Beiträge

Spannungen aushalten? Pädagogin gibt Einblicke

Gräben durchziehen die Gesellschaft, aber auch Familien und Freundschaften. Warum fällt es uns oft so schwer, andere Meinungen zu respektiern und Spannungen auszuhalten? Pädagogin Daniela Albert reflektiert über Einstellungen und Wertschätzung.

Eigentlich müsste ich gerade Sachen packen, denn übers verlängerte Wochenende wollen wir weg. Mit einer tollen Truppe Menschen, jeder Menge Kinder und dem Wohnwagen geht es für vier Tage in die Natur. Wir wollen wandern, mit dem Floß auf dem See herumplanschen, grillen und vor allen Dingen Gemeinschaft erleben. Eine wunderschöne Sache. Wenn da nicht …

An einem Strang ziehen?

Wenn da nicht unsere unterschiedlichen Ansichten zum Thema Erziehung wären. Die eine Mutter mag es eher strukturiert und pädagogisch zumindest anspruchsvoll. Als Pädagogin sollte das eigentlich auch mein Anspruch sein, blöderweise mag ich es aber lieber kreativ-langweilig und zumindest im Urlaub laissez-faire. Grundsätzlich habe ich ein großes Vertrauen in meine Kinder und dass die Dinge schon irgendwann gut werden, und mache mir um Alltägliches weniger Gedanken. Die Teenies hängen vor dem Handy? Was soll’s? Solange sie die Mahlzeiten mit uns einnehmen und an ein paar Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen, soll mir das recht sein. Ein Kind mag nicht wandern? Lass uns mal kreativ schauen, wie wir das lösen. Und falls irgendwer von den Erwachsenen auch nicht so viel Lust hat, habe ich nichts dagegen, wenn ein Teil der Gruppe am See bleibt. Wir haben doch schließlich Urlaub.

Das sehen nicht alle in der Runde so. Einige würden sich wünschen, dass wir mehr an einem Strang ziehen und die Kids sich auch mal anpassen müssen, weil sie, so die Erfahrung, am Ende meistens trotzdem Spaß haben. Letztes Jahr hatten wir dazu ein paar unschöne Diskussionen. Deshalb sitze ich gerade hier am Schreibtisch und haue in die Tasten, statt endlich zu packen. Tief in mir frage ich mich nämlich, ob es wirklich eine gute Idee ist, meine freien Tage inmitten solcher Spannungen zu verbringen. Realistisch betrachtet machen die Uneinigkeiten natürlich nur einen verschwindend geringen Prozentsatz unserer gemeinsamen Zeit aus. Meistens haben wir Spaß zusammen, genießen den Austausch, lernen voneinander und können uns stehen lassen und wertschätzen. Doch blöderweise merke ich, dass die Spannungen, die entstehen, sich oft stärker einprägen als all das Gute, das ich in Gemeinschaft erleben darf.

Die einzig gültige Wahrheit

Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir Strategien fehlen, um Reibung auszuhalten. Das war nicht immer so. Früher war ich gern mittendrin, immer da, wo diskutiert wurde, wo Meinungen aufeinanderprallen, wo es heiß zur Sache ging. Ich war neugierig auf andere Menschen und das, was sie denken. Habe mich für ihr Leben interessiert und versucht zu ergründen, wo diese ganz anderen Ansichten, als ich sie habe, herkommen und an welchen Stellen unsere gemeinsamen Nenner liegen könnten. Nicht umsonst habe ich als damals politisch eher links engagierte Studentin den Vorsitzenden des Rings Christdemokratischer Studenten geheiratet – das macht man nicht, wenn man ein Problem mit Spannungen und Unterschiedlichkeiten hat. Doch in den letzten Jahren kommt es mir so vor, als hätte ich so einiges verlernt, was mich früher ausgemacht hat – und ich glaube, damit bin ich nicht allein. Andere stehen lassen, Spannungen und Unterschiedlichkeiten aushalten, das scheint schwieriger geworden zu sein.

