Patchwork-Papa: So gelingt das Leben in der kniffligen Konstellation
Benjamin Funk hat mit seiner Frau Alexandra eine ganze Familie geheiratet. Zu Alexandras drei Kindern kamen später noch drei gemeinsame hinzu. Er verrät, was ihm und seiner Familie in der Patchwork-Herausforderung hilft.
Ich knallte die Tür unseres Schlafzimmers mit voller Wucht zu. Mein Puls raste, mein Kopf glühte vor Wut. Unser damals 13-jähriger Ältester und ich hatten uns heftig in die Wolle bekommen. Auch er war stinksauer. Er hatte es geschafft, jede einzelne meiner Nerven zu strapazieren und jeden denkbaren Knopf bei mir zu drücken, bis ich schließlich explodierte. Meine Frau kam dazu, versuchte, mich zu beruhigen. „Wie konnte ich nur so die Kontrolle verlieren? Was denkt er sich eigentlich?“, schrie ich quer durchs Schlafzimmer, laut genug, dass es jeder im Haus hören konnte. Nein, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Ich war damals nach Israel ausgewandert, um eine Familie zu heiraten. Eine klassische Patchwork-Familie: Meine Frau brachte drei Kinder mit in die Ehe. „Du bist jetzt Vater von null auf hundert“, sagte sie mir liebevoll und mit einem Lächeln. 2016 war das Jahr meines Aufbruchs nach Israel. Ich wollte eine Familie gründen und hatte durch den Aufbau eines Kinder- und Familienzentrums in einem herausfordernden Bezirk in Salzgitter viele Erfahrungen sammeln können. Das gab mir Rückenwind. Zugleich hatte ich Respekt davor, eine Frau mit drei Kindern zu heiraten – besonders, weil es sich um eine komplett fremde Kultur und ein fremdes Land handelte. Ich hatte meinen Job in Deutschland aufgegeben, mein Haus und mein Auto verkauft. Der eigentliche Plan war der, dass wir alle zusammen zwei bis drei Jahre später nach Deutschland ziehen würden.
Dauerkämpfe statt gütlicher Einigung
Doch die Realität machte uns einen Strich durch die Rechnung. Unsere Beziehung wurde auf eine harte Probe gestellt. Der Ex-Mann und Vater der Kinder, gewalttätig und mit seinem narzisstischen Wesen eine Belastung für alle, hatte tiefe Narben hinterlassen. Bis heute kämpft er immer wieder erfolglos vor Gericht gegen uns, indem er falsche Geschichten mit fingierten Zeugenaussagen gegen uns hervorbringt. Keines der Kinder hat mehr Kontakt zu ihm.
Eins möchte ich an dieser Stelle einwerfen: Du wirst das Wort „Stiefkinder“ nicht finden. Denn für mich gibt es keinen Unterschied. Unsere Großen und die drei Jüngeren, die noch dazugekommen sind, sind für mich eins – meine Kinder. Nur wenn ich bereit bin, alle Kinder so anzunehmen, kann Patchwork gelingen. Wenn ein Ehepaar getrennte Wege geht oder ein Elternteil verstirbt, stellt das auch die Kinder vor riesige Herausforderungen. Oft kommt hinzu, dass die Kinder sich bereits an die Lebensumstände mit einem Elternteil gewöhnt haben, bis ein neuer Partner ins Leben kommt. In unserem Fall hatte der Älteste unbewusst väterliche Verantwortung übernommen. Das passiert oft, wenn der Vater wegfällt. Das machte mein Ankommen und den Start unserer Beziehung nicht einfacher. Hier kamen die schlimmen Erfahrungen aus seiner Kindheit, der Bruch mit seinem Vater und die Pubertät zusammen. Unsere Konflikte gingen oft an unsere Grenzen. Warum unsere Beziehung nicht an diesen Baustellen zerbrach, lag unter anderem an den klaren Absprachen, die wir als Ehepartner getroffen hatten. Auch hatten wir uns keiner Illusion hingegeben.
