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Bedürfnisse von Eltern und Kindern ausbalancieren

Bei der „Bedürfnisorientierten Erziehung“ stehen die Kinder im Fokus. Doch auch die Bedürfnisse der Eltern zählen. Therapeutin Melanie Schüer gibt Tipps, wie Eltern und Kinder zufrieden bleiben.

Babys nah am Körper tragen, nach Bedarf stillen, Matratzenlager als Familienbetten … all das ist zurzeit bei jungen Eltern längst keine Ausnahme mehr, sondern gehört immer häufiger zur Normalität im Alltag mit Säuglingen und Kleinkindern. Seit einigen Jahren orientieren sich immer mehr Eltern am Ansatz der sogenannten „Bedürfnisorientieren Erziehung“. Diese Denkweise schenkt der Eltern-Kind-Beziehung besonders viel Beachtung. Körpernähe, Tragen, Einschlafbegleitung beziehungsweise gemeinsames Schlafen sind dabei wichtige Elemente. Die Bedürfnisorientierte Erziehung geht davon aus, dass Babys und Kleinkinder immer einen legitimen Grund für ihr Verhalten haben, denen bestimmte Bedürfnisse zugrunde liegt, und nie weinen oder quengeln, um ihre Eltern zu „ärgern“ oder „Grenzen auszutesten“.

Die Angst vor dem Verwöhnen

Tatsächlich ist ein Verständnis im Sinne von „Passt auf, der will nur schauen, wie weit er gehen kann!“ oder „Wenn ihr auf jedes Weinen reagiert, tanzt sie euch bald auf der Nase herum!“ und damit eine Angst vor dem „Verwöhnen“ noch weit verbreitet. Jedoch geht das an der Realität vorbei.

Wichtig dabei ist aber, zu verstehen: Eltern, die kindliche Bedürfnisse erkennen und erfüllen, verwöhnen nicht. Sie nehmen ihre Kinder ernst und geben ihnen eine wichtige Erfahrung mit auf den Weg: Nämlich, dass sie ernst genommen und liebevoll umsorgt werden. Das ist eine wichtige Basis für die Entstehung von Urvertrauen und Beziehungsfähigkeit.

Natürlich kann man Kinder „verwöhnen“ oder „verweichlichen“, doch das bedeutet etwas ganz andres:

  • wenn Kindern ständig Aufgaben abgenommen werden, die sie schon selbst ausführen könnten
  • wenn Kindern der Eindruck vermittelt wird, dass nur ihre Bedürfnisse zählen und sich die ganze Welt um sie dreht
  • wenn Kindern nie Frust oder die Erfahrung der Folgen ihres Handelns zugemutet werden

Die 7 Kernpunkte der bedürfnisorientierten Erziehung

Konkret betont die bedürfnisorientierte Erziehung sieben wesentliche Elemente:

  • Birth Bonding: Direkt nach der Geburt sollte Augen- und Körperkontakt zwischen Mutter und Kind ermöglicht werden.
  • Stillen statt Flaschennahrung (Stillen nach Bedarf, ca. ein bis vier Jahre lang, um die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken)
  • Häufiges Tragen des Babys nah am Körper
  • Schlafen in der Nähe des Babys (z.B. Familienbett, Beistellbett)
  • Rasches Reagieren auf das Weinen des Babys
  • Verzicht auf Schlaftrainings, die „(allein) weinen lassen“ beinhalten
  • Balance zwischen den elterlichen und den kindlichen Bedürfnissen

Wünsche oder Bedürfnisse?

Die Balance zwischen kindlichen und elterlichen Bedürfnissen ist Teil der sieben Kernelemente der bedürfnisorientierten Erziehung. Und doch kann der starke Fokus auf die Bedürfnisse des Kindes dazu führen, dass Eltern sich selbst aus den Augen verlieren. Insbesondere dann, wenn Ansprüche wie natürliche Ernährung, windelfreie Erziehung, Familienbett usw. hinzukommen. Eine weitere Schwierigkeit: Die Begründer der Bedürfnisorientierten Erziehung, das Ehepaar Sears, erwähnen zwar den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen, führen dies aber nicht weiter aus. So ist nicht klar, was das Problem ist: Steht hinter dem fünften Aufstehen nach einem liebevollem Einschlafritual mit Kuscheln und Vorlesen ein Bedürfnis nach Nähe, das wir auf keinen Fall verweigern dürfen? Muss ich das Bedürfnis meines Kleinkindes nach Selbstbestimmung erfüllen, wenn es sich weigert, seine Zähne zu putzen? Was zählt mehr, wenn die Mutter abstillen will, das Kind aber nicht?

All das sind nicht nur knifflige Fragen, sondern ganz schnell auch Auslöser für Streitigkeiten zwischen Elternteilen. Und das ist oft eng verbunden mit der großen Angst, etwas falsch zu machen und damit die Eltern-Kind-Bindung zu gefährden oder dem Kind anderweitig zu schaden. Wichtig ist dabei, dass das Bedürfnis, das sich hinter dem Verhalten verbirgt, oft einem größeren Thema entspricht, z.B. „Selbstbestimmung“ oder „Nähe“. Wenn das klar ist, können Eltern schauen: Wie können wir diesem Bedürfnis auf andere Weise gerecht werden, auch wenn wir in dieser Sache etwas durchsetzen müssen – wie: „Die Zähne müssen geputzt werden, damit dein Mund gesund bleibt. Aber du darfst selbst bestimmen, ob vor oder nach dem Lesen. Und wenn du willst, darfst du auch meine Zähne putzen.“

Risiko Eltern-Burn-out

Eigene Bedürfnisse zurückzustellen, auch deutlich mehr als in anderen Lebensbereichen, gehört zum Elternsein dazu. Wenn das Baby nachts Koliken hat, tagsüber wegen Trennungsängsten ständige Nähe sucht oder das Kind zehnmal am Tag erbricht – all das sind Erfahrungen, die Eltern nur bewältigen können, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen.

Aber: Dass die eigenen Bedürfnisse kaum noch zählen, sollte nie zum Dauerzustand werden. Nach einigen Tagen, spätestens Wochen, in denen nur zählt, was das Kind braucht, spüren Eltern immer mehr Anzeichen für einen leeren emotionalen Akku. Gereiztheit, depressive Verstimmungen, Schlafprobleme, körperliche Schmerzen … Vieles kann uns zeigen: Achtung! Me-Time ist kein Luxus, sondern dringend nötig!

Me-Time ist kein Luxus

Dieser Satz kann Eltern kaum oft genug gesagt werden. Wir denken doch oft still und heimlich: „Solange die Kinder glücklich sind, geht’s mir auch gut. Das passt schon. Irgendwann sind sie ja groß.“ Das Problem ist nur: Kinder spüren deutlich, wie es ihren Eltern geht. Und wenn es den Eltern schlecht geht, dann leiden früher oder später auch die Kinder darunter.

„Euer Alltag ist ihre Kindheit“, sagte die Autorin Nicola Schmidt und das bedeutet eben auch: Die elterliche Erschöpfung, Überforderung, permanente Stressbelastung – all das ist Teil dessen, was die Kinder später als „meine Kindheit“ in Erinnerung behalten werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass Kinder keine Probleme mitbekommen sollten. Im Gegenteil, sie dürfen wissen, dass nicht immer alles einfach ist und auch Eltern mal zu kämpfen haben. Gerade so lernen sie auch den Umgang mit Stress und Schwierigkeiten. Aber eben das nur, wenn Eltern genau das angehen: Einen guten Umgang mit den Herausforderungen des Alltags zu verfolgen. Und das geht nur, indem sie auch eigene Bedürfnisse absolut ernst nehmen und ihnen Priorität einräumen.

Die „Spätestens-Regel“

Dazu ist es sinnvoll, erst einmal zu sammeln, bei welchen Aktivitäten ich als Elternteil auftanken kann – beispielsweise Schwimmen, in die Sauna gehen, wandern. Dann wird überlegt:

  • Wie oft würde ich das gern machen?
  • Wie oft könnte ich es im aktuellen Alltag womöglich schaffen, Zeit zu finden, wenn ich es wirklich versuche, einzubauen?
  • Wann mache ich das aber spätestens wieder, wenn ich es vorher wegen Krankheiten, Problemen der Kinder o.ä. aufgeschoben habe? (z.B. nach drei Wochen)
  • Was lasse ich dafür auch mal liegen?

Mini-Oasen

Zeitaufwändige Me-Time-Aktivitäten funktionieren im Alltag oft höchstens alle 1-2 Wochen. Umso wichtiger ist es, auch kürzere Möglichkeiten zur Erholung zu finden, z.B.

