Wie können wir tiefe Sinnhaftigkeit erleben? Für uns bedeutet das konkret: Wie können uns diese Parameter helfen, Bedürfnissen nach Spaß und Abenteuer, nach emotionaler Nähe und gegenseitiger Anteilnahme und gemeinsamer Ausrichtung zu begegnen? Hier geht es vor allem um die Prophylaxe, also darum, gesund zu bleiben. Seine Definition scheint mir sehr einleuchtend, da er Komponenten nennt, die wir unkompliziert innerhalb unserer Partnerschaften einbauen können und die uns zugleich einen bunten Gestaltungsspielraum eröffnen.

1. Alltag muss schaffbar bleiben

Den Alltag zu regeln – das bestimmt bei den allermeisten Paaren sowieso die Kommunikation: Wie lange dauert deine Sitzung? Wann holst du die Kleine ab? Brauchen wir noch Bananen? Es gibt tausend Dinge zu klären. Sind wir in der Lage, unseren Alltag zu bewältigen? Die Frage mag banal klingen, denn wenn es klappt, dann denken wir gar nicht groß darüber nach. Wenn es allerdings nicht gelingt, die täglichen Anforderungen des Lebens gemeinsam zu meistern, dann ist das eine stetige Quelle der Unzufriedenheit und ruft zahlreiche Konflikte hervor: Ich hatte dich doch gebeten … Warum kannst du nicht einmal …? Siehst du denn nicht, dass ich fürchterlich im Stress bin?

Die Partnerschaft kann schweren Schaden nehmen, wenn Lasten ungleich verteilt sind, man den Eindruck hat, sich nicht aufeinander verlassen zu können oder einer von beiden sich dauerhaft überfordert fühlt. Deshalb ist es so wichtig, hier miteinander im Gespräch zu bleiben: Beim anderen nachfragen, sich gegenseitig unterstützen, einander überraschen mit kleinen Gesten der Zuwendung, einander trösten, sich austauschen und etwas von den alltäglichen Erlebnissen preisgeben. Statt sich von dem tückischen Alltag überwältigen zu lassen, können wir ihn durch unsere tiefe Verbindung und unser Füreinander-da-Sein zusammen bewältigen. So viele Herausforderungen zerren an uns. Auf der Arbeit, in der Ausbildung, in der Kindererziehung oder auch in der Familie.

In der Praxis: Eheabend

Bei uns sieht das ganz praktisch so aus, dass wir einander von unseren täglichen Erlebnissen berichten und gemeinsam unsere Verpflichtungen wie Haushalt, Termine, Einkauf besprechen. Zu Beginn unserer Beziehung fand vor allem die Anteilnahme über das täglich Erlebte völlig automatisch statt, da wir uns extra verabredeten, um einander zu sehen und uns auszutauschen. Doch als wir zusammenzogen, merkten wir schnell: Jeder braucht erst mal Zeit für sich und das ist gut und okay. Dann müssen wir uns nun gemeinsam in der Wohnung verabreden. Wir wollen up to date in den Prozessen und Erlebnissen des anderen sein. Dabei helfen uns folgende tägliche Fragen, gemeinsam den Alltag zu bewältigen: Wie war dein Tag? Wie geht es dir? Welche Absprachen stehen noch an?

Um im Alltag sowohl mit den Absprachen zufrieden zu sein als auch emotional verbunden zu sein, haben wir seit einigen Jahren einen festen Eheabend und einen festen Abend für Terminabsprachen. Genau an diesen Stellen ist Raum, die genannten Bedürfnisse zu äußern, wie zum Beispiel Spaß und Abenteuer bewusst einzubauen, in den Kalender zu schauen und zu überlegen: Wo und wann könnten wir einen Ausflug machen?

2. Wir müssen einander verstehen

In all unseren Bemühungen, den Alltag gemeinsam zu meistern, werden wir an Grenzen stoßen. Eine Grenze ist unsere Unterschiedlichkeit. Wir verstehen oft nicht, warum unser Partner Dinge auf diese Weise tut oder auch nicht tut. Statt dem anderen unfaire Motive zu unterstellen oder schnell mit mehr oder minder gutem Rat beizustehen, ist es hilfreich, nach dem Wozu und nach dem Warum zu fragen. Warum handelt sie so? Kennt er oder sie diese Gewohnheiten woandersher? Helfen ihm oder ihr diese Handlungen in anderen Momenten weiter? Die Handlung als Strategie zu erfassen, ist der Schlüssel. Was braucht er eigentlich? Was für ein Bedürfnis steckt hinter der Handlung? Nachfragen lohnt sich, denn häufig steckt mehr dahinter, als wir denken. Unsere Erinnerungen und Erfahrungen prägen und begleiten uns und finden Ausdruck in unserem Alltag.

