Stress in der Grundschule: Lehrerin verrät, was hilft
Jedes dritte Grundschulkind fühlt sich überfordert. Wie Eltern Stress bei ihren Kindern wahrnehmen und sie unterstützen können.
Das Phänomen „Stress“ ist zum ständigen Begleiter für viele Grundschulkinder geworden. Der tägliche Spagat zwischen Terminen, Schulpflichten und äußeren Bedingungen löste laut einer Studie des Deutschen Kinderschutzbundes 2012 bei jedem dritten Grundschulkind ein Gefühl der Überforderung aus. Aktuelle Studien bestätigen, dass diese Thematik immer noch eine zentrale Rolle im Alltag von Grundschulkindern spielt.
Von Schulstress bei Grundschulkindern sprechen wir, wenn der schulische Alltag in Kindern ein Gefühl der Überforderung auslöst. Gestresste Kinder zeigen oft auch Symptome von körperlicher oder psychischer Belastung. „Die Kinder haben beispielsweise Ängste wie etwa Versagens- oder Leistungsängste“, erklärt Dr. Anja Ozik-Scharf, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. „Sie leiden unter Schlafstörungen, Rückzugstendenzen oder auch depressiven Verstimmungen, zeigen kompensatorisches Verhalten – indem sie sich beispielsweise über andere lustig machen, sich wegträumen – oder auch Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten. Manche Kinder klagen, sind überfordert oder unterfordert, können Probleme nicht eigenständig lösen und können sich selbst nicht ermutigen.“
Die Ursachen für Schulstress sind vielfältig: Laut dem Präventionsradar der Krankenkasse DAK liegt der größte Anteil der Stressfaktoren im Leistungsdruck etwa beim Schreiben von Tests oder Klassenarbeiten. Aber auch Probleme mit Lehrkräften oder Mitschülerinnen und Mitschülern wirken sich auf das Wohlbefinden von Grundschulkindern aus. Rund 54 Prozent der Kinder fühlen sich durch Hausaufgaben gestresst, 22 Prozent empfinden Druck durch die Eltern.
„Ich werde gesehen“
Eltern, die bei ihrem Kind ein verändertes Verhalten oder körperliche Beschwerden beobachten, sollten ihre Wahrnehmung ernst nehmen. Sie können zunächst das Gespräch mit dem Kind suchen und es nach seinen möglichen Sorgen fragen. Auch ist es sinnvoll, den Kontakt zur Klassenlehrkraft des Kindes aufzunehmen, um nach deren Eindrücken zu fragen.
Anja Ozik-Scharf sieht Eltern als „Expertinnen und Experten für ihr Kind“. Deshalb rät sie grundsätzlich dazu, „eher einmal mehr Unterstützung in Anspruch zu nehmen.“ Das kann ein Besuch beim Kinderarzt oder einer Kinderärztin sein. Diese können zu weiteren Schritten raten. Bei Unsicherheiten empfiehlt Anja Ozik-Scharf, eine psychotherapeutische Sprechzeit, also ein psychotherapeutisches Erstgespräch, wahrzunehmen. Auch der schulpsychologische Dienst, die kommunalen Erziehungs- und Familienberatungsstellen oder Coaches beziehungsweise Lerncoaches können hilfreiche Anlaufstellen sein.
Wichtig sei, dass Eltern feste Strukturen schaffen, betont Anja Ozik-Scharf: „In jeder Familie sollte es Werte geben und auch Regeln – und Beziehung. Für mich ist es besonders bedeutsam, Blickkontakt zum Kind herzustellen und zu halten. Das schafft Beziehung, und das Kind erhält das Gefühl, im wahrsten Sinne des Wortes gesehen zu werden.“ Eltern seien wichtige Vorbilder, wenn es darum geht, wie sie selbst mit Stress umgehen. Wenn es ihnen gelingt, reflektiert mit eigenen Belastungen umzugehen, können sie ihr Kind effektiv bei der Stressregulation stärken.
Ein Ausflug ins Schwimmbad
Bei der Co-Regulation unterstützen Eltern ihr Kind dabei, mit dem Schulstress umzugehen. Beispielsweise durch feste Regeln und Strukturen innerhalb des familiären Alltags kann vieles bewirkt werden. Die Kinderpsychotherapeutin ermutigt an dieser Stelle auch dazu, mit positiven Verstärkungen zu arbeiten. Wenn also ein Ziel geschafft ist – und sei es noch so klein –, dürfen zuvor verabredete kleine Wünsche eingelöst werden: zum Beispiel ein gemeinsames Eis essen, ein Ausflug ins Schwimmbad oder ein Spielenachmittag.
Auch sei es wichtig, den Kindern Strategien gegen den Stress zu vermitteln. Das können Entspannungsübungen sein oder das gemeinsame Beten. Kinder sollten zudem die Gelegenheit erhalten, Stress über Bewegung abbauen zu können, sei es im Verein, beim Besuch auf dem Spielplatz oder beim gemeinsamen Sport mit den Eltern. Auch kreatives Tun wie Malen, Schreiben, Musizieren oder Töpfern trägt dazu bei, den Stress hinter sich zu lassen.
Wenn Grundschulkinder unter Schulstress leiden, ist es für sie besonders wichtig, den Rückhalt ihrer Eltern zu erleben und ihr Verständnis zu erfahren. Gemeinsam können Lösungswege erarbeitet werden. Durch Beobachten und offene Kommunikation unterstützen Eltern ihr Kind zielgerichtet und nachhaltig dabei, die seelische Gesundheit zu stärken.
Alexandra von Plüskow-Kaminski war mehr als 20 Jahre als Grundschullehrerin tätig. Sie ist Fachjournalistin und zweifache Mutter.