  • das Hören von Entspannungsmeditationen, Musik oder von einem Hörbuch
  • ein Telefonat mit einer vertrauten Person
  • ein leckeres Essen nur für mich selbst oder als Paar, wenn die Kinder schlafen
  • ein kleiner Spaziergang oder eine halbe Stunde Sport

Bedürfnisse der Eltern: Paar-Zeit

Die Paarbeziehung zu pflegen ist ein ganz wichtiger Teil der elterlichen Bedürfnisse. Auch das hat für die Kinder wesentlichen Vorbild-Charakter und stellt die Familie auf Dauer auf ein stabiles Fundament. Hier hilft es, sich für einmal pro Woche einen Paarabend vorzunehmen für gute Gespräche, Filme, Spiele o.ä. Auch leckeres Essen oder ein Wein können dazu gehören. Wenn die Abende noch mit Einschlafbegleitung gefüllt sind, kann für eine Weile auch eine Paar-Zeit 1-2 mal im Monat reichen – dann aber gern etwas länger, zum Beispiel mit Unterstützung von lieben Menschen, die auf die Kinder aufpassen. Natürlich geht das auch tagsüber, wenn die Kinder abends nur von ihren Eltern in’s Bett gebracht werden mögen.

Kindern Grenzen kommunizieren

Um diese Balance zwischen Eltern-Bedürfnissen und Kind-Bedürfnissen zu erreichen, ist es wichtig, dass die Kinder erfahren: Was ich will und brauche, ist wichtig. Und was meine Eltern wollen und brauchen, ebenfalls! Gemeinsam suchen wir nach Kompromissen.

Deshalb ist es gut, wenn Eltern ihren Kindern auch aufzeigen, wo ihnen selbst etwas wichtig ist oder zu viel wird. Kinder dürfen mitbekommen, dass auch Eltern Pausen brauchen, respektvoll behandelt werden wollen und traurig, verärgert oder frustriert sein können. Und, dass auch ein “Nein” liebevoll sein kann – weil zum guten Elternsein eben auch eine gute Selbstfürsorge zählt. Das können und sollten Eltern dann auch formulieren, zum Beispiel:

„Ich sehe, dass du gern noch bleiben möchtest. Das verstehe ich – du hast gerade viel Spaß auf dem Spielplatz. Aber weißt du, ich bin heute auch verabredet, mit Pia. Und es ist mir wichtig, sie zu treffen. Deshalb müssen wir jetzt los. Aber wenn du magst, können wir übermorgen wieder hierherkommen und dann mehr Zeit mitbringen!“

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

 

Schulstart: 5 Tipps, wie die Umstellung im Familienalltag leichter gelingt

Mit der Einschulung ändert sich das Leben für Kinder und Eltern. Worauf gilt es zu achten, um die Umstellung leichter zu meistern? Sarah Kröger weiß, was hilft.

Meine Tochter kommt im Sommer schon in die dritte Klasse. Ich weiß noch genau, wie aufregend der Schulstart damals für uns war. So viel war neu und veränderte sich. Wir alle mussten früher aufstehen, meine Tochter den ganzen Vormittag stillsitzen. Außerdem gab es von da an rund 12 Wochen Schulferien im Jahr, für die wir uns eine Betreuungslösung ausdenken mussten. Doch wie ist uns die Umstellung eigentlich gelungen? Ich muss gestehen: Vieles habe ich wieder verdrängt. Das Gehirn leistet Erstaunliches, wenn es darum geht, schwierige Dinge zu vergessen. Deswegen frage ich einfach mal bei meiner Tochter nach.

1. Der frühe Start in den Morgen

Wirklich schwer fiel ihr das frühe Aufstehen zum Schulbeginn, erzählt meine Tochter und findet: „Die Schule soll um neun beginnen, dann kann ich wenigstens bis acht Uhr ausschlafen.“ Das finde ich auch. Es gibt viele Studien, die belegen, dass ein zu früher Schulanfang zu weniger Schlaf, geringerer Konzentration und schlussendlich auch zu schlechterer Leistung führt – vor allem bei älteren Kindern. Zu dem frühen Beginn kam noch die Pünktlichkeit dazu. Unsere Tochter musste nun jeden Morgen um Punkt acht Uhr auf ihrem Platz sitzen. Es gab keine Gleitzeit mehr, wie früher zu Kitazeiten, als wir sie manchmal erst gegen halb zehn durch die Kita-Tür schoben, wenn es beruflich passte.

Wie haben wir das hinbekommen? Nachdem die Klassenlehrerin meine Tochter im ersten Schulhalbjahr ein paar Mal gerügt hatte, weil sie fünf Minuten zu spät erschienen war, entwickelte sie eine hohe Eigenmotivation, pünktlich zu kommen. Denn das war ihr sehr unangenehm. Wir hatten also etwas Glück. Ansonsten hilft – damals wie heute – das noch frühere Aufstehen. Stehen wir rechtzeitig auf, dann ist der Beginn morgens entspannt. Kommen wir nicht rechtzeitig aus dem Bett, wird das Frühstück und auch der restliche Start in den Tag hektisch. Als Faustregel gilt: Immer eine halbe Stunde extra einplanen. Mit der Zeit pendelt sich dann die beste Aufstehzeit für alle ein.

Auch ein möglichst gleicher Ablauf am Morgen erleichtert es dem Kind, sich schneller ans frühe Aufstehen zu gewöhnen. Wer mag, kann die Brotdose und die Schultasche auch schon abends vorbereiten, das spart morgens etwas Zeit. Hilfreich ist auch, wenn das Kind lernt, die Uhr zu lesen und so ein Gefühl für die Zeit bekommt, die es morgens noch übrig hat. Wird ein Kind morgens überhaupt nicht wach, kann der Schulweg helfen, der möglichst zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wird. Das Sonnenlicht kann in den hellen Monaten beim Wachwerden helfen und die Bewegung regt zusätzlich den Kreislauf an. So kommt Ihr Kind richtig wach in der Schule an.

2. Vormittags: Bewegung ermöglichen

Anstrengend war auch, erzählt meine Tochter, dass sie in der Schule stillsitzen musste und nicht mehr so viel herumtoben konnte. Eine der größten Umstellungen von Kindergarten zu Schule ist sicherlich die eingeschränkte Freiheit. Wer wollte, konnte früher den ganzen Tag im Sand buddeln oder an Kletterstangen hangeln. In den meisten Grundschulen sitzen die Kinder ab der ersten Klasse den größten Teil der Zeit auf einem Stuhl. Dabei ist auch hier längst erforscht, dass Bewegung sehr wichtig beim Lernen ist. Wer sich bewegt, aktiviert das Gehirn und merkt sich Dinge besser. Grundschulkinder können sich in der Regel nicht länger als 20 Minuten am Stück konzentrieren. Viele Lehrerinnen und Lehrer wissen das und versuchen, regelmäßige Bewegungspausen in den Unterricht einzubauen. Auch im Unterricht selbst ist Bewegung möglich: Geometrische Figuren können mit einem Seil körperlich erfahrbar gemacht werden, Präpositionen wie „auf“ oder „unter“ können im Klassenraum in die Tat umgesetzt werden, indem die Kinder auf oder unter ihren Stuhl klettern. Falls Ihr Kind mehr Bewegung braucht, als es im Unterricht bekommt, können Sie auch mit der Lehrkraft sprechen und sie um eine individuelle Lösung bitten.

3. Tobe- und Ausruhzeit am Nachmittag

Spätestens nach der Schule sollten Kinder sich ordentlich austoben. Gehen Sie mit Ihnen auf den Spielplatz, Fahrrad fahren, Fußball spielen – was immer sie mögen. Doch auch Ruhe kann für manche Kinder nach einem lauten und aufregenden Schultag besonders nötig sein. Meine Tochter brauchte in den ersten Wochen viel Zeit zu Hause: Es war ihr zu laut im Klassenraum und sie war froh über die Stille.

In vielen Familien ist es mittlerweile üblich, dass schon Erstklässler ihren Nachmittag mit Freizeitaktivitäten verplant haben: Musikunterricht, Turnen, Fußball, Tanzen … Diese grundsätzlich schönen Hobbys, die auch oft die benötigte Bewegung ermöglichen, sind aber trotzdem feste Termine. Sie führen dazu, dass der Tag der Kinder von morgens bis abends verplant ist. Nach der Schule müssen erstmal Hausaufgaben gemacht werden, wenn die nicht schon in der Schule erledigt werden konnten. Steht dann gleich der nächste Programmpunkt an, kann das schnell zusätzlichen Stress bedeuten. Außerdem fehlt so die Zeit für Verabredungen mit neuen Freundinnen und Freunden aus der Klasse. Dies ist im ersten Schuljahr besonders wichtig, um Kontakte zu knüpfen. Mit einigen Kindern aus der Klasse kann sich meine Tochter zum Beispiel kaum treffen, obwohl sie sich mögen: Sie sind an drei von fünf Nachmittagen in der Woche schon freizeitmäßig verplant. Deswegen: Warten Sie doch noch ein bisschen mit dem festen Nachmittagsprogramm, bis Ihr Kind gut in der Schule angekommen ist und selbst den Wunsch nach neuen Aktivitäten äußert.

4. Rechtzeitig am Abend zu Bett gehen

Um sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen, helfen abends feste Zubettgehrituale. Meine Tochter macht sich abends meistens schon mal bettfertig und hört dann noch eine Hörgeschichte oder schaut sich ein Buch an. So kommt sie langsam zur Ruhe. Etwa drei Stunden vor dem Schlafen sollten Kinder keine elektronischen Medien mehr nutzen. So kann der blaue Lichtanteil des Displays nicht die Freisetzung des schlaffördernden Hormons Melatonin im Gehirn hemmen. Es lohnt sich, vor dem Schulstart das Kind langsam auf die neuen Aufsteh- und Zubettgehzeiten vorzubereiten. Das gelingt laut Schlafforschern am besten, indem das Kind jede Woche 15 bis 30 Minuten eher ins Bett gebracht wird, so lange, bis die passende Zubettgehzeit erreicht ist. Die neuen Zeiten sollten auch ungefähr am Wochenende eingehalten werden – auch wenn hier eine Stunde länger schlafen durchaus okay ist.