Gesprächsangebote statt Spannungen?

Das hat meiner Ansicht nach verschiedene Gründe. Zum einen ist es im Zuge von sozialen Medien und dem schnellen Finden von Gleichgesinnten einfacher geworden, in der eigenen Suppe zu kochen. Wir können uns den ganzen Tag mit Menschen umgeben (zumindest virtuell), die uns zustimmen. Klar, gerade wenn wir in sozialen Netzwerken unterwegs sind, findet sich immer auch eine Menge Gegenwind. Diesen wiederum kann man aber gut aushalten, weil man sich ja in der Anonymität dieser Welt nicht weiter mit den Personen dahinter auseinandersetzen muss. Dann ist es aber tatsächlich so, dass andere Meinungen – auch wieder hauptsächlich in der Anonymität des Internets, doch zunehmend leider auch offline – nicht mehr als Gesprächsangebot in den Raum gestellt werden, sondern als einzig gültige Wahrheit.

Dabei bleibt es nicht. Diese Wahrheiten werden oft mit einer solchen Vehemenz vorgetragen, dass kaum noch Raum für Austausch vorhanden ist. Meist bleibt das nicht auf der Sachebene, sondern geht tief ins Persönliche. Menschen greifen sich gegenseitig verbal – und leider im Extremfall sogar körperlich – an, weil sie nicht aushalten, dass jemand über einen bestimmten Sachverhalt anders denkt.

Spannungen vermeiden

Im religiösen Bereich gibt es eine besonders fiese Möglichkeit, einander aufgrund von Unterschiedlichkeiten zu verletzen: Wir sprechen dem Gegenüber einfach den Glauben ab, unterstellen einander ein falsches Verständnis und schon müssen wir nicht mehr diskutieren oder uns auch nur im Ansatz auf die Gedanken des anderen einlassen. Meinungen sind in ganz vielen Fällen keine Sachfragen mehr, sondern in höchstem Maß emotional aufgeladen – und somit bekommen Meinungsverschiedenheiten schnell etwas Existenzielles. Beziehungen werden infrage gestellt, wenn man merkt, dass man sich in bestimmten Themen nicht einig ist. Und ja: Manchmal ist das auch nötig.

Es gibt Ansichten, die für den einen oder anderen wirklich bedrohlich oder schwer auszuhalten sind. Wenn Menschen dich aufgrund deines Seins ablehnen, du in deinem Umfeld mit Meinungen konfrontiert bist, die dich selbst oder dir nahestehende Menschen kränken und diskriminieren, geht es oft nicht, ohne dass du Abstand gewinnst. Doch das Vermeiden von Spannungen fängt leider oft nicht erst da an, wo man sich selbst schützen muss, sondern da, wo es einfach nur ab und zu ein bisschen unbequem werden kann. Da fasse ich mich an die eigene Nase – wie man an meinem Beispiel oben sieht. Denn unterschiedliche Auffassungen darüber, wie wir unsere Kinder erziehen und welche Regeln für die paar wenigen Tage gelten sollten, sind weder bedrohlich noch existenziell (zumindest, solange sie sich im Rahmen eines gesunden Menschenverstandes und eines gewaltfreien Erziehungskonzepts bewegen). Sie sind nur ein bisschen nervig.

Kurzfristig ausgeladen

Aber wie kommt es dann, dass wir auch solche Spannungen heute am liebsten vermeiden würden und so süchtig nach Harmonie und Bestätigung zu sein scheinen? Ich habe darauf keine allgemeingültige Antwort, aber eine Beobachtung. Ich erlebe viele Menschen heute als sehr unsicher, was ihr Zugehörigkeitsgefühl angeht. Wenn ich an die große, laute, diskussionsfreudige Sippe denke, aus der ich stamme, dann erinnere ich mich vor allem daran, dass es fast nicht möglich war, sich dort dauerhaft ins Aus zu katapultieren. Man stritt heftig und impulsiv, und am Ende des Tages war man trotzdem eine Gemeinschaft, eine Familie.

