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Ihr seid Heldeneltern!

In der neuen Ausgabe von Family haben wir ein Dossier zum Thema „Heldeneltern“. Die meisten Eltern würden sich wohl selbst nicht als Heldinnen und Helden bezeichnen. Gerade in der Corona-Zeit sind wir schneller an unsere Grenzen gekommen, als uns lieb ist. Die geballten Anforderungen von Homeschooling, Homeoffice, Kleinkindbetreuung, neuen Regelungen von Medienzeiten, Trösten und Motivieren haben uns herausgefordert. Und oft sind wir ihnen nicht gerecht geworden.

Aber genau das ist ja das Heldenhafte an uns Eltern: Obwohl die Herausforderungen groß sind, geben wir nicht auf, sondern wir geben unseren Kindern das, was wir ihnen geben können. Wir machen nicht alles perfekt, gut oder richtig. Aber wir begleiten unsere Kinder durch diese schwierige Zeit. Und das ist ein riesiger Kraftakt!

Schon im normalen Alltag jenseits von Corona-Zeiten leisten Eltern enorm viel. Umso mehr in diesen schwierigen Zeiten. Das wollen wir wahrnehmen. Dafür wollen wir allen Eltern danken. Und wir wollen euch und uns ermutigen, weiter dranzubleiben, den Kindern das zu geben, was wir können. Und auch an uns selbst zu denken! Denn Heldinnen und Helden müssen immer wieder auftanken und Kraft schöpfen!

Neben dem Dossier zum Thema „Heldeneltern“ im aktuellen Heft werden wir auch in den kommenden Ausgaben immer wieder Artikel oder Interviews unter diesem Label veröffentlichen. Wir hoffen, dass ihr in eurem Alltag davon profitieren könnt!

Bettina Wendland ist Redakteurin von Family und FamilyNEXT.

 

 

Ein Paar, zwei Perspektiven: Kochen

HÜTERIN DER TRADITION

Katharina Hullen weiß, wie bestimmte Gerichte gekocht werden müssen. Trotzdem darf sich ihre Tochter gerne ausprobieren, aber nicht unbedingt ihr Mann.

Katharina:

Unsere älteste Tochter (13) hat sich zu Weihnachten ein leeres Rezeptbuch gewünscht. „Ich möchte schon mal anfangen, all die leckeren Familienrezepte aufzuschreiben, damit ich sie später nachkochen kann!“ Ich weiß ja nicht, wie konkret ihre Auszugspläne schon sind, hoffte aber beim Lesen des Wunschzettels, dass das noch ein bisschen Zeit hat. Sei’s drum – sie bekam ein schönes Buch, hat sich sehr darüber gefreut und es auch schon mit einem knappen Dutzend Rezepten gefüllt.

Denn sie ist unsere Backfee, und wann immer sich Lust oder Frust in ihr breitmachen, wird der Vorratsschrank geplündert. Das ist wirklich wunderbar – mit 13 Jahren wäre mir das im Traum nicht eingefallen. Vermutlich hätte ich es auch gar nicht allein gedurft, da Kochen und Backen ja auch irgendwie gefährlich sind. Nicht nur das Hantieren mit heißen Töpfen, Geräten und Flüssigkeiten hielt meine Mutter davon ab, mir die Küche zu überlassen. „Wie du das Messer schon hältst!“ war ein mehrfach geäußerter Satz, bevor mir selbiges entrissen wurde, was mir die Lust am freudigen Kochlöffelschwingen kräftig vermieste. Aber auch die unterschwellige Gewissheit, das richtige Würzen und Portionieren ohnehin nicht hinzubekommen, nahm mir das Selbstvertrauen, einfach mal drauflos zu kochen oder zu backen.

Unsere Große ist das totale Gegenteil. Sie ist herrlich souverän im Umgang mit „Fehlern“ und sie wird bestimmt mal eine großartige Köchin. Beispiel: Einmal produzierte sie aus Versehen einen gigantischen Hefeteig, weil sie irrtümlich 12 Eier in den Teig geschlagen hatte. Eine falsch abgespeicherte Erinnerung an ihren letzten Pfannkuchenteig! Egal – sie borgte sich noch ein paar Kilo Mehl von Oma, und wenig später verteilte sie die Berge von köstlichen, warmen und duftenden Zimtschnecken kurzerhand in der Nachbarschaft mitsamt der netten 12-Eier-Pannengeschichte.

Hauke ist auch so ein Improvisationstalent. Wenn er Hunger hat, steht er in der Küche und zaubert aus dem, was er finden kann, irgendein leckeres Essen. Rezepte findet er eigentlich eher lästig, schließlich hat er doch selbst ganz gute Ideen, welche Zutaten er mit welchen Gewürzen zusammenstellt. Und natürlich ist es fast immer lecker. Außer …
Außer er hält sich nicht ans Familienrezept! Daran, wie es immer gekocht wird! Was Neues ausprobieren? Soll er ruhig machen! Aber die Gewürze oder die Art zu verändern, wie ein traditionelles Gericht gekocht wird? Da werde ich nervös – das ist nämlich dann falsch!