5. Kreative Lösungen für den Urlaub

Auch die Urlaubsplanung ändert sich, wenn die Schule beginnt. Denn dann können Familien mit Schulkind nur noch während der offiziellen Schulferien in den Urlaub fahren. Das bedeutet für alle Arbeitnehmenden, dass sie rechtzeitig Urlaubsanträge stellen müssen und für alle Selbstständigen, dass sie ihre Aufträge gut im Voraus planen sollten. Auch für die Hochsaisonpreise während des Urlaubs müssen Familien sich wappnen, denn der wird plötzlich um einiges teurer. Eine Möglichkeit ist, sich Orte auszusuchen, die keine typische Reisezeit haben, zum Beispiel weil dort gerade Winter ist. Auch kann es sich lohnen, in anliegende Bundesländer, die noch keine Ferien haben, zu fahren, hier könnten die Preise etwas niedriger sein. Je nach Geschmack sind vielleicht auch kostengünstige Camping-Urlaube, All-Inclusive-Angebote oder Besuche von Bekannten an schönen Urlaubsorten eine Option.

Die wenigsten Familien werden wohl sechs Wochen Sommerurlaub am Stück machen. Sie müssen sich deswegen überlegen, wohin sie ihr Kind geben, während sie arbeiten. Das war auch für uns nicht leicht zu organisieren. Wir entschieden uns erstmal dazu, lange in den Urlaub zu fahren. Danach schickten wir die Kinder ein paar Tage zu Oma und Opa. In den letzten Wochen haben wir dann in Teilzeit gearbeitet und uns währenddessen mit der Kinderbetreuung abgewechselt. Dieses Jahr haben wir auch zum ersten Mal das Hort-Angebot der Schule genutzt, von dem meine Tochter aber nur mittelmäßig begeistert war. Geholfen hat uns auch, dass es befreundete Kinder aus der Nachbarschaft gab, mit denen sich sie sich ab und zu zum Spielen verabreden konnte.

Alles in allem ist der Schulstart zwar eine große Herausforderung für die ganze Familie, aber eine tolle Sache. Als ich meine Tochter frage, was ihr damals gut gefallen hat, antwortet sie: „Die Einschulung war richtig cool. Und ich habe fünf neue Freunde gefunden. Außerdem kann ich nun selbst Bücher lesen, wenn ihr keine Zeit habt, mir welche vorzulesen.“ Mittlerweile haben wir uns ganz gut an den Schulalltag gewöhnt. Es dauert bestimmt nicht mehr lange und mein Gehirn wird auch komplett verdrängt haben, dass es mal eine Zeit gab, in der ich nicht morgens um halb sieben aufgestanden bin.

Sarah Kröger ist Journalistin und Host des lösungsorientierten Podcasts „Und jetzt? Der Perspektiven-Podcast“. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Stressfaktor Familienurlaub?! – So wird der Urlaub zur Erholung

Urlaub mit kleineren Kindern ist oft stressiger als der Alltag zuhause. Lisa-Maria Mehrkens hat Familien gefragt, was ihnen hilft, den Urlaub trotzdem zu genießen.

Für manche ist ein All-Inclusive-Strandurlaub in einer Hotelanlage der Traumurlaub, für andere ist es Wandern in den Bergen, Sightseeing und Shopping in einer großen Metropole oder auch nur ein Kurztrip in den nächsten Ort, um etwas anderes zu sehen als das eigene Zuhause. Egal, welches Wunschziel es sein soll – kommen Kinder ins Spiel, ändern sich Urlaubspläne und deren Umsetzung manchmal stark. Urlaub mit Kleinkindern bedeutet oft: Tage vor der Abreise anfangen zu packen, tonnenweise Spielzeug, Kleidung und Zubehör mitnehmen und im Urlaub die Aktivitäten größtenteils nach den Interessen der Kinder ausrichten.

Statt beim entspannten Ladenbummel, gemütlichen Kaffeetrinken, Sonnenbaden im Park oder dem Bewundern historischer Gebäude sieht man die meisten Eltern bei Städtetrips mit Kindern gehetzt von einem Spielplatz zum nächsten rennen. Nur nebenbei werfen sie einen Blick auf die Sehenswürdigkeiten und machen maximal einen Zwischenstopp in der Drogerie, weil der Nachwuchs mehr Hunger hat als gedacht. Auch die Wahl der Unterkunft ist mit Kindern anders: Statt Doppelzimmer im romantischen Wellnesshotel gibt es jetzt die familienfreundlich ausgestattete Ferienwohnung.

Sowieso anstrengend

Abhängig vom Temperament der Kinder kommen die meisten Eltern irgendwann zu der Einsicht, dass Urlaub nicht mehr so sein wird, wie er mal war. Auch schön, aber anders. Eher an den Bedürfnissen der Kleinsten ausgerichtet als an den Wünschen von Mama und Papa. Das hat auch Vorteile: „Es ist gut, den Urlaub danach auszurichten, was den Kindern gefällt. Spaß für die Kinder heißt Entspannungszeit für die Eltern. Wenn die Kinder spielen und begeistert sind, kann man sich als Eltern mal in Ruhe unterhalten“, erzählen Michèle und David, Eltern von drei Kindern zwischen 1 und 3.

Da vor allem Michèle sehr reisebegeistert ist und gern andere Länder, Kulturen und Sprachen entdeckt, haben sie als Familie schon die verschiedensten Urlaube unternommen: Camping-Urlaub, Hotelübernachtung, Aufenthalt in der Ferienwohnung, Urlaub im Nachbarbundesland, Flugreisen. „Urlaub mit Kindern ist anstrengend. Das Leben mit Kindern ist aber auch zu Hause anstrengend. Wenn es sowieso anstrengend ist, kann ich auch irgendwo hinfahren, wo es schön ist und ich neue Eindrücke von außen bekomme. Das Wichtigste ist, dass man das Reisen an sich mag. Wenn man eher der ‚Zu Hause ist es am schönsten‘-Typ ist, lohnt sich die Anstrengung wahrscheinlich nicht. Aber ich zehre das ganze Jahr von den Erlebnissen beim Reisen, das ist mir die Anstrengung wert“, erklärt Michèle.

Die Entfernung ist nicht wichtig

Nicht jeder hat so viel Fernweh. Es gibt auch Familien, die mit Urlaub in den eigenen vier Wänden, einem Besuch bei Freunden oder Verwandten oder ein paar Tagen in einer Familieneinrichtung glücklich sind. Johannes und Else sind mit ihren drei Kindern zwischen 0 und 5 Jahren bisher meist in Deutschland geblieben: „Urlaub heißt für uns, gemeinsame Zeit zu verbringen und gemeinsame Erlebnisse. Da ist die Entfernung nicht wichtig. Urlaubsfeeling bedeutet aber für uns auch, uns zumindest an einen gedeckten Tisch zu setzen.“ Deshalb übernachten sie oft in Familieneinrichtungen.

Vor Reisebeginn ist es vor allem für Else stressig, da sie alles packen muss und die Versorgung ihres Bauernhofs auch während des Urlaubs sicherstellen muss. Trotzdem erlebt sie die Familienurlaube positiv: „Es ist wundervoll zu sehen, wie die Kinder bereits einfache Ausflüge und Aktivitäten in sich aufsaugen und teilweise noch Jahre später davon schwärmen. Das zeigt mir, dass Kinder nicht übermäßig viel brauchen, sondern schöne und gemeinsam erlebte Zeit wertvoll genug ist. In diesen Situationen außerhalb des Alltags lernt man die Kinder nochmal ganz anders kennen.“ Deswegen vermissen die beiden auch nichts im Vergleich zum Urlaub ohne Kinder. „Jetzt ist eben Kinderzeit und das genießen wir. Trotzdem schauen wir, dass jeder mal Zeit für sich hat, zum Beispiel zum Lesen“, meint Else.

