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Loslassen, was uns nicht guttut!

Weniger ist mehr, meint Tamara von Abendroth. Und sie bezieht das nicht nur auf Dinge, die wir besitzen. Auch in unserem Inneren sollten wir mal wieder aufräumen.

Zu Hause sollte ein Ort sein, an dem wir zur Ruhe kommen können. Doch oft ist der Ort, an dem wir zu Hause sind, mit zu vielen Besitztümern gefüllt, sodass das Auge und die Seele sich nur schwer entspannen können. Räume, Kleiderschränke, Schubladen sind viel zu vollgestopft mit Dingen, die wir schon seit Monaten nicht mehr angefasst haben. Wir leben in einer Welt des Überflusses und der Reizüberflutung. Die Dinge, die in den Schubladen verstauben, entziehen uns Energie, weil sie unser Leben zu voll machen. Gerade wenn Unordnung herrscht oder wir nicht zum Saubermachen kommen, fühlen wir uns schnell von unserem Besitz belastet.

Im Kinderzimmer türmt sich das Spielzeug. Die Kisten im Badezimmer sind voll mit unbenutzten Produkten. Im Schuhschrank liegen drei paar Sandalen nebeneinander. Getragen haben wir sie schon seit Jahren nicht mehr. Das Leben könnte einfacher sein, wenn wir regelmäßig entrümpeln würden. Denn je weniger ich habe, desto weniger Entscheidungen muss ich treffen. Wenn ich nur zwischen wenigen Lieblingskleidungsstücken wählen darf, trinke ich meinen morgendlichen Kaffee mit viel mehr Gemütlichkeit. Je weniger Chaos das Auge im Alltag vorfindet, desto einfacher kann die Seele zur Ruhe kommen.

Alles Äußere überträgt sich nach Innen

Wir sollten Seele, Körper und Geist immer wieder aufräumen, um ein zufriedenes, in Balance stehendes Leben zu führen. Das Leben selbst bietet uns dafür viele Möglichkeiten. Besonders innere Krisen fordern uns regelmäßig dazu auf: Kümmere dich um dein Innenleben, sonst gehst du innerlich zu Grunde. Überprüfe immer wieder deine Werte, deine Prioritäten, deine Beziehungen, und bleibe in Bewegung und Veränderung. Gott gibt uns durch biblische Gleichnisse und Geschichten immer wieder den Auftrag, uns von Dingen zu trennen, die uns nicht guttun. Gott rät uns, dass wir für ein gesundes Innenleben Dinge loslassen sollten, in denen kein Leben ist, in denen keine Barmherzigkeit und keine Wahrhaftigkeit stecken. Es braucht Mut und Weisheit, zu erkennen, von welchen Gedankenmustern, Verhaltensweisen und ungesunden Strukturen wir uns trennen sollten.

Diese innere Inventur funktioniert viel besser, wenn auch der Ort, an dem ich lebe, aufgeräumt ist. Und noch besser, wenn dieser aufgeräumte Ort nicht so voll ist. Denn alles Innere überträgt sich nach außen. Und alles Äußere überträgt sich nach innen. Wenn wir entrümpeln und uns von überflüssigen Dingen befreien, fällt es uns leichter, eine innere Inventur durchzuführen. In aufgeräumten Räumen können wir fokussierter denken. Wir können viel Zeit sparen, wenn wir weniger Dinge suchen müssen. Weniger Dinge bedeutet mehr Zeit für meine Beziehungen und auch für mich.

Wenn du das Gefühl hast, dass der Ort, an dem du lebst, zu voll ist, dann ist Ausmisten ein guter Start für mehr Raum für die Seele. Und noch besser: Möglichst nur noch wenige ausgewählte Dinge anschaffen.

Das heißt besonders bei Kleidung zu überlegen: Brauche ich das dritte Paar Schuhe wirklich? Kann ich die Lebensmittel, die ich kaufe, wirklich alle aufessen? Braucht es noch dieses Duschgel? Sind die anderen wirklich schon aufgebraucht?

