Smartphone Kolumne Wir beide

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DIE BOBO-APP

Katharina Hullen sucht nach Regeln zur Mediennutzung, auch für sich selbst.

Katharina: Jonathan – NEIN! Leg das zurück, das ist Mamas!“ – „Jonathan, Finger weg! Klapp das zu – der gehört Papa!“ – „Jonathan! Wo hast du das denn gefunden? Gib das her, das ist Amelies!“

Etliche Male pro Tag entwinde ich unserem Jüngsten irgendein Mobilgerät. Nicht selten bemerke ich erst, dass er wieder zugegriffen hat, wenn irgendwo die Musik „seiner“ App ertönt, die er mühelos durch Tippen, Wischen und Klicken findet und aktiviert. Niemand von uns musste ihm das zeigen – nein, plötzlich konnte er es einfach. Und seither ist kein Handy, Tablet oder Laptop vor seinen gierigen kleinen Händen sicher.

„Bobo?“ tönt es zu jeder Tageszeit aus unserem 2-jährigen Zwerg. Er liebt die Fil-me der Kinderbuchfigur und möchte am liebsten den ganzen Tag zusehen, wasBobo Siebenschläfer erlebt. Nicht dass wir ihm das erlauben würden – natürlich nicht –, wenngleich die Regeln für unser fünftes Kind ungleich lockerer sind als sie es für die ersten vier waren. Er darf eben nur manchmal und nicht täglich Bobo schauen.

Aber Bildschirme, Tasten und Lichter sind für ihn wahnsinnig interessant. Ich folge meinem Sohn, wie er sich mit seinem Hocker auf Beutezug begibt, um das iPad zu erhaschen. Dabei bemerke ich den Rest meiner Familie: Sie sitzen einträchtig versammelt im Wohnzimmer. Alle friedlich, still und voll konzentriert damit beschäftigt, das nächste Level bei irgendeinem Spiel zu erreichen,mit einer Freundin zu chatten oder online die Zeitung zu lesen.

Nichts geht mehr ohne! Uhrzeit, Mails, Termine, Fotos, WhatsApp, Fahrpläne, Wetter … Niemand von uns schafft es auch nur einen Tag ohne Handy. Ich spüre: Regeln müssen her – für alle. Wenn selbst die Kleinsten schon nerven, weil sie zu viel Medienzeit einfordern – wo führt das hin, wenn im nächsten Jahr die Zwillingeauch ein Handy bekommen? Noch mehr Geräte, noch mehr Verlockungen.

Offenbar sind wir als Eltern auch keine hinreichenden Vorbilder. Als ich meine große Tochter fragte: „Was macht Papa anders als Mama? Und was macht Mama anders als Papa?“, war ihre erste spontane Antwort: „Papa sitzt halt viel am Laptop und arbeitet zwar auch, aber der spielt ja auch viel und liest viel Zeitung. Mama macht irgendwie immer die wichtige Arbeit – Wäsche, Aufräumen und so …“ Aber um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken: Meine Mädels haben mich auch schon oft gemaßregelt, dass das Handy am Tisch nichts zu suchen habe, wenn ich meinte, dass diese oder jene Nachricht aber wichtig sei und dringend sofort beantwortet werden müsse. Ich klebe am Handy, Haukes Laptop klebt an ihm.

Unsere Kinder spielen und toben gern, und noch müssen wir sie nicht lange bit ten, sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Aber ich fürchte, das Thema Medi- ennutzung wird größer.

Und damit es uns nicht über den Kopf wächst, sollten wir an Regeln für alle feilen.Bis es soweit ist und Jonathan das Sideboard noch nicht erreicht, lege ich die Geräte erst mal höher.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

 

FAKE-NEWS IM MINUTENTAKT

Hauke Hullen ist umgeben von Süchtigen und hofft, dass die Menschheit das Handyzeitalter überlebt.

Hauke: Vielleicht haben wir die Büchse der Pandora geöffnet. Wir können noch kein abschließendes Urteil fällen, aber alle Anzeichen deuten darauf hin. Unsere Büchse ist halb so groß wie ein Blatt Din A4, hat einen berührungsempfindlichen Bildschirm und muss jeden Abend an die Steckdose, um tags darauf weiter unsere Familie zu knechten.

Ganz recht, es handelt sich um ein Tablet. Seit dem Geburtstag der besten Ehefrau von allen zieht es alle in seinen Bann – nur mich natürlich nicht! Ich halte nichts davon, Stunden meiner Lebenszeit damit zu verschwenden, Filme auf einem doch recht kleinen Bildschirm zu verfolgen, mit einer für Hobbits ausgelegten Touch- screen-Tastatur zu kämpfen oder sich von Spiele-Apps auf Kindergeburtstagsniveau betäuben zu lassen. Das Verhalten meiner Kinder und meiner Frau nimmt allmählich suchtartige Züge an, denke ich immer wieder, wenn ich vom Laptop aufschaue, wo ich die Weltpolitik im Minutentakt verfolge und sehr wichtige Dinge in Internetforen ausdiskutiere.

Die größten Verheißungen der smarten Alleskönner sind Lösungen für Probleme, die sie selbst erst schaffen. „Nie wieder Langeweile!“, flüstert der App- Store – und die Kinder nölen seitdem pausenlos: „Papa, mir ist sooo langweilig, kann ich auf deinem Handy spielen?“ Unbegrenzte Kommunikation ermöglicht die Flatrate – und ehemals ausgiebige Telefonate degenerieren zum kurzatmigen WhatsApp-Stakkato. Das Internet verspricht Information und Wissen für alle – und doch ist die Welt plötzlich erfüllt mit Fake-News und Verschwörungstheorien.

Der Untergang der menschlichen Kultur steht also kurz bevor, der Zusammenbruch unserer Zivilisation dürfte noch vor der Eröffnung des Berliner Flughafens stattfinden. Zu den Hintergründen der BER-Bredouille möchte ich nichts weiter sagen, nur so viel: Baubeginn war 2006. Vier Monate später erschien das erste iPhone. Noch Fragen?

Doch vielleicht sind unsere Befürchtungen ja auch unbegründet. Vor 300 Jahren wurde vor der „Lesesucht“ gewarnt, Romane verdürben Charakter und Geist, weshalb Goethes „Werther“ in Österreich und Sachsen sogar verboten wurde. Auch Theater, Tanz und später das Kino wurden verantwortlich gemacht für den moralischen Niedergang. Dann: Fernsehen, Privatfernsehen, Programme ohne Sendeschluss – o tempora, o mores! Und noch schlimmer: Computerspiele. Und noch viel, viel schlimmer: Internet! Die Kombination von beidem: infernalisch!

Irgendwie hat die Menschheit all das überlebt. Offenbar haben Erwachsene grundsätzlich Bedenken bei neuen Technologien, mit denen Jugendliche aber wie selbstverständlich aufwachsen, um 20 Jahre später ebenfalls voller Sorge auf die „Jugend von heute“ zu gucken. Die Büchse der Pandora bleibt vorerst also noch geschlossen. Hoffentlich …

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.