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Schicksal Sandwichkind?

Wie stark prägt die Geschwisterkonstellation die Persönlichkeit von Kindern? Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Geschwister – Warum die Konstellation nicht unser Schicksal ist

Wie stark prägt die Konstellation der Geschwister die Persönlichkeit von Kindern? Familienberaterin Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Reihenfolge der Geschwister

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Schulstart: 5 Tipps, wie die Umstellung im Familienalltag leichter gelingt

Mit der Einschulung ändert sich das Leben für Kinder und Eltern. Worauf gilt es zu achten, um die Umstellung leichter zu meistern? Sarah Kröger weiß, was hilft.

Meine Tochter kommt im Sommer schon in die dritte Klasse. Ich weiß noch genau, wie aufregend der Schulstart damals für uns war. So viel war neu und veränderte sich. Wir alle mussten früher aufstehen, meine Tochter den ganzen Vormittag stillsitzen. Außerdem gab es von da an rund 12 Wochen Schulferien im Jahr, für die wir uns eine Betreuungslösung ausdenken mussten. Doch wie ist uns die Umstellung eigentlich gelungen? Ich muss gestehen: Vieles habe ich wieder verdrängt. Das Gehirn leistet Erstaunliches, wenn es darum geht, schwierige Dinge zu vergessen. Deswegen frage ich einfach mal bei meiner Tochter nach.

1. Der frühe Start in den Morgen

Wirklich schwer fiel ihr das frühe Aufstehen zum Schulbeginn, erzählt meine Tochter und findet: „Die Schule soll um neun beginnen, dann kann ich wenigstens bis acht Uhr ausschlafen.“ Das finde ich auch. Es gibt viele Studien, die belegen, dass ein zu früher Schulanfang zu weniger Schlaf, geringerer Konzentration und schlussendlich auch zu schlechterer Leistung führt – vor allem bei älteren Kindern. Zu dem frühen Beginn kam noch die Pünktlichkeit dazu. Unsere Tochter musste nun jeden Morgen um Punkt acht Uhr auf ihrem Platz sitzen. Es gab keine Gleitzeit mehr, wie früher zu Kitazeiten, als wir sie manchmal erst gegen halb zehn durch die Kita-Tür schoben, wenn es beruflich passte.

Wie haben wir das hinbekommen? Nachdem die Klassenlehrerin meine Tochter im ersten Schulhalbjahr ein paar Mal gerügt hatte, weil sie fünf Minuten zu spät erschienen war, entwickelte sie eine hohe Eigenmotivation, pünktlich zu kommen. Denn das war ihr sehr unangenehm. Wir hatten also etwas Glück. Ansonsten hilft – damals wie heute – das noch frühere Aufstehen. Stehen wir rechtzeitig auf, dann ist der Beginn morgens entspannt. Kommen wir nicht rechtzeitig aus dem Bett, wird das Frühstück und auch der restliche Start in den Tag hektisch. Als Faustregel gilt: Immer eine halbe Stunde extra einplanen. Mit der Zeit pendelt sich dann die beste Aufstehzeit für alle ein.

Auch ein möglichst gleicher Ablauf am Morgen erleichtert es dem Kind, sich schneller ans frühe Aufstehen zu gewöhnen. Wer mag, kann die Brotdose und die Schultasche auch schon abends vorbereiten, das spart morgens etwas Zeit. Hilfreich ist auch, wenn das Kind lernt, die Uhr zu lesen und so ein Gefühl für die Zeit bekommt, die es morgens noch übrig hat. Wird ein Kind morgens überhaupt nicht wach, kann der Schulweg helfen, der möglichst zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wird. Das Sonnenlicht kann in den hellen Monaten beim Wachwerden helfen und die Bewegung regt zusätzlich den Kreislauf an. So kommt Ihr Kind richtig wach in der Schule an.

2. Vormittags: Bewegung ermöglichen

Anstrengend war auch, erzählt meine Tochter, dass sie in der Schule stillsitzen musste und nicht mehr so viel herumtoben konnte. Eine der größten Umstellungen von Kindergarten zu Schule ist sicherlich die eingeschränkte Freiheit. Wer wollte, konnte früher den ganzen Tag im Sand buddeln oder an Kletterstangen hangeln. In den meisten Grundschulen sitzen die Kinder ab der ersten Klasse den größten Teil der Zeit auf einem Stuhl. Dabei ist auch hier längst erforscht, dass Bewegung sehr wichtig beim Lernen ist. Wer sich bewegt, aktiviert das Gehirn und merkt sich Dinge besser. Grundschulkinder können sich in der Regel nicht länger als 20 Minuten am Stück konzentrieren. Viele Lehrerinnen und Lehrer wissen das und versuchen, regelmäßige Bewegungspausen in den Unterricht einzubauen. Auch im Unterricht selbst ist Bewegung möglich: Geometrische Figuren können mit einem Seil körperlich erfahrbar gemacht werden, Präpositionen wie „auf“ oder „unter“ können im Klassenraum in die Tat umgesetzt werden, indem die Kinder auf oder unter ihren Stuhl klettern. Falls Ihr Kind mehr Bewegung braucht, als es im Unterricht bekommt, können Sie auch mit der Lehrkraft sprechen und sie um eine individuelle Lösung bitten.

3. Tobe- und Ausruhzeit am Nachmittag

Spätestens nach der Schule sollten Kinder sich ordentlich austoben. Gehen Sie mit Ihnen auf den Spielplatz, Fahrrad fahren, Fußball spielen – was immer sie mögen. Doch auch Ruhe kann für manche Kinder nach einem lauten und aufregenden Schultag besonders nötig sein. Meine Tochter brauchte in den ersten Wochen viel Zeit zu Hause: Es war ihr zu laut im Klassenraum und sie war froh über die Stille.

In vielen Familien ist es mittlerweile üblich, dass schon Erstklässler ihren Nachmittag mit Freizeitaktivitäten verplant haben: Musikunterricht, Turnen, Fußball, Tanzen … Diese grundsätzlich schönen Hobbys, die auch oft die benötigte Bewegung ermöglichen, sind aber trotzdem feste Termine. Sie führen dazu, dass der Tag der Kinder von morgens bis abends verplant ist. Nach der Schule müssen erstmal Hausaufgaben gemacht werden, wenn die nicht schon in der Schule erledigt werden konnten. Steht dann gleich der nächste Programmpunkt an, kann das schnell zusätzlichen Stress bedeuten. Außerdem fehlt so die Zeit für Verabredungen mit neuen Freundinnen und Freunden aus der Klasse. Dies ist im ersten Schuljahr besonders wichtig, um Kontakte zu knüpfen. Mit einigen Kindern aus der Klasse kann sich meine Tochter zum Beispiel kaum treffen, obwohl sie sich mögen: Sie sind an drei von fünf Nachmittagen in der Woche schon freizeitmäßig verplant. Deswegen: Warten Sie doch noch ein bisschen mit dem festen Nachmittagsprogramm, bis Ihr Kind gut in der Schule angekommen ist und selbst den Wunsch nach neuen Aktivitäten äußert.