Heute erlebe ich es häufiger, dass Menschen aufgrund ihrer Ansichten, ihrer Streitlust oder ihrer Unterschiedlichkeit irgendwo gar nicht mehr hinkommen dürfen. Das passiert im professionellen Kontext, wenn Referenten oder Rednerinnen kurzfristig ausgeladen werden, weil man auf einmal merkt, dass sich zu viele Leute an ihnen reiben (das passiert übrigens, anders als ein gängiges Vorurteil nahelegt, nicht nur bei „woken“ Veranstaltungen, sondern auch das konservative Spektrum wählt mittlerweile sehr genau aus, wer wo noch was sagen darf). Es geschieht aber mehr und mehr auch im Privaten. Ich habe das Gefühl, wir alle haben mit unserem Leben und den täglichen Aufgaben so viel um die Ohren, fühlen uns oft so stark belastet, dass uns die Kraft und die Lust fehlt, auch noch unsere Freizeit damit zu verbringen, für uns schwierige Ansichten auszuhalten.

Ermutigung statt Wahrheit

Eine gute Erfahrung, die ich gemacht habe, wenn es darum geht, hier gegenzusteuern, ist tatsächlich, den Fokus wieder auf die Gemeinsamkeiten zu legen: Was läuft eigentlich gut? Wo kommen wir zusammen? Was können wir trotz der Unterschiedlichkeiten vielleicht doch gemeinsam wuppen? Was kann ich von dir lernen? Kann ich mir von meiner Freundin und ihren eher strengen Ansichten etwas abschauen, was mir in schwierigen Situationen helfen kann? Und könnte ich mit meiner Lockerheit auch Inspiration für sie sein? Oder können wir uns – ach, wäre das schön – am Ende des Tages bei einem Glas Wein zugestehen, dass wir die Dinge völlig unterschiedlich handhaben und dabei beide einen wundervollen Job machen?

Ein weiterer Punkt, der uns ermutigen kann, auch wieder Spannungen auszuhalten, ist, immer wieder den Ausgleich zu suchen. Sinnvoll wäre es, einander zu ermutigen, uns liebevolle Dinge zu sagen, uns zu loben und unseren Fokus auf das zu richten, was jemand richtig gut macht. Wie wäre es, wenn wir die, an denen wir uns am meisten reiben, täglich mit Liebe für all das überschütten, was wir an ihnen toll finden? Wenn wir ihnen die Sicherheit geben, dass sie bei uns angenommen und geliebt sind – und erst dann und im Rahmen dieser Sicherheit mal ordentlich aneinanderrumpeln?

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de).

„Ist er neidisch?“

„Mein Sohn (17) und meine Tochter (15) sind total unterschiedlich: Während er der zurückhaltende Typ ist, kaum Hobbys hat und mittelmäßige Schulnoten, ist sie aufgeschlossen, sehr beliebt und in der Schule ein Ass. Er verhält sich ihr gegenüber oft beleidigend und ausgrenzend. Meine Tochter fühlt sich deshalb oft verletzt. Wir haben das Gefühl, dass er neidisch ist. Wie können wir den beiden helfen, miteinander klarzukommen?“

Geschwister sind neben den eigenen Eltern die ersten Menschen, mit denen wir es alltäglich zu tun haben. Vom ersten Tag an rivalisieren wir mit den Geschwistern um die Gunst der Eltern.