Und wo fange ich an? 

Es gibt ein paar hilfreiche Tipps, wie ich mein Leben entrümpele und dafür sorge, dass es auch nicht so schnell wieder vollgestopft wird.

  1. Es fällt uns nicht leicht, uns von Dingen zu trennen. Man könnte den Gegenstand ja irgendwann noch mal gebrauchen. Da hilft die Erinnerung: Wir benutzen 20 Prozent unserer Sachen 80 Prozent unserer Zeit. Was ist mit den anderen 80 Prozent? Wurden diese über ein Jahr nicht benutzt? Können die weg? In jedem Zimmer wird Schublade für Schublade mit diesem Blick aussortiert. Ein großer Karton steht dabei neben dir. Alles, was im Karton landet, wird verschenkt, verkauft oder kommt ins Recycling. Wir in Berlin legen die noch guten Gegenstände vor die Tür. Andere Menschen freuen sich noch daran.
  2. Wenn die wenige Zeit einen daran hindert, mit dem Aussortieren anzufangen, weil einem der Berg so riesig vorkommt, dann könnte man sich vornehmen, einen Monat lang fünf Dinge am Tag auszusortieren. Oder eine Schublade, ein Kleidungsfach pro Woche etc.
  3. Es hilft, Dinge nach Themen zu sortieren und in kleine und große Kisten einzuordnen und diese dann zu beschriften. Gerade im Kinderzimmer ist das eine großartige Möglichkeit, um Kinder beim Aufräumen zu unterstützen. Alle Kuscheltiere in einen Sack, alle Puppensachen in eine Kiste. Für Krimskrams gibt es nur eine Kiste. Wenn die voll ist, muss etwas weg, um neuen Dingen Platz zu schaffen.
  4. Was ist mit den Lieblingssachen, die seit vielen Jahren nicht mehr angefasst wurden, aber so warme Erinnerungen in einem hervorrufen? Jeder von uns in der Familie hat dafür eine „Erinnerungs-Kiste“, wo diese Dinge ihren Platz finden. Dadurch verteilen sich die alten Mixtapes, das erste Hard Rock Cafe-T-Shirt, die handgeschriebenen Briefe nicht überall in der Wohnung, sondern sammeln sich an einem Ort.
  5. Wir verschenken zum Geburtstag oft Aktionen und keine Gegenstände mehr. Auch die Freunde unserer Kinder, die oft schon alles haben, freuen sich riesig über die Kino-Gutscheine, über den gemeinsamen Badebesuch, über die Einladung in den Zoo. Gleiches gilt für unsere Freunde. Nichts geht über eine Einladung zu einem selbstgekochten Dinner. Ganz nach dem Motto: Collect moments, not things.

 

Tamara von Abendroth arbeitet in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Berlin.

Veronika hält nichts von Minimalismus-Star Marie Kondo – und bewahrt sogar einen Plastikbecher auf

Mutter Veronika Smoor ist ein Fan des Ausmistens. Mit zu starren Wegschmeißregeln kann sie allerdings nichts anfangen.

Ich halte rosa Pumps mit lächerlich schmalen und hohen Absätzen in der Hand. Sie sind hoffnungslos aus der Mode. Vor 15 Jahren trug ich sie an meinen Füßen während unserer standesamtlichen Trauung. Und seitdem habe ich sie nie mehr getragen. Alle Kratzer am Absatz stammen von dem Kopfsteinpflaster vor dem Bamberger Rathaus, als Freunde Luftballons in den Himmel steigen ließen und ich fünf Minuten zuvor zum ersten Mal in meinem Leben hinter meinen Vornamen den Nachnamen meines Geliebten setzte.

