Der Küchentisch – ein Ort, an dem Gott nah ist

Dorothea Bronsema hatte den Eindruck, dass ihr Glaube in der Kleinkindphase eine Pause macht. Bis sie merkte, dass Gott ihr gerade in dieser Zeit besonders nah ist.

Viele Jahre habe ich meinen eigenen Weg gesucht, Gott zu begegnen. Ich habe Bücher gelesen und Gottes Wort studiert. Ich habe Menschen in meinem Beruf als Jugendreferentin angeleitet, Gott zu begegnen. Habe geübt, still zu sein, mich Gott hinzuhalten. Ich habe Seminare besucht, Lobpreis gemacht, um in Gottes Nähe zu kommen. Viel Zeit habe ich in meinem gemütlichen Lesesessel verbracht, mit einem Buch in der Hand und mit Gottes Wort in meinen Gedanken.

Dann wurde ich Mama. Das Mamawerden und -sein katapultierte mich in eine Art geistlichen Ausnahmezustand. Plötzlich war mein ganzes Leben ein anderes. Ein Baby auf einer Intensivstation. Durchwachte und durchsorgte Nächte. Ein Leben von Tag zu Tag. Keine Pause mehr und keine Nacht mit Tiefschlaf. Kein Sonntag. Sieben Tage volle Konzentration auf unser neues Familienmitglied. Gott war zwar mitten im Ausnahmezustand, aber ich war weit weg von jeglicher Alltagsroutine.

Meilenweit entfernt

Als irgendwann der Alltag einkehrte und wir wieder eine Art „Normalzustand“ erreichten, merkte ich, dass mir viel Vertrautes verloren gegangen war. Mein gewohntes Glaubensleben passte nicht mehr. Es war schlichtweg nicht mehr so umsetzbar, wie es mir bisher vertraut gewesen war.

Ich hatte keine Zeit mehr für „Stille Zeit“, dafür ganz viel Müdigkeit. Keine Zeit mehr für langes Studieren in Gottes Wort. Aber viel Sehnsucht nach Gott im Hier und Jetzt. Meine Gebete waren eher müde Hilfeschreie als langes Erzählen aus meiner Welt. Bücher las ich kaum noch. In der Gemeinde befand ich mich plötzlich im Krabbelraum. Hinter einer Glasscheibe. Nah am Geschehen des Gottesdienstes, aber innerlich meilenweit entfernt. Im Krabbelraum war es laut. Eine Gemeinschaft von müden Müttern und Vätern, oft beladen und bedrückt, fragend und im Grenzbereich ihrer Kräfte.

An einem Sonntag brachte uns jemand das Abendmahl in diesen Raum. Das löste etwas in mir aus. Ich musste weinen. Später sagte ich meinem Mann, dass ich das Gefühl habe, kein Teil mehr von echter Gemeinschaft zu sein. Dass ich es vermisse, dabei zu sein. Und wenn ich mal dabei bin, kann ich kaum noch folgen. Die Predigten sind zu weit weg, zu sehr fokussiert auf den Kopf, der bei mir kaum Platz für kluge Worte und Gedanken hatte. Ich versuchte zuzuhören, merkte aber, dass ich nicht andocken kann und dass die Inhalte mein Herz nicht mehr berühren.

Heiliger Tiefpunkt

Ich fragte mich, ob der Glaube in der Kleinkindphase eine Pause macht. Ob die Gemeinde uns überhaupt noch auf dem Schirm hat. Und wie ich dranbleiben kann, ohne mir zusätzlichen Stress zu machen. Ich befand mich an einem Tiefpunkt. Ich, die andere beruflich in die Nähe von Gott gebracht hatte, saß im lauten Kinderraum und fand den Weg zu Gott nicht.

Im Rückblick habe ich den Eindruck, dass dieser Tiefpunkt ein heiliger war. Heilig, weil ich nicht mehr in der Lage war, selbst etwas zu machen, mich innerlich oder äußerlich anzustrengen, viele Bücher zu lesen und tolle Gebetszeiten zu absolvieren. Heilig, weil mir an diesem Tiefpunkt deutlich wurde, was bleibt, wenn äußere Formen wegbrechen. Heilig, weil ich zutiefst ahnte und spürte, dass Gott genau hier mit mir ist – am Boden der Tatsachen. Denn schließlich geht es Gott doch um mein Herz und nicht um Leistung und Äußerlichkeiten. Gott ist nicht an heilige Orte und Räume gebunden. Er hat Wege, mir zu begegnen – da, wo ich jetzt bin.

Ich habe an diesem Tiefpunkt Gott gegenüber formuliert – trotzig und vielleicht auch etwas frech: „Wo bist du? Ich brauche dich da, wo ich bin. In meiner Müdigkeit. In meiner Erschöpfung. Am Boden der Tatsachen. Ich werde wahrscheinlich die nächsten Jahre kaum an Gemeindeveranstaltungen, Kursen und Projekten teilnehmen können. Werde andere nicht anleiten können, sondern nur sein können. Mehr will und kann ich nicht. Begegne mir da, wo ich bin.“

Gott wohnt im Alltag

Ich kann nicht davon erzählen, dass nach diesem Gebet von heute auf morgen alles anders war. Aber ich kann von einem heilsamen Weg erzählen, der mit diesem Gebet begann und mein Glaubensleben verändert hat: Ich habe nicht mehr auf heilige Zeiten und Orte gewartet. Ich habe mir bewusst gemacht, dass Gott in meinem Alltag wohnt, dass er mit mir ist, wenn ich nachts mit einem schreienden Baby auf dem Arm durch unser Haus laufe. Dass er da ist, wenn ich Erbrochenes aufwische. Dass er mit mir wütend ist, wenn ich verzweifelt auf einen Therapieplatz für mein Kind warte.