Die Frage, ob das jüngere Geschwisterchen den älteren Bruder, die ältere Schwester vom Gunst-Thron bei den Eltern stößt, verführt ältere Geschwister oft genug dazu, die eigene Macht hinterrücks zu demonstrieren. Da wird geschlagen und gemobbt – häufig, wenn die Eltern gerade nicht hinschauen. Gleichzeitig wissen nachgeborene Kinder meist sehr genau, was sie tun müssen, um den Beschützerinstinkt bei den Eltern zu wecken. Deshalb flüchten sie sich gern in eine Opferrolle, in der sie zeigen, wie gemein der ältere Bruder, die ältere Schwester ist. Sie verstehen es auch, sich in Szene zu setzen als kleiner Prinz oder kleine Prinzessin.

INTERESSE ZEIGEN

Ihre Kinder sind jedoch alt genug, um zu wissen, wie sie miteinander umgehen sollten. Vielleicht ist der große Bruder gar nicht neidisch auf die Erfolge seiner kleinen Schwester, sondern darauf, wie diese Erfolge bei den Eltern, also Ihnen, ankommen. Natürlich sind Sie stolz auf Ihre Tochter, weil sie viele Freunde hat und ein schulisches Ass ist. Das würde alle Eltern glücklich machen. Aber da ist auch Ihr Sohn. Auch er hat Hobbys. Vielleicht nicht so weltbewegende. Möglicherweise sind es Interessen, mit denen Sie nichts anfangen können? Versuchen Sie es trotzdem. Interessieren Sie sich für das, was ihn bewegt. Nehmen Sie an der Welt Ihres Sohnes teil. Wenn er merkt, dass er genauso viel wert ist wie Ihre Tochter, ist es für ihn nicht mehr so wichtig, die Schwester herabzusetzen. Ja, vielleicht ist er im Augenblick tatsächlich neidisch. Wenn er allerdings keinen Grund mehr dafür hat, fällt es ihm leichter, diesen Neid zu überwinden.

STÄRKEN AUFZEIGEN

Sicherlich lieben Sie Ihre Kinder in gleicher Weise – zumindest sind Sie dieser Ansicht. Trotzdem reagieren Sie vielleicht unterschiedlich auf die sportlichen Erfolge und die Noten Ihrer Kinder. Wenn Ihre Tochter eine Eins nach Hause bringt – sind Sie da nicht enthusiastischer, als wenn Ihnen der Sohn eine Vier unter die Nase hält? Doch denken Sie daran, dass Ihr Sohn für die Vier trotzdem hart gearbeitet hat! Zeigen Sie Ihrem Sohn seine Stärken auf (auch Zurückhaltung ist eine Stärke), dann hat er keinen Grund mehr, Ihre Tochter auszugrenzen. Es ist harte Realität, dass die wenigsten von uns Überflieger sind. Wir sind nicht alle gleich. Aber wir sind alle gleichwertig. Das zu erkennen, darin liegt die eigentliche Größe – für jeden von uns.

Ingrid Neufeld hat als Erzieherin zuletzt mit Flüchtlingskindern und deren Eltern gearbeitet. Nun genießt sie ihren Ruhestand als Mutter von drei erwachsenen Töchtern und zwei Enkeln. Sie lebt bei Bamberg. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Über andere reden …

Es ist gar nicht so leicht, beim Reden über andere Menschen nicht ins Abwerten oder „Lästern“ zu verfallen. Eva Ricarda John zeigt die Hintergründe auf und gibt konkrete Hilfestellungen zur Selbstreflexion.

Über andere reden? Das macht man doch nicht! Oder doch? Natürlich, jeder redet über andere! Das geht ja auch gar nicht anders. Doch was ist das richtige Maß? Welches sind die richtigen Worte? Wie ist es mit dem rechten Zuhören? Wo fängt „lästern“ an?