Wir sehnen uns nach dem Weniger

Die Pumps stehen in meinem Kleiderschrank neben drei weiteren Paar High Heels, die ich wohl lange nicht mehr anziehen werde angesichts einer Pandemie, die mir das Ausgehen verleidet hat. Fast wären die rosa Treter in der Altkleidersammlung gelandet, vor fünf Jahren, als ich „Magic Cleaning“ von Marie Kondo las – der gehypte Aufräumratgeber des neuen Jahrtausends. Der weltweite Bestseller hängte sich an den Minimalismus-Trend, der schon einige Jahre zuvor an Momentum gewonnen hatte: die Sehnsucht unserer westlichen übersättigten Gesellschaft nach weniger, mitten im Konsumkollaps. Nach lichtdurchfluteten Wohnungen, eingerichtet mit schnörkellosen Mid-Century-Stücken aus Pinienholz, skandinavischem Understatement und einer einsamen, keramik-ummantelten Topfpflanze in der Ecke. Nirgendwo Papierkram oder Werbekugelschreiber oder halbfertige Bastelarbeiten oder zerlesene Bücherstapel.

Marie Kondo ist mit Kindern kaum anwendbar

Ich erhoffte mir Erleuchtung seitens der Lektüre, so wie wir alle die ultimative Offenbarung beim Griff nach dem nächsten angesagten Selbsthilfe-Buch erwarten. Aber sie blieb aus. Irgendwo zwischen meinem 38. und 42. Lebensjahr war ich der Appelle, mein Leben zu ändern, müde geworden. Ich identifizierte mich mit den Grundaspekten des Minimalismus, aber Marie Kondos Aufräumgesetze in einem Alltag mit Kindern waren praktisch kaum anwendbar. Laut ihrer Methode mistet man über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Kategorien aus. Man nimmt jeden Gegenstand in die Hand und fragt sich: Bringt mir dieser Freude? Wenn die Antwort Nein lautet: weg damit. Jeder Gegenstand bekommt seinen festen Platz. Kleidungsstücke werden nach der KonMari-Methode gefaltet. Alles, „was man irgendwann nochmal brauchen könnte“, wird ebenfalls ausgemustert. Soweit der grobe Überblick. Wenn du dich an all diese Punkte hältst, musst du nie mehr ausmisten, so lautet das Versprechen des Buches. Bei dieser gewagten Aussage legte ich das Buch zur Seite, ärgerte mich drei Tage lang und verschenkte es dann an eine Freundin.

Das Leben ändert sich nunmal

Das Leben besitzt nun mal die lästige Eigenschaft, dass es sich ändert. Das, was wir vor fünf Jahren brauchten, steht heute nutzlos in der Ecke. Wie zum Beispiel der Windeleimer. Oder 93 Duplosteine. Oder Autokindersitze. Und das, was wir heute benötigen, werde ich ebenfalls in einigen Jahren wieder aussortieren: Schulrucksäcke, Turnbeutel, Wörterbücher und selbstgebaute Schleichpferde-Bauernhöfe. Die T-Shirts meines Mannes halten nicht ewig, genauso wenig wie meine BHs – ja, auch wenn wir qualitativ hochwertig einkaufen. Der Vorschlaghammer steht an 364 Tagen des Jahres ungenutzt im Keller, aber im Juni hole ich ihn raus, um Tomatenpflöcke in den Boden zu rammen. Es passierte mir, dass ich im Eifer des Gefechts meine „Flotte Lotte“ ausmusterte und drei Tage später dringend gekochte Himbeeren passieren musste. Mein Mann kann ein Lied von verschwundenen Kabeln und Ordnern und Schraubenziehern und Levi’s Jeans singen.

