Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Geld von den Kindern erbitten?

„Jahrelang habe ich als alleinerziehende Mutter finanziell zu kämpfen gehabt. In der Corona-Krise sind für mich wichtige Einnahmequellen weggebrochen, meinen Kindern geht es finanziell gut. Ist es legitim, sich von ihnen unterstützen zu lassen?“

Auf den ersten Blick steckt in diesem Gedanken eine gewisse Logik. Nachdem Sie viel investiert haben, liegt es nahe, dass nun die Kinder Ihrerseits die unterstützende Rolle einnehmen können. Gerade wenn es Ihren Kindern finanziell gut geht, ist es durchaus denkbar, dass sie Ihnen nun unter die Arme greifen und Sie entlasten. Auf den zweiten Blick lauert hinter diesem Gedanken aber auch eine Gefahr.

Unsere Kinder schulden uns nichts

Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist, wie stabil und offen Ihr Verhältnis ist und welche Erwartungshaltung Sie mitbringen. Wenn Sie mit Ihren Kindern grundsätzlich in einem guten Kontakt sind und Ihre Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden, spricht nichts dagegen, Ihre Kinder um eine finanzielle Unterstützung zu bitten. Wenn aber der Anspruch im Raum steht: „Nachdem ich mich jahrelang aufgeopfert habe, bist nun endlich du dran“, wird es kompliziert. Denn dieser Umkehrschluss unterliegt einem gewissen Denkfehler – nämlich, dass unsere Kinder uns etwas für unsere Arbeit als Eltern zurückgeben müssen.

Grundlegend tragen Eltern die Verantwortung, für ihre Kinder zu sorgen, bis diese selbst auf eigenen Füßen stehen. Das ist ein Job, der für alleinerziehende Eltern doppelt anspruchsvoll ist, den sie aber trotzdem erfüllen müssen. Eltern sind dafür verantwortlich, dass ihre Kinder alles bekommen, was sie zum Leben brauchen, sowohl finanziell als auch emotional. Für all dieses Engagement schulden uns unsere Kinder nichts. Sie müssen es nicht wiedergutmachen, dass wir sie ins Leben begleitet haben. Das ist ein wichtiger Aspekt, damit Kinder frei handeln und entscheiden können und nicht mit einer Erwartung belastet werden.

Freiwilligkeit ist wichtig

Auch wenn die Eltern-Kind-Beziehung ein Leben lang eine besondere bleibt, sollte es keine ungesunden Abhängigkeiten geben, sondern ein freundschaftliches Miteinander. Genauso wie wir unter Freunden auch nicht argumentieren würden, dass sie uns jetzt helfen müssen, weil wir irgendwann mal etwas für sie gemacht haben, sollten wir das bei unseren Kindern auch nicht tun. Wichtig ist, dass die Unterstützung auf Freiwilligkeit ausgelegt und nicht auf eine Wiedergutmachung gegründet ist.

Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, möchte ich Ihnen Mut machen, sich Ihren Kindern anzuvertrauen. Erzählen Sie von Ihren Nöten, erklären Sie Ihre Situation und suchen Sie gemeinsam nach einer Lösung. Klären Sie, ob es sich dabei um einen Kredit handeln könnte oder ob für Sie nur eine Schenkung möglich ist. Vielleicht gibt es ja Ihrerseits eine Idee, wie Sie die finanzielle Unterstützung auf eine andere Art ausgleichen können. Ich bin sicher, dass Sie von Ihren Kindern nicht hängen gelassen werden, wenn Sie ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen haben und ein solches Gespräch in aller Freiheit und auf Augenhöhe führen können.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und leitet gemeinsam mit ihrem Mann die TEAM.F Regionalarbeit im Rheinland. sonja-brocksieper.de