Wir reden über andere. Natürlich tun wir das. Wir kümmern uns voller Nächstenliebe um andere, also tauschen wir Informationen aus. Wir dienen einander, beten füreinander, also teilen wir Gebetsanliegen aus dem Leben anderer. Auch wenn man jemanden um einen Rat bittet, ist es zuweilen nötig, etwas über andere zu erzählen. Rechtes Erzählen ist in Ordnung – mit Wertschätzung, Offenheit und ohne zu richten. Ich kann einen geschützten Raum mit einem vertrauensvollen Gegenüber dazu suchen. Je älter ich werde, umso mehr verstehe ich Jesu Worte aus Matthäus 7: Wir sollen einander nicht richten und bewerten, denn das Maß, das ich an einen anderen lege, das wird das Maß sein, das Jesus zur Beurteilung von mir anlegen wird. Autsch – das ist mal ein Statement!

Wie Zahnpasta aus der Tube …

Ich kann die Motive anderer für ihr Verhalten, Reden und Leben nicht kennen. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden, bin nicht ihre Wege gegangen. Darum ist es mir nicht gestattet, Vermutungen oder Beweggründe zu nennen, warum ein anderer so lebt oder handelt. Außer ich rede offen mit ihm selbst darüber. Die Offenheit an sich ist, so glaube ich, ein Kern in diesem Thema: Wenn alles, was ich sage, so formuliert ist, dass ich es auch dem Betreffenden genau so sagen kann, dann bin ich sicher auf einem guten Weg. Wähle ich jedoch abwertende, bewertende oder lästernde Worte über Dritte in meinem Gespräch, dann habe ich den guten Ton verlassen!

Den guten Ton hat man auch dann verlassen, wenn man nur schlechte Dinge über andere zu berichten weiß und das lauthals tut. Oder wenn man andere wortreich niedermacht. Oder wenn man aus Sensationslust über Dritte redet. Oder wenn das Reden geprägt ist von Zynismus und Sarkasmus. Oder wenn nur spitze Andeutungen in halben Sätzen angerissen werden und so über Dritte bewusst Geschichten gestreut werden, die der Zuhörer zu Ende fantasieren muss. Oder wenn nur die Schwächen und Fehler von Dritten benannt werden, wenn es nur immer um das Negative geht. Dann sollten beim aufmerksamen Zuhörer alle roten Lampen angehen!
Denn dahinter steckt keine Liebe. Im 1. Johannes-Brief heißt es: „Wer seinen Bruder nicht liebt, der ist nicht aus Gott …“ Wenn ich also meinen Nächsten liebhabe, kann ich eigentlich nichts Böses über ihn reden. Psalm 15 klärt darüber auf, dass niemand, der in Gottes Nähe lebt, einen Mitmenschen in Verruf bringt oder ihm Schaden zufügt. Wir sind aufgerufen, eine „Zunge der Weisen“ zu haben (Sprüche 12,18) und nicht unbedacht zu reden. Im Jakobusbrief werden wir gewarnt vor dem, was die Zunge anrichten kann: ganze Waldbrände! Das ist etwa so wie Zahnpasta aus der Tube. Was da einmal raus ist, das ist raus – niemals bekommst du es zurück in die Tube. So ist auch schlechtes Reden über andere. Das wird seine Kreise machen. Die Bibel sagt, dass der Herr mit Freude auf die schaut, die nach seinem Willen leben: in Liebe! Und dass er sich allen entgegenstellt, die Böses tun oder reden. Das ist ein klares Wort. Wie schnell vergessen wir das.

Den eigenen Wert erhöhen

Bevor wir konkret überlegen, wie wir das im Alltag besser umsetzen können, macht es Sinn, einmal zu schauen, warum Menschen schlecht reden oder lästern. Ein Hauptgrund ist, dass der Mensch sich oft besser fühlt, wenn er andere herabsetzt. Jemanden niedermachen, indem man ihn abwertet, heißt: Macht nehmen über den anderen, um den eigenen Wert zu erhöhen. Manchmal sind es auch verletzte Menschen, die vom Opfer zum Täter werden nach dem Motto: „So wie es mir ergangen ist, soll es auch dir ergehen.“ Ein anderer Grund ist Neid. Neid ist ein Gefühl, vor dem die Bibel warnt. Wir haben kein Recht, den Erfolg, Besitz oder die Fähigkeiten anderer abzuwerten oder zu verlästern. Die Bibel fordert uns auf, Liebe zu üben, selbst unseren Feinden gegenüber. Manchmal ist da nicht mal ein Feind, sondern einfach nur ein unsympathischer Mensch. Dabei sollten wir uns fragen: Wa- rum entsteht in mir diese Antipathie? Was sich in meinem Inneren abspielt, kann viele Gründe haben und ist immer meine Aufgabe!

Dann gibt es noch die Menschen, denen es nicht in die Wiege gelegt wurde, Empathie für andere zu empfinden. Sie haben kein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sie mit ihren Worten verletzen, kränken, Schaden anrichten. Zuweilen erlebt man, dass Ärger, Frust oder Wut im Herzen des Sprechers oder der Sprecherin das Gespräch übernehmen in der Annahme, das jetzt mal rauslassen zu dürfen. Eine innere Haltung, dass immer die anderen schuld sind, kann ebenfalls zu übler Nachrede führen.
Eigentlich ist sie jedoch ein Indiz für mangelnde Selbstreflexion: Wir sollten nämlich zuallererst auf uns selbst achthaben (Lukas 17). Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass auch eine Gruppe einen hohen Druck auszuüben vermag, wenn dort in einer Art und Weise über andere geredet wird, die nicht angemessen ist. Die Bibel ist da klar: Jeder habe acht auf sich selbst! Ich bin vor Gott für mich verantwortlich!

Selbstcheck

Es gibt zwei Wege, in diesem Dilemma etwas zu lernen. Der Grundsatz bleibt: Andere kann ich nicht ändern. Ansetzen kann ich immer nur bei mir selbst. Jeder sollte seine eigene Rede und sein eigenes Denken überprüfen. Dazu einige Fragen, sowohl für den Redenden als auch für den Zuhörenden.

1. Wie rede ich?

Gut ist es, sich selbst einmal bewusst zuzuhören und sich selbst zu reflektieren:

Wie rede ich?
Ist das, was ich erzähle, wahr?
Weiß ich, dass es wahr ist, oder nehme ich es nur an?
Spüre ich die Stimmung, in der ich rede? Ist es Liebe? Sorge? Ärger? Wut? Neid? Fürsorge? Verletzung? Überforderung?
Ist es zwingend notwendig, dass ich „es“ erzähle? Wem nutzt es?
Hat das, was ich erzähle, mit dem anderen zu tun oder doch eher mit mir?
Dient es dem Betroffenen?
Dient es der Sache?
Oder diene ich mir gar selbst?
Bin ich sensationslustig?
Was ist mein Motiv?
Fühle ich mich besser, wenn andere schlechter dastehen?
Ist das, was ich erzähle, etwas Gutes?

2. Wie reagiere ich?

Ich habe als Zuhörer oder Zuhörerin immer die Wahl:

Wie reagiere ich, wenn andere mir etwas erzählen und ich dabei ein beklemmendes Gefühl habe?
Bin ich höflich und höre deshalb zu oder kann ich ehrlich rückmelden, mich abgrenzen?
Gebe ich durch Zuhören und Rückfragen einer Sache zu viel Bedeutung?
Weiche ich aus oder bin ich klar?
Kann ich Klartext reden?
Kann ich, wenn nötig, eine Distanz herstellen? Wenn nicht: Treibt mich meine Neugier an oder bin ich einfach zu feige?

Verantwortung übernehmen

In Workshops bitte ich meine Teilnehmer, sich im Stillen einer Situation aus dem eigenen Alltag zu stellen. Mit dieser privaten Situation im Kopf werden dann einmal diese und ähnliche Fragen durchwandert. Schriftliche, nur für den eigenen Bedarf genutzte Antworten bringen Licht in das Dunkel in mir. So lerne ich mich besser kennen, habe ich acht auf mich selbst und übernehme vor Gott Verantwortung für mein Reden und Zuhören. Das erfordert etwas Übung. Doch mit der Zeit können wir lernen, diese Haltung mit in den Alltag zu nehmen. Und es wird immer schneller gehen, sich selbst zu prüfen und zu hinterfragen. Das ist ein Zeichen von Reife und Weiterentwicklung im Christenleben: Wir lernen nie aus!

Wie rede ich nun „richtig“ – oder, wie die Bibel sagt, „weise“ –, wenn es nötig ist, über Dritte zu reden? Ich überlege genau, mit wem ich vertrauensvoll reden kann. Ich wähle Zeit und Ort, um einen geschützten Raum zu haben. Ich sage nur das, was wahr ist. Ich sage nur das, was ich dem Dritten auch genauso persönlich sagen würde. Ich sage genau so viel wie nötig und so wenig wie möglich über andere. Ich berufe mich nie auf Dinge, die ich nur vom Hörensagen kenne. Ich bleibe bei der Wahrheit. Ich streue keine Gerüchte. Und vor allem frage ich mich, ob das, was ich sage, zur Ehre Gottes ist und ob die Worte, die ich wähle, auch Worte sind, die ich in der Gegenwart Gottes gebrauchen würde.
Und dann könnte es noch sein, dass ich Opfer werde. Dass mich andere enttäuschen. Dazu sagt die Bibel, dass der Herr die Herzen kennt und jeden Einzelnen von uns sieht. Das ist ein großer Trost! Zu guter Letzt fällt mir dazu der Rat meiner Uroma Erna ein: „Redet einer schlecht von dir, so sei es ihm erlaubt. Du aber lebe so, dass es ihm keiner glaubt!“

Eva Ricarda John arbeitet selbstständig in der psychologischen Beratung und therapeutischen Seelsorge und als Personal Coach (www.coach-and-vivify.de). Sie lebt mit ihrem Mann in Wiesbaden, sie haben vier Söhne und drei Enkelkinder.

„Allein auf weiter Flur“

Julia Strobel hat sich dafür entschieden, Vollzeit-Mama zu sein. Und fühlt sich damit ziemlich einsam.

Vor eineinhalb Jahren saß ich bei einem Kindergeburtstag mit anderen Müttern am Kaffeetisch zusammen, als mich plötzlich ein „Sag mal, bist du wieder schwanger?“ eiskalt erwischte. Nun saß ich da, ziemlich angeschlagen, mit einem Bauch, der nach dem zweiten Kind nicht mehr so recht weichen wollte, und einem Herzen, das sich nach einem weiteren kleinen Menschen in eben diesem sehnte.

Eben saß ich noch entspannt mit einem Stück Maulwurftorte auf dem Teller mitten in dem ganzen Trubel – und im nächsten Moment versuchte ich, die Fassade meines bröckelnden Selbstbilds aufrecht zu erhalten. Die beiden anderen Mütter am Tisch waren überzeugte Ein- Kind-Mamas, die mein erschüttert-knappes Nein mit Erleichterung aufnahmen und gleich mal alle „Vorzüge“ des Mutterseins aufzählten: schlaflose Nächte, fremdbestimmt sein, abends das Haus nicht mehr ohne großen organisatorischen und/oder finanziellen Aufwand verlassen können, Urlaube antreten, die mit dem eigentlichen Sinn (nämlich Erholung) nichts mehr zu tun haben … Die beiden redeten sich geradezu in Rage, und ich fühlte mich mal wieder fehl am Platz. Ich kannte das schon: Ich habe meine beiden Kinder erst zu ihrem dritten Geburtstag in den Kindergarten eingewöhnt, sie besuchen die Einrichtung nur halbtags, mein Mann und ich wünschen uns ein drittes Kind … Gesellschaftlicher Mainstream sieht anders aus.