Ich fing an zu begreifen, dass der Küchentisch ein Ort der Nähe Gottes ist. Weil Gott mit uns am Tisch sitzt. Weil er das Licht ist, das wir brauchen. Weil er wärmt wie der Becher Kakao. Er sieht mein ganzes Ich, meinen Körper und meine Seele. Ich hörte Gott plötzlich reden: im ersten Vogelzwitschern nach einer durchwachten Nacht. Ich spürte seine Umarmung in der Umarmung meiner Kinder. Begriff ihn in Bildern, die das Leben mir jeden Tag zeigte. Hörte ihn reden durch meine Kinder, denn oft waren meine Kinder mir die Stimme Gottes, die ich so nötig brauchte. Es waren keine Blitze aus dem Himmel, keine große geistliche Erkenntnis, aber ich spürte, dass Gott da ist, wo ich bin. Dass er in dieser Zeit wohnt.

Gleichzeitig merkte ich, wie schwer es ist, Vertrautes loszulassen und zu vertrauen, dass das, was ist, gut ist und reicht. Ich lese immer noch gern, glaube aber nicht, dass ich es brauche, um Gott zu begegnen. Ich bin immer noch gern in Gemeinschaft – fremdle aber mit starren Formen. Ich glaube, dass Gemeinden sich dringend mit dem Thema „Familie in Gemeinde“ beschäftigen müssen. Denn diese Zeit verändert Menschen und bringt sie an Grenzen, während Gemeinden oft sehr fokussiert auf Veranstaltungen und Pläne sind. Familien brauchen Unterstützung und Rückenwind. Sie brauchen es, gesehen zu werden.

Gebet zwischen Duplo-Steinen

Ich habe aufgehört, auf die scheinbar perfekten Orte und Gebetszeiten zu warten. Ich nutze spontane Chancen. Manchmal sitze ich mit einer Freundin auf dem Boden zwischen Duplo-Steinen und kreischenden Kindern, und wir beten kurz füreinander. Manchmal sehe ich die Müdigkeit und den Frust im Gesicht meines Gegenübers und frage, ob ich etwas Gutes tun kann. Manchmal formuliere ich, wie es mir gerade geht. Ich zögere nicht mehr so lange, teile mein Inneres, weil ich es so sehr brauche, verstanden zu werden.

Und Gott ist da – auf dem Spielplatz, im Badezimmer, am Abend und am Morgen und in der tiefsten Nacht. Gott ist mir begegnet – so anders, so nah. Oft mitten in meinen Tränen und meiner Erschöpfung. Gott klammert diese Zeit nicht aus. Er geht mit uns mitten durch. Wir brauchen nichts zu tun. Er ist alles. Er tut alles. In dieser Zeit habe ich etwas verstanden, das ich sonst wahrscheinlich nicht begriffen hätte: Gott ist in meinem Alltag. In meinem Hier und Jetzt. Er wird mich nicht verlassen noch von mir weichen. Er sucht und findet mich. Ich darf ganz entspannt meinen Leistungsanspruch herunterschrauben.
Er traut mir zu, eine Mama zu sein. Er traut mir diesen Grenzbereich meiner Kräfte zu. Das bedeutet nicht, dass ich eine schlechte Mama oder eine schlechte Christin bin. Aber doch, dass es eine Zeit ist, in der er mit mir anders reden wird. Eine Einladung, anders zu leben und Glauben neu zu entdecken mit meiner ganzen Familie.

Als Familie begegnen wir Gott gemeinsam auf neue, einfache Weise. Wir feiern zusammen Abendmahl mit einfachen Worten und erleben das als einen Kraftort im Alltag. Wir reden mit Gott, wann immer wir seine Hilfe brauchen. Manchmal weinend zwischen Scherben, manchmal laut lobend und singend. Wir legen den Kindern die Hände auf und segnen sie morgens auf ihren Wegen. Wir bitten Gott um sein Mitgehen in Situationen, die sich unserer Aufmerksamkeit als Eltern entziehen. Wir spüren seinen Segen im Hier und Jetzt. Eine spannende Reise, die mich in meinem Leben mit Gott völlig verändert, hat begonnen. Sie ist nicht fertig oder perfekt, aber geprägt von der spürbaren Nähe Gottes im Alltag.

Dorothea Bronsema ist freiberufliche Referentin, Autorin, Bloggerin und Podcasterin und wohnt mit ihrer Familie in Nordhessen. Im Sommer erscheint ihr zweites Buch, in dem sie über ihre Erfahrungen im Mamasein schreibt.