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Deutsche Familie in Südafrika: Treffen waren im Lockdown nur im Geheimen möglich

Familie Nellessen gehört in Afrika zu den Privilegierten. Der Lockdown bedeutete für sie trotzdem einen Einschnitt. Mutter Britta erzählt von heimlichen Kaffeekränzchen – und der Armut vor der Haustüre.

Die afrikanische Sonne scheint mir ins Gesicht, während ich mit meiner Freundin Andi auf dem Parkplatz vor dem großen Shoppingcenter stehe. Heimlich natürlich, versteckt zwischen unseren beiden Autos, am Rand des großen Parkplatzes. Private Treffen sind in Südafrika immer noch verboten [Stand Mai, Anm. d. Red.], wir zählen Woche sieben des nationalen Lockdowns, der hier deutlich strenger ausfällt als etwa in Deutschland. Die ersten fünf Wochen durften wir noch nicht einmal unser Grundstück verlassen, außer zum gelegentlichen Einkaufen mit Maske. Keine Freunde treffen, nicht einmal zu zweit spazieren gehen, ach was … gar nicht spazieren gehen!

Alles spielt sich nur in und um die eigenen vier Wände ab. Immer mit den gleichen Menschen, der lieben Familie, den wohlerzogenen Kindern und dem perfekten Ehemann. Full House. Großes Haus, großer Garten, beheizter Pool, was will man mehr. Ach ja, und ein volles Portemonnaie natürlich, wenn die Vorräte ausgehen, kauft man halt was nach. Alles kein Problem. Für uns.

Nicht für die Isolation gemacht

So, und da bin ich also, auf dem Parkplatz mit meiner Freundin, schlürfe meinen Kaffee und drücke mich schön unauffällig gegen meine Fahrertür. Heute musste ich eigentlich gar nichts einkaufen. Bin aber trotzdem hier. Ich musste einfach mal raus zu Hause, raus aus den vier Wänden, mal jemanden live und in Farbe sehen, auch mal jemanden in den Arm nehmen. Habe ich gestern übrigens auch schon gemacht mit meiner Freundin Sue. Sue lässt einen Tag später dann, trotz Corona-Krise, ihre Hüfte operieren und ist innerlich unruhig. Meine Güte, der Mensch braucht das doch, dass ihn mal jemand in den Arm nimmt, mal die Tränen abwischt und man sich mal ohne Maske ins Gesicht schaut. Das zweite Mal flossen die Tränen, als wir zusammen gebetet haben, da auf dem Parkplatz zwischen den Autos, als wir gemeinsam diese OP in einer total verrückten Zeit Gott anbefohlen haben. Ich bin nicht für die Isolation gemacht, schluchzte Sabine bereits letzte Woche, am selben Ort.

Eine sechsköpfige Familie lächelt in die Kamera.

Familie Nellessen, Foto: Privat

Ich frage mich, ob die Parkplatzwächter mich unterdessen wiedererkennen. Sagen tun sie nichts … Ich gebe immer ordentlich Trinkgeld, vielleicht liegt es daran. Parkplatzwächter? Ja, die gibt es hier überall in Südafrika vor den Supermärkten. Sie bewachen nicht nur aus Sicherheitsgründen den Parkplatz, sondern helfen mir auch beim Einkaufswagenschieben, beim Einladen ins Auto und beim Ausparken, selbst wenn links und rechts alles frei ist. Sie sind ausgesprochen höflich, grüßen mich mit „Hello Mami“ und ernähren ihre Familie mit dem Trinkgeld, dass ich ihnen dann gebe.