4. Rechtzeitig am Abend zu Bett gehen

Um sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen, helfen abends feste Zubettgehrituale. Meine Tochter macht sich abends meistens schon mal bettfertig und hört dann noch eine Hörgeschichte oder schaut sich ein Buch an. So kommt sie langsam zur Ruhe. Etwa drei Stunden vor dem Schlafen sollten Kinder keine elektronischen Medien mehr nutzen. So kann der blaue Lichtanteil des Displays nicht die Freisetzung des schlaffördernden Hormons Melatonin im Gehirn hemmen. Es lohnt sich, vor dem Schulstart das Kind langsam auf die neuen Aufsteh- und Zubettgehzeiten vorzubereiten. Das gelingt laut Schlafforschern am besten, indem das Kind jede Woche 15 bis 30 Minuten eher ins Bett gebracht wird, so lange, bis die passende Zubettgehzeit erreicht ist. Die neuen Zeiten sollten auch ungefähr am Wochenende eingehalten werden – auch wenn hier eine Stunde länger schlafen durchaus okay ist.

5. Kreative Lösungen für den Urlaub

Auch die Urlaubsplanung ändert sich, wenn die Schule beginnt. Denn dann können Familien mit Schulkind nur noch während der offiziellen Schulferien in den Urlaub fahren. Das bedeutet für alle Arbeitnehmenden, dass sie rechtzeitig Urlaubsanträge stellen müssen und für alle Selbstständigen, dass sie ihre Aufträge gut im Voraus planen sollten. Auch für die Hochsaisonpreise während des Urlaubs müssen Familien sich wappnen, denn der wird plötzlich um einiges teurer. Eine Möglichkeit ist, sich Orte auszusuchen, die keine typische Reisezeit haben, zum Beispiel weil dort gerade Winter ist. Auch kann es sich lohnen, in anliegende Bundesländer, die noch keine Ferien haben, zu fahren, hier könnten die Preise etwas niedriger sein. Je nach Geschmack sind vielleicht auch kostengünstige Camping-Urlaube, All-Inclusive-Angebote oder Besuche von Bekannten an schönen Urlaubsorten eine Option.

Die wenigsten Familien werden wohl sechs Wochen Sommerurlaub am Stück machen. Sie müssen sich deswegen überlegen, wohin sie ihr Kind geben, während sie arbeiten. Das war auch für uns nicht leicht zu organisieren. Wir entschieden uns erstmal dazu, lange in den Urlaub zu fahren. Danach schickten wir die Kinder ein paar Tage zu Oma und Opa. In den letzten Wochen haben wir dann in Teilzeit gearbeitet und uns währenddessen mit der Kinderbetreuung abgewechselt. Dieses Jahr haben wir auch zum ersten Mal das Hort-Angebot der Schule genutzt, von dem meine Tochter aber nur mittelmäßig begeistert war. Geholfen hat uns auch, dass es befreundete Kinder aus der Nachbarschaft gab, mit denen sich sie sich ab und zu zum Spielen verabreden konnte.

Alles in allem ist der Schulstart zwar eine große Herausforderung für die ganze Familie, aber eine tolle Sache. Als ich meine Tochter frage, was ihr damals gut gefallen hat, antwortet sie: „Die Einschulung war richtig cool. Und ich habe fünf neue Freunde gefunden. Außerdem kann ich nun selbst Bücher lesen, wenn ihr keine Zeit habt, mir welche vorzulesen.“ Mittlerweile haben wir uns ganz gut an den Schulalltag gewöhnt. Es dauert bestimmt nicht mehr lange und mein Gehirn wird auch komplett verdrängt haben, dass es mal eine Zeit gab, in der ich nicht morgens um halb sieben aufgestanden bin.

Sarah Kröger ist Journalistin und Host des lösungsorientierten Podcasts „Und jetzt? Der Perspektiven-Podcast“. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Pause! Wie Familien wieder auftanken können

Der Familienalltag ist oft anstrengend und hektisch. Sozialpädagogin Julia Otterbein verrät, wie Pausen individuell geplant und bewusst genutzt werden können.

Familienalltag fühlt sich manchmal wie das Durchqueren einer großen Wüste an: brütende Hitze, anstrengende Tage – und Pausen in der prallen Sonne sind keine echte Option. Zumindest lässt sich so nicht nachhaltig Kraft schöpfen für die nächste Wegstrecke. Es braucht also eine sinnvolle Routenplanung, die es ermöglicht, in regelmäßigen Abständen eine Oase aufzusuchen.

Pausen einplanen

Eltern, die immer versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen, erzeugen damit einen Familienalltag, der eng getaktet ist. Und auch die Kinder sind durch (Ganztags-)Schule und verschiedene Hobbys zeitlich eng eingebunden. Wofür dann häufig keine Zeit mehr bleibt, sind die eigentlich so wichtigen Pausen und unverplante Zeiten.

Generell hilft es, unnötigen Druck herauszunehmen, To-do-Listen zu verschlanken und wieder eine aktivere Haltung einzunehmen. „Nein“ zu sagen zum dritten verbindlichen Hobby mit entsprechend festen Terminen unter der Woche oder sogar noch am Wochenende, und stattdessen Pausenzeiten fest einzuplanen, in den Kalender einzutragen und mit der gleichen Priorität zu versehen wie einen Arzttermin.

Oasen im Familienalltag

Damit diese Pausen auch zu wirklichen Oasen werden, darfst du dir folgende Fragen stellen: Was möchte ich tun oder lassen? Was tut mir gut? Wie sieht meine persönliche Oase aus? Denn Oasen im Familienalltag sind so verschieden, wie wir Menschen verschieden sind. Vielleicht hilft dir dabei auch dieses Experiment:

Nichts tun. Nur aus dem Fenster schauen. In der Sonne sitzen und die Augen schließen. Einfach nur sein. Auf deinen Atem oder Herzschlag achten. Und dann kannst du mal deine unerfüllten Bedürfnisse erkunden: die körperlichen, sozialen und geistigen Bedürfnisse. Was fehlt dir gerade? Ist es Schlaf, Essen, Trinken, Bewegung, Entspannung, Austausch mit anderen (erwachsenen) Menschen, Inspiration?