Ja, Prägung ist manchmal eine schwierige Sache! Ich freue mich, dass ich es trotzdem geschafft habe, meinen Kindern schon Freiheiten in der Küche zu lassen.
Aber Hauke? Wie der das Messer schon hält!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

KULTURKAMPF AM HERD

Hauke Hullen improvisiert gerne und bewegt sich mit seinen Kochkünsten auf schwierigem Terrain.

Hauke: Die Küche ist der Nahe Osten unserer Wohnung. Gleich mehrere Teile der hier wohnhaften Bevölkerung haben den Anspruch, in dieser Region das Sagen zu haben. Selbst die erst vor Kurzem eingewanderte jüngere Generation macht sich hier breit und nimmt dabei leider keine Rücksicht auf die Traditionen der Alteingesessenen.

Wobei – selbst bei den Alteingesessenen prallen uralte kulturelle Unterschiede aufeinander, die immer wieder zu heftigen Konflikten führen. Obschon die Küche als Mittelpunkt des Hauses mythisch aufgeladen und damit quasi heiliger Boden ist, toben gerade hier die erbittertsten Schlachten. Kommt das Salz ins Nudelwasser, bevor es kocht – oder erst danach? Müssen Zwiebeln, die später im Eintopf verschwinden, angebraten oder gedünstet werden? Ist der Zitronensaft im Salatdressing obligatorisch oder kann man ihn auch weglassen, weil das Grünzeug sonst ungenießbar wird und der Zahnschmelz wegplatzt?
Man könnte meinen, in einer Ehe seien diese Fragen von untergeordneter Bedeutung und man findet im Zweifel sicher schnell eine Lösung. Weit gefehlt!

Liebe geht durch den Magen, und wenn dieser Liebesbeweis absichtlich und heimtückisch falsch zubereitet wird, dann kann man auch gleich die Scheidungspapiere neben den Teller legen. So deute ich zumindest die Reaktion meiner Frau, wenn ich irgendwo den Muskat vergessen habe. Denn Katharina bemüht sich nach Kräften, die uralten Schriften und Legenden, die in ihrer Familie seit Jahrtausenden von Mutter zu Tochter weitergegeben werden, aufs Gramm genau zu befolgen. Ihre Kochkunst ist eine Buchreligion – und wehe, der Göttergatte erdreistet sich einer kleinen Improvisation! Laut geäußerte Überlegungen, ob der Kuchen nicht auch mit 510 Gramm Mehl gelingt, sind Ketzerei und rufen heiligen Zorn hervor. Da in dieser Umgebung Messer, Spieße und siedendes Öl nicht weit sind, habe ich inzwischen gelernt, die verworrenen Rituale stillschweigend mitzutragen.

Trotzdem bleibt die gemeinsame Zubereitung eines Partybuffets eine Herausforderung. Doch je knisternder die Stimmung in der Küche war, umso mehr freuen wir uns dann, wenn endlich die Gäste kommen. Die feiern dann mit uns einen runden Geburtstag, und die beste Ehefrau und ich feiern, dass wir das Kochduell beide überlebt haben.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Alles auf Anfang?

Warum das Alte nicht mehr das Neue ist.

„Juhu, endlich!“, juble ich meinen Kindern zu: „Euer Training fängt wieder an!“ In den letzten Tage sind die Inzidenzwerte in unserer Stadt gefallen, und der normale Alltag beginnt wieder anzulaufen. „Welches Training?“, kommt aus dem Garten. Erst lache ich, weil ich den klugen Humor meines Kindes vermute und dann realisiere ich: Die Zeiten der Distanz haben auch Distanz zu unserem alten Leben gefordert. Alles um mich herum fährt weder in den Alltagsmodus hoch. Was ist aber mein neuer Alltag? Was passt zu mir und meinen Kindern heute?

Ich spüre, dass unsere Familie eine andere geworden ist. Aus dem ersten Lockdown haben wir die Spaziergänge und Entdeckungen des Umlandes als wertvoll gerettet. Wir haben unseren Tagesablauf verändert. Wir spielen online mit der Großfamilie und haben so mehr Kontakt als in der Zeit vor der Pandemie. Und nun soll das Alte all das Neue ablösen. Will ich das?

Ich brauche die Zeit, um die innerliche Bremse zu lösen. Die Bremse, die ich in mir nicht als Ausbremsen und Stillstand empfinde, sondern als Konzentration auf uns als Familie im Stop-Modus des gesellschaftlichen Lebens. Wir suchen zusammen eine Idee für einen neuen Alltag in alten Möglichkeiten. Interessanterweise war uns allen dabei besonders wichtig, Menschen einzuladen. Zusammen sortieren wir unsere Werte. Welche Hobbys und Aktivitäten von uns und unseren Kindern formen die Persönlichkeit und machen Superspaß? Und welche dienen mehr der gesellschaftlichen Akzeptanz und nicht dem Individuum?