Kein Plan B
Alles begann mit klaren Entscheidungen ohne einen Plan B. Wenn wir Klarheit leben, nehmen die Kinder das genauso wahr. Als jemand, der in eine Patchwork-Familie eintritt, muss mir eines bewusst sein: Ich heirate nicht nur meine Partnerin, sondern auch ihre Kinder. Eine klare Entscheidung zu treffen, bietet zwar keine Garantie gegen ein mögliches Scheitern, hilft aber, größere Probleme zu vermeiden.
Ein wesentlicher Faktor für uns war, dass meine Frau mich während unserer Fernbeziehung, als ich nur in Abständen nach Israel reisen konnte, schon als ihren zukünftigen Ehemann vorgestellt und so klar Stellung bezogen hatte. Diese klare Positionierung war entscheidend dafür, dass ich in der Familie ankommen und in die Rolle als Teil dieser neuen Patchwork-Konstellation hineinwachsen konnte. Man muss sich aber im Klaren sein, dass die Kinder in der Regel keinen neuen oder anderen Elternteil haben wollen. Das ist nicht schlimm, sondern ganz normal.
Patchwork: „Du bist nicht mein Vater“
Dass ich nicht der Vater sei, musste ich regelmäßig am Anfang hören. Es kann verletzend sein. Aber als erwachsener und mündiger Mann kann ich das aushalten. In solchen Momenten galt es, Ruhe zu bewahren. Meine Antwort war dann: „Das stimmt, aber ich bin der Erwachsene und ich möchte, dass du jetzt aufräumst.“ Hierbei gingen meine Frau und ich Hand in Hand. In der Anfangszeit liefen die Kinder oft schnurstracks zu meiner Frau, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten.
Es war mir aber auch wichtig, mich in das Kind hineinzuversetzen. Je nach Vorgeschichte ist in dem Kind eine Welt zerbrochen. In vielen Fällen trauern Kinder der Vergangenheit nach. Kinder haben eine Gabe: Sie können Konflikte verdrängen. Ein Vater bleibt ein Vater, auch wenn er ein schlechter Vater ist. In meiner Zeit in Salzgitter habe ich mit vielen Kindern zu tun gehabt, die von Vätern geschlagen und misshandelt wurden. Dennoch besuchten diese Kinder immer wieder ihre Väter, getrieben von der Hoffnung, dass sich diese eines Tages ändern würden. Das mitzuerleben war erschütternd. Deshalb kann ich ein Kind, das mir Ablehnung entgegenbringt, nicht verurteilen oder abweisen. Denn es hat vielleicht die Hoffnung, dass der Vater doch wieder zurückkommt oder sich ändern könnte.
Klare Entscheidung
Ein weiteres Geheimnis unseres Weges liegt darin: War ich zu streng oder hatte ich eine umstrittene Entscheidung getroffen, fiel meine Frau mir nie in den Rücken. Stattdessen besprach sie, wenn nötig, Dinge unter vier Augen mit mir. So stärkte sie meine Position und Autorität und half mir, in meine Rolle als Vater hineinzuwachsen.
Die Liste der möglichen Konflikte in einer Patchwork-Situation ist lang. Es ist offensichtlich, dass Kinder nur ungern ihre Mutter und deren Aufmerksamkeit mit einer neuen Person teilen wollen. Wenn zusätzlich Kinder vom neuen Partner hinzukommen, verstärken sich die Veränderungen noch deutlicher. Es ist ein Drahtseilakt zwischen Verständnis und Empathie einerseits und klarer Linie andererseits. So herausfordernd die Vergangenheit war: Wir als Eltern müssen eine Perspektive und Vision für unsere Familie finden.
Familien-Vision
Hand aufs Herz, Familie unter „normalen“ Umständen ist bereits eine Herausforderung. Deshalb haben wir als Ehepaar mit einem Bild gearbeitet, das uns half, unsere eigene Vision zu erkunden: Uns war es nicht gegeben, ein deutsches, stylishes Reihenhaus mit klaren Linien und solider Ausstattung zu gestalten. Wir kamen zusammen, als das Haus bereits im Bau war, durch Jahre geprägt und geformt, in guten wie in schlechten Zeiten. Deshalb ergab sich für uns ein Bild mit verschiedenen Wänden, großen und kleinen Fenstern, Rundungen – ein Kunstwerk, das in einer normalen Siedlung auffallen würde.