Mal tanzen gehen

Auch Patrizia und Georg leben auf einem Bauernhof mit Tieren und verreisen mit ihren zwei Kindern (2 und 3) und ihren zwei Hunden eher selten, nur für ein paar Tage und im Umkreis von vier Stunden Autofahrt. „Unsere Urlaube bestehen zwar ‚nur‘ aus Bekannten- und Verwandtenbesuchen, aber es tut uns als Familie sehr gut. Omas, Freunde, Tanten helfen gern mal mit den Kids. Und wir genießen es, Zeit für das Miteinander zu haben und uns an den gedeckten Tisch zu setzen. Die Kids bringen Bewegung in den Urlaub, die Verwandten und Bekannten Input, das lässt uns als Paar wieder über viele Themen ins Gespräch kommen und vom Alltag abschalten“, berichtet Patrizia. Sie freut sich darüber, auch im Urlaub sehr gut als Team mit ihrem Mann zusammenzuarbeiten. Eine Kleinigkeit vermisst sie aber doch: „Mal tanzen gehen abends wäre was, aber da würde ich sowieso eher eine Freundin oder Schwester mitnehmen.“

Mehr Zeit für die Kinder

Dorothea und Ruben waren mit ihren beiden Kindern (4 und 6) auch schon zusammen mit Freunden und Familienmitgliedern im Urlaub: „Das Praktische daran: Man hat einen Babysitter direkt mit dabei.“ Allein als Familie haben sie verschiedene Urlaubsformen nah und fern in Ferienhäusern und Familieneinrichtungen ausprobiert. Ihr Favorit: „Wir haben unsere Kurztrips mit Auto und Dachzelt sehr liebgewonnen, da wir für relativ wenig Geld sehr oft wegfahren können. Unsere Kinder genießen Urlaub immer sehr, da wir viel mehr Zeit für sie haben als zu Hause.“

Das Paar möchte Eltern mit noch sehr kleinen Kindern ermutigen, denn sie haben erlebt, dass ihre gemeinsamen Urlaube mit zunehmendem Alter der Kinder entspannter wurden. „Beim Familienurlaub richtet sich nur noch das grobe Skelett nach den Eltern. Der Inhalt wird von den Kindern gefüllt, der Alltag richtet sich sehr nach ihren Bedürfnissen. Aber es wird von Jahr zu Jahr besser und wir unternehmen inzwischen auch einiges, was eher für uns Eltern interessant ist“, sagt Dorothea.

Kurze Camping-Urlaube mit Dachzelt, weite Flugreisen in die Ferne, Aufenthalte in Familienferieneinrichtungen oder Besuche bei Freunden und Verwandten – so unterschiedlich wie die einzelnen Elternpaare und Familien selbst ist auch die Art und Weise, wie sie ihre gemeinsame Urlaubszeit ausgestalten. Familienleben ist und bleibt dynamisch, das gilt auch im Urlaub. Letztlich muss hier jede Familie immer wieder neu für sich den besten Weg finden, um die Erlebnisse und die Zeit zusammen bewusst zu erleben und genießen zu können. Denn darum geht es doch beim Familienurlaub, oder?

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

WG der Eigenheiten – Warum wir nie allein am Tisch sitzen

Am Esstisch nehmen nicht nur die Familienmitglieder Platz. Prägungen aus früheren Generationen sind immer stille Mitbewohner. Manchmal sind es lustige Eigenheiten, manchmal dunkle Schatten, die besser in den Keller gehören. Von Sandra Geissler

Als ich vor vielen Jahren mein Herz an meinen Mann verlor, begannen wir unsere Geschichte, unsere Geschichten und unsere Mahlzeiten zu teilen. Dabei fiel mir eine kuriose Marotte des werdenden Gatten auf. Belegte er sich Brot oder Brötchen, dann schnitt er mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen alles Überstehende ab, bis Belag und Schnitte fein säuberlich Kante auf Kante saßen. So eine Brotbelegungstechnik hatte ich tatsächlich noch nie gesehen.

Einige Zeit später lernte ich den Cousin des Zukünftigen aus dem Norden der Republik kennen und beim Frühstück starrte ich ihn entgeistert an. Da saß er doch, beschnitt seine Käsescheibe und richtete die Gurkenscheiben aus, als wolle er einen Fliesenboden verlegen. Exakt die gleichen Handbewegungen, der gleiche hochkonzentrierte Gesichtsausdruck, die gleiche Schnitttechnik. Seither frage ich mich, welcher Vorfahr vor wie vielen hundert Jahren diese kleine Eigenheit mit ins Leben brachte und sie seither an der ein oder anderen Verästelung des Stammbaumes hervorblitzen lässt.

Dauergäste im Tarnumhang

Heiratet man einen Menschen, dann heiratet man nicht nur seine Art und Weise, ein Brot zu belegen. Man heiratet auch die Menschen seines Lebens, die Geschichte und Geschichten einer Familie, geschrieben über Generationen, ihre Werte und Rituale, ihre Seltsamkeiten und kuriosen Eigenschaften. Sie folgen unserem Lebenslauf, sind verflochten mit Begegnungen, Berufungen und Bedürfnissen. Ein Flechtwerk eingewoben in unsere Herzen, ein Netzwerk aus Prägungen, Erfahrungen und Erinnerungen. Sie sind nicht in Umzugskisten verpackt, nicht klobig sichtbar wie die alte Regalwand aus Kindertagen und werden nicht in einem Sack mit den Klamotten ins gemeinsame Heim getragen. Vielmehr sind es Dauergäste im Tarnumhang, unsichtbare Gepäckstücke des Lebens, über die man hin und wieder stolpert, weil sie an den unpassendsten Stellen im Weg rumstehen, mal klobig und sperrig, mal liebevoll, heiter und weich, wie eine Umarmung. Weil auf diese Weise jeder viele und vieles ist, ist es eine große bunte Gesellschaft, die sich schließlich zusammenfindet und immer was zu sagen hat. Diese Mitbewohner eines jeden Zuhauses zahlen keine Miete, beanspruchen keinen Schlafplatz und keinen eigenen Zahnputzbecher, aber sie gestalten und prägen das Zusammenleben der sichtbaren Menschen munter mit. Sie haben Einfluss auf unsere Art zu streiten und wie wir uns gernhaben. Sie mogeln verjährte Ungerechtigkeiten aus Kindertagen in die tagesaktuelle Schmutzwäsche, legen Reißzwecken alter Empörung aufs Sitzkissen und schaffen es so mühelos, eine kleine Meinungsverschiedenheit in einen handfesten Krach zu verwandeln.

Vorliebe für Quittengelee

Manchmal erinnern sie uns an alte Rituale, die schon immer Trost spendeten, an das Käsekuchenrezept von Tante Lise zum Essen an jedem Ostermontag, an die generationenerprobte Fähigkeit, beizeiten über sich selbst zu lachen. Vielleicht erkennst du im Lächeln deines Kindes das freundliche Gesicht deiner Oma wieder, einen Hang zum Starrsinn in deinem Handeln, weitergegeben wie Opas altes Tintenfass. Vielleicht brennt ein Feuer für Gerechtigkeit schon seit Generationen in euren Herzen, gleich neben der seltsamen Vorliebe für saure Heringe und Quittengelee.

All diese Unsichtbarkeiten leben mit uns und in uns, in unseren Kindern und Kindeskindern, mischen sich ein und mischen auf und manches Mal, wenn sie es gar zu bunt treiben, müssen sie zur Räson gebracht werden. Es ist nicht immer einfach, mit all den Gestalten und Gepäckstücken zu leben. Manche von ihnen sind so gut getarnt, dass man wirklich genau hinspüren muss, wer oder was sich da gerade zu Wort meldet. Dann stehen wir mitten im Streit, in einem Kummer oder einer scheinbaren Harmlosigkeit und wundern uns, warum unser Gegenüber, das wir zu kennen glaubten, reagiert, wie es reagiert.

Dem Schatten die Tür weisen

Es kommt nicht selten vor, dass die wunderbare bunte Truppe der Mitbewohner einige echte Störenfriede unter sich hat, Rucksäcke voll mit schwerwiegenden Erinnerungen, Trauer und Not. Die stehen nicht irgendwo im Keller des Lebens rum, sondern wiegen schwer auf den Schultern, scheuern Rücken und Seele auf und machen das Zusammenleben für alle zur Qual. Dann wird es höchste Zeit, sich zu lösen, sich freizumachen, einen neuen Ort für altes Gepäck zu suchen. Dafür darf man sich nicht nur Zeit, sondern auch Hilfe nehmen.

Wir müssen nicht jeden und alles ertragen, mit manchen lässt sich Frieden schließen und manchem Schatten muss man beherzt die Tür weisen. Manch tradierte Eigenheit ist eine Belastung, die niemand mehr tragen will. Dafür muss man sie sichtbar machen, ansprechen und aussprechen. Wenn Jähzorn schon seit Generationen in einer Familie zu Hause ist, dann darf er trotzdem nicht bleiben. Wenn Schläge die Sprache der Vorfahren waren, dann sind sie dennoch keine angebrachte Kommunikationsform mehr. Und wenn es auch ein ganz und gar undramatisches Erbstück ist, das du einfach nicht mehr haben willst, dann weg damit.

Augenzwinkern aus der Ewigkeit

Diese bunte Wohngemeinschaft des Lebens ist ein großartiges, wohldurchdachtes Netzwerk. Als Christin glaube ich, dass Gott uns nicht aus dem Nichts ins Nichts gestellt hat. Unsere Geschichte und unsere Geschichten, unsere Eigenarten und Besonderheiten sind miteinander und ineinander verflochten, eingewoben in das große Buch der Menschheitsgeschichte. Ein Netzwerk, das beflügelt und Halt gibt, das uns bereichern und bestärken kann. Es verknüpft Gegenwärtiges mit dem Vergangenen, das Diesseits mit dem Jenseits. Und plötzlich merkst du, dass die Art, wie deine Tochter sich das Haar aus der Stirn streicht, die Lachfältchen um die Augen deines Mannes und deine Begeisterung für blühende Gärten einem Augenzwinkern aus der Ewigkeit gleicht. Ein Augenzwinkern, das spricht: „Ich bin noch da, bin noch bei euch und lebe in euch weiter.“

Manchmal sitze ich beim Abendessen und beobachte mit großem Vergnügen, wie eines unserer Kinder sein Brot belegt. Mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen und der Genauigkeit eines Fliesenlegers, Belag auf Schnitte, Kante auf Kante.