Gemeinsam und getrennt

Im nächsten Schritt gilt es, eine passende Strategie für das Bedürfnis zu finden: Gärtnern oder lesen? Freunde treffen oder Zeit für sich haben? Musik hören oder Musik machen? Aktiv sein oder chillen? Da hat jeder so seine persönlichen Favoriten. Was allen Strategien gemeinsam ist: Jeder tut es mit Freude und Genuss.

Manche von uns laufen allerdings schon so lange durch die sprichwörtliche Wüste, dass sie nur noch eine vage Erinnerung daran haben, wie die persönliche Wohlfühloase aussieht. Daher ist es wichtig, (mal wieder) herauszufinden, was zu einem passt und was nicht. Dafür kannst du den Test in der Box nutzen (siehe unten).

Nicht selten steht man als Familie aber vor folgendem Problem: Die Strategien der einzelnen Familienmitglieder passen nicht zusammen. Was die einen entspannt, ist für die anderen eher anstrengend, zum Beispiel der Besuch eines Indoor-Spielplatzes. Da gilt es dann, individuelle Lösungen zu finden und sich vielleicht in der Familie aufzuteilen.

Gerade diejenigen, die im Alltag eine hohe Belastung durch die Übernahme von Sorgearbeit in der Familie haben, brauchen auch Zeiten, in denen sie die Verantwortung für andere Menschen abgeben und ihren eigenen Bedürfnissen ohne Einschränkungen und Kompromisse nachgehen können.

Dennoch ist es toll, wenn es das eine oder andere Familienritual gibt, das bei allen für Ruhe und Entspannung sorgt: kuschelige Vorlesezeiten, ein Familien-Heimkino-Abend, gemeinsam in Erinnerungen schwelgen…

Oder einmal im Monat einen Wochenendtag bewusst unverplant zu lassen und sich gemeinsam treiben zu lassen. Zeit zum Nichtstun oder mal wieder eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Uno“ spielen. Oft sind es gerade solche Kleinigkeiten, die zu besonderen Erinnerungen werden.

Was passt zu dir?

Vielleicht braucht es aber auch mal eine größere Oasenzeit und mehr Abstand zum Alltag, zum Beispiel auf einer Freizeit zum Auftanken oder einem Urlaub ohne die Familie. Auch eine Mutter- oder Vater-Kind-Kur oder bei älteren Kindern eine Kur allein kann dafür sorgen, mal für drei Wochen fern des Alltags Entlastung zu erleben und die Beziehung untereinander zu stärken.

Finde heraus, welche Dimension deine Oase haben soll und was zu dir passt. Erinnere dich an frühere Hobbys, die vielleicht im Trubel des Familienalltags aus dem Blick geraten sind. Wenn Strategien von früher nicht mehr funktionieren, probiere etwas Neues aus. Ausgetretene Pfade zu verlassen und kleine Abenteuer zu erleben, sorgt für Abwechslung – und schon sieht die Wüste ein bisschen lebendiger aus.

Julia Otterbein ist Diplom-Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach und lebt mit ihrer Familie in Süderbrarup/Schleswig-Holstein. familywithlove.de

 

SELBSTTEST ZUM AUFTANKEN

Introvertiert oder extrovertiert?
Während introvertierte Menschen besser regenerieren, wenn sie allein sind, können Extrovertierte im Kontakt mit anderen Menschen ihre Akkus aufladen.

Aktiv sein oder entspannen?
Brauchst du mehr Bewegung als Ausgleich zu deinem Alltag oder bewusstes Nichtstun und Ent-Spannung?

Inspiration für den Kopf oder Gedanken zur Ruhe kommen lassen?
Ermüdet dein Geist durch zu wenig oder zu viel Input? Sorge dann bewusst für das Gegenteil durch ein interessantes Buch, einen inspirierenden Podcast oder durch Stille und das Niederschreiben von Gedanken.

Raus in die Natur?
Viele Menschen halten sich viel zu oft in Innenräumen auf – da kann Zeit an der frischen Luft und außerhalb von bebauten Gebieten den nötigen Ausgleich schaffen.

Mittagsschlaf?
Gerade wenn der Nachtschlaf im Familienleben häufiger zu kurz kommt, kann ein Mittagsschlaf oder eine gemeinsam vereinbarte Mittagsruhe zu einer wohltuenden Oase werden.

Gemeinsame Familienrituale oder Zeit für sich allein?
Mal braucht es das eine und mal das andere – plant am besten beides für euch ein.

Heute schon gelacht?
Lachen ist gesund für Körper und Psyche. Es entspannt den Körper, reduziert Stress und lindert sogar Schmerzen. Probiert es mal aus!

Autofrei – Wie eine Familie ohne eigenes Auto lebt

Alle Welt redet von der Verkehrswende, Familie Beyerbach macht es. Mutter Tabea erzählt, wie sie mit ihrer sechsköpfigen Familie ohne Auto klarkommt.

Wundert sich der Chef: „Heute eine halbe Stunde zu früh?“ – Angestellter: „Mein Auto ist nicht angesprungen, da bin ich zu Fuß gekommen.“

Zu meinem Führerschein habe ich von meinem großen Bruder einen Schlüssel für den familieneigenen VW-Bus und ein Witzebuch für Autofahrer bekommen. Niemand hätte damals gedacht, dass auf lange Sicht das Witzebuch das bessere Geschenk war. Ausdauernd kutschierte ich meine Jugendgruppe durch die Gegend. Das endete mit dem Auszug von daheim zu Beginn meiner Ausbildung. Da hatte sich auch das mit dem Auto erledigt. Das Azubi-Gehalt gab ein Auto nicht her.

Eine Frage des Geldes

Einige Jahre, Umzüge und ein Studium später lerne ich, immer noch autolos, meinen Mann kennen. Bei der Wahl der ersten gemeinsamen Wohnung achten wir auf eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. In diesem Fall heißt gut: werktags zweimal pro Stunde eine Bahn, sonntags nur einmal und ab 22 Uhr nur noch ein Rufbus. Mein Einkommen als Berufsanfängerin ist nicht üppig, wir versuchen, die Fix-Kosten niedrig zu halten. Mit der Geburt von Kind Nummer 1 zieht ein Fahrradanhänger in die Garage ein. Dieser leistet auch gute Dienste beim Einkauf. Mein Mann ist in dem Jahr Erziehungszeit oft stundenlang unterwegs, und das Kind liebt den Fahrradanhänger. Bei den gelegentlichen Autofahrten gibt es spätestens nach 45 Minuten Stress – im Anhänger ist stundenlang Ruhe. Haben wir bei Kind Nummer 1 noch bis zum sechsten Monat mit der ersten Fahrt gewartet, ist Kind Nummer 2 mit vier Wochen bereits mit uns unterwegs. Dann steht ein Umzug an. Uns ist klar, dass wir weiterhin ohne Auto leben wollen. Das Thema „Umweltschutz“ nimmt nun einen größeren Raum ein und das Geld ist noch immer knapp. Da passt die Redewendung „aus der Not eine Tugend machen“ ziemlich gut.