Ein Plastikbecher als Erinnerung

Viele Dinge in unserem Haushalt entfachen keine ekstatischen Freudefunken, manche benötige ich nur alle Schaltjahre. Wie zum Beispiel die drei Schränke, in denen ich unser Archiv angelegt habe. Darin sind Dinge enthalten, die laut Marie Kondo entsorgt werden müssten: Glückwunschkarten, Tagebücher von anno dazumal, Dias, Jahrbücher, Foto-Negative. Ich bin eine Bewahrerin und Geschichtensucherin, und dieses anti-minimalistische Archiv ist eine Quelle sinnloser Freuden. Erst vorgestern erzählte ich am Abendbrottisch von meinem verrückten Lateinlehrer, der einst Mäusegedichte schrieb und diese zusammen mit Schnappschüssen von Schülerinnen im Eigenverlag veröffentlichte. Ich musste nur fünf Schritte gehen, den Schrank öffnen, ein bisschen wühlen und meinen ungläubigen Kindern das Beweisstück liefern. Und wenn sie mich nach dem staubigen Plastikbecher neben den Tagebüchern fragen? Ha! Daraus hat Sting auf einem Flug von Florenz nach Paris sein stilles Wasser getrunken, als ich ihn damals bediente. Ich hebe ihn auf (den Becher, nicht Sting). Gegen jeden Protest meines Mannes und trotz der Frage meiner Kinder: Wer ist Sting?

Ich glaube, wir müssen uns bei den Dingen, die wir behalten wollen, fragen: Erzählen sie uns gute Geschichten? So wie avantgardistische Mäusegedichtbände und rosa Hochzeitspumps. Es ist eine fast schon unbarmherzige Haltung, so finde ich, Dinge auszumisten, die nicht ständig von Nutzen und Freude sind. Wenn wir den Gedanken konsequent weiterspinnen, enden wir beim Menschen. Und was machen wir mit den Menschen in unserem Leben, die uns nicht nützen?

Die Frage nach dem Ausmisten ist auch eine nach Konsum

Wenn du mich kennst, dann weißt du, dass ich ein Fan des Ausmistens bin. Aber ich pflege die pragmatisch-realistische Haltung, dass Ausmisten ein andauernder Prozess ist. In diesem Herbst wirst du mich auf meinem Hofflohmarkt finden, auf dem ich Duplosteine und unnütze Stilettos und Autokindersitze und selbstgebackene Zimtschnecken anpreise. Sind wir ehrlich: Die Tipps des milliardenschweren Marie-Kondo-Unternehmens, das in seinem Webshop Dinge wie gefilzte Ananas-Buchstützen und Ordnungsboxen verkauft, entzaubern sich bei näherer Betrachtung als gesunder Menschenverstand.

Auch ohne den Erwerb von Aufräumratgebern wissen wir instinktiv, wie wir unseren Besitz ordnen und minimieren können. Und zum gesunden Menschenverstand gehört noch mehr. Wenn wir ihn anwenden wollen, dann müssen wir uns noch vor allen Ausmist-Methoden nach unserem Konsumverhalten fragen. Alles, was wir nicht ins Haus tragen, müssen wir auch nicht mehr hinaustragen. Und glaubt mir, ich lerne diese Lektion immer noch. Der Spontankauf der niedlichen Bambus-Kaffee-Thermobecher? Hab ich bereut, da sich jene als gesundheitsschädlich erwiesen.

Kataloge kommen ungesehen in die Papiertonne

Zu Beginn des Jahres überprüfte ich mein Online-Einkaufsverhalten. Ich ging die letzten Jahre durch und war schockiert, welche Einkäufe eigentlich völlig unnötig waren. Ich setzte mir zum Ziel, meine Online-Einkäufe um zwei Drittel zu reduzieren und bisher läuft das prima. Mir hilft mein Leitsatz: Brauche ich oder möchte ich das? Um es mir einfacher zu machen, lasse ich alle Werbeprospekte und Kataloge ungesehen in die Papiertonne wandern und streiche Stadtbummel von der Liste meiner Freizeitaktivitäten.

Am Ende ist doch immer alles eine Frage der gesunden Balance jenseits vom hysterischen Ausmist-Zeitgeist. Von den einst 30 Paar Schuhen, die ich mal besaß, sind 7 Paar übriggeblieben. Plus ein paar rosa Pumps, die mir eine richtig gute Geschichte erzählen von einem Tag im Mai 2005, als ich mit diesen über das Kopfsteinpflaster stöckelte, die eine Hand hielt die meines Mannes, die andere den Brautstrauß. Der liegt übrigens getrocknet auf unserem Kleiderschrank. Staubig und grau. Demnächst miste ich ihn aus.