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Nierstein am Rhein und bloggt unter 7geisslein.com.

Autofrei – Wie eine Familie ohne eigenes Auto lebt

Alle Welt redet von der Verkehrswende, Familie Beyerbach macht es. Mutter Tabea erzählt, wie sie mit ihrer sechsköpfigen Familie ohne Auto klarkommt.

Wundert sich der Chef: „Heute eine halbe Stunde zu früh?“ – Angestellter: „Mein Auto ist nicht angesprungen, da bin ich zu Fuß gekommen.“

Zu meinem Führerschein habe ich von meinem großen Bruder einen Schlüssel für den familieneigenen VW-Bus und ein Witzebuch für Autofahrer bekommen. Niemand hätte damals gedacht, dass auf lange Sicht das Witzebuch das bessere Geschenk war. Ausdauernd kutschierte ich meine Jugendgruppe durch die Gegend. Das endete mit dem Auszug von daheim zu Beginn meiner Ausbildung. Da hatte sich auch das mit dem Auto erledigt. Das Azubi-Gehalt gab ein Auto nicht her.

Eine Frage des Geldes

Einige Jahre, Umzüge und ein Studium später lerne ich, immer noch autolos, meinen Mann kennen. Bei der Wahl der ersten gemeinsamen Wohnung achten wir auf eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. In diesem Fall heißt gut: werktags zweimal pro Stunde eine Bahn, sonntags nur einmal und ab 22 Uhr nur noch ein Rufbus. Mein Einkommen als Berufsanfängerin ist nicht üppig, wir versuchen, die Fix-Kosten niedrig zu halten. Mit der Geburt von Kind Nummer 1 zieht ein Fahrradanhänger in die Garage ein. Dieser leistet auch gute Dienste beim Einkauf. Mein Mann ist in dem Jahr Erziehungszeit oft stundenlang unterwegs, und das Kind liebt den Fahrradanhänger. Bei den gelegentlichen Autofahrten gibt es spätestens nach 45 Minuten Stress – im Anhänger ist stundenlang Ruhe. Haben wir bei Kind Nummer 1 noch bis zum sechsten Monat mit der ersten Fahrt gewartet, ist Kind Nummer 2 mit vier Wochen bereits mit uns unterwegs. Dann steht ein Umzug an. Uns ist klar, dass wir weiterhin ohne Auto leben wollen. Das Thema „Umweltschutz“ nimmt nun einen größeren Raum ein und das Geld ist noch immer knapp. Da passt die Redewendung „aus der Not eine Tugend machen“ ziemlich gut.

Nun leben wir in einer mittelgroßen Stadt. Ein Auto ist hier wirklich überflüssig und eher lästig. Zu unserer Wohnung gehört kein Parkplatz, sodass wir entweder teuer einen mieten müssten oder uns jedes Mal im Wohngebiet etwas suchen. Kind Nummer 3 gesellt sich zu uns und das ist nun wirklich eine Herausforderung: drei Kinder zwischen null und dreieinhalb Jahren auf dem Fahrrad, das ist anstrengend. Leider sind die ersten beiden Kinder in motorischer Hinsicht keine Überflieger, es dauert ewig, bis sie selbst so gut Fahrrad fahren können, dass ein gemeinsames Fahren möglich wird. Auf der anderen Seite – wo sollen wir überhaupt hin? Spielplätze sind fußläufig erreichbar und zu den Großeltern kommt man mit dem öffentlichen Nahverkehr. Für den Wocheneinkauf haben wir einen Bollerwagen, der auch bei Ausflügen zu Fuß gute Dienste leistet.

Profis im Zugfahren

Bevor jetzt der Eindruck entsteht, wir würden das perfekt lösen, hier noch ein paar andere Seiten: Viele Jahre sind meine Schwiegereltern einen Monat im Jahr ohne Auto im Urlaub. In dieser Zeit können wir dieses Auto ausleihen. Zudem leihen wir uns für eigene Urlaube gelegentlich ein Auto oder können das meiner Eltern nutzen.

Dann kommt Kind Nummer 4 zur Welt und das Ausleihen des Autos innerhalb der Familie erübrigt sich. Wir sind zu viele Personen. Das macht aber nichts, denn inzwischen sind die drei Großen gute Fahrradfahrer und der Zwerg fährt bei mir mit. Seit Neuestem besitze ich ein E-Lastenrad, das leistet uns gute Dienste beim Kinder- und Krempeltransport. Endlich kann ich Besuchskinder mitnehmen und selbst ein mittelgroßer Kaufrausch in der Baumschule ist kein Problem.

Es gibt kaum Situationen, in denen ich ein Auto ernsthaft vermisse, aber unser Leben ist eben auch auf das Leben ohne ausgerichtet. Unsere großen Kinder fahren seit dem ersten Schultag selbstständig mit dem Bus in den Nachbarort zur Freien Schule und sind auch in ihrer Freizeit mit dem Busticket unterwegs. Seit es neun ist, fährt das älteste Kind allein zu den Großeltern (45 Minuten mit Zug und Bus), jetzt mit 12 sind auch unbekannte Busstrecken kein Problem mehr. Besuche bei Freunden, die weiter entfernt wohnen, brauchen eine gründliche Vorausplanung, aber unsere Kinder sind Profis im Zugfahren. Zudem kann man sich als Eltern im Zug besser um die Kinder kümmern (zum Beispiel wickeln und stillen) und eine Toilette ist meist auch dabei. Natürlich können wir auch Geschichten von überfüllten Zügen, kaputten Toiletten und nervigen Mitreisenden erzählen, aber wir kennen auch Berichte von Autobahnsperrungen, üblen Rastanlagen, dauerstreitenden Kindern und Reiseübelkeit.

Das Auto als Selbstverständlichkeit?

Mit den Jahren ist der finanzielle Aspekt in den Hintergrund getreten. Aber wenn mir jemand erzählt, was die letzte Autoreparatur gekostet hat, grinse ich still in mich hinein. Was mich allerdings viel mehr beschäftigt, sind die negativen Aspekte des Autofahrens. Wir wohnen mitten in der Stadt. Wenn man sich nun vorstellt, dass hier kein privater PKW-Verkehr mehr durchführe, die Parkplätze Raum für Fußgänger und Radfahrerinnen böten und die Bäume nicht mehr nur kleine Felder zugewiesen bekämen – traumhaft.

Ich höre schon die Gegner rufen: Was ist mit den Menschen, die schlecht zu Fuß sind, auf dem Land leben und im Schichtdienst arbeiten? Da habe ich keine schnelle Lösung und sehe auch, dass im öffentlichen Nahverkehr Luft nach oben ist. Was ich aber ebenfalls sehe: dass viele Menschen das eigene Auto als Selbstverständlichkeit einplanen. Ihr Leben funktioniert nicht ohne Auto, weil sie es sich, oft nicht mal bewusst, so eingerichtet haben. Sie leben in diesem Bereich auf Kosten anderer Menschen und künftiger Generationen. Ganz direkt durch Lärm, Gestank und Feinstaub oder auch indirekt durch die Klimaveränderungen. Ich weiß, dass zur Verhinderung der Klimakatastrophe das Umdenken in vielen Bereichen notwendig ist. Wir müssen anfangen, unseren Lebensstil zu verändern. Und ich finde, bei der Mobilität ist das oft problemlos möglich, auch wenn es zu Lasten der Bequemlichkeit geht.

Tabea Beyerbach hat Betriebswirtschaft studiert. Sie lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.

Paartherapeut klärt auf: (Schwieger-)Eltern können nicht alles verlangen!

Manche Eltern und Schwiegereltern sind kein Rückhalt für ihre Kinder. Im Gegenteil, sie enttäuschen ihre erwachsenen Kinder und rauben ihnen Kraft. Müssen Kinder das hinnehmen? Paartherapeut Jörg Berger erklärt, wie sich erwachsene Kinder verhalten sollten und wann es ratsam ist, sich zurückzuziehen.

Es gibt Eltern, die ihre erwachsenen Kinder zu viel Kraft kosten, die viel von ihren Kindern fordern und nicht auf sie eingehen. Im Folgenden sind Namen verändert und die Lebensgeschichten verfremdet wiedergegeben.

Wenn Eltern zu viel Kraft rauben

Wo Eltern ihre Verantwortung nicht übernehmen, fällt sie den Kindern zu. Kinder sind dann auf sich allein gestellt. Oft übernehmen sie sogar Verantwortung für die Eltern, etwa als Sonnenschein oder Partnerersatz. Das setzt sich meist fort, wenn die Kinder erwachsen sind. Manche Eltern sind von Angst bestimmt. Schon immer haben sie ihre Kinder mit dem alleingelassen, was für sie als Eltern zu anstrengend oder zu bedrohlich war. Das tun sie auch heute noch. Sie verschließen einfach Auge, Ohr und Herz, wenn sie sich überfordert fühlen.