Nun leben wir in einer mittelgroßen Stadt. Ein Auto ist hier wirklich überflüssig und eher lästig. Zu unserer Wohnung gehört kein Parkplatz, sodass wir entweder teuer einen mieten müssten oder uns jedes Mal im Wohngebiet etwas suchen. Kind Nummer 3 gesellt sich zu uns und das ist nun wirklich eine Herausforderung: drei Kinder zwischen null und dreieinhalb Jahren auf dem Fahrrad, das ist anstrengend. Leider sind die ersten beiden Kinder in motorischer Hinsicht keine Überflieger, es dauert ewig, bis sie selbst so gut Fahrrad fahren können, dass ein gemeinsames Fahren möglich wird. Auf der anderen Seite – wo sollen wir überhaupt hin? Spielplätze sind fußläufig erreichbar und zu den Großeltern kommt man mit dem öffentlichen Nahverkehr. Für den Wocheneinkauf haben wir einen Bollerwagen, der auch bei Ausflügen zu Fuß gute Dienste leistet.

Profis im Zugfahren

Bevor jetzt der Eindruck entsteht, wir würden das perfekt lösen, hier noch ein paar andere Seiten: Viele Jahre sind meine Schwiegereltern einen Monat im Jahr ohne Auto im Urlaub. In dieser Zeit können wir dieses Auto ausleihen. Zudem leihen wir uns für eigene Urlaube gelegentlich ein Auto oder können das meiner Eltern nutzen.

Dann kommt Kind Nummer 4 zur Welt und das Ausleihen des Autos innerhalb der Familie erübrigt sich. Wir sind zu viele Personen. Das macht aber nichts, denn inzwischen sind die drei Großen gute Fahrradfahrer und der Zwerg fährt bei mir mit. Seit Neuestem besitze ich ein E-Lastenrad, das leistet uns gute Dienste beim Kinder- und Krempeltransport. Endlich kann ich Besuchskinder mitnehmen und selbst ein mittelgroßer Kaufrausch in der Baumschule ist kein Problem.

Es gibt kaum Situationen, in denen ich ein Auto ernsthaft vermisse, aber unser Leben ist eben auch auf das Leben ohne ausgerichtet. Unsere großen Kinder fahren seit dem ersten Schultag selbstständig mit dem Bus in den Nachbarort zur Freien Schule und sind auch in ihrer Freizeit mit dem Busticket unterwegs. Seit es neun ist, fährt das älteste Kind allein zu den Großeltern (45 Minuten mit Zug und Bus), jetzt mit 12 sind auch unbekannte Busstrecken kein Problem mehr. Besuche bei Freunden, die weiter entfernt wohnen, brauchen eine gründliche Vorausplanung, aber unsere Kinder sind Profis im Zugfahren. Zudem kann man sich als Eltern im Zug besser um die Kinder kümmern (zum Beispiel wickeln und stillen) und eine Toilette ist meist auch dabei. Natürlich können wir auch Geschichten von überfüllten Zügen, kaputten Toiletten und nervigen Mitreisenden erzählen, aber wir kennen auch Berichte von Autobahnsperrungen, üblen Rastanlagen, dauerstreitenden Kindern und Reiseübelkeit.

Das Auto als Selbstverständlichkeit?

Mit den Jahren ist der finanzielle Aspekt in den Hintergrund getreten. Aber wenn mir jemand erzählt, was die letzte Autoreparatur gekostet hat, grinse ich still in mich hinein. Was mich allerdings viel mehr beschäftigt, sind die negativen Aspekte des Autofahrens. Wir wohnen mitten in der Stadt. Wenn man sich nun vorstellt, dass hier kein privater PKW-Verkehr mehr durchführe, die Parkplätze Raum für Fußgänger und Radfahrerinnen böten und die Bäume nicht mehr nur kleine Felder zugewiesen bekämen – traumhaft.

Ich höre schon die Gegner rufen: Was ist mit den Menschen, die schlecht zu Fuß sind, auf dem Land leben und im Schichtdienst arbeiten? Da habe ich keine schnelle Lösung und sehe auch, dass im öffentlichen Nahverkehr Luft nach oben ist. Was ich aber ebenfalls sehe: dass viele Menschen das eigene Auto als Selbstverständlichkeit einplanen. Ihr Leben funktioniert nicht ohne Auto, weil sie es sich, oft nicht mal bewusst, so eingerichtet haben. Sie leben in diesem Bereich auf Kosten anderer Menschen und künftiger Generationen. Ganz direkt durch Lärm, Gestank und Feinstaub oder auch indirekt durch die Klimaveränderungen. Ich weiß, dass zur Verhinderung der Klimakatastrophe das Umdenken in vielen Bereichen notwendig ist. Wir müssen anfangen, unseren Lebensstil zu verändern. Und ich finde, bei der Mobilität ist das oft problemlos möglich, auch wenn es zu Lasten der Bequemlichkeit geht.

Tabea Beyerbach hat Betriebswirtschaft studiert. Sie lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.

Geliebte Nervensäge

Kann man sich ein Leben lang faszinierend finden trotz all dieser wahnsinnig nervigen Eigenschaften, die wir alle mit uns herumtragen? Eigentlich nicht, meint Steffi Diekmann – und doch kann die Faszination immer wieder neu aufblühen.

Ich bin hellwach. Wie immer beginnt mein Tag früh und mein Mann schläft. Sein Schnarchen macht mich sauer. Wie kann er so pennen? Klar gönne ich es ihm. Aber wir haben eine lange Liste an Kleinigkeiten zu bewältigen heute. Und er … ist tiefenentspannt.

Als Jugendliche fand ich an Henrik so faszinierend, dass er klar und gelassen wirkte. Klar in seinen Aussagen, Handlungen und Haltungen und sehr entspannt mit Kindern, desaströsen Chorproben und hitzigen Diskussionen. Und mit mir. Meine Emotionen sind rau, oft ungefiltert und meine Wahrheit ist ganz lange wahr – bis Henrik mir hilft, den Horizont zu weiten.
Diese Faszination hatte er für meine Vielfältigkeit, Entschlossenheit und Kreativität auch. Gute Voraussetzungen, um sich ein Leben lang neu zu entdecken, oder?
Am Beginn unserer Ehe haben wir uns oft über den kühlen Ton mancher Ehepaare gewundert, die verloren gegangene Faszination und wachsende Lieblosigkeit. Während ich mich nun durch meinen schlummernden Mann mit den Tagesaufgaben allein gelassen fühle, stelle ich fest: same here. Die Erkenntnis, dass ich ihm nicht mal ein Ausschlafen gönne, trifft mich nicht zum ersten Mal.