Veronika Smoor aus Obersulm ist Autorin, Referentin und zweifache Mutter. Sie bloggt unter veronikasmoor.com – ein Treffpunkt für alle, die sich nach greifbarer Alltagsspiritualität sehnen.

#stayathome: Alte Themen neu entdeckt

Täglich lese ich Nachrichten von Bekannten, Freunden und Fremden, die mir Ideen präsentieren, wie ich die Corona-Zeit optimal nutzen könne: renovieren, sortieren, Sport machen, lesen, Sprachen lernen … Und mein Inneres verkrampft sich.

Ich stelle mir schon die Gespräche nach der Krise vor: „Und? Wie hast du diese Auszeit genutzt?“ Ich: „Ich habe gearbeitet. Es waren volle Tage, irgendwie wie immer.“

Mein Gegenüber wird mich mustern und ungläubig nachfragen: „Aber irgendwas musst du doch getan haben. Ich habe die gesamte Garage aufgeräumt und meine Todo-Liste geleert. Ich habe Nähen gelernt und per Video Sauerteig angesetzt. Und du?“ Ich: „Ich habe gemacht, was ich immer tue. Ich habe täglich versucht, Menschen zu ermutigen!“

Ja, ich weiß, jede Krise ist eine Chance: Homeoffice bedeutet auch weniger Zeiten im Stau. Kurzarbeit bedeutet auch Zeit für Omas Garten. Ich freue mich für jeden, der aktiv an Dingen arbeiten kann, die sonst unerledigt geblieben sind.

Ich sehe für mich auch viele davon, oh ja. Aber mein Tag ist damit ausgefüllt, die Ängste anderer zu mildern, Ideen zu entwickeln und Worte zu finden, damit Nähe entsteht. Ich bin ein Kümmerer. Nachts liege ich wach und spüre mein Herz klopfen. Spüre: Jetzt ist viel los in Familien, bei Selbstständigen. Ich möchte so gern aktiv sein und etwas tun. Mein Haus öffnen und Waffel-Feste feiern …

Das ist meine sehr dringende Todo-Liste. Ich entlarve meinen inneren Antreiber. Was bin ich wert, wenn ich weniger erledige? Weniger sichtbar arbeite und weniger Rückmeldungen bekomme? Die alte „Wer bin ich?“-Frage lugt um die Ecke. Jetzt haben Fragen Raum, die mich erinnern: Es geht um mich. Ich stoße auf alte Bitterkeiten, die durch unliebsame Erfahrungen ausgelöst wurden. Und ich nehme Sehnsüchte und Hoffnungen wahr.

Ich erlebe nach den ersten Tagen der Krise neu an mir, dass ich die Berichterstattung im TV nicht gut verarbeiten kann. Ich lasse mir die Sachlage von meinen Jugendlichen zusammenfassen. Dafür habe ich erstaunlich viel Essbares im Haus, was zu leckeren Dingen werden kann. Ich vermisse es, dass viele Menschen um mich herum sind und erkenne, dass ich mich selbst langweilig finde. Eine Erkenntnis, die mich trifft und beschäftigt.

In allem zu erleben, dass meine nahe Familie sich ebenfalls selbst neu entdeckt und andere Bedürfnisse hat, ist nicht überraschend. Wir stellen uns einander neu vor und suchen Gemeinsamkeiten. So darf ein gestreamter Krimi am Morgen sein, wie auch die Teezeit am Nachmittag. Wir üben täglich neu, im Gespräch zu bleiben.

Werden wir uns das irgendwann auch fragen: Was hast du innerlich sortiert? Wo bist du über dich erstaunt, erschrocken oder begeistert gewesen? Wie ging es dir mit alten Themen, die auf einmal wieder auftauchten?