Judith zum Beispiel muss ihre Eltern so nehmen, wie sie sind. Ihre zwei Ältesten sind unkompliziert und robust. Sie kommen mit den Großeltern zurecht. Doch Moritz, der Dritte, ist einfach feinfühlig. Er weint, wenn Opa seine derben Späße macht oder ihm „aus Spaß“ Angst einjagt. Einige Gemüsesorten, die Moritz nicht gern isst, landen trotzdem bei den Großeltern immer wieder auf dem Teller. „Hab dich nicht so“, ist die Botschaft, mit der sich Judiths Eltern das Leben einfach machen.

Gefühl der Verpflichtung

Mit ihren Vorschlägen, wie die Eltern besser auf Moritz eingehen können, stößt Judith auf taube Ohren. Es rührt auch in ihrer eigenen Geschichte, denn Judith war wohl früher so sensibel wie Moritz und hätte Eltern gebraucht, die auf sie eingehen, auch wenn es das Leben etwas komplizierter macht. Judith ist fix und fertig nach Besuchen bei den Eltern. Ihr gehen viele Situationen nach. Sie grübelt, wie es beim nächsten Mal besser werden könnte und kommt doch zu keiner Lösung. Ihre Eltern würden sich gar nicht beschweren, wenn sie weniger zu Besuch kommen würde. Sie nehmen alles hin, solange es sie nicht aus ihrer Komfortzone zwingt. Vermutlich würde auch Judiths Kindern nicht viel fehlen. Aber darf sie die Beziehung einfach auslaufen lassen? Zu den eigenen Eltern? Und aus den Großeltern Fremde machen, zu denen ihre Kinder kaum einen Bezug haben? Gibt es nicht so etwas wie eine Verpflichtung, den Kontakt zu Eltern und Großeltern zu pflegen?

Ein Gefühl der Verpflichtung kann auch noch eine andere Quelle haben. Dann zieht die Not eines Elternteils in die Verantwortung.

Verantwortung für die Eltern

Jonas bekniet seine Mutter: „Mensch, geh’ doch mal zum Arzt.“ Doch seine Mutter entgegnet: „Dein Vater sagt, das sind nur Wehwehchen.“ „Mama, du kannst doch selbst …“, setzt Jonas an, aber er spricht den Satz nicht zu Ende, weil es keinen Sinn hat. Nächste Woche schaut Jonas ohnehin vorbei, dann kann er für die Mutter einen Termin beim Arzt machen. Schon bei dem Gedanken an den Besuch legt sich Jonas eine Last auf die Schultern. Seine Mutter wird klagen: wie sich der Vater schon wieder verhalten hat, dass niemand Zeit für sie hat und dass sie in ihrem Chaos nichts findet. Jonas wird seine übliche Rolle spielen. Er wird zuhören. Er wird ablenken und aufmuntern. Er wird vermutlich wieder vergeblich anregen, dass seine Mutter selbst etwas für ihr Wohlbefinden tut. Danach wird er ausgelaugt zurückfahren.

„Ich könnte das nicht“, sagt Jonas’ Frau, als sie sieht, wie sich Jonas mit Bier, Chips und einer Serie betäubt. Das macht er sonst schon länger nicht mehr, höchstens eben, wenn er bei der Mutter war. „Deine Mutter ist doch erwachsen und gesund. Soll sie doch leben, wie sie es für richtig hält.“ „Stimmt schon“, sagt Jonas und schüttelt vorsichtig die letzten Chips aus der Tüte. „Aber sie ist doch meine Mutter.“ Judith und Jonas haben sich in ihr Schicksal gefügt. Doch Kinder schwieriger Eltern können sich aus der Verantwortungsfalle befreien.

Alte Muster hinter sich lassen

Erwachsene Kinder fühlen sich gegenüber den Eltern so hilflos, wie sie es als Kinder waren. Doch heute verfügen sie über mehr positiven Einfluss, als sie erwarten. Sie sind überrascht, wie leicht sich Eltern manchmal führen lassen und wie gut es gelingt, Grenzen zu setzen. Judith zum Beispiel hat die Zeiten mit ihren Eltern am Telefon vorbereitet: „Papa, du weißt, dass es Moritz nicht gut damit geht, wenn du ihn aus Spaß erschreckst. Das wirst du dieses Mal nicht tun, oder?“ – „Mama, was wirst du denn am Wochenende kochen? (…) Nein, tut mir leid. Bohnen mag Moritz einfach nicht. Das kann nächstes Jahr schon anders sein. Gibt es noch etwas anderes, das du zu den Würstchen kochen kannst?“ Verständnisvoll haben Judiths Eltern auf diese Führung nicht reagiert. Sie haben sich gerechtfertigt und ihr „Hab dich nicht so“ wiederholt. Aber Judith braucht nicht unbedingt Verständnis. Sie hat den Widerstand der Eltern überwunden, indem sie freundlich auf ein paar Dinge bestanden hat.

Jonas hat seiner Mutter eine Grenze gesetzt: „Mama, ich möchte keine negativen Dinge über meinen Vater hören. Das ist doch eher ein Thema für eine Freundin.“ Dass die Mutter keine Freundin hat, mit der sie so offen reden könnte, heißt ja nicht, dass Jonas diese Rolle übernehmen muss. Wann immer Jonas’ Mutter mit Klagen über den Vater beginnt, wiederholt Jonas freundlich seinen Satz. Er wechselt das Thema oder geht in einen anderen Raum, um etwas zu erledigen. Interessanterweise sind die Gespräche mit seiner Mutter dadurch besser geworden. Es haben sich neue Themen ergeben und Jonas hat manches von seiner Mutter erfahren, was er so noch nie gehört hat. Wo sich erwachsene Kinder ihrer Sache sicher sind, kommen sie erstaunlich weit, wenn sie in der Beziehung eine positive Führung übernehmen.

Erwartungen zurücknehmen

Ein weiterer Schritt hat mit der inneren Ablösung von den Eltern zu tun. Ablösung bedeutet, ihnen gegenüber heute als gleichberechtigte Erwachsene zu empfinden und zu handeln. Dabei stirbt mancher kindliche Wunsch. Für Judith zum Beispiel ist es unendlich enttäuschend, wie wenig ihre Eltern auf sie eingehen. In diese Enttäuschung hat sie bis heute nicht eingewilligt. Sie ahnt, wie viel Trauer und Schmerz das auslösen wird. Doch es führt erwachsene Kinder in einen heilsamen Trauerprozess, wenn sie kindliche Hoffnungen begraben: „Ja, es ist nicht schön, aber meine Eltern sind, wie sie sind. Mehr kann ich an dieser Stelle nicht von ihnen erwarten. Ich nehme das an. Ich kämpfe auch nicht mehr dagegen an. Ich überlege stattdessen realistisch, was das für unsere Beziehung heißt.“

Traurige Stimmungen und Gedanken, schmerzliche Erinnerungen an früher und vielleicht auch Träume, die mit den Eltern zu tun haben, sind Zeichen, dass eine tiefere Ablösung stattfindet. Die Beziehung zu den Eltern ordnet sich in dieser Zeit neu. Judith hat ihren Eltern zum Beispiel mehr Verantwortung für die Beziehung zu den Enkeln gegeben: Sie hat ihnen erklärt, was den Enkeln Freude macht, womit sie sich wohlfühlen und womit nicht. Jetzt ist Judith gespannt. Wenn ihre Eltern das nicht aufgreifen, kommen ihre Enkel vermutlich nicht mehr gern zu ihnen. Judith wird sie dann nicht überreden, von ein paar Familienfesten vielleicht abgesehen. Etwas scheitern lassen zu dürfen, ist ein Kennzeichen einer gelungenen Ablösung. Doch neben den Gefühlsfragen tut sich auch die Gewissensfrage auf.

Auf dem Weg zu einem freien Gewissen

Manche Psychologinnen und Psychologen sehen im vierten der zehn Gebote – du sollst deine Eltern ehren – eine fragwürdige kulturelle Prägung. Zu oft haben sie erlebt, wie es Kinder aus schwierigem Elternhaus in die Pflicht nimmt und wehrlos macht. Missbräuchliche Eltern beanspruchen das vierte Gebot als Komplizen, um auch noch erwachsene Kinder gefügig zu machen. Kirchlich geprägte Eltern berufen sich dabei sogar auf die Bibel, andere müssen nur sagen: „Ich als deine Mutter …“ oder „Willst du etwa deinem Vater …“ – und geben ihren Worten unumstößliche Autorität. Eine ganze Kulturgeschichte von Verpflichtung schwingt in solchen Worten mit. So wird Druck aufgebaut, von dem sich Kinder ohne schlechtes Gewissen ablösen können.

Kinder, die sich von schwierigen Eltern ablösen, entscheiden sich nicht gegen die Eltern. Sie entscheiden sich für etwas. Sie empfangen das Geschenk des Lebens und stellen sich mit liebevollem Einsatz den Aufgaben, die ihnen Familie, Beruf und ihr Umfeld stellen. Wo Eltern und Schwiegereltern das unterstützen, kann man Leben teilen. Wo nicht, ist ein heilsamer Abstand nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Auch dann finden sich Gelegenheiten, den Eltern Wertschätzung und Liebe zu schenken. Doch auch schwierige Eltern haben nicht das Recht, ihren Kindern das Geschenk des Lebens zu verderben oder ihnen die Kraft zu rauben, die sie für ihr eigenes Leben brauchen.