In der Praxis: Das Kuchen-Beispiel

Hier ein kleines Beispiel: Mein Mann und ich geraten immer wieder aneinander, wenn es ums Essen geht. Ihm ist wichtig, dass ein Stück Kuchen mehr oder weniger genau geteilt wird. Es geht für ihn um Gerechtigkeit. Zu Hause wurde unter den Geschwistern immer fair geteilt. Ich hingegen öffne den Kühlschrank und bediene mich an dem, was da ist. Es würde mich nicht stören, wenn er das auch tun würde. Dann kauft man halt einen neuen Kuchen.

Kein großes Ding, aber durchaus spannend, wenn man mal genauer draufschaut. Es bedurfte einiger Gespräche, um zum Kern des Problems durchzudringen. Meine Rücksichtslosigkeit fand mein Mann oftmals ärgerlich. Dass ich ihm auch einfach das ganze Stück überlassen konnte, hat er wiederum als großzügig empfunden. Für mich galt lange die Einstellung: Was weg ist, ist weg. So kannte ich es von zu Hause. Inzwischen verstehen wir den anderen und können schmunzeln. Mein Bruder kam zur Welt, da war ich 16. Mein Mann hingegen ist mit zwei Schwestern großgeworden. Beide Erfahrungen des Aufwachsens gingen mit verschiedenen oder in meinem Fall vielmehr mit wenigen Regeln einher. In unseren Elternhäusern herrschten unterschiedliche Kulturen zum Umgang mit Essen und vor allem zum Teilen von Essen. Das musste ich erst lernen und lerne es immer noch.

3. Die Beziehung muss Sinn haben

Aber in einer Beziehung geht es nicht nur darum, den Alltag zu meistern und einander zu verstehen – mindestens genauso wichtig für unsere seelische Gesundheit ist es, dass wir unser Tun und Sein als sinnhaft erleben. Gemeinsam zu träumen, tiefe Wünsche auszusprechen und in die Zukunft zu schauen, verschafft ein Gefühl von Sinnhaftigkeit. Wir schauen etwas Größerem als unserem Alltag entgegen. Wir begreifen tiefer, weshalb wir die Dinge tun, die wir tun, und richten uns gemeinsam aus.

In der Praxis: Wochenende mit Realitätsabgleich

Da für uns die Sinnhaftigkeit einen besonders hohen Stellenwert hat, haben wir dafür ein kleines Ritual entwickelt. Wir nehmen uns regelmäßig eine Auszeit, fahren übers Wochenende weg und schauen auf unser Leben. Es ist eine Zeit, in der wir das, was wir täglich tun, mit unseren Zielen, Träumen und Wünschen abgleichen. Es ist beispielsweise ein Traum von uns, immer wieder Menschen mit Gottes Liebe zu erreichen, ihnen zu zeigen, dass Gott in jedem Mangel an ihrer Seite ist. In unserer Auszeit fragen wir uns, welche Rolle dieser Traum in unserem Alltag spielt. Wo sind wir da einzeln und als Paar unterwegs? Wer könnte unsere Unterstützung brauchen? Sich das bewusst zu machen, verändert wieder unsere Gestaltung des Alltags und räumt Zeit ein für das, was uns wichtig ist.

20 Minuten reichen

Ich bin überzeugt, dass die drei Parameter von Antonovsky eine Menge darüber aussagen, wie wir gemeinsam unterwegs sind. Die Bewältigbarkeit richtet dabei den Blick auf die tagtäglichen Erlebnisse. Die Verstehbarkeit versucht das Handeln und Sein des anderen anzunehmen, zu erforschen und auszuhalten, dass es anders ist als das eigene. Die Verstehbarkeit erinnert uns auch daran, dass wir einen langen Lebensabschnitt ohne unseren Partner durchlebt haben. Und die Sinnhaftigkeit träumt und malt ein Bild der Zukunft.

Was benötigt ihr gerade? Ist einfach ein intensiverer Austausch über das Alltagsgeschehen dran? Tut es euch vielleicht gut, euch über Vergangenes und Aspekte aus der Herkunftsfamilie auszutauschen? Oder wünscht ihr euch neue gemeinsame Träume und Visionen für die Zukunft? Denn zack, da ist er, der gute, liebe, nervige, mühsame, manchmal bunte und gemütliche, manchmal nicht vor To-dos enden wollende Alltag. Aber eine kleine Frage und 20 Minuten Zeit zum Durchatmen können schon genügen. Und plötzlich sind wir überrascht von den Antworten unseres Gegenübers und erleben wieder ein abenteuerliches kurzes Gespräch, emotionale Nähe oder merken, wie unser Zusammensein ein gemeinsames Ziel verfolgt.

Ira Schneider ist Lehrerin für Englisch und Theater und Paarberaterin (Euer-Paarcoaching@web.de). In ihrer Freizeit ist sie gerne kreativ und hat einen kleinen Onlineshop unter dem Label murmel.design. Unter „ira.schneider_“ ist sie auf Instagram zu finden.