ÜBERFORDERT DURCH DEN FAMILIENALLTAG

Als nach und nach Kinder in unser Leben traten, ließ meine Faszination für seine eindeutigen Ansagen nach und wich immer öfter meiner Bitte um mehr Einfühlungsvermögen. Aus meinem bezaubernden Menschenflüsterer wurde ein polternder Vater, wenn der Apfelsaft zum wiederholten Mal umfiel. Seine Klarheit, die ich einordnen konnte, empfanden Freunde oft als Arroganz oder Lieblosigkeit. Gleichzeitig erinnere ich mich, dass in dieser Phase immer mehr Rückmeldungen zu meinem „alltäglichen Drama“ von ihm kamen. Meine Überforderung, meine Gefühle und Wahrnehmungen zu sortieren, wuchs und wurde sichtbarer. Wir hatten auf der einen Seite das Glück, Familie zu werden, das verlangte uns auf der anderen Seite aber auch viel ab.

Was am Anfang gülden schimmerte, blendete uns nun gegenseitig schmerzhaft, wenn die eigenen Kräfte am Limit waren. Durch einen von Bronchitis begleiteten Kleinkindalltag, finanzielle Herausforderungen, Schlafdefizit vom Feinsten, Streit in der Kirchengemeinde und veränderte Beziehungen zu Eltern und Familie sehnten wir uns nach einem Partner, der das Zuhause-Gefühl bedingungslos ausstrahlt. Ein Partner, der sich auf mich freut und mir zeigt, wie willkommen ich bin. Die wachsende Anspannung sorgte jedoch dafür, dass ich den Reaktionen meines Partners immer kritischer gegenüberstand. Das reibungslose Prinzip unserer Anziehungskraft wurde erschüttert. Wir nervten uns.

EIN GEHÖRIGER SCHRECKEN

Dabei hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Als wir in einem verregneten Low Budget Campingurlaub ankamen, legte sich Henrik erst mal fiebernd und schlafend hin. Ich bebte innerlich vor Neid und Empörung. Wie konnte er mich so mit dem ganzen Chaos alleine lassen? Ausladen, auspacken, aufbauen, Kinder versorgen und mein Mann lag darnieder!

Mein unbarmherziger Ärger jagte mir selbst einen gehörigen Schrecken ein. Damals traf ich einen Entschluss: Ab sofort wollte ich nicht mehr aufrechnen, wer wann wie viel wickelt, füttert, Hausaufgaben begleitet oder putzt. Ich traf den Entschluss nicht demütig, sondern weil mein Zorn auf meinen Partner so groß war, dass ich von mir selbst schockiert war. Seine Gelassenheit und entspannte Sicht waren die schimmernden Faszinationspunkte und ich war gerade dabei, sie mit Alltagsstaub zu bewerfen. Bei einer Tasse Tee teilte ich meinem immer noch kranken Mann meinen Entschluss mit und er begann wieder zu strahlen. Als ich aufhörte, ihn zu attackieren, wurde ich mit seiner Fürsorge beschenkt. Bis heute erzählt er, wie gut es ihm getan hat, dass ich jeden Morgen die Frühschicht übernommen habe.

Danach lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Schön wär’s! Wenn ich Henrik heute frage, was ihn an mir richtig nervt, kommen Umschreibungen der Dinge, die ihn einmal sehr angezogen haben. Natürlich kenne auch ich diese Seiten an mir. Doch dieses Wissen schützt nicht vor Missverständnissen, manchmal ebnet es ihnen sogar den Weg: Wenn Henrik eine Schere sucht, rattert es in meinem Kopf. Ich habe für seinen Blick, sein Seufzen eine Deutung. Ich meine, meinen Mann so gut zu kennen, dass ich weiß, was er ausdrücken will. Ich bin mir bewusst, dass er unter meiner Kreativität leidet, jeden Tag einen neuen Platz für eine Schere zu finden. Als dies aus mir herausplatzt, guckt mich mein Mann ganz verdutzt an: „Äh, nein! Ich suche nur eine Schere. Ich denke dabei nicht an dich.“ Den Fokus auf die Reibungspunkte zu legen, ist eine Falle im Bewältigen des Alltags.

AN DIE GUTEN TAGE ERINNERN

Um den Partner aus der Bewertungsklammer zu entlassen, hilft uns ein Schritt zurück. Wie haben wir zusammen eine lustige Episode erlebt, einen großen Streit in der kirchlichen Kleingruppe geschlichtet oder Trauer gemeistert? Wenn wir aussprechen, was wir in diesen Erlebnissen am anderen wohltuend wahrgenommen haben, ist das wie ein Zündfunke für den Faszinationsglimmer zwischen Verbündeten.

Ich erinnere mich, welche Wesenszüge zu Beginn unserer Ehe strahlend waren, und frage mich: Wo sehe ich das heute? Was könnte ich heute an meinem Partner loben und neu bewerten? Dies können kleine Dinge sein, die neu verbindend zwischen uns wirken. Den Duft des anderen wahrnehmen, das kleine Lächeln der Augen sehen, einen klugen Satz hervorheben, sich bedanken für Alltägliches. Das Enttäuschende und Trennende zu benennen, ist für mich keine Kunst. Vor Freunden den Partner zu loben, zu ihm zu stehen oder im Beisein der Eltern von den Erfolgen des anderen zu sprechen, aber sehr wohl. Mit diesen Entscheidungen entsteht ein neuer Glanz. So glimmen neue Anziehungspunkte am Partner auf. Heute treffe ich wieder diese Entscheidung wie vor Jahren im Campingurlaub: Ich will meinen Mann entdecken.

Wenn ein bewusstes Hinsehen auf die Stärken des anderen nicht möglich erscheint, so kann eine kleine Geste helfen. An welchem Moment des Tages lächle ich meinen Mann gern an? Dieses Lächeln hat meinen Mann tatsächlich schon oft von den beengenden Klebefolien meiner Bewertung befreit. Sein Lob bringt mich zum Lächeln und so funkeln wir uns mitten im Alltag neu an.

Jetzt steht mein Mann endlich verschlafen vor mir. Nimmt mich in den Arm. Während ich seinen Duft aufsauge, flüstert er: „Schon so wach? Wir schaffen den Tag schon, mein Schatz …“ Ich seufze und entscheide mich, seine entspannte Haltung wundervoll zu finden. Einen tollen Mann habe ich!