Dabei kommt auch unser erhöhtes Serien-Schauen zur Sprache. Ich muss mich hinterfragen lassen und gebe nach einigem Nachdenken zu, dass es nun vorbei ist mit dem „Es geht ja nix Anderes!“ als Ausrede. Die mediale Nutzung ist ein großes Diskussionsthema. Was wollen wir weiter fördern – Lernen mit Apps, Hörbücher, Online Skat … – und was nicht?

Wir fühlen uns als Familie erschöpft und nehmen das ernst. Wir sehen gut hin, was uns gerade zu viel abverlangt. Keiner von uns will in das Alte zurück. Aber Leidenschaften wie Tariks Fußball oder Riekas geliebte Escape Rooms können nicht oft genug stattfinden.

Je länger wir die nächsten Wochen bedenken, desto mehr kribbelt es in mir. Was für eine große Chance haben wir. Durch diese Zäsur können wir aus dem alten Alltag Neues werden lassen und zwar so bewusst, wie es wenigen Menschen in anderen Zeiten möglich war.

In mir blubbert es wie vor der Einschulung, einer ungeliebten Weisheitszahn-OP und den großen Ferien zusammen und ich spüre, ich will meine Kraft in das Neue investieren. In der Bibel finde ich dazu einen Vers, der mich aufmuntert: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43, 19) Gott lädt mich ein, mutig hinzusehen. Das Wachsen des Neuen wahrzunehmen. Nicht Zackzack, sondern achtsam.

Ja, ich will das Neue entdecken und damit heute beginnen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen

Ein Paar, zwei Perspektiven: Routine und Abwechslung

MÖGLICHST ALLES WIE GEHABT

Katharina Hullen liebt die Routine.

Katharina: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Rituale und Routinen bringen Stabilität und Ordnung ins Chaos des Lebens. Sie sind der sichere Hafen unseres Großfamilienkreuzers.
Im Alltag weiß man oft kaum zu sagen, was in einer halben Stunde los sein wird. Da schätze ich Routinen doch sehr. Zum Beispiel: Ein überschaubares Repertoire an Gerichten im Kopf zu haben, vereinfacht das Kochen im Alltag ungemein. Es gibt zwar immer dieselben 15 Gerichte, aber alle machen satt und für jeden ist mal etwas dabei!
Mehrmals die Woche die gleiche Spazierrunde mit unserem autistischen Kind drehen? Die frische Luft und Bewegung tut uns beiden gut: Win win!
Im Urlaub immer an denselben Ort fahren? Finde ich nicht schlimm, sondern entspannend. Ich weiß: Dort auf dem Bauernhof stören wir niemanden, auch wenn wir laut sind. Wir wissen genau, was uns vor Ort erwartet, und die Kinder können nicht allzu viel kaputt machen. Für alle ist es ein bisschen wie nach Hause kommen.
Hauke, mein Bester, ist da ganz anders gestrickt: Neulich kam er mit einem Gänsebraten nach Hause. Er hatte Lust, etwas Neues auszuprobieren: „Einfach mal sehen, wie das geht.“ Während ich die Steuererklärung fertig machte, steckte der beste Ehemann von allen bis zum Ellenbogen in einem Gänsetorso. Um es direkt aufzulösen – es hat nicht geklappt, der Vogel war weitestgehend vertrocknet. Die Großeltern, die ob der Fülle des bevorstehenden Fleischgenusses eingeladen worden waren, konnten nur noch ein bisschen Gänsegulasch mit uns verzehren.
Auch die Spazierrunde meidet Hauke eher. Er findet es langweilig, immer nur im eigenen Viertel herumzulaufen. Er kann nicht einfach aufstehen und losgehen – nein, er sucht sich im Internet eine neue Strecke heraus, zu der man erst hinfahren muss, um dort zu sein, wo man noch niemals zuvor gewesen ist. Oder er setzt sich mit den Jungs in die nächste S-Bahn und fährt einfach mal los. So vor einigen Monate geschehen. Er sollte spazieren gehen und zwei Stunden später bekomme ich ein Foto aufs Handy – meine drei Männer vor’m Kölner Dom! Einfach mal ein spontanes Abenteuer – käme mir niemals in den Sinn!
Auch der immer gleiche Urlaubsort macht Hauke mehr zu schaffen als mir. In diesem Jahr waren wir tatsächlich mal auf seine Initiative hin ganz woanders und wir alle mochten die Abwechslung der Aktionen sehr, wenngleich die Unterkunft viel unentspannter war.
„Der Verstand liebt die Abwechslung, das Herz die Wiederholung.“ (Esther von Kirchbach) Eine schöne Erkenntnis – denn so wollen wir Familie leben, mit Herz und Verstand!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ROUTINIERTE ABWECHSLUNG

Hauke Hullen sorgt für kleine Varianten im Alltag.