Jörg Berger arbeitet als Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg (epaartherapie.de). Mehr zum Thema gibt es in seinem Buch „Stachlige Eltern und Schwiegereltern. Wie Sie Frieden schließen und versöhnt leben“ (Francke).

Guter Sex trotz Kleinkindern? Mit diesen 10 Tipps klappt es mit der Zweisamkeit

Tagsüber Theater und Zirkus am Abend – das Leben mit Kleinkindern ist oft stressig. Wie kann trotzdem das Sexleben gelingen? Eine Paartherapeutin klärt auf

Eltern mit Kleinkindern merken schnell, dass sich in ihrer Partnerschaft und vor allem in ihrem Sexleben einiges ändert. Obwohl sie sich ein Leben ohne die süßen Kleinen nicht mehr vorstellen können, wünschen sie sich in turbulenten Zeiten insgeheim die Tage zurück, wo sie leidenschaftlich und spontan miteinander schlafen konnten. Kein Türenverschließen aus Furcht vor kleinen, ungewollten Besuchern, die fragen: „Mama, Papa, was macht ihr da?“ Kein Zeitdruck aus Furcht vor kleinen Zaungästen.

Kein ruhige Minute

„Ich fühle mich nur noch fremdgesteuert! Sexuell läuft schon seit der Geburt unseres zweiten Kindes wenig. Wie denn auch?“, fragt Kristin (Name und Umstände geändert), als sie in meine Sprechstunde kommt. Dass ihr Mann sich mehr wünscht, ist ihr sehr wohl bewusst, doch „wenn ich mal ein bisschen Lust verspüre, dann liegt eines der Kinder zwischen uns oder schreit nach mir.“ Kristin bringt auf den Punkt, was viele Eltern von Kleinkindern erleben. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse selbstlos hinten angestellt und sich dabei selbst aus den Augen verloren.

Das Focus Magazin veröffentlichte vor einigen Jahren einen Artikel mit dem Titel: „Wie viel Sex braucht der Mensch?“ Der Text bezog sich auf eine Studie, in der Forscher herausfinden wollten, was unsere Libido beeinflussen kann. Sehr eindeutig fiel das Ergebnis bei der Frage aus, was Stress mit der Sinnlichkeit macht: „Das Stresshormon Cortisol, das in den Nebennieren bei erhöhter körperlicher und psychischer Belastung ausgeschüttet wird, vermindert den Sextrieb. Hektik, Müdigkeit und Sorgen stören die Liebe empfindlich. Männer wie Frauen reagieren auf die Störfaktoren ähnlich.“

Stress von innen und außen

Die Kleinkindphase stellt hohe Anforderungen an die Eltern, die sich im Sexualleben der Paare bemerkbar machen. Was kann ich Kristin und anderen Müttern und Vätern raten? Zunächst legen wir den Fokus darauf, wie sie es in ihrer momentanen herausfordernden Zeit schaffen kann, zu sich selbst zu finden.

Es geht darum, kleine Auszeiten zu erkennen und einzubauen, in denen sie sich erholen kann, um gelassener mit Alltagssituationen umgehen zu können. Wir nehmen erst einmal Kristins Stresssituation in den Blick. Diese ist von den äußeren und den inneren Stressfaktoren beeinflusst oder sogar gesteuert. Um hier klarer zu sehen, erhält sie die Aufgabe, in den nächsten vierzehn Tagen aufzuschreiben, welche Situationen ihr besonders Stress bereiten. Weiterhin soll sie beobachten, welche Gedanken sie dabei wahrnimmt, welche Gefühle entstehen, welche Körpersignale sich anmelden und welches Verhalten sie zeigt.

In einem zweiten, anschließenden Schritt erforschen wir ihre inneren Stressfaktoren. Das ist zum Beispiel ihr erhöhter Perfektionismus, ihr Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen oder ihr Anspruch, immer stark zu sein. Anhand praktischer Beispiele besprechen wir, wo ihr die inneren Stressfaktoren nützlich sind und wo sie ihr im Wege stehen. Gleichzeitig erlernt sie ein Entspannungsverfahren mit einer zusätzlichen Körperwahrnehmungsübung.

Dies soll ihr helfen, wieder entspannen zu können, ihren eigenen Körper wieder besser wahrzunehmen, damit sie Stresssignale des Körpers frühzeitig erkennt und somit entgegenwirken kann.

Zweisamkeit fördern

Man kann mit einer solchen Herangehensweise sicher nicht alle schwierigen Faktoren ausschalten. Es ist normal, sich in manchen Phasen überfordert und fremdbestimmt zu fühlen und es ist auch normal, dass darunter das Sexualleben leidet. Das muss aber nicht zu einem chronischen Zustand werden. Wichtig ist, dass Mütter und Väter sich immer wieder Freiräume schaffen, in denen sie sich selbst und einander auf entspannte Weise erleben können. Dann wird auch wieder die Lust zurückkehren und man kann das Leben insgesamt genießen. Auf der nächsten Seite gibt es einige Ideen, wie das gelingen kann:

10 Ideen für mehr Zweisamkeit

1. Euch ist wichtig, dass eure Kinder in einem liebevollen Umfeld aufwachsen. Ihr wollt auf ihre Bedürfnisse eingehen und das ist gut so! Vergesst dabei nicht, dass ihr als Eltern auch Bedürfnisse habt. Wenn ihr euch selbst oder einander verliert, haben eure Kinder nichts gewonnen. Andersherum formuliert: Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.

2. Nehmt euch deshalb als Paar ganz bewusst hier und da Auszeiten. Vielleicht könnt ihr euch auch mal irgendwann wieder ein Wochenende zu zweit gönnen, aber selbst, wenn es nur ein paar Stunden ohne Kinder sind: Das zu tun, was euch gemeinsam Spaß macht, und euch mal wieder als Paar zu erleben, kann Wunder wirken!

3. Nehmt dafür die Unterstützung von Familie, Freunden oder anderen möglichen Babysittern in Anspruch. Eure Kinder freuen sich, wenn sie Oma und Opa einmal für sich alleine haben oder durch einen Babysitter betreut werden.

4. Macht euch klar, dass ihr immer noch ein Paar seid. Ihr habt keine Familie gegründet, weil das euer Beruf ist, sondern weil ihr euch gefunden und ineinander verliebt habt. Warum eigentlich? Was war so attraktiv? Was war so toll an ihr? Was fand sie anziehend an ihm? Was damals toll war, ist sicher auch heute noch vorhanden, ihr müsst vielleicht nur ein bisschen den Staub des Alltags wegpusten.

5. Gönnt euch gegenseitig kleine Auszeiten, damit jeder für sich einmal wieder auftanken kann. Es muss nicht immer etwas Großes sein. Ein gemütliches Bad nehmen, ohne Kind zum Friseur, zwei Stunden Sport mit Freunden – das alles kann einen den Alltagstrott für kurze Zeit vergessen lassen.

6. Planung tut gut! Spontaner Sex während der Kleinkindphase bleibt wahrscheinlich eher ein Wunschtraum. Verabredet euch zum Liebesspiel. Weshalb nicht einmal die Zeit nutzen, wenn die Kinder ihre Lieblingssendung sehen oder ihren Mittagsschlaf halten? Das gibt euch als Paar etwas Zeit füreinander. Was ihr aus der Ruhezeit macht, ist euch überlassen.

7. Das mag seltsam klingen, aber Sex hat ähnlich wie Sport oder ein Musikinstrument spielen mit Gewohnheit zu tun. Manche Paare haben es sich abgewöhnt, miteinander zu schlafen. Das war keine bewusste Entscheidung, es ist einfach so passiert. Jetzt tun sie sich umso schwerer, wieder zueinander zu finden. Paare, die beispielsweise auch während der Schwangerschaft Sex hatten, tun sich leichter, ihr Liebesleben einige Wochen nach der Geburt zu reaktivieren.

8. Gewohnheit heißt auch: Es muss nicht immer das ganz große Feuerwerk sein. Macht euch keinen Druck, wenn sich die Lust nicht wie gewünscht einstellt. Streicheln, schmusen, im Bett nebeneinander liegen und über Gott und die Welt reden – Intimität kann auch ohne Sex sehr schön sein. Manchmal stellt sich gerade dann die Lust ein, wenn man den Druck rausnimmt.

9. Freut euch darüber, dass ihr einander habt! Wie ihr Familie lebt und welche Herausforderungen ihr mit eurem Kleinkind tagtäglich meistert, das ist einzigartig. Notiert euch am Abend, was ihr am Tag so alles hingekriegt habt. Ihr werdet staunen, was ihr alles so nebenbei erledigen konntet!

10. Wenn man mittendrin steckt, kann man es nicht glauben, aber die Kleinkindphase geht auch einmal vorüber!

 

Andrea Kronester arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie und ist Therapeutische Seelsorgerin (TS) und Entspannungspädagogin im mittelfränkischen Petersaurach (praxis-kronester.de).