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

Den Partner neu entdecken

Im stressigen Alltag kann es schnell passieren, dass der Mensch an unserer Seite vor allem nervt. Folgende Fragen können helfen, immer wieder eine neue Perspektive zu gewinnen.

Warum nervt mich das gerade so? Mal angenommen, es geht nicht darum, mich zu schikanieren: Kann ich nachvollziehen, warum er oder sie so handelt? Was hat mich am Anfang so fasziniert an meinem Partner? Wo und wie sehe ich das heute? Was haben wir zusammen erlebt und durchgestanden? Was habe ich dabei über uns erfahren? Mit welchen kleinen Gesten könnte ich heute erfreuen? Wo möchte ich gerne großzügig sein? Was würde mir dabei helfen?

Vor den Kindern zoffen?

„Mein Mann und ich streiten uns ab und zu, mal mehr, mal weniger. Neulich hat es am Familientisch so richtig zwischen uns gekracht, und ich frage mich: Ist es okay, wenn man sich vor den Kindern streitet, oder sollte man das besser tun, wenn die Kinder nicht mit dabei sind?“

Es ist ein guter Grundgedanke, nicht vor den Kindern zu streiten. Streit zwischen den Eltern kann bei Kindern zu Verunsicherung führen. Wenn ihre beiden wichtigsten Menschen sich vor ihnen in die Haare bekommen, kommen sie selbst oft in einen Loyalitätskonflikt. Sie haben beide Elternteile lieb und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn diese gerade sauer aufeinander sind oder heftig diskutieren.

Dazu kommt, dass Elternstreit bei Kindern auch zu Ängsten führen kann. Gerade wenn diese schon alt genug sind und vielleicht schon einmal mitbekommen haben, dass Erwachsene sich getrennt haben, können sie fürchten, dass das ihren Eltern nun auch passiert. Es gibt also auf den ersten Blick gute Gründe, Streit vor den Kindern zu vermeiden.

WENN STREITEN, DANN „RICHTIG“

Tatsächlich gehen hier jedoch in den meisten Familien Wunsch und Realität weit auseinander. Und das ist auch gar nicht so schlimm, wenn man ein paar Regeln beachtet. Wichtig ist, eine Streitkultur zu pflegen, in der kein Elternteil das andere abwertet, wissentlich kränkt oder beleidigt. Wir Menschen sind unterschiedlich impulsiv und folglich streiten manche Paare lautstärker und gefühlsgeladener als andere.

Bis zu einem gewissen Maß darf das so sein, denn unsere Kinder dürfen auch unsere Temperamente kennenlernen. Doch gerade wenn man von sich weiß, dass man zu sehr starken Gefühlsausbrüchen neigt, ist es wichtig, im Beisein der Kinder rechtzeitig die Reißleine zu ziehen und beispielsweise zum Durchatmen den Raum zu verlassen. Wenn Fragen zu tief gehen, für Sie als Eltern zu emotional besetzt sind oder schwere Themen betreffen, sollte eine Diskussion tatsächlich vertagt werden und nicht vor den Kindern stattfinden.

Wenn wir so vor unseren Kindern streiten, können diese am Ende sogar etwas dabei lernen. Sie bekommen von Anfang an mit, dass Menschen verschiedener Meinung sein können, ja sogar einmal richtig in Konflikt miteinander geraten und sich trotzdem noch liebhaben. Sie können sehen, dass Meinungsverschiedenheiten keinen Beziehungsabbruch bedeuten müssen und nichts Bedrohliches sind. Sie können so selbst lernen, für sich einzustehen und keine Konflikte zu scheuen.

VERSÖHNUNG IST WICHTIG

Doch das Wichtigste, was sie von uns lernen können, ist, sich nach dem Streit wieder zu vertragen. Generell halte ich viel davon, sich Dinge nicht lange nachzutragen und sie schnellstmöglich zu klären. Wie wäre es mit einer für die Kinder sichtbaren Versöhnung, sobald der Essenstisch abgeräumt und das Streitthema geklärt ist? Falls es einmal nicht so schnell gehen kann, finde ich es wichtig, den Kindern hinterher zumindest zu erzählen, dass der Streit geklärt ist und man sich wieder vertragen hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern– und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter www.eltern-familie.de. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

So wird die Weihnachtszeit entspannt

Weihnachten kommt immer so plötzlich … Und leider wird es in der Weihnachtszeit oft hektisch und stressig. Die Pädagogin Sarah Maria Röckel gibt Tipps, wie die Adventszeit und die Feiertage entspannt gefeiert werden können. 

Wenn wir zu viel Zeit damit verbringen, unsere weihnachtlichen To-Do Listen abzuarbeiten, ist plötzlich Heiligabend und die magische Vorweihnachtszeit nur so an einem vorbei gerauscht, während man hektisch Geschenke besorgt, Deko gebastelt und Weihnachtskarten geschrieben hat. Besonders Eltern sollten daher immer wieder daran denken, ihre Batterien aufzuladen. Denn auch Kinder haben nichts von genervten Eltern! Es lohnt sich, sich bewusst zu machen: Dein Kind kennt nicht das perfekte Deko Pinterest Board und es wird sich in zehn Jahren auch nicht daran erinnern, ob der Adventskalender gebastelt und die Plätzchen selbst gebacken wurden oder beides gekauft war. Woran es sich erinnern wird, sind Kuschelnachmittage mit Kakao auf dem Sofa und der gemeinsam geschmückte Baum!

Höchste Zeit also, Traditionen neu zu überdenken! Welche Weihnachtsrituale möchte man übernehmen und welche dürfen getrost über Bord geworfen werden?