Hauke: Nach diesem Jahr kann ich jeden verstehen, der von Abwechslung die Nase voll hat. In den letzten Monaten folgten die Neuerungen in so schneller Folge, dass man schier schwindelig werden konnte: Ist Deutschland noch Fußballgroßmacht oder nach dem 0:6 gegen Spanien doch nur eine Art Brasilien? Muss ein abgewählter amerikanischer Präsident tatsächlich abdanken oder kann er sich einfach zum Regenten aus Gottesgnadentum erklären? Darf man noch ohne Maske den Müll rausbringen? Was, wenn man dort zwei Personen trifft, ist das jetzt noch erlaubt – oder war das letzte Woche?
Wie wohltuend langweilig war da doch rückblickend das Leben 2019, wo Angestellte ein ödes Büro, Kinder einen muffigen Klassenraum und Gastronomen anstrengende Arbeit hatten!
Doch natürlich ist es unfair, hier nur die negativen Seiten des Unvorhergesehenen darzustellen. Routine beruhigt, aber um diese Ruhe auch aushalten zu können, braucht man zwischendurch kleine Abwechslungen. In meinem Fall sind deren Auswüchse lächerlich, ich weiß. Mir graust es vor den Mühen eines neuen Jobs, eines Umzuges, gar in ein fernes Land – aber zwischendurch mal auf einem anderen Weg nach Hause fahren, weil man sich an der alten Strecke sattgesehen hat, das geht! Für einen Phlegmatiker ist es eben auch eine Art, neue Welten zu erkunden, wenn man das Navi auf „Autobahnen vermeiden“ stellt.
Für meine beste Ehefrau von allen ist aber schon das zu viel der Aufregung. Kleine Alltagsfluchten scheint sie nicht so nötig zu haben wie ich. Was tun? Vielleicht einen Kompromiss schließen: Wir achten darauf, dass sich in unserem Leben Routine und Abwechslung ergänzen, dann haben wir regelmäßig Abwechslung – was dann aber dazu führen würde, dass die Abwechslung zur Routine wird. Dann wäre es geradezu ausgefallen, doch wieder alles wie immer zu machen – was für ein Dilemma!
Manchmal verhilft uns eine glückliche Fügung zu einer Entscheidung: Im letzten Sommer bot uns ein Bekannter an, für sehr kleines Geld in einer sehr schönen Ferienwohnung im Allgäu Urlaub zu machen. Wir rangen nichtsdestotrotz mit uns: Reicht denn nicht der Urlaub an der Nordsee, wo unsere Sippe seit unglaublichen 55 Jahren den Sommer verbringt?
Um es kurz zu machen: Es war ein wunderbarer Urlaub. Statt endloser Felder bis zum Horizont gab es hinter jeder Kuppe neue prachtvolle Aussichten, und statt altbekannte Attraktionen abzuklappern, entdeckten wir jeden Tag etwas Unbekanntes. Was für eine gelungene Abwechslung! Das machen wir jetzt jedes Jahr so.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Von Tag zu Tag

Ich habe keine Ahnung, wie es im Corona-geplagten Europa aussieht, wenn Sie diese Zeilen lesen werden. Im Moment ändert sich alles von Tag zu Tag. Ständig gibt es neue Vorschläge und Initiativen. Immer geht es um die Frage, wie viel Lockerungen verantwortbar sind und welche Abstandsregelungen bleiben müssen oder verschärft werden sollen. Natürlich ist es noch viel zu früh, ein Fazit zu ziehen, aber vielleicht ist ein Zwischenruf angebracht.

Drei Dinge, die ich für die Zeit nach Corona behalten will:

1. Vor Corona war es nicht so wahnsinnig cool, das Wochenende in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Jetzt ist es plötzlich ganz wichtig, zu Hause zu bleiben. Dabei empfinde ich es als großes Privileg, dass zu Hause noch jemand ist. Und dass ich gerne mit diesen Menschen zusammen bin. Familie ist cool!

2. Zurzeit haben wir so gut wie keine Termine mehr. Schule, Musikunterricht, Gemeindesitzung – alles fällt aus oder findet online statt. Wir haben uns als Familie mehr Zeit für gemeinsame Mahlzeiten genommen als vor der Corona-Krise und merken, was für ein Wert das ist: gemeinsam kochen und essen, Nahrung genießen, miteinander im Gespräch bleiben. Das sind Dinge, die zählen.

3. Social Distancing ist gerade ein ganz wichtiger Wert. Dem Nachbarn die Hand zu schütteln, ist tabu. Es wäre ähnlich schlimm, wie seinen Hund zu erschießen. Wir hätten letztens gern mal unsere Verwandtschaft in Süddeutschland besucht. Ging nicht! Ich möchte mich nach Corona auch an das erinnern, was ich jetzt vermisse: Zeit mit Freunden, mit den Eltern und Geschwistern verbringen, mit meiner Frau übers Wochenende wegfahren, einen Gottesdienst mit zweihundert Leuten feiern und anschließend viele in den Arm nehmen.