Ich gehe heute noch sehr motiviert an meine Küchenschränke und halte es aus, dass in mir noch weitere Themen auf Sortierung warten. Ja, diese Krise hat viele Facetten: alte Themen und neue Herzenserkenntnisse.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

 

 

Kindern Ordnung vermitteln

„Meine Tochter (8) ist total chaotisch. Wie kann ich ihr beibringen, ihr Zimmer im Alltag ordentlich zu halten?“

Um Ordnung halten zu können, müssen Kinder wissen, was „Ordnung“ ist. Hierzu gibt es Grundregeln, nach welchen sortiert wird, zum Beispiel gleiche Größe, Farbe, Form. Oft gehören bestimmte Dinge an bestimmte Orte: Töpfe in die Küche, Spielzeug ins Kinderzimmer, Computer ins Büro. Wenn dies den Kindern klar ist, sind sie theoretisch in der Lage, „Ordnung“ herzustellen und im besten Fall einzuhalten.

INDIVIDUELLE REGELN

Nun ist es aber so, dass Menschen verschiedene Ordnungssysteme haben. So auch in einer Familie. Um ständige Streitereien zu vermeiden, rate ich, dies anzuerkennen und Kompromisse zu finden. In den Familienräumen wie Wohnzimmer, Küche, Bad herrschen feste Regeln, denn hier halten sich alle auf. Besprechen Sie diese ausführlich oder nutzen Sie ein Aufräumspiel, um dem Kind diese klarzumachen. In den Kinderzimmern kann man individuelle Regeln aufstellen. Das macht das Einhalten der Regeln in den Familienräumen einfacher.

Fragen Sie Ihr Kind, was es unter einem „ordentlichen Zimmer“ versteht. In der Regel haben Kinder davon andere Vorstellungen als ihre Eltern, weil sie anders denken.

Sie können das entweder akzeptieren oder Kompromisse finden: Zum Beispiel müssen die Spielsachen in Kisten geräumt werden (unsortiert, aber aufgeräumt), bestimmte Wege frei bleiben (zum Schrank oder Bett) oder etwas auf die Seite geräumt werden, wie aktuelle Bauten, die am nächsten Tag wieder bespielt werden. Hierfür können Sie Platz auf Regalen freihalten, einen Aufräumtag einführen, an dem alles „richtig“ aufgeräumt wird oder ebenso einen aufräumfreien Tag. Um etwas Abwechslung in das langweilige Aufräumen zu bringen, empfehle ich, ab und an Aufräumspiele einzusetzen.

AUFRÄUMSPIELE

  • Aufräumtransport: Gegenstände werden mit Hilfsmitteln aufgeräumt: mit einem Tablett, Karton oder einer Schubkarre. So kann man versuchen, so viel wie möglich auf einmal wegzuräumen. Was passt alles auf das Tablett?
  • Aufräumwürfel: Sie können einen Zahlen- oder Farbwürfel benutzen oder beides. Der Zahlenwürfel zeigt an, wie viele Dinge man aufräumen muss, der Farbwürfel zeigt die Farbe an, welche nun aufgeräumt wird.
  • Kommando Aufräumen: Auf ein Zeichen hin (rufen, klingeln, trommeln) wird entweder vorher bestimmtes Material aufgeräumt, oder es wird so viel wie möglich eingesammelt, bis das Signal wieder ertönt.
  • Sinnliches Aufräumen: Unter einem Tuch oder einer Kiste befindet sich ein Gegenstand, etwa ein Baustein. Diesen gilt es zu ertasten. Dann werden alle Bausteine aufgeräumt.

Bei den Aufräumspielen sollten (natürlich) auch die Eltern selbst mitmachen. Vielleicht reicht es auch schon, wenn man sagt: „Wenn du jetzt schnell/ordentlich aufräumst, können wir länger draußen/im Schwimmbad/bei Freunden bleiben!“ Mottos wie „Das Genie beherrscht das Chaos“ oder „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ können gute Leitsätze sein.

Anika Schunke ist Erzieherin und bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an. Sie lebt mit ihrer Familie in Eggenstein bei Karlsruhe.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Aufräumen darf keine Strafe sein

„Mit meinem dreijährigen Sohn kämpfe ich jeden Abend gegen das Chaos im Kinderzimmer. Wie kann ich ihm helfen, Ordnung zu halten?“

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