Für ein „Mindful Christmas 2021“ gibt es drei Geheimzutaten:

– eine gute, vorausschauende Planung

– den Perfektionsanspruch runterschrauben

– nach Hilfe fragen (und diese auch annehmen)

  1. Gute Planung ist die halbe Miete!
  • Anfang November wird es Zeit für den „Familienstammtisch“! Dann kann gemeinsam besprochen werden, wer welche Wünsche für die Weihnachtszeit hat. Jedes Kind darf 1-2 Wünsche für Aktivitäten äußern. Außerdem ausreichend Platz für Spontanität und Pausen einplanen.
  • Geschenkideen für Familie und Freunde sollte man sich spätestens im November überlegen. Wenn möglich, können Geschenke schon Anfang Dezember besorgt werden, sodass auf den letzten Metern kein Stress ausbricht.
  • Statt Unmengen handgeschriebener Karten für die ganze Verwandtschaft könnte man auch einen sogenannten Familienbrief schreiben. Jedes Familienmitglied schreibt oder malt etwas, was mit dem vergangen Jahr zu tun hat. Am Ende wird alles mehrfach kopiert und in bunte Umschläge gesteckt – oder digital verschickt.
  1. Weniger Perfektion, mehr Spaß!
  • Dir macht es Spaß, einen Adventskalender zu basteln? Super, dann mach das! Aber sei dir gewiss: Der Adventskalender von der Stange tut es genauso. Mach dir also nicht zu viel Druck!
  • Kekse backen mit der ganzen Familie kann viel Spaß machen – aber gerade mit kleinen Kindern ist danach oft ein Großputz nötig. Es ist überhaupt nicht schlimm, Kekse im Supermarkt zu kaufen. Das gemeinsame Naschen und dabei Weihnachtsliedern lauschen ist viel wichtiger!
  • Weniger ist mehr – das gilt bei Geschenken, bei Deko, bei Treffen mit Freunden – bei fast allem! Setze deine Prioritäten und schau, was wirklich nötig ist und was dir Spaß macht.
  1. Mit einer Portion Hilfe geht vieles wie von Zauberhand!
  • Wenn möglich, nutze den Geschenke-Einpack-Service, den viele Geschäfte und Onlineshops während der Vorweihnachtszeit anbieten.
  • Ob an Heiligabend, zum Nikolaus Kaffee oder für den Wichtelabend: Gastgeber/in sein macht Spaß, aber eben auch viel Arbeit. Daher sollte das Motto lauten: klar, kommt gerne zu mir – aber jeder bringt etwas mit und hilft am Ende kurz beim Aufräumen.
  • Niemand trägt die Verantwortung für eine gelungene Weihnachtszeit ganz alleine. Daher gilt: Partner/in und Kinder dürfen gerne mit eingespannt werden. Das gilt für konkrete Aufgaben wie Besorgungen erledigen, aber auch für die klassischen „mental load“-Themen, also sich zu überlegen, wer welches Geschenk bekommt und was Weihnachten auf dem Tisch stehen soll.

Quelle: Kindsgut

Kinder brauchen Bewegung

Bewegung ist für Kinder und Jugendliche enorm wichtig: Sie hält körperlich fit, stärkt das Selbstvertrauen, gleicht Stress aus und macht Spaß. Drei Fragen an Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA):

Warum ist Bewegung so wichtig?

Regelmäßige Bewegung, sei es die körperliche Aktivität im Alltag oder beim Sport, fördert eine gesunde Entwicklung. Das gilt für den physischen, psychischen und auch den sozialen Bereich: Bewegung macht Spaß und hält fit, verbraucht Energie und beeinflusst das Gewicht positiv. Darüber hinaus gleicht Bewegung Stress aus. Beim Gemeinschaftssport lernen Kinder und Jugendliche, sich in eine Gruppe einzufinden, gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und mit Erfolgen und Niederlagen umzugehen. Darüber hinaus wird schon frühzeitig der Grundstein für ein bewegtes Leben gelegt. Denn Kinder und Jugendliche, die sich viel bewegen, sind auch als Erwachsene häufiger aktiv.

Wie viel Bewegung sollte es mindestens sein?

Je nach Alter gibt es unterschiedliche Empfehlungen: Säuglinge und Kleinkinder bis drei Jahre sollten sich so viel wie möglich bewegen. Eltern sollten dem Bewegungsdrang ihres Kindes freien Lauf lassen. Für Kindergartenkinder lautet die Empfehlung drei Stunden und mehr am Tag und für Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren sind es 1,5 Stunden. Davon kann eine Stunde eine einfache Bewegung im Alltag sein, wie das Gehen. Die Devise lautet: Hauptsache, täglich bewegen! An zwei bis drei Tagen darf es noch etwas anstrengender werden, wie beim Fußballspielen, Radfahren oder Schwimmen.

Welche Rolle spielt die Familie dabei?

Kinder lernen vor allem am Vorbild: Wenn sich Eltern viel bewegen und körperlich aktiv sind, wird dies auch für ihren Nachwuchs selbstverständlich. So kann der Weg zur Schule, in die Kita oder zum Einkaufen oft auch zu Fuß oder mit dem Rad erledigt werden.  Auch Rituale wie ein gemeinsamer Nachmittag zum Toben sind sinnvoll. Eltern können ihr Kind dabei unterstützen, verschiedene Sportarten auszuprobieren, um die passende Sportart zu finden. Dabei kommt es auf den Spaß und nicht die Höchstleistung an. Sportvereine und für die Älteren auch Fitnessstudios bieten ein vielfältiges Angebot – einfach ausprobieren.

 

Wie lange man höchstens sitzen sollte:

Immer mehr Kinder und Jugendliche sitzen viel, oft auch in der Freizeit, und bewegen sich wenig. Zu langes Sitzen ist jedoch ungesund: Es belastet den Bewegungs- und Halteapparat, begünstigt die Entstehung von Übergewicht und erhöht das Risiko für Spätfolgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Mellitus Typ 2, Depressionen oder Burnout. Wenn möglich, sollten Eltern daher lange Sitzzeiten ihres Kindes alle 20 Minuten mit einer kleinen Bewegungsaktivität unterbrechen. Hilfreich ist, wenn sie selbst als Vorbild sitzende Tätigkeiten, wie telefonieren oder Kartoffeln schälen, auch mal im Stehen erledigen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass Eltern darauf achten, dass ihre Kinder nicht zu lange vor PC, Tablet und Co sitzen: Für Drei- bis Sechsjährige sollten es pro Tag idealerweise maximal 30 Minuten sein, für Sechs- bis Elfjährige höchstens eine Stunde und ab 12 Jahren nicht mehr als zwei Stunden täglich.