Christof Klenk ist Family-Redakteur und lebt mit Maren, Lena, Alva und seiner Frau Christina in Witten.

„Es genügt, dass man da ist“

Im Schweden-Urlaub habe ich passenderweise das neue Buch des schwedischen Autors Tomas Sjödin gelesen: „Es gibt so viel, was man nicht muss“. Schon den Titel finde ich sehr ansprechend. Und das Buch hält, was der Titel verspricht. Es besteht aus Kolumnen, die Sjödin in den letzten Jahren für verschiedene schwedische Zeitungen geschrieben hat. Diese Texte enthalten viele wertvolle Impulse. Meine Lieblingskolumne möchte ich gern mit euch teilen (danke an den Verlag SCM R. Brockhaus, der den Nachdruck genehmigt hat):

Das Schaffen-Müssen sein lassen

Ich treffe immer mehr Menschen, die von sich behaupten, dass sie den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht genügen. Nicht als Eltern, nicht als Partner, weder zu Hause noch im Beruf. Und vor allem nicht gleichzeitig zu Hause und im Beruf. Wenn es an der einen Stelle funktioniert, dann ist an der anderen Not am Mann, und beim tiefen Ausatmen kommt der Seufzer: „Ich schaff’s einfach nicht.“ Die Frage muss also heißen: Wer hat uns den Gedanken eingepflanzt, dass wir „es schaffen“ müssen? Und wer hat überhaupt festgelegt und normiert, was „schaffen“ und „genügen“ heißt?

Neulich begegnete mir ein Text, der mir klargemacht hat, dass das Problem keineswegs neu ist, sondern sich bereits in einer Quelle beschrieben findet, die fast 3000 Jahre alt ist – im Buch des Propheten Jesaja. Der Prophet beschreibt das Gefühl, nicht zu genügen, so: „Das Bett ist zu kurz, um sich darin auszustrecken, die Decke zu knapp, um sich damit zuzudecken“ (Jesaja 28,29). Ein sehr sprechender Beweis dafür, dass der Mensch sich über die Jahrtausende wenig verändert und schon immer mit den eigenen Ansprüchen und denen der anderen herumgeschlagen hat.

Wer schon einmal versucht hat, trotz einer zu kurzen Bettdecke einzuschlafen, weiß, was der fröstelnde Prophet meinte. Wenn man es sich gemütlich macht und die Decke über die Schultern zieht, ragen die Zehen unbedeckt in die kalte Luft des Schlafzimmers. Wenn man sie bedeckt, friert man bis zur Brust.

Kann es sein, dass das eine menschliche Grundbefindlichkeit ist: Immer fehlt etwas? Und dass eine Idee dahintersteckt: dass wir uns nämlich zusammentun sollen, uns nicht mit den eigenen Ressourcen zufriedengeben und uns weigern, das Dasein auf die innerweltlichen Dinge zu begrenzen?

Wenn man erkennt, dass man es alleine nicht schafft, öffnet man sein Leben für die helfenden Kräfte, die verfügbar sind. Die Situationen, in denen mein Leben eine neue und unerwartete Wendung genommen hat, waren selten die, in denen ich mich zusammengerissen und es noch einmal versucht habe, sondern solche, in denen ich aufgehört habe, mich zusammenzureißen, die Zügel aus der Hand gegeben und Hilfe angenommen habe. Hilfe von Gott und von Menschen.

Es gibt ein Wort mit nur fünf Buchstaben, das diese Erfahrung beschreibt: Gnade. Gnade ist das, was die Decke verlängert, sodass man sich in seiner vollen Länge ausstrecken kann, ohne kalte Füße zu bekommen.

In der letzten Woche las ich über den Mathematiker und Physiker Blaise Pascal und wie er seine zentrale geistliche Erkenntnis in dem zusammenfasste, was seitdem Pascals „Mémorial“ heißt: in einer Sammlung von Glaubenssätzen. Ich will mich nicht mit Pascal vergleichen, aber noch am selben Tag habe ich mich hingesetzt und „Sjödins Glaubenssätze“ formuliert. Falls sie außer mir selbst auch jemand anderem von Nutzen sein sollten, würde mich das sehr freuen. Sie lauten wie folgt – und gelernt habe ich sie von meinen kranken Söhnen: „Man muss nicht genügen. Es genügt, dass man da ist. Alles, was darüber hinausgeht, ist ein Bonus.“

 

Wenn ihr gern mehr über Autor und Buch wissen wollt, schaut mal hier rein: https://www.scm-brockhaus.de/aktuelles/portraits/tomas-sjodin

Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT

Unperfekt und trotzdem fröhlich

Vatersein zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Von Cornelius Haefele

Sie sind bestimmt ein toller Vater, nicht so wie ich“, sagt der Herr, der mir in meiner Praxis gegenübersitzt. Er hat mir gerade erzählt, wie schwer es ihm fällt, den Kontakt zu seinen Kindern aufrechtzuerhalten, von denen er getrennt lebt. In meinem Kopf sind zwiespältige Gedanken unterwegs. Der selbstgerechte Kerl in mir sagt: „Stimmt, du siehst deine Kinder jeden Tag. Du versuchst, ihnen jeden Tag auf die eine oder andere Weise zu vermitteln, dass sie dir wichtig sind und du gern an ihrem Leben teilnimmst.“ Aber dann ist da auch noch die andere Seite. Denn mir ist klar, dass ich alles andere als der perfekte Paps bin.

SCHNAPPATMUNG
Da ist zum Beispiel meine Ungeduld. An einem dunklen Winterabend komme ich nach Hause und sehe es schon von weitem. In jedem, wirklich jedem nur verfügbaren Zimmer unseres Einfamilienhauses brennt das Licht. Ich fange schon mal an, leicht asthmatisch zu schnaufen, dann betrete ich das Haus. So freundlich, wie es mir noch möglich ist, rufe ich in die Stille: „Hallo!“ Ich bin selbst erstaunt, es klingt ein bisschen wie das Bellen eines Bullterriers. Meine Jüngste kommt aus ihrem Zimmer gesaust: „Hallo Papi.“ Sie fliegt mir um den Hals. Ich bin gar nicht in Stimmung und frage: „Wo sind denn alle anderen?“ „Mami ist noch schnell was einkaufen, Joni ist bei einem Freund und Luki und Sammy sind in der Jungschar.“ Ich schnappe innerlich nach Luft. Wie ich befürchtete. Keiner im Haus und alle Lichter an. Das geht gar nicht. Wie oft hab ich schon gesagt: „Macht die Lichter aus, wenn ihr aus dem Zimmer geht.“ Ich blaffe meine Tochter an: „Und wieso brennen hier im ganzen Haus die Lichter?“ Sie zieht eine Schnute und sagt beleidigt: „Ich hab die nicht angemacht, das waren die anderen.“ Ja, das ist meine Lieblingsantwort. Ich fange an, mit finsterer Miene durch das ganze Haus zu stiefeln und alle Lichter auszumachen. Dabei grummle ich vor mich hin: „Unverantwortlich, so eine Verschwendung, und an die Umwelt denkt auch keiner, was das kostet.“ Als endlich überall die Lichter aus sind, laufe ich durch den dunklen Flur Richtung Wohnzimmer und stoße mir ganz fürchterlich den großen Zeh an einer herumliegenden Schultasche. Das gibt mir den Rest. Leise schimpfend sitze ich im finsteren Wohnzimmer, reibe meinen Zeh und fange langsam an, mich selbst zu fragen: „Was machst du eigentlich hier? Bist du wirklich der Meinung, du hättest gerade den Lauf der Welt geändert, weil du alle Lichter ausgemacht hast?“ Plötzlich stelle ich mir vor, wie das wohl in fünfzehn Jahren sein wird, wenn ich abends nach Hause kommen werde. Dann wird das Haus dunkel sein, weil meine Kinder ausgeflogen sind. „Was bin ich doch für ein ungeduldiger Trottel“, denke ich. „Du kamst nach Hause und dein Haus sagte dir: ‚Hier ist Leben. Hier sind alle die am Werk, die du liebst – und alles, woran du denken kannst, ist dein schwäbischer Geldbeutel.‘“ Ich stehe auf, gehe durchs Haus und mache wieder ein paar Lichter an, nicht alle, aber immerhin. Dann geh ich zu meiner Tochter und sage: „Tut mir leid, mein Schatz, dass ich dich eben so angepflaumt habe.“ Sie grinst mich an und sagt: „Tja, Paps, mach dir nichts draus, keiner ist perfekt.“

AUF DURCHZUG GESTELLT
Und dann ist da noch meine Unaufmerksamkeit. Wenn ich im Stress bin, bin ich in meiner Familie mit Autopilot unterwegs. Ich kriege schon irgendwie mit, dass alle da sind und dass um mich herum der Bär steppt, aber die Einzelheiten gehen an mir vorbei. Das nervt mich selbst kolossal, aber ich krieg es einfach nicht abgestellt. Schon meine Kinder haben das kapiert. Beim Essen geht es mal wieder hoch her, alle erzählen was. Plötzlich kriege ich mit, dass einer der Jungs morgen ins Schullandheim fährt. „Wie, du fährst ins Schullandheim?“, frage ich. Mein Sohn schaut mich mit einer Mischung aus leichtem Spott, Erstaunen und vielleicht auch etwas Verletztheit an und sagt: „Ach, Papi hat mal wieder was nicht mitgekriegt? Ja, Papi, ich fahre morgen ins Schullandheim. Und das hab ich dir schon ungefähr hundertmal erzählt.“ Solche Momente bealtanaka schämen mich. Da sitze ich den ganzen Tag in meiner Praxis und höre aufmerksam meinen Klienten und Patienten zu, und bei meiner eigenen Familie hab ich auf Durchzug gestellt. Was stimmt nicht mit mir? Leider bin ich an manchen Stellen auch noch unerträglich perfektionistisch. Und das, obwohl ich eigentlich eher ein Chaot bin. Wie passt das bitte zusammen? Nun, es gibt so ein paar Bereiche, da will ich die Sachen so, wie ich sie will. Basta. Meine Werkbank und mein Werkzeug zum Beispiel. Mein Werkzeug hätte ich am liebsten sauber sortiert im Werkzeugkasten, meine Maschinen ordentlich in der Werkbank und nach jedem Gebrauch schön abgestaubt. Es gibt da nur ein Problem: Ich habe drei Söhne. Also kann ich das vergessen. Meine Jungs kommen zu den unmöglichsten Zeiten auf die unmöglichsten Ideen. Da muss einer nun unbedingt aus alten Brettern ein Laserschwert basteln. Kurz darauf komme ich in den Keller und falle fast in Ohnmacht. Auf der Werkbank liegt die Stichsäge, daneben steht, noch eingesteckt und vor sich hin tropfend, die mit Sägemehl bestäubte Heißklebepistole. Ein offener Farbtopf steht auch noch da und der Pinsel steckt in der Farbe. Selbstverständlich wurde keine Unterlage benutzt, was zur Folge hat, dass meine schöne, frisch geölte Werkbank nun fette blaue Farbkleckse aufweist. Ich könnte heulen. Wie oft ich schon verzweifelt Schraubenzieher, Zangen, Hämmer, den Akkuschrauber oder was auch immer suchte und dann irgendwann in einem Jungs-Zimmer – am besten noch unter dem Kopfkissen – fand, ich weiß es nicht. Natürlich habe ich das immer pädagogisch wertvoll genutzt, um meinen Söhnen eindringlich den Wert von Ordnung und Sauberkeit und den sachgerechten „Umgang mit dem Material“ beizubringen … Nur um mich dann gleich wieder aufzuregen: Hört mir eigentlich mal einer zu?

FESTGETROCKNETE FARBE
Aber dann gibt es die anderen Momente: Wenn ich mit meinen inzwischen baumlangen Jungs am Feuerkorb sitze und wir alle gemeinsam immer noch Spaß daran haben, Holzstöcke in die Flammen zu halten und nach Herzenslust zu kokeln. Oder wenn ich spätabends auf meinem Kopfkissen einen Zettel meiner Zwölfjährigen finde, auf dem steht: „Papi, ich hab dich soooo lieb. Du bist der beste Papi der Welt.“ Dann wird mir bewusst, wie reich ich eigentlich bin. Und dann geh ich in den Keller, räume meine Werkbank auf, fahre mit dem Finger über die festgetrocknete Farbe auf der Arbeitsplatte und denke: „Dich lass ich genau da, wo du bist, denn du wirst mich auch in zwanzig Jahren noch an die wunderbaren Zeiten erinnern, als ihr noch klein wart.“ Nein, ich bin gewiss nicht perfekt, manchmal bin ich sogar ziemlich unerträglich. Aber ja, ich bin trotzdem von Herzen gern ein Paps und will gar nichts anderes sein. Die Freude, der Stolz und das Glück, das mir meine Kinder bereiten, überwiegt alles andere bei weitem. Manchmal sehe ich das und kann es schätzen, manchmal vergesse ich es und nehme es nicht wahr. Dann wäre ich gern ein Vater, wie Gott es ist, „barmherzig, geduldig und von großer Güte“. Aber das bin ich nicht – noch nicht.

Cornelius Haefele ist Theologe, Berater und Coach in eigener Praxis (www.theologische-dienstleistungen.de). Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Im Betulius-Verlag erschien sein Buch „1+1=6. Der ganz normale Wahnsinn in der Familie“.

 

 

 

Dieser Artikel ist auch in MOVO PAPS erschienen, einem Special des Männermagazins MOVO. Wie sieht das Männerleben mit Kindern wirklich aus? Was wünschen sich Kinder von ihren Vätern? Wie lässt sich eine Vaterzeit umsetzen und gestalten? Dies und mehr können Papas in MOVO PAPS lesen. www.movo.net

 

 

Den Takt selbst bestimmen

Das Dossier zum Thema „Ruhe“ in der aktuellen Family und FamilyNEXT ist mir persönlich sehr wichtig. Ich merke, dass ich ohne bewusste Ruhezeiten meinen Alltag nicht bewältigen kann. Und dass ich immer wieder das Tempo rausnehmen muss.