Kein Homeschooling in Blechhütten

Seit dem Lockdown vor sieben Wochen ist das natürlich komplett weggefallen. Genauso wie für sämtliche Straßenverkäufer, die Obst, Telefonkabel oder Sonnenbrillen an der Ampel anbieten. Die Damen, die Maiskolben über einem Feuer in der Blechtonne rösten, die Jungs, die an der Ampel meine Windschutzscheibe putzen wollen oder mit einer großen Mülltüte bewaffnet die Hände aneinanderlegen und darum betteln, mir gegen Kleingeld meinen Müll aus dem Auto abnehmen zu dürfen – sie alle haben seit nunmehr sieben Wochen so gut wie nichts, kein Einkommen, nichts von der Hand in den Mund, nichts für ihre Kinder, nichts für sich selbst. In den Townships kontrolliert das Militär die Ausgangssperre und greift mit Härte und Gewalt durch, damit die große Masse versteht, dass es ernst ist. Menschen sterben an der Gewalt. Das Elend wächst. Kein Sozialstaat fängt hier auf. In den vollen Blechhütten findet auch kein Homeschooling statt – wie auch, wenn man keinen Internetzugang hat. Und wo das Essen knapp wird, da bleibt für Datenpakete kein Geld übrig …

Der Mensch lebt auch vom Brot

So langsam füllen sich Johannesburgs Straßen wieder, nicht, weil es große Lockerungen gegeben hätte, nein. Die Menschen können nicht mehr. Der Präsident hat zwar kleinere Hilfspakete versprochen – wir reden hier über umgerechnet 20 Euro pro Person pro Monat –, aber auf dem Weg zu meinem Shoppingcenter stehen die Menschen wieder an den Ampeln und am Straßenrand und betteln, knien nieder, führen ihre Hand zum Mund, als würden sie essen, falten ihre Hände und schauen flehentlich über ihre Maske. Mir bricht es das Herz, aber es sind einfach zu viele. Dem ein oder anderen reiche ich etwas aus dem Fenster, für die anderen hoffe ich, dass andere dasselbe tun.

„Ich bin nicht für die Isolation gemacht“, hat Sue gesagt. Wie wahr, wer ist das schon? Andi hatte vorgestern ihren ersten richtigen Durchhänger. Wir leben alle in der Ungewissheit, auch in der Uninformiertheit, in der Isolation, sehnen uns nach Kontakten, Gesprächen und Nähe. Der Mensch lebt eben nicht nur von Brot allein. Aber eben auch von Brot. Und das haben viele Menschen hier nun mal nicht.

Keine Supermutti

Ich fühle mich hin- und hergerissen, voller eigener innerer Gegensätze. Ich weiß genau, wie gut wir es als Familie haben, hier in der Sicherheit unserer bewachten Wohnanlage, mit dem gefüllten Kühlschrank und dem sicheren Arbeitsplatz meines Mannes. Im Angesicht der Lebenssituation anderer müsste mir eigentlich jede Klage im Halse stecken bleiben. Tut sie aber nicht. Manches kommt raus. Zu viel? Ich bin schließlich keine Supermutter, die jeden Tag aufs Neue voller Elan und Energie ihre vier Kinder beschult, das Haus putzt, weil sie so dankbar für ihr schönes Zuhause ist, und voller Überzeugung täglich stundenlang gesundes Essen kocht. Supermutti hat auch ihre persönlichen Durchhänger und Krisen, und Supermutti hat nur noch einen sehr dünnen Geduldsfaden … Und eine laute Stimme. Und Supermutti vermisst ihr Leben.

Durchhalten ist angesagt, Gegensätze aushalten. Und noch etwas zählt für mich: ausruhen bei Gott, um Kraft bitten bei Gott, um Weisheit bitten. Jeden Tag neu anfangen, dankbar sein für das Leben. Und das sonst so Selbstverständliche neu schätzen lernen. Und dankbar sein, dass ich eine Adresse „da oben“ habe, bei der ich und diese ganze verrückte Welt gut aufgehoben sind, inklusive aller Gegensätze.

Britta Nellessen, 44, lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern seit 2018 in Johannesburg, Südafrika. In ihrem deutschen Leben wäre sie Lehrerin an einem Bochumer Gymnasium. Für ihr südafrikanisches Leben hat sie ihre Elternzeit noch einmal verlängert, um das Abenteuer Familie zu meistern.

Den Sprung nach Afrika gewagt

Sandra Wening-Seckelmann und Carsten Seckelmann arbeiten als Ärzte im Mbesa Mission Hospital in Tansania.

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