Dieses Bild half uns, unsere Erwartungen an uns und die Kinder in einem gesunden Rahmen zu halten. Ich kann von Kindern, die deutsch-israelisch sind, nicht erwarten, dass sie deutsche Tugenden erlernen und leben, nur weil ich in dieser Richtung gut konditioniert bin. Es gibt eine Menge Anekdoten, bei denen ich mit meinen Versuchen diesbezüglich kläglich scheiterte. Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass wir viele geniale Zeiten erleben.
Vorbilder für Vaterschaft
Auch wenn ich es erst jetzt anspreche: Wir sind Christen und sind überzeugt, dass wir nur mit Gottes Hilfe den Weg bis heute geschafft haben. In der Bibel finden wir nur wenig gute väterliche Vorbilder. Doch in Jesus finde ich ein Vorbild, wie Vaterschaft aussehen sollte. Gute Führung hat in der Familie immer Liebe als Grundlage und das Wohl meiner Nächsten zum Ziel. Dabei ist wichtig zu wissen: Meine Taten wiegen immer mehr als meine Worte. Besonders als Männer neigen wir dazu, den Part von Regeln und Vorschriften besonders ausgeprägt zu leben. Mir wurde erst mit der Zeit klar, was wirkliche Führung bedeutet. Dazu gehört, gemeinsame Erlebnisse und Qualitätszeiten zu schaffen, manhmal fünf gerade sein zu lassen, authentisch zu leben und vor allem den Kindern alle Zeit zu geben, auf mich zuzukommen. Auch liegt es in meiner väterlichen Verantwortung, Lebensqualität in die Familie zu bringen.
Eine Erkenntnis, die alles verändert
Ein Artikel, der eigentlich nichts mit Patchwork zu tun hatte, veränderte meine Sichtweise grundlegend. Es ging um die Herausforderungen, mit denen Pflege- und Adoptivkinder konfrontiert sind. Oft fühlen sich diese Kinder in ihren neuen Familien fremd. Sicher, die Prägung von klein auf ist entscheidend, aber auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Studien zeigen, dass leibliche Kinder eine natürliche Neigung haben, nonverbale Signale besser zu verstehen. Viele Pflegeeltern sind sich dessen nicht bewusst, wodurch die Kinder sich fehl am Platz fühlen. Da sie scheinbar nicht in das familiäre Gefüge, die gestellten Anforderungen passen, kämpfen sie ständig damit, Erwartungen zu erfüllen. Diese Erkenntnis hat mich zum Umdenken bewegt. Ich verstand, warum so mancher Konflikt entstanden ist.
Die härtesten Momente sind und bleiben jene, in denen ich scheitere und an meine Grenzen stoße. Manchmal wähle ich die falschen Worte, bin zu pedanktisch, wo Gelassenheit angebracht wäre, und zögere, wenn Handeln gefragt ist. Was soll ich sagen: Wir sind Menschen, und Fehler gehören dazu, auch wenn sie schmerzen. Vergebung ist dabei der Schlüssel – das beinhaltet auch, meine Kinder um Entschuldigung zu bitten, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ebensowichtig ist es, mir selbst zu vergeben.
Patchwork-Papa zu sein ist ein Weg, der sich lohnt. Es ist eine ganzheitliche Aufgabe, herausfordernd und erfüllend. Als wir letztes Jahr Weihnachten mit unseren Kindern feierten und in die Runde fragten, wofür wir besonders dankbar sind, anworteten alle einstimmig, dass wir eine tolle und starke Familie sind. Jede Anstrengung, jede schlaflose Nacht, jeder Muskelkater vom Kinder-in-den-Schlaf-Schaukeln, jede Träne und der einelne Moment sind lohnenswert.
Bejamin Funk lebt mit seiner Frau Alexandra unf sechs Kinddern im Nordosten Israels.