Silberkrönchen auf Föhnfrisur
Warum Christian Rommert und seine Frau nach Irland fliehen.
Sie hat es gesagt. Das böse Wort! Silberhochzeit! Ich habe den Gedanken daran verdrängt, vermieden, ignoriert. Bisher! „In einem Jahr ist es soweit!“, sagt die Frau, die ich liebe, „Wir sind 25 Jahre verheiratet.“ 25 Jahre! Echt jetzt?
EIN TRAUM VON EINEM FEST
Ich sehe mich bei der Feier unserer Silberhochzeit im Anzug am Kopf einer Festtafel sitzen. Neben mir meine Frau mit Silberkrönchen auf einer frischgeföhnten Frisur. Mein Bruder hat ein wenig Programm vorbereitet. Die Kinder tragen Flötenstücke vor. Es gibt ein Gedicht von den Jüngsten. Sie haben auch eine Präsentation zusammengestellt. Peinliche Bilder von einem viel zu jungen Bräutigam. Was macht diese bildschöne Frau nur mit solch einem Typen? Bilder vom Studium. Bilder von unserer Zeit in Hamburg, Elstal und Bochum. Die Geburten der Kinder. Ausflüge und Reisen. Die Präsentation ist sehr lang. In 25 Jahren ist ja auch viel passiert. Zwischen den Folien singen wir gemeinsam Lieder. Mein Bruder hat eine Vorliebe für Paul Gerhardt. Und Paul Gerhardt hat eine Vorliebe für sehr lange Lieder. Unser Pastor hält eine Andacht. Zu unserem Trauvers. Er stammt aus einem sehr langen Psalm. Ich sehe mich im zu engen Anzug am Kopf der Tafel sitzen. Neben mir sitzt die Frau, die ich liebe, mit Silberkrönchen. Wir sind hungrig und verschwitzt. Vor uns steht eine Torte. Auf ihr ein Silberpaar und eine 25.
Kreidebleich falle ich aus dem Tagtraum. „Das müssen wir irgendwie verhindern!“, stöhne ich. Die Frau, die ich liebe, schaut irritiert. „Was? Die Silberhochzeit?“, fragt sie und fügt an: „Willst du dich trennen, oder was?“ Ich denke: „Wenn das der einzige Weg ist, das Fest mit Torte, Silberkrönchen und Paul Gerhardt zu umgehen, dann: Ja!“ Ich sage: „Nein, Quatsch! Ich lieb‘ dich doch! Aber es muss einen Weg geben, kein peinliches und verkrampftes Fest daraus zu machen!“ „Keine Lust auf Paul Gerhardt?“, fragt sie verschmitzt. „Kein Familienalbum, keine Präsentation mit dem Best-of der letzten 25 Jahre!“, antworte ich bestimmt. „Und was ist mit einem Silberkrönchen?“, will sie wissen. „Kein Silberkrönchen!“, da bleibe ich kompromisslos. „Keine aufwendige Föhnfrisur“. Wie immer hat meine Frau eine gute Idee: „Wie wäre es, wenn wir uns einen lang gehegten Traum erfüllen?“ Sollen unsere Kinder die Vogelhochzeit für uns umdichten und aufführen, frage ich mich und sage: „Fideralala?“
WHISKEY MIT FLÖTENMUSIK
„Wie wäre es, wenn wir nach Irland fahren?“ Irland? Ich bin sofort Feuer und Flamme. Dort gibt es Whiskey. Und das Land ist einsam. Und wenn lange Lieder gesungen werden, dann sind die lustig. Und die Musik klingt schön – obwohl jemand Flöte spielt. Gibt es die Vogelhochzeit eigentlich auch auf Englisch? Ich glaube nicht! Sofort schreibe ich eine E-Mail. Ich habe Freunde mit irischen Vorfahren. Sie haben ein Haus an der Küste, das sie Bekannten zur Verfügung stellen. Das Haus ist so weit im Nirgendwo, da gibt es keine Anzüge und keine Silberkrönchen.
Noch am selben Tag erhalte ich die Antwort: das Haus ist frei und für einen Freundschaftspreis zu mieten. Ich buche direkt und es steht fest: Wir fliehen! Hiermit gebe ich offiziell bekannt: Anlässlich unserer Silberhochzeit hauen wir ab. Das wird wunderbar! Und wenn unser Pastor mitkommen will, dann kann er das. Unser Trauspruch lautet: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!“ Davon gibt es ja jede Menge in Irland. Vielleicht machen wir gemeinsam einfach ein paar praktische Übungen?
Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das Wort zum Sonntag in der ARD.
Foto: Wolfgang Wedel