Gemeinsames Plumpsklo: So ärmlich lebte Familie Oelschläger in der DDR
Die Windeln trockneten sie überm Esstisch und heizten mit Kohleofen. Erinnerungen an die erste eigene Wohnung von Ute und Jörg Oelschläger in der DDR.
Herbst 1984: Wir beziehen stolz unsere erste eigene Wohnung im Erdgeschoss einer früheren Mühle, direkt am Mühlteich. Das dreistöckige Wohnhaus ist auf Bruchstein gegründet und nicht unterkellert. Uns gehören eine beheizbare Wohnstube mit ca. 20 m2, eine Küche und ein weiteres Zimmer, beide zusammen bringen es auf rund 7,5 m2. Das ist ein Riesenfortschritt. Bisher wohnten wir zu dritt in den sieben unbeheizten Quadratmetern meines Kinderzimmers.
Klo ohne Heizung
Verheiratete ohne Kind hatten in der DDR kaum eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Mit Baby stieg diese geringfügig. Um einen der begehrten Wohnungsbezugsscheine auf dem Amt zu ergattern, brauchte man entweder Beziehungen oder viel Eigeninitiative, um Eingaben zu schreiben oder ständig auf Behörden vorzusprechen. Als wir diese anderthalb Zimmer angeboten bekamen, hatten wir keine Chance, nein zu sagen, wohl wissend, dass einem Einzug viel Arbeit vorausgehen würde.
Wir hatten diese Wohnung nicht für uns allein. Zwei Zimmer, die von unserem Flur abgingen, gehörten einer alten Dame, der ehemaligen Hausbesitzerin. Sie wohnte bei ihren Kindern über uns, kam aber zum Schlafen herunter. Unsere Toilette befand sich im Eingangsbereich des Treppenhauses, und wir teilten sie uns mit der Nachbarin. Es handelte sich um ein sogenanntes PC (Plumpsklo) mit undichtem Fenster und ohne Heizung. Die darunter liegende Grube war undicht und durchfeuchtete die Wände dieser Hausseite. Unsere vier Fenster öffneten zwar zur Teichseite, die lud aufgrund der Wasserqualität aber nicht gerade zum Lüften ein.
Baumaterial war Mangelware
Nach der ersten Begehung stand fest, dass Elektrik, Wasser- und Abwasserleitungen neu verlegt und der lose Putz durch neuen ersetzt werden musste. Da Baumaterial Mangelware war, war ich oft zeitig früh am öffentlichen Fernsprecher in der Postfiliale und telefonierte die Baustoffversorgungen nach Material ab. Beim Putzabschlagen rieselte ein Fachwerkbalken aus der Wand, und wir standen in der Küche der freundlichen Nachbarin.
Dank der Hilfe von Freunden und unserer handwerklich begabten Eltern konnten wir endlich einziehen, als unsere Tochter ein halbes Jahr alt war. In das Schlafzimmer passte unser dreitüriger Schrank mit Aufsatz, unser Bett, ein Kinderbett und später noch eine Wiege. Bei offener Schranktür blieb kein Durchgang. Auch unsere Küche war ein Wunderwerk der Raumnutzung. Rechts von der Tür waren ein Glutos-Herd (Kohleofen mit Kochfläche), ein Gasherd, ein Minihandwaschbecken und zuletzt der totale Luxus: eine elektrische Duschkabine. Sie reichte an der Stirnseite bis an das Fenster heran.
Alles eng
Direkt unter dem Fenster war noch Platz für die Schleuder (später ein beliebter Besuchersitz) und daneben schloss sich die Spüle an. Diese ließ sich nur auf der rechten Seite öffnen, denn unmittelbar davor stand die halbautomatische Waschmaschine. Nahtlos folgten noch 1,50 m Küchenzeile mit Kühlschrank. In der Zimmermitte stand der Tisch mit zwei Stühlen an den Stirnseiten. Um etwas aus den unteren Küchenteilen zu entnehmen, musste der Tisch vor den Herd und danach zurückgeschoben werden. Im Winter benutzten wir eine Fünffachleine vom Fenster zur Tür. Da trockneten die Windeln bei Ofenhitze über uns und dem eventuellen Gast.
Im Wohnzimmer gleich links neben der Tür stand ein kleiner Dauerbrandofen, der Unmengen Braunkohlebriketts verschlang. Er warf die meiste Wärme an den ihm gegenüberliegenden alten Nussbaumschrank. Bei Einhaltung des Mindestabstandes zum Ofen war hinter dem Schrank gerade noch Platz für eine Liegefläche von zwei mal zwei Metern. Sie fungierte wahlweise als Couch, Kinderspielfläche oder Gästebett.
Rote bemalte Wasserrohre
Der Fußboden war kalt und trotz Teppich kaum als Spielplatz geeignet. Ein Laufgitter half bedingt. Im Wohnzimmer war noch Platz für eine Kommode, einen zweitürigen Schrank und einen ausziehbaren Tisch mit vier Stühlen. Abstellmöglichkeiten wie Dachboden oder Vorratskammer gab es nicht.
Der praktischen Enge haben wir versucht, mit Farbtupfern individuelle Gemütlichkeit zu geben. Zur weißen Wand bekamen die Türrahmen und Fenster eines jeden Zimmers eine andere Farbe. Grün im Schlafzimmer, Braun im Wohnzimmer und Rot in der Küche. Die Aufputzabwasserrohre in kräftigem Rot waren vielleicht nicht üblich, aber ein Blickfang, genau wie ein roter Gästehocker.
Dankbar für den heutigen Luxus
Diese erste eigene Wohnung haben wir geliebt, auch wenn wir unter der Enge oft gelitten haben. Familienveränderungen forderten ständige Anpassung. Ein Jahr nach unserem Einzug wurden uns Zwillinge geboren. Erst 1987, kurz vor der Entbindung von Kind Nr. 4, konnten wir in eine größere Wohnung umziehen. Und auch die war von Anfang an wieder zu klein …
Unser Trautext, Psalm 128, hat sich über die Jahre mehr als erfüllt. Wir wurden immer getragen und versorgt. Dankbar sitzen wir heute im eigenen Haus und haben so viel Platz wie nie. Die Türen halten wir noch immer offen, so wie schon damals in der Enge. Ein Teil der alten Holzmöbel hat alle Umzüge überlebt und erinnert uns an die Anfänge. Die Kinder sind aus dem Haus und Kindeskinder werden geboren. Wir bekommen Solarstrom vom Dach, Wärme von der Sonne oder aus dem Kamin. Das ist Luxus. Global betrachtet waren wir schon 1984 privilegiert und sind es heute noch viel mehr. Dessen sind wir uns bewusst, und dafür sind wir dankbar.
Ute Oelschläger ist verheiratet und Mutter von sechs erwachsenen Kindern. Sie ist Hausfrau mit floristischem Minijob und Zeit für kreative Hobbys und lebt in Borsdorf bei Leipzig.