Einen wesentlichen Impuls, wie ich das praktisch umsetzen kann, habe ich beim Reiten bekommen. Ich reite ein eher phlegmatisches Schulpferd, das aber manchmal, vor allem gegen Ende der Reitstunde, eine Art Renntrab einlegt. Wahrscheinlich weil es hofft, dass die Stunde dann schneller rumgeht …

Beim Leichttraben muss der Reiter im Takt des Pferdes im Sattel aufstehen und sich wieder hinsetzen. Wenn meine liebe Merrie nun losrennt, gibt es einen bewährten Tipp der Reitlehrer: Langsamer aufstehen! Wenn ich mich nicht seinem Tempo anpasse, sondern selbst ein ruhigeres Tempo wähle, wird auch das Pferd wieder etwas langsamer. Funktioniert nicht immer (Merrie kann ganz schön stur sein), aber immer öfter.

Irgendwann fiel mir auf, dass man dieses Prinzip auch auf das Leben anwenden kann. Der Alltag gibt oft einen zackigen Takt vor: Noch schnell dieses erledigen, jenes organisieren, Kind 1 hierhin bringen, mit Kind 2 Vokabeln lernen … Wenn ich merke, dass es mir zu schnell wird, versuche ich, einen Gang zurückzuschalten. Ich will mich nicht an den Takt des Alltags anpassen, ich will ihn – soweit das möglich ist – selbst bestimmen. Ich will mir mein Lebenstempo nicht von anderen oder vom Alltag vorgeben lassen.

Wie das praktisch geht: Jetzt in der Adventszeit heißt das für mich zum Beispiel, die Weihnachtsdeko eine Nummer kleiner ausfallen zu lassen. Nicht jede Woche Plätzchen zu backen (die ja nicht mal eine Woche überleben …), für das Adventskaffeetrinken nur einen einfachen Blechkuchen zu backen. Und beim Weihnachtseinkauf gehe ich einfach mal einen Schritt langsamer. Ich höre dem Straßenmusiker zu, nehme die unterschiedlichen Gerüche wahr und stelle mir vor, ich sei im Urlaub in einer fremden Stadt …

Bettina Wendland
Redakteurin Family/FamilyNEXT

Ganz im Beruf, ganz im Familienalltag

Jan-Martin Klinge und seine Frau Angela teilen sich Erwerbs- und Familienarbeit. Und haben gelernt, wie sie sich trotzdem nicht als Paar verlieren.

Trinken, Papa!“, forderte meine Tochter mich mit ihren zwei Jahren damals unmissverständlich auf. „Wie sagen Erwachsene?“, entgegnete ich. Und man konnte den genervten Unterton in ihrer Stimme nicht überhören, als sie ein enttäuschtes Gesicht machte und mir erwiderte: „Später …“

Heute, viele Jahre später, werden wir von unseren Kindern immer noch und immer wieder in unserem Verhalten gespiegelt. „Wir“, das sind meine Frau Angela (38), Pastorin mit einer 70-Prozent-Stelle und ich, Jan-Martin (35), Lehrer an einer Ganztagsschule, zusammen mit unseren Töchtern Carolina (10) und Amélie (2). Unsere Berufe ermöglichen uns eine wunderbare Aufteilung der Familienarbeit: Ich bin vor allem vormittags unterwegs, kann mir aber die Nachmittage und Abende frei einteilen, während Angela eher in der zweiten Tageshälfte außer Haus ist. Diese Konstellation funktioniert weitgehend reibungslos, und jeder von uns liebt sowohl den beruflichen als auch den familiären Part.

GEMEINSAME ZEIT ERKÄMPFEN
Aber: So großartig die zeitliche Aufteilung der Kinderbetreuung funktioniert, so herausfordernd ist es, sich nicht als Ehepaar zu verlieren. Es gab Zeiten, da haben Angela und ich uns immer nur die Schlüssel in die Hand gedrückt. „Die Kinder sind versorgt, das Essen steht im Ofen – kümmere dich bitte um die Wäsche, und im Wohnzimmer muss dringend staubgesaugt werden!“ Natürlich gibt es so Phasen im Leben, aber wir mussten immer wieder aufpassen, dass sie unsere Ehe nicht zerstörten. Wenn man sich wochen-, manchmal monatelang nicht wirklich sieht, kann aus Familienleben schnell Zweckgemeinschaft werden und man verliert die gemeinsamen Hoffnungen, Träume und Ziele aus den Augen. Job und Kinderbetreuung, Predigtschreiben und Unterrichtsvorbereitung – kann das alles sein? Und während ich als Lehrer zumindest die Wochenenden frei gestalten darf, ist der Sonntag für eine Pastorin ein voller Arbeitstag. So praktisch die Verteilung von Haushalt und Kinderbetreuung ist – gemeinsame Zeit bleibt kaum noch.