Geliebt und gebraucht werden

„Können Kindergartenkinder schon Aufgaben zu Hause übernehmen? Wenn ja, welche können das sein?“

Wenn man mich fragen würde, was denn das absolut Wichtigste für das gute Leben eines kleinen Menschenkindes ist, dann würde ich wie aus der Pistole geschossen antworten: die Liebe. Die Liebe seiner Eltern, die Nähe und Geborgenheit, die diese Liebe spendet, die Fürsorge und Zuwendung. Das Menschlein wird versorgt und genährt durch die Liebe. Sie ist so lebensnotwendig wie Sauerstoff. Und doch – sie allein reicht nicht aus.

Kinder wollen nützlich sein

Dem Menschenherz ist es zu eigen, dass es nicht nur geliebt werden will, es will auch gebraucht werden. Dabei ist es gleich, wie alt dieses Herz ist, ob drei, dreizehn oder dreißig. Schon junge Kinder wollen wirklich gebraucht werden. Sie sollen wissen: „Gott sei Dank bist du da. Was würden wir nur ohne dich anfangen? Ohne dich wäre das alles gar nicht zu schaffen!“ In einer Familie sollte man sich also tunlichst davor hüten, die Welt in eine Kinder- und eine Erwachsenenwelt aufzuteilen, in der man sich allenfalls wechselseitig besucht. Es braucht nur eine gemeinsame Familienwelt, in der jeder unbedingt seinen Beitrag leisten sollte.

Die Möglichkeiten zur Mithilfe sind vielfältig und wandelbar. Schon kleine Kinder können helfen, Sockenpaare zu finden, Wäsche in die Maschine zu füllen oder den Tisch zu decken. Sie rühren mit Freude Kuchenteig, kehren begeistert die Straße und sind durchaus in der Lage, ihren Teller selbstständig in die Spülmaschine zu räumen oder ein Stück Butter in die Dose zu legen. Im Idealfall erledigt ihr gerade in den frühen Jahren diese Aufgaben gemeinsam. Dann muss man nicht nur ordentlich arbeiten, damit der Laden läuft, sondern hat auch noch eine nette Unterhaltung dabei. Man lernt voneinander und hilft sich gegenseitig.

Aufgaben klar formulieren

Überfordern sollte man junge Kinder aber nicht, die Aufgaben sollten überschaubar und klar formuliert sein. „Räum dein Zimmer auf!“ ist eine viel zu unkonkrete und komplexe Aufforderung. „Räum bitte die Bausteine zurück in die Box!“ ist dagegen klar begrenzt und einfach umsetzbar. Langsam, Stück für Stück wächst dadurch auch die Selbstständigkeit, Hand in Hand mit dem Selbstbewusstsein.

Natürlich ist diese Art der Mithilfe für Eltern keine echte Entlastung, noch nicht! Wenn man der Versuchung widersteht, alles mal eben fix selbst und allein zu erledigen, dann hat man in nicht allzu ferner Zukunft wirkliche Hilfe im Haus. Es wäre aussichtslos, von einem Zehnjährigen plötzlich kompetente Unterstützung zu erwarten, der bis dahin nicht erfahren durfte, wo sich die Mülltonnen befinden. Von klein auf als selbstverständliche Notwendigkeit erlernt, wird die Mithilfe in späteren Jahren kaum hinterfragt, auch wenn ihre Form dann immer wieder neu verhandelt werden muss.

Wenn Sie mich fragen würden, was das absolut Wichtigste für das gute Leben eines jeden Menschen ist, dann würde ich antworten: geliebt und gebraucht zu werden.

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin und zurzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Nierstein am Rhein und bloggt unter 7geisslein.com. 

Im Familien-Chaos? Expertin verrät: Eine gemeinsame Vision kann die Lösung sein

Beraterin Adelina Friesen hilft ratlosen Familien dabei, wieder zueinander zu finden. Sie ist überzeugt: Eine Vision kann dabei helfen.

Warum suchen Familien nach Visionen?

Der eigentliche Anlass kann sehr unterschiedlich sein. Allgemein gilt: Eine Vision kann im Alltag helfen. Wenn eine Familie ein gemeinsames Ziel hat, wenn alle zusammen überlegt haben, wer sie sein wollen, dann können sie im Alltag einfacher Entscheidungen treffen. Oft kommen Familien durch Krisen und Herausforderungen zu einer Visionssuche. Jetzt gerade durch die Pandemie ist das eingespielte Familienleben auf den Kopf gestellt, und ich erlebe häufig, dass Familien sich neu orientieren wollen: Was machen wir eigentlich mit unserer Zeit? Vor allem: Was machen wir mit unserer gemeinsamen Zeit? Was wollen wir? Wo wollen wir hin? Und wie können wir das gestalten?

Geht es nicht auch ohne Vision?

Natürlich geht es auch ohne Vision. Ich denke allerdings, dass viele Familien eine Vision und bestimmte Werte haben, auch wenn sie diese nicht direkt formuliert haben.

Visionen bringen Partner zusammen

Aber du empfiehlst Familien, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und zu formulieren?

Ja. Es gibt eine unglaubliche Lebensqualität, zu wissen, wofür man lebt, und das auch umzusetzen. Eine Mutter von drei Kindern sagte mal im Anschluss an den Prozess: „Ich war überrascht, wie wenig ich über meine Familie wusste.“ Sie waren als Familie an einem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr zueinander finden konnten. Der Mann hat viel gearbeitet, beide waren sehr engagiert, sie waren viel unterwegs und dabei ist einiges untergegangen. Sie waren hinterher sehr dankbar, weil sie wieder Wege zueinander gefunden haben. Sie haben sogar am Ende gemeinsame Freizeitaktivitäten gefunden, was vorher problematisch war.

Was ist wichtig?

Wie läuft so eine Beratung ab?

Es ist wie ein großes Brainstorming. Einer der wichtigsten Momente in dem ganzen Prozess ist, dass man sich Zeit nimmt, jedem zuzuhören. Das hört sich einfacher an, als es in der Realität ist. Familien haben eingespielte Muster, die schnell sichtbar werden. Ich erkläre den Prozess mal am Beispiel einer Familie mit zwei Kindern: In die Mitte eines Plakates wird ein Kreis gemalt. Dann werden Kreise um diesen inneren Kreis gemalt, für jedes Familienmitglied einen. Jedes Kind und jeder Erwachsene darf dann sagen, welche Werte ihm oder ihr wichtig sind, zum Beispiel Ehrlichkeit oder Freundlichkeit oder Ruhe. Alle anderen müssen zuhören. Die Begriffe werden dann in den Kreis geschrieben, der zur betreffenden Person gehört. Anschließend wird das Plakat aufgehängt. Gemeinsam schauen wir es uns an. Dadurch, dass in dieser Phase jedem zugehört wird, entstehen sehr wertvolle Momente, weil auch die Familienmitglieder mitunter überrascht sind, was die anderen Personen wichtig finden.

Nach dieser Brainstorming-Phase wird sortiert. In den mittleren Kreis werden die gemeinsamen Werte geschrieben, die wir im Gespräch finden. Das sind die Familienwerte. Alle Familienmitglieder müssen mit ihren Vorstellungen darin vorkommen. Wichtig ist, dass diese Werte visualisiert werden. Es gibt außerdem eine sehr wichtige Regel: Der Einzelne darf nicht übergangen werden und muss in seinen Wünschen ernst genommen werden.

Wichtige Fragen

Kannst du uns Tipps geben, wie Familien selbst eine gemeinsame Vision finden können?

Man könnte zu Hause eine Art Familienkonferenz daraus machen. Wichtig ist, dass man einen Raum schafft, in dem man nicht abgelenkt wird. Folgende Fragen können ins Gespräch führen:

Was macht uns als Familie aus?
Welche Ziele haben wir?
Wie wollen wir miteinander umgehen?
Haben wir Vorbilder?
Was gefällt uns bei anderen Familien gut?

Wie kann man kleine Kinder da einbinden?

Mit Fragen wie:

Was ist deine schönste Erinnerung?
Was ist dein schönstes Erlebnis mit uns als Familie?
Was magst du an unserer Familie?
Was macht uns als Familie glücklich?

Prozess lohnt sich auch mehrmals

Und wie geht‘s dann weiter?

Indem man schaut: Welche Werte sind uns wichtig? Es kann helfen, zunächst zehn Werte zu formulieren und diese dann auf drei zu beschränken. Auch zu Hause können die Werte auf einem Plakat gesammelt werden. Mit kleinen Kindern kann diese Phase sehr chaotisch sein. Da bietet es sich an, den Prozess in Etappen zu gliedern. Je nachdem, wie festgefahren die Kommunikationsstrukturen in der Familie sind, würde ich aber einen Moderator empfehlen. Die Punkte verändern sich auch mit der Zeit. Es lohnt sich, das Gespräch über gemeinsame Werte immer wieder zu suchen.

Adelina Friesen ist Beraterin für Familien und in Ausbildung zur pastoralen Seelsorgerin.
Das Interview führte Lilli Gebhard. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Deutsch am Gymnasium und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart.

„Windelfrei“ ab dem ersten Tag: Fünffache Mutter erzählt, wie das funktionieren kann

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Im Interview erzählt die fünffache Mutter Jessica Schmidt, wie sie das schafft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Nicht unter Druck setzen

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte