Symbolfoto: Getty Images / Katarzyna Bialasiewicz

Alles andere als egoistisch

Warum Selbstfürsorge gerade für Eltern wichtig ist. Und wie sie das richtige Maß finden. Von Julia Otterbein

Dem einen oder anderen schwirrt vielleicht folgender Gedanke durch den Kopf, wenn er das Wort Selbstfürsorge hört: Selbstfürsorge ist egoistisch; als Mutter oder Vater muss ich doch voll und ganz für die Kinder da sein.

Besonders Mütter denken, sie müssten sich immer und zuerst um die Belange aller anderen Familienmitglieder kümmern. Der eigene Anspruch, alles unter einen Hut zu bringen und eine perfekte Mutter zu sein, wirkt dabei häufig wie ein innerer Antreiber. Bei den Bemühungen, stets allen Anforderungen gerecht werden zu wollen, vergessen sie jedoch häufig sich selbst.

Auf der Liste immer ganz unten

Auch mir ging das phasenweise so. Meine Aufmerksamkeit galt lange Zeit voll und ganz meinen Kindern, dem Haushalt, meinen Ehrenämtern und ab irgendwann auch wieder meiner Arbeit als Pädagogin. Ich habe viel für andere gegeben, funktionierte dabei aber oft nur auf Sparflamme, und meine eigenen Bedürfnisse standen auf der Liste immer ganz unten. Bei dieser Herangehensweise entsteht aber schnell der Eindruck, dass Auszeiten eine Belohnung sind, die einem erst zusteht, wenn man es geschafft hat, alle anderen Aufgaben zu erledigen. Da das aber nie eintritt, gibt es folgerichtig keine Belohnung. Ein großer Zusammenbruch blieb mir damals zum Glück erspart und ich erkannte rechtzeitig, dass sich etwas ändern musste. Ich brauchte mehr Raum für mich und meine Bedürfnisse.

Zwischen Selbstfürsorge und Egoismus

Selbstfürsorge wird in unserer Gesellschaft häufig mit Egoismus verwechselt, und dieser verträgt sich so gar nicht mit unserem Bild von einer vermeintlich perfekten Mutter. Egoismus ist meist negativ belegt. Wir verbinden damit Begriffe wie Eigennutz oder Selbstsucht. Egoistische Menschen werden als rücksichtslose Personen wahrgenommen, die für ihren eigenen Vorteil bewusst Nachteile für andere in Kauf nehmen. Aber ist Selbstfürsorge tatsächlich egoistisch? Und leiden Kinder wirklich darunter, wenn Mama oder Papa sich mal Zeit für sich selbst nehmen?

Wie heißt es im Flugzeug bei den Sicherheitshinweisen doch immer so schön: „Setzen Sie zuerst Ihre eigene Sauerstoffmaske auf und helfen Sie dann anderen Personen.“ Meiner Familie ist also nicht damit geholfen, wenn ich monate- oder sogar jahrelang auf allen Straßen meines Lebens Vollgas gebe, ohne zwischendurch an die Tankstelle zu fahren. Dann bleibe ich irgendwann wie ein Auto liegen, gehe „kaputt“ und komme nicht dort an, wo ich hinwollte.

Selbstfürsorge ist Wertschätzung

Für mich hat Selbstfürsorge sehr viel mit Selbstwert zu tun. Was bin ich mir selbst wert? Steht es mir zu, jeden Tag eine Mittagspause zu machen, so wie es zum Beispiel im Arbeitsrecht ganz klar verankert ist? Warum scheint das für die unbezahlte „Kümmer-Arbeit“ in den Familien nicht zu gelten? Oder warum haben wir den Eindruck, dass es an dieser Stelle egoistisch sei, sich zwischendurch eine Pause zuzugestehen?

Fangen wir doch an, uns als Eltern selbst dafür wertzuschätzen und investieren in uns selbst und unsere eigenen Kräfte, indem wir uns regelmäßig Pausen nehmen, statt jahrelang über die eigenen Grenzen zu gehen und Raubbau an unserer Gesundheit zu betreiben. Auch im biblischen Doppelgebot der Liebe sind Selbstliebe und Nächstenliebe untrennbar verbunden und bedingen sich beide gegenseitig: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Markus 12,31)
Stress und Überforderung sind in unserer Gesellschaft mittlerweile zu sehr treuen Dauerbegleitern geworden. Gerade in den letzten Monaten waren wir Eltern besonders gefordert. Ein neuer Alltag im Homeoffice, zum Teil mit Homeschooling, und das ganz ohne die gewohnte Unterstützung von Oma und Opa und unserem modernen „Dorf“, also der Kita, Tagesmutter und sonstigen Menschen, die uns bei der Betreuung unserer Kinder unterstützen. Daher ist es jetzt wichtiger denn je, unsere Antennen regelmäßig nach innen auszurichten. Denn dauerhafter Stress hat fatale Folgen – körperlich und geistig. Und er überträgt sich auch auf unsere Kinder!

Ab wann ist es Egoismus?

Selbstfürsorge kann dann von anderen als Egoismus wahrgenommen werden, wenn man sich seine Freiräume ohne jegliche Absprache nimmt. Oder wenn einer der Partner ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass er sich täglich mehrere Stunden Zeit für sich nehmen kann, während der andere von früh bis spät ohne den Hauch einer Pause durchackert.

Ich empfehle daher gerne drei Schritte für eine gesunde Selbstfürsorge:

1 Wahrnehmen
Im ersten Schritt geht es erst mal darum, dass du regelmäßig eine Bestandsaufnahme bei dir selbst machst: Was ist gerade in mir los? Wie fühle ich mich? Was brauche ich gerade? Was tue ich jetzt als nächstes?

2 Kommunizieren
Der nächste Schritt kann und sollte dann die Kommunikation mit deinen Liebsten (Partner und Kinder) sein, denn häufig können die gar nicht sehen, dass deine „Tankanzeige“ schon im roten Bereich liegt. Benenne klar, wo deine Grenzen sind, wann du Unterstützung oder eine Pause brauchst.

3 Umsetzen
Wie genau die Umsetzung für dich aussehen kann und welches Maß an Selbstfürsorge für dich das richtige ist, lässt sich hier natürlich nicht allgemein beantworten. Einige bewährte Ideen habe ich in der Infobox zusammengestellt. Nutze sie wie ein Buffet und nimm dir das für dich Passende als Inspiration heraus.

Und wenn du das Gefühl hast, dass du bei einem der drei Schritte nicht allein zurechtkommst, dann suche dir dafür (professionelle) Unterstützung, um deine für dich passende Strategie zu entwickeln. Du bist es wert! Deine Bedürfnisse sind wichtig und du darfst dich selbst wichtig nehmen!

Julia Otterbein lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Rhein- Main-Gebiet. Sie ist Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach für Mütter. www.familywithlove.de