 

Tipps für mehr Bewegung:

Die BZgA hat speziell für die Zeit der Pandemie ein Mitmach-Programm für Kinder ab dem vierten Lebensjahr entwickelt, das auch zu Hause nachgeturnt werden kann. Die Videoreihe umfasst insgesamt 15 Folgen. Diese dauern jeweils zwischen 14 und 18 Minuten, der Ablauf ist immer gleich: Begrüßungsritual mit Klatschrhythmus, Warm-Up, Jonglierstunde, Spielekiste und „Kinder stark machen mit Antje“, wo es um verschiedene Spiele wie Wortsalat oder Begriffe raten geht:

www.kinderstarkmachen.de/suchtvorbeugung/eltern/zuhause-in-bewegung-bleiben/

 

Weitere Tipps:
  • Fangen, Federball, Frisbee, Seilspringen, Klettern, im Kinderzimmer Höhlen bauen oder im Wohnzimmer eine kleine Tanzparty veranstalten – es braucht nicht viel, um in Bewegung zu kommen.
  • Planen Sie gemeinsame Aktivitäten: Gehen Sie schwimmen, in den Park, auf den Spielplatz oder in die Kletterhalle. Verabreden Sie sich mit anderen Familien zum Ballspielen, zum Spazierengehen oder zu einer Fahrradtour. Oder wie wäre es mit Bouldern und Hula-Hoop?
  • Schlechtes Wetter gibt es nicht – draußen sind Sport und Spiele am schönsten. Es braucht nur die richtige Kleidung.
  • Begleiten Sie Ihr Kind zum Sport, zeigen Sie Interesse und Loben Sie Erfolge. Loben ist gut, aber zeigen Sie Ihrem Kind auch, dass es nicht schlimm ist, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Neue Versuche und üben gehören dazu! Auch größere Kinder und Jugendliche freuen sich über Anerkennung und Unterstützung.
  • Eine Fitness- oder Bewegungsapp kann motivieren. Sie soll den Spaß an der Bewegung fördern und nicht den Wettbewerb. Am besten wählen Sie die App zusammen mit Ihrem Kind aus.

 

 

Im Familien-Chaos? Expertin verrät: Eine gemeinsame Vision kann die Lösung sein

Beraterin Adelina Friesen hilft ratlosen Familien dabei, wieder zueinander zu finden. Sie ist überzeugt: Eine Vision kann dabei helfen.

Warum suchen Familien nach Visionen?

Der eigentliche Anlass kann sehr unterschiedlich sein. Allgemein gilt: Eine Vision kann im Alltag helfen. Wenn eine Familie ein gemeinsames Ziel hat, wenn alle zusammen überlegt haben, wer sie sein wollen, dann können sie im Alltag einfacher Entscheidungen treffen. Oft kommen Familien durch Krisen und Herausforderungen zu einer Visionssuche. Jetzt gerade durch die Pandemie ist das eingespielte Familienleben auf den Kopf gestellt, und ich erlebe häufig, dass Familien sich neu orientieren wollen: Was machen wir eigentlich mit unserer Zeit? Vor allem: Was machen wir mit unserer gemeinsamen Zeit? Was wollen wir? Wo wollen wir hin? Und wie können wir das gestalten?

Geht es nicht auch ohne Vision?

Natürlich geht es auch ohne Vision. Ich denke allerdings, dass viele Familien eine Vision und bestimmte Werte haben, auch wenn sie diese nicht direkt formuliert haben.

Visionen bringen Partner zusammen

Aber du empfiehlst Familien, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und zu formulieren?

Ja. Es gibt eine unglaubliche Lebensqualität, zu wissen, wofür man lebt, und das auch umzusetzen. Eine Mutter von drei Kindern sagte mal im Anschluss an den Prozess: „Ich war überrascht, wie wenig ich über meine Familie wusste.“ Sie waren als Familie an einem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr zueinander finden konnten. Der Mann hat viel gearbeitet, beide waren sehr engagiert, sie waren viel unterwegs und dabei ist einiges untergegangen. Sie waren hinterher sehr dankbar, weil sie wieder Wege zueinander gefunden haben. Sie haben sogar am Ende gemeinsame Freizeitaktivitäten gefunden, was vorher problematisch war.

Was ist wichtig?

Wie läuft so eine Beratung ab?

Es ist wie ein großes Brainstorming. Einer der wichtigsten Momente in dem ganzen Prozess ist, dass man sich Zeit nimmt, jedem zuzuhören. Das hört sich einfacher an, als es in der Realität ist. Familien haben eingespielte Muster, die schnell sichtbar werden. Ich erkläre den Prozess mal am Beispiel einer Familie mit zwei Kindern: In die Mitte eines Plakates wird ein Kreis gemalt. Dann werden Kreise um diesen inneren Kreis gemalt, für jedes Familienmitglied einen. Jedes Kind und jeder Erwachsene darf dann sagen, welche Werte ihm oder ihr wichtig sind, zum Beispiel Ehrlichkeit oder Freundlichkeit oder Ruhe. Alle anderen müssen zuhören. Die Begriffe werden dann in den Kreis geschrieben, der zur betreffenden Person gehört. Anschließend wird das Plakat aufgehängt. Gemeinsam schauen wir es uns an. Dadurch, dass in dieser Phase jedem zugehört wird, entstehen sehr wertvolle Momente, weil auch die Familienmitglieder mitunter überrascht sind, was die anderen Personen wichtig finden.

Nach dieser Brainstorming-Phase wird sortiert. In den mittleren Kreis werden die gemeinsamen Werte geschrieben, die wir im Gespräch finden. Das sind die Familienwerte. Alle Familienmitglieder müssen mit ihren Vorstellungen darin vorkommen. Wichtig ist, dass diese Werte visualisiert werden. Es gibt außerdem eine sehr wichtige Regel: Der Einzelne darf nicht übergangen werden und muss in seinen Wünschen ernst genommen werden.

Wichtige Fragen

Kannst du uns Tipps geben, wie Familien selbst eine gemeinsame Vision finden können?

Man könnte zu Hause eine Art Familienkonferenz daraus machen. Wichtig ist, dass man einen Raum schafft, in dem man nicht abgelenkt wird. Folgende Fragen können ins Gespräch führen:

Was macht uns als Familie aus?
Welche Ziele haben wir?
Wie wollen wir miteinander umgehen?
Haben wir Vorbilder?
Was gefällt uns bei anderen Familien gut?

Wie kann man kleine Kinder da einbinden?

Mit Fragen wie:

Was ist deine schönste Erinnerung?
Was ist dein schönstes Erlebnis mit uns als Familie?
Was magst du an unserer Familie?
Was macht uns als Familie glücklich?

Prozess lohnt sich auch mehrmals

Und wie geht‘s dann weiter?

Indem man schaut: Welche Werte sind uns wichtig? Es kann helfen, zunächst zehn Werte zu formulieren und diese dann auf drei zu beschränken. Auch zu Hause können die Werte auf einem Plakat gesammelt werden. Mit kleinen Kindern kann diese Phase sehr chaotisch sein. Da bietet es sich an, den Prozess in Etappen zu gliedern. Je nachdem, wie festgefahren die Kommunikationsstrukturen in der Familie sind, würde ich aber einen Moderator empfehlen. Die Punkte verändern sich auch mit der Zeit. Es lohnt sich, das Gespräch über gemeinsame Werte immer wieder zu suchen.

Adelina Friesen ist Beraterin für Familien und in Ausbildung zur pastoralen Seelsorgerin.
Das Interview führte Lilli Gebhard. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Deutsch am Gymnasium und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart.