Beiträge

„Habt Orgasmen!“ Mutter fordert von Frauen mehr Selbstbewusstsein beim Sex

Nur 44 Prozent aller Frauen erkennen auf Fotos ihre eigene Vagina. Das muss sich ändern, findet Priska Lachmann. 

„Ich bräuchte eigentlich gar keinen Sex mehr. Ich bin abends viel zu müde dafür“, „Er fasst mich die ganze Zeit an, wenn er mehr von mir will, das setzt mich unter Druck“, „Ich vermisse Sex furchtbar, ich habe das Gefühl, mein Mann sieht mich gar nicht mehr als Frau“, „Jedes Mal, wenn wir Sex haben, habe ich eigentlich gar keine wirkliche Lust dazu“, „Seit der Geburt meines Kindes möchte ich nicht mehr berührt werden“, „Ich fühle mich so unwohl in meinem Körper, dass ich überhaupt nicht in Stimmung komme“ – diese Liste könnte man ewig fort­setzten. Habt ihr euch in einer der Aussagen wiederfinden können?

Sex nach Schwangerschaft ist kompliziert

Das Thema Sex ist in den meisten Fällen kein unbelastetes und nicht selten mit seelischen Schmerzen verbunden. Oftmals reden wir deshalb entweder gar nicht darüber oder aber viel zu viel, jedoch ohne dabei wirklich in die Tiefe zu gehen. Den Fall, dass wir unser Sexleben als unkompliziert empfinden, es frei genießen und völlig zufrieden damit sind, gibt es zwar, aber leider nur selten. Nach einer Geburt fühlt sich das erste Mal Sex wie beim allerersten Mal an. Gerade, wenn es Geburtsverletzungen gab, fühlt man sich verwundet. „Hoffentlich tut es nicht zu sehr weh!“, denkt man dann und ist viel zu vorsichtig und ängstlich, um es genießen zu können. Vielleicht muss man nach einer längeren Pause, bedingt durch die Schwanger­schaft, die Intimität mit dem Partner tatsächlich erst wieder neu erlernen. Wenn alter, seelischer Schmerz zu diesem Thema hin­zukommt, seien es Verletzungen aus der Vergangenheit, zu hohe Erwartungen an den Partner oder unerfüllte Wünsche, die nicht ausgesprochen wurden und dann über Jahre hinweg zu einer emotionalen Distanz geführt haben, wird es zusätzlich schwierig. Vor allem, wenn man nicht gemeinsam daran arbeitet.

Lust ist erlernbar

Vielleicht fühlt ihr euch auch nicht (mehr) wohl in eurem Körper nach eurer Schwangerschaft, schämt euch und habt das Gefühl, nicht mehr begehrenswert zu sein. Oder vielleicht gehört ihr zu den Frauen, die das Gefühl haben, dass ihr Mann sie nicht mehr wirklich als Frau sieht, und ihr sehnt euch nach Wertschätzung, Aufmerk­samkeit und liebevollen Komplimenten, aber euer Mann scheint innerlich meilenweit von euch entfernt zu sein? Die Sexualtherapeutin Veronika Schmidt spricht auf ihrem Blog „liebesbegehren“ und in ihren Büchern „Alltags­lust“ und „Liebeslust“ genau über dieses Thema. Sie ist der Überzeugung, dass fehlende Lust zwar manchmal hormonell bedingt sein kann, doch viel häufiger sei fehlende Lust etwas, wogegen man aktiv etwas tun könne – denn Lust sei erlernbar!

Frauen verneinen oft ihre Sexualität

Sex bedeutet nicht nur Stressabbau, ausgelöst durch Or­gasmen, und dadurch die Förderung unserer körperlichen und mentalen Gesundheit, sondern vor allem eben auch: Nähe. Zärtlichkeit. Wärme. Aufmerksamkeit. Sex erschafft das Gefühl von Einheit und Verbundenheit und ist deshalb essentiell für eine Liebesbeziehung. Ich komme aus einem konservativ christlichen Eltern­haus und habe es geschafft, nicht mal zu wissen, wohin ich meinen Tampon stecken musste, als ich 14 Jahre alt war. Frauen neigen oft dazu, die eigene Sexualität zu ver­neinen. Es gibt eine Studie, bei der 1.000 Frauen Fotos von ihrer Vagina gezeigt wurden. Nur 44 Prozent konnten ihre eigene Vagina erkennen und nur 60 Prozent die Vulva identifizieren. Habt ihr euch eure Vagina schon mal mit einem Spiegel an­geschaut? Sie ist ein Teil von uns, ein sehr wichtiger sogar, deshalb sollten wir uns nicht für sie schämen.

Nur Sex, damit der Mann keine Pornos schaut?

Wenn wir als Frauen unsere eigene Sexualität verneinen, wenn wir uns nicht mal schamlos im Spiegel anschauen und bejahen können, ohne all die tollen, scheinbar perfekten Werbemodels im Kopf zu haben, wie sollen wir dann eine erfüllte Sexualität haben? Kann es sein, dass wir selbst so unzufrieden mit uns sind und uns selbst nur noch so wenig als Frau und so sehr als Mutter fühlen, dass wir uns vernachlässigen und uns nicht mal mehr nette Unterwäsche kaufen? Und kann es sein, dass wir vielleicht so verletzt und sexuell unerfüllt sind, dass wir das nicht mal unseren Männern kommunizieren können und lieber nur mit uns selbst ausmachen? Oder kann es sein, dass wir uns nicht trauen, unsere unerfüllten Sehnsüchte anzusprechen, weil wir – vielleicht auch nur unterbewusst – der Lüge glauben, dass es beim Sex ohnehin nur um die Bedürfnisbefriedigung der Männer geht? Aber sollten Frauen tatsächlich nur Sex haben, damit ihr angetrauter Mann keine Pornos schaut oder ihnen fremd­geht? Frauen sollten doch ebenfalls Freude an Sex haben, und vor allem: Lust dabei empfinden.

Sex braucht Zeit

Nein, mit dem Mann zu schlafen ohne Lust darauf zu haben, ist für keinen Betei­ligten erfüllend. Wie also entfachen wir unsere Lust wieder neu? Veronika Schmidt spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kultur der Verführung“, die wir (wieder) erlernen müssen. Wenn wir nach einem anstrengenden Tag bis 23 Uhr online sind, wenn wir nicht mal am Wochenende, wenn die Kinder schon schlafen, zusammen ins Bett gehen und stattdessen vorm Fernseher auf der Couch versacken, dann werden wir wohl nie Sex haben. Denn Sex braucht Zeit. Freizeit. Wir brauchen eine Kultur des Verführens und ein Einplanen von festen Zeiten, in denen wir diese Kultur ausleben können. Denn wenn man nie Sex hat, ver­liert man auch die Übung darin – und vergisst, wie auf­regend und schön es sein kann. Die meisten Frauen brauchen vor allem zwei Sachen, damit sie Lust entfachen können.

Plant die Zweisamkeit

Erstens: Vorlaufzeit. Frauen können nicht von jetzt auf gleich Sex haben, wenn sie noch die Schulbrote schmieren, die Schuhe putzen und der Freundin eine WhatsApp­Nachricht schreiben wollen. Sie könnten aber Lust ent­wickeln, wenn sie sich schon morgens emotional darauf vorbereiten können. Wir können dann schöne Unter­wäsche anziehen und dem Mann schon tagsüber eine verführerische Nachricht schicken. Später packt er dann selbstverständlich im Haushalt mit an. Er schmiert die Schulbrote und arbeitet Hand in Hand mit seiner Frau, damit sie später nicht halbtot ins Bett fällt und eigentlich nur noch schlafen will.

Entdeckt euch!

Zweitens:  Selbstannahme. Liebt euch selbst. Entdeckt euch. Lernt kennen, was euch guttut, was euch Freude macht. Und kommuniziert das, wenn euer Partner nicht selbst da­rauf kommt. Vergleicht euch nicht. Auch nicht mit den eventuell vorhandenen früheren Sexualpartnerinnen eures Mannes oder mit euren eigenen früheren Se­xualpartnern. Das ist Vergangenheit und gehört nicht ins gemeinsame Bett. Habt Spaß und seid frei. Und bitte, habt Or­gasmen. Sagt nicht „Ist schon okay, ich brauche keinen Orgasmus.“ Es ist nicht okay. Orgasmen sind wichtig, allein schon für die Gesundheit, vor allem aber für eure Lust. Wenn ihr bisher keine Orgasmen hattet, dann ver­sucht mit eurem Partner herauszufinden, wie ihr welche bekommen könnt. Es macht unendlich viel Spaß.

Dieser Artikel ist zuerst in dem Buch „Mama. Frau. Königstochter“ (Gerth Medien) erschienen. Autorin Priska Lachmann ist selbst dreifache Mama, Theologin und freie Redakteurin.

Kein Beziehungsratgeber half diesem Paar. So wurden sie trotzdem ein Team

Früher schrien sich Jennifer Zimmermann und ihr Mann wochenlang abends an. Heute ist ihr Partner gleichzeitig ihr bester Freund.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheratgeber vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit und wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder. Die letzten zehn Einheiten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Das Ehebuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Beziehung legen wollten.

Viele Ratschläge

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

Bedienungsanleitung falsch verstanden

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen und die wohlgepflegten Rituale durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Augenringe bis zum Boden

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

Zwei Freunde

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Sonntage in der Notaufnahme

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

Immer noch ein Team

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem Paar entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Nur überleben

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Trotz allem

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

Alle suchen den idealen Partner

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

Der Prinz auf dem weißen Pferd

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

Gegen den Optimierungswahn

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Menschen mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Eheratgeber zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Freundschaft in Wüstenzeiten

Jennifer Zimmermann hatte immer mit einem Idealbild von der christlichen Ehe zu kämpfen. Mittlerweile hat sie gemerkt: Eine Ehe lässt sich nicht so leicht optimieren und die Freundschaft zu ihrem Mann trägt auch durch Wüstenzeiten.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheandachtsbuch vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit, wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder, endeten in abwechselndem Gebetsgestotter. Die letzten zehn Andachten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Ohne Gebetsaufforderungen. Das Andachtsbuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Ehe legen wollten.

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

BEDIENUNGSANLEITUNG FALSCH VERSTANDEN

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen, die wohlgepflegten Rituale und die gemeinsamen Gebete durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

IMMER NOCH EIN TEAM

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem „guten christlichen Paar“ entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

DER PRINZ AUF DEM WEISSEN PFERD

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

GEGEN DEN OPTIMIERUNGSWAHN

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Gotteskinder mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht. Wenn irgendwer vor Selbstoptimierung Halt machen sollte – sei sie körperlicher, psychischer oder geistiger Natur – dann sollten wir Christen es sein, die wir an einen Gott glauben, der die Machtverhältnisse der Welt einfach auf den Kopf stellt und die Letzten zu Ersten erklärt. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der mit mir so geduldig ist wie er. Und wenn es Ecken und Kanten in unserer Beziehung gibt, dann hat er Zeit genug, sie rund zu lieben. Oder uns beizubringen, wie wir sie lieben lernen.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Andachtsbücher zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Mit der Checkliste zur Traumfrau

Nach dem Tod seiner Frau sucht Franz nach einer neuen Partnerin anhand einer Liste mit 30 Punkten und findet Andrea.

Die Lebensgeschichte der Lermers liest sich wie ein Roman, bei dem der Autor arg dick aufgetragen hat. Das passt doch alles gar nicht in zwei Leben! Nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau sucht Franz in einer besonders trüben Stunde nach einer neuen Partnerin anhand einer Liste mit 30 Punkten – Eigenschaften, die seine Traumfrau erfüllen soll. Und er findet Andrea auf einer Internetplattform. Auch sie ist schwer vom Leben gebeutelt. Sie hat eine katastrophale Ehe hinter sich, in der sie Missbrauch und Gewalt erlebt hat. Die Verbindung endete mit dem Selbstmord des Ehemannes.

Heute leben Andrea und Franz Lermer zusammen mit ihren vier Kindern als Patchworkfamilie in Sachsen und betreiben eine Landwirtschaft mit Westernflair. Ihre Seminare auf der Ranch sind immer ausgebucht, obwohl sie keine Werbung dafür machen und obwohl man dort weder Reiten noch Lassowerfen lernen kann. Denn eigentlich wollen sie vor allem von Jesus erzählen – mitten im säkularisierten Osten, wo sich drei Viertel der Bevölkerung keiner Religion zugehörig fühlen.

Christof Klenk hat die Lermers in Hainichen besucht.

Leute öffnen sich

Sie sind beide verwitwet, haben heftige Schicksalsschläge erlebt und bieten Seminare mit dem Titel „Heil und gesund“ an. Inwiefern helfen Ihre Erfahrungen da?

Franz: Das ist unser Kapital. Viele fühlen sich völlig unverstanden in ihrer Situation, kommen zu uns und merken: Hier versteht mich doch jemand. Vielleicht haben sie Missbrauch erlebt wie Andrea. Vielleicht finden sie sich in den wirtschaftlichen Geschichten wieder, die ich erlebt habe.

Andrea: Wir erleben, dass sich Leute öffnen können, weil sie sagen: Ich habe fast die gleiche Geschichte. Manchmal erzählen sie uns Dinge, die sie nicht mal ihren Psychiatern erzählen. Manchmal wissen sie auch gar nicht, warum sie solche Schwierigkeiten im Leben haben.

Und was bieten Sie ihnen an?

Franz: Viele Leute suchen Heilung. Wir sind keine Therapeuten, keine Seelsorger, sondern für die Leute da. Wir raten niemandem ab, zum Arzt oder Therapeuten zu gehen. Unsere Seminare dauern eineinhalb bis drei Tage, in denen wir als Christen von uns erzählen und was wir mit Gott erlebt haben. Wir beten auch für die Menschen – und erleben, dass Gott handelt.

Andrea: Ich war am Anfang total hilflos, wenn die Leute anfingen, ihre Geschichte zu erzählen. Ich hatte keine Lösung für ihre Situation und habe gemerkt: Das kann ich gar nicht tragen. Dann haben wir angefangen, für die Menschen zu beten – und für Gott gab es eine Lösung.

In jedem steckt ein Cowboy

Welche Rolle spielen die Pferde und eure Ranch in dem Prozess?

Franz: Das gehört zu unserer Geschichte. Wir züchten Pferde und verkaufen sie; das ist unser Hobby. Wir haben eine Landwirtschaft, wo wir Black Angus-Rinder züchten. Das ist unser Flair, und die Leute finden es toll. Die Atmosphäre wirkt entspannend. Am Anfang haben wir versucht, die Pferde mit einer therapeutischen Rolle einzubeziehen. Das lenkt aber eher ab von dem, was uns wichtig ist.

Andrea: Bei den Seminaren haben wir den Stall immer geöffnet. Man kann die Pferde streicheln, wir bieten aber kein Reiten an.

Franz: Über dem Stall haben wir einen Saloon. Das ist unser Veranstaltungsaal, in den 100 Leute reinpassen. Dort machen wir unsere Seminare. Diese Umgebung holt die Leute ab. Wir dachten am Anfang, dass sie das möglicherweise doof finden, aber scheinbar steckt ein Cowboy in jedem.

Andrea: Uns gefällt das. Wenn wir irgendwo ohne Hut hinkommen, dann sagen die Leute manchmal: „Habt ihr den Hut nicht dabei?“

Als ihr euch kennengelernt habt, hattet ihr beide eine schwere Geschichte hinter euch. Hat euch das verbunden?

Andrea: Am Anfang hat es uns schon verbunden, dass wir beide unsere Partner verloren hatten und in einer ähnlichen Situation steckten. Man fühlte sich verstanden. Wir konnten uns über Vieles austauschen.

Franz: Trotzdem hätte auch alles schief gehen können, gerade mit den Kindern. Wir kennen so viele Geschichten, die so sind wie unsere, bei denen es überhaupt nicht funktioniert hat. Patchwork – das ist für viele die Hölle.

Und könnt ihr erklären, warum es bei euch funktioniert?

Franz: Die einzige Erklärung, die ich abgeben könnte, wäre unsere Kennenlerngeschichte. Ich habe meinen Kindern ein Bild von Andrea gezeigt und die waren überzeugt, dass sie sie bereits kennen. Bei Andreas Eltern und Kindern war’s genauso, als sie ein Bild von mir sahen. Da sind wir in eine offene Tür reingefallen. Unsere Kinder waren damals 9, 12, 13 und 16.

Andrea: Die Kinder von Franz haben mich sehr schnell gefragt: „Kann ich zu dir Mama sagen?“ Da bin ich fast vom Stuhl gefallen.

Franz: Und wir haben über die Jahre in dem Bewusstsein gelebt, dass sich das auch noch mal ändern kann; aber jetzt sind es mehr als zehn Jahre.

Unerträglicher Schmerz

Konntet ihr euch in dem Trauerprozess helfen?

Andrea: Als wir uns kennengelernt haben, war der Trauerprozess noch nicht abgeschlossen.

Franz: Wir haben uns vier Monate nach dem Tod unserer Ehepartner kennengelernt.

Andrea: Wir haben viel gesprochen, gefragt: „Wie geht es dir?“ und haben das ausgewertet. Es war übernatürliche Heilung, das kann ich nicht anders sagen.

Franz: Ich hatte nach dem Tod meiner Frau das Gefühl, dass ich auf der Brust eine blutende Wunde habe, ein unerträglicher Schmerz. In einem Bild: Wie ein riesiger Haufen Sand vor der Tür, der wegmuss. Du kannst das Ding ignorieren und auf 50 Jahre verteilt wegschaufeln, aber so lange klebst du auch daran fest. Ich habe mich schnell da durchgewühlt, geschaufelt wie ein Kaputter und bin durch den Trauerprozess gegangen.

Und was bedeutet das Schaufeln …?

Franz: Sich damit konfrontieren, auseinandersetzen, drüber nachdenken, das zulassen.

Andrea: Es ist so: Der Partner ist plötzlich weg. Die Welt dreht sich aber weiter. Du hast alles noch an der Backe. Das Leben hört nicht auf deswegen. Und dann ist die Frage: Wie machst du jetzt weiter?

Franz: Wir raten den Leuten davon ab, das Gedenken an den Verstorbenen ständig am Leben zu erhalten. Der Tod geht knallhart mit dir um. Wir empfehlen den Leuten darum: „Entferne dich bewusst davon, lass los, geh in dein neues Leben!“ Du kannst auch entscheiden, daran festzuhalten. Aber dann wird es dich immer begleiten. Und wenn du eine neue Beziehung hast, dann hat der alte Partner dort nichts mehr zu suchen. Das tut nicht gut.

Andrea: Ich musste immer wieder dagegen ankämpfen, dass ich mir keine Selbstvorwürfe mache. Wenn sich der Partner umgebracht hat, dann fängt man an, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Da musste ich loslassen und mir klar machen, dass das nicht meine Verantwortung war.

Der eigene Mann am Strick

Bevor Ihr Mann sich umbrachte, waren Sie mit den Kindern zu Ihren Eltern geflüchtet, weil Ihr Partner Sie geschlagen hatte. Kann man da überhaupt trauern?

Andrea: Am Anfang schon. Ich hatte mir zwar immer wieder gewünscht, dass ich aus dieser Beziehung rauskomme, aber wenn man dann den Partner am Strick hängen sieht, dann ist es nochmal was ganz Anderes.

Franz: Man könnte sagen: Du hast, egal was vorher war, eine „Best of“-Sammlung von Erinnerungen.

Andrea: Das fängt automatisch an. Man versucht sich an die wenigen schönen Situationen zu erinnern. Da gibt es schon einen massiven Trauerprozess. Später hat sich das umgewandelt in Wut und Anklage; das musste ich Stück für Stück bearbeiten.

Viele tun sich schwer damit, sich nochmals auf eine neue Beziehung und ein neues Umfeld einzulassen. Was war für euch ausschlaggebend für diesen Schritt?

Andrea: Ich glaube, das war Gottes Reden damals. Das, was wir gemacht haben, war ganz schön waghalsig. Ich habe meinen Job aufgegeben, meine Wohnung gekündigt, bin mit zwei Kindern hierhergezogen. Das hätte alles super schiefgehen können.

Franz: Wir haben gemerkt, dass wir uns nach einer dauerhaften, langfristigen Beziehung sehnen. Das ist eine Grundsehnsucht. Die Frage ist nur, welche Erfahrungen man gemacht hat. Das ist völlig unterschiedlich. Wir haben eine Menge Paare in unseren Seminaren, die richtig um ihre Ehe kämpfen. In einem Seminar war das besonders krass: Da kamen sechs Ehepaare – die Partner sind zum Teil getrennt angereist – und alle sechs Paare haben erzählt, dass sie sich auf diesem Seminar versöhnt haben. Sie haben sogar Scheidungstermine abgesagt … unglaublich, was da passiert ist!

Uns beiden hilft unsere „Bubble-Time“. Wir erzählen davon in unseren Seminaren: Seit fünf, sechs Jahren setzen wir beide uns jeden Tag in der Früh zusammen und tauschen uns aus: „Wie geht es dir emotional, geistlich, wie geht’s dir körperlich und mit deiner Sexualität?“ Und versuchen dadurch immer wieder eine Einheit als Paar zu finden.

So eine „Bubble-Time“ hat vier Fragen, habe ich gelernt …

Franz:  Ja. Wir stehen so früh auf, wie es notwendig ist. Und dann sagen wir uns etwa: „Ich fühle mich geliebt“, das heißt: Es ist alles gut. Meine Liebestanks sind voll. Das miteinander abzuchecken, halten wir für hilfreich.

Andrea: Ich bin der Umarmungstyp. Er schenkt mir den ganzen Tag Aufmerksamkeit, aber …

Franz: … Ich mag das schon, denke aber nicht immer dran. Für mich ist es viel wichtiger, dass du da bist.

Andrea: Ich habe dann erwähnt, dass ich mir eine Umarmung wünsche. Er hat darauf gesagt: „Mensch, das habe ich gar nicht auf dem Schirm.“ Wir haben uns kleine Hilfestellungen gegeben. Er hat beispielsweise gesagt: „Pass auf, dann umarme ich dich jetzt dreimal.“ Das hört sich jetzt dumm an, daraus ist aber was Tolles entstanden.

Franz: Bubble kommt von Seifenblase. Die Einheit, um die es da geht, ist so empfindlich wie eine Seifenblase. Ein doofer Blick kann unsere Einheit zerstören.

Die Liste

Frau Lermer, wie haben Sie es geschafft nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, wieder einem Mann zu vertrauen?

Andrea: Wir haben viel miteinander gesprochen. Das ist der Schlüssel gewesen. Natürlich hat mir auch die Liste geholfen, die der Franz geschrieben hat.

Was ist das Besondere an dieser Liste?

Franz: Die Liste beschreibt eine Frau, wie ich sie gesucht habe. Ich hatte nach dem Tod meiner ersten Frau den Eindruck, Gott sagt mir, ich solle eine solche Liste erstellen. Nach 28 Punkten war ich fertig, hatte dann aber noch die Eingebung, zwei Punkte dazu zu schreiben: Pferd und Bauernhof … Dabei hatte ich damals mit beidem gar nichts am Hut! Und nun sitzt die Frau, die ich in der Liste beschrieben habe, eins zu eins hier! Es stimmt alles. Größe, Gewicht, Haarfarbe … Alles passt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Im Sturm der Traurigkeit

Der Mann unserer Autorin kämpft immer wieder mit Depressionen. Wie kommt sie damit klar?

Vor ein paar Jahren, ich war gerade im Auto unterwegs, hörte ich das Lied „Flames“ von Boy. Darin heißt es (frei übersetzt): „Die beständige Angst und Traurigkeit liegt schwer auf deiner aufgewühlten Seele. Ich rufe deinen Namen, aber ich kann nicht zu dir durchdringen. Es tut mir weh, dich so leiden zu sehen. Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, um dich zu beruhigen und zu heilen.“ Als ich so zuhörte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war, als hätte jemand das in Worte gefasst, was ich gefühlt habe, als ich meinen Mann durch seine Depression begleitete.

Ich wusste von Anfang an, dass er psychische Probleme hat. Als wir uns ineinander verliebten, erzählte er mir, dass er sich gerade von einer Depression erholt habe, die vor ein paar Monaten, während einer Prüfungszeit, aufgetreten sei. Er konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen und hatte irgendwann einen totalen Blackout. Nichts funktionierte mehr. Er wollte nichts vor mir verheimlichen und mir klar machen, dass ein Ja zu ihm auch ein Ja zu seiner Depression sein würde. Ich wusste also, was mich erwartete und gleichzeitig wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartete.

Ein halbes Jahr nachdem wir zusammen waren, war sie wieder da. Eine Depression mit einer Angststörung. Er befürchtete ständig, durch seine Prüfungen zu fallen und sein Studium nicht zu schaffen und lernte Tag und Nacht. Und obwohl die Klausuren immer „sehr gut“ ausfielen, konnte er seinen Erfolg nicht genießen. Er war nicht in der Lage, so etwas wie Freude, Zufriedenheit oder Gelassenheit zu empfinden – und wenn, dann nur für einen kurzen Moment. Es war ein Leben ohne Graustufen. Alles, was ich sagte, schob er, wie es für Depressive typisch ist, entweder in die weiße (gute) oder schwarze (schlechte) Kategorie. Das machte unsere Kommunikation unglaublich schwierig. Gab es etwas, was mir an unserer Beziehung nicht gefiel und ich sagte es ihm, fühlte er sich sehr verletzt. Er zweifelte oft an sich selbst, und, nicht selten, auch an mir. Immer wieder stellte er mich und unsere Beziehung in Frage. Das verletzte mich am allermeisten. Zwei Mal trennten wir uns in den ersten Jahren voneinander. Bis wir ein wirkliches Ja zueinander gefunden hatten, sollten viele Jahre vergehen.

Nicht alle davon waren schlecht. War er medikamentös gut eingestellt und wir in „ruhigen Fahrwassern“ ging es uns sogar sehr gut. Wir reisten zusammen, suchten nach gemeinsamen Hobbys und machten Pläne für die Zukunft. Wir lernten, uns immer mehr so zu lieben, wie wir sind. Wir lernten auch voneinander: Ich lernte von ihm, mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen und fing an, mich für Sport zu begeistern. Er lernte von mir, gelassener zu sein und den Moment zu genießen.

Es gab aber auch viele herausfordernde Momente. Als er ins Berufsleben einstieg, war es besonders schwierig. Der Stress und der Erwartungsdruck, der auf ihm lastete, machten ihm so sehr zu schaffen, dass ich befürchtete, er würde nun vollends zusammenbrechen und den Beruf, auf den er so lange hingearbeitet hatte, aufgeben müssen. In Phasen, in denen er psychisch stabil war, versuchte er immer wieder mit Begleitung eines Psychiaters das Antidepressivum, das er inzwischen mehrere Jahre zu sich nahm, auszuschleichen. Doch jeder Versuch scheiterte und warf ihn und uns jedes Mal zurück.

„Wie kommst du da durch?“

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Wir sind verheiratet und haben eine Familie. Mein Mann ist in seinem Beruf inzwischen zufrieden und sehr erfolgreich. Er hat seine Depression und seine Ängste dank der Psychopharmaka und Menschen, die ihn und uns begleiten, im Griff. Die Stürme kommen jetzt seltener, aber es gibt sie noch.

Was hilft mir in stürmischen Zeiten? Diese Frage konnte ich selbst lange nicht beantworten. Fragte man mich, wie ich da durchgekommen sei, gab ich häufig „Mit Gottes Hilfe“ zur Antwort. Und es stimmt: Hätte ich mich in all meiner Verzweiflung, Hilflosigkeit und mit all meinem Schmerz nicht an Gott wenden können, hätte es für uns keine Zukunft gegeben. Aber es sollte nicht nur der Glaube sein, der Angehörige von Depressiven durchträgt. Es sind auch die Freunde, die nachfragen, mitbeten oder, wenn nötig, auch mal ablenken. Es ist wichtig, sich über das, was man an der Seite eines Depressiven erlebt, auszutauschen – und zwar nicht nur mit dem Partner. Je nachdem, wie schwerwiegend seine Depression ist, kann es für ihn sogar zusätzlich belastend und deshalb kontraproduktiv sein. Wenn die Situation so belastend ist, dass ich sie selbst nicht aushalten kann, wende ich mich an meine Eltern, zu denen ich ein sehr gutes Verhältnis habe, und gute, vertrauensvolle Freunde – meistens solche, mit denen ich auch ins Gebet gehen kann. Eine von ihnen ist Psychologin und kann mir auch fachliche Tipps geben.

Überhaupt ist es wichtig, sich mit dem Thema Depression fachlich auseinanderzusetzen. Als ausgebildete Pädagogin dachte ich lange, ich wüsste bereits genug darüber. Ich hatte jedoch nie längere Zeit mit Depressiven zu tun gehabt und wusste schon gar nicht wie es ist, als Angehörige davon betroffen zu sein. Auch ich brauchte Hilfe und Begleitung. Das Internet bietet auf vielen Seiten, wie etwa der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die Möglichkeit, sich zu dem Thema zu informieren. Aber auch ein Gespräch mit einer Person vom Fach, wie etwa einem Psychotherapeuten oder Psychiater, der man direkt Rückfragen stellen kann, ist hilfreich. In vielen Städten gibt es außerdem Selbsthilfegruppen für Angehörige von Depressiven, in denen man sich mit anderen austauschen kann. Je mehr man über Depressionen weiß, desto besser kann man das Verhalten des Partners verstehen und einordnen.

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht alle Zweifel und Ängste, die der Partner hat, als übertrieben oder psychisch bedingt abzutun. Es ist nicht die Person selbst, sondern die Depression, die dazu führt, dass diese Gefühle für sie so unerträglich und für uns so unnachvollziehbar werden. Viele verstehen das nicht. „Das ist Quatsch“ oder „Du spinnst ja“ sind Sätze, die mein Mann während einer depressiven Phase manchmal zu hören bekommen hat. Auch Sätze wie „Du bist halt krank“ oder „extrem empfindlich“ sind in so einer Episode wenig hilfreich. Deshalb überlegen wir uns sehr genau, wen wir in dieses Thema einweihen. Mein Mann ist nicht „der Depressive“ oder „der Verrückte“, als den ihn manche abstempeln, weil es ihnen zu anstrengend und unangenehm ist, sich in ihn und seine Gefühlswelt hineinzudenken. Er ist der Mann, den ich liebe und der ab und zu jemanden braucht, der ihn sanft zurück auf die Beine stellt, ohne über seine Gefühle und Gedanken zu urteilen! Das steht niemandem zu – egal, ob gesund oder krank.

Nicht immer die Stärkere

Hilfreich war für mich auch, einzusehen, dass ich als „Gesündere“ von uns, nicht gleichzeitig auch immer die Stärkere sein muss. Natürlich versuche ich für ihn da zu sein, ihn zu trösten und aufzumuntern, wenn es ihm schlecht geht. Aber auch ich habe meine Grenzen, die ich lernen musste anzuerkennen, um nicht selbst krank zu werden. Manchmal bedeutet das auch, ihm vorzuschlagen, mal mit jemand anderem darüber zu sprechen und mich selbst ein bisschen zurückzuziehen. Ja, man darf sein Leben trotzdem genießen und sich selbst etwas Gutes gönnen – auch, wenn es dem Partner gerade nicht gut geht. Für mich bedeutet das, mich mit Freundinnen zu treffen, mir eine Massage zu gönnen oder ausführlich Sport zu machen. Aber auch als Paar darf man sich in solchen Zeiten schöne Abende gönnen und das Leben trotz allem feiern, indem man zum Beispiel einen Babysitter engagiert und ausgeht oder aber sich das Essen nach Hause liefern lässt und einen schönen Film zusammen guckt oder ein Spiel spielt. Umgekehrt gab es übrigens auch schon zahlreiche Situationen, in denen er der Stärkere von uns war, obwohl er der „Kränkere“ ist.

Es wäre falsch zu behaupten, dass wir inzwischen so sturmfest wären, dass uns die Stürme nichts mehr ausmachen würden. Wenn Ängste und Zweifel herumwirbeln und unser Schiff zum Schwanken bringen, erfordert es immer noch viel Kraft und Glauben, Jesus auf dem schwankenden Wasser zu erkennen und darauf zu vertrauen, dass er uns nicht untergehen lässt.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.

Mettwurst oder Spitzenwäsche: So zeigen Sie Ihrem Partner, dass Sie ihn wirklich lieben

Romantische Fünf-Sterne-Dinner mit Sonnenuntergang sind super, ohne Frage. Aber es sind ganz andere Aufmerksamkeiten, die eine Beziehung ausmachen.

Um der Liebe unseres Lebens zu beweisen, wie wunderbar und einzigartig sie ist, geben wir uns viel Mühe, vor allem, wenn wir frisch verliebt sind. Die Verliebtheit aktiviert unsere Hirnwindungen in der rechten Großhirnrinde und treibt uns an. Wir schreiben Gedichte, basteln Karten, sparen für ein Vier-Gänge-Menü, stricken Schals, üben den Kniefall oder eine sinnliche Geste, schnuppern uns durch die Parfumabteilung und holen die Sterne vom Himmel.

Das Beziehungs-Gen

Woher kommt die Sehnsucht, der Liebe einen Ausdruck zu geben? Wir sind Beziehungswesen. Keiner lebt für sich allein. Wir brauchen das Gegenüber, um uns selbst zu erkennen, Bedürfnisse wahrzunehmen und uns weiterentwickeln zu können. Eremiten sind die absolute Ausnahme, aber selbst sie suchen ein Gegenüber. Eine mystische Begegnung. Eine Erkenntnis. Gott. Es scheint eine genetische Struktur in uns zu geben, die sich nach Begegnungen sehnt.

Einmal geklärt. Fertig.

Der Ausspruch: „Ich liebe“ ist nur sinnvoll, wenn es einen Adressaten gibt. Ich liebe Kunst, Sport, Essen – dich! Auch, wenn es praktisch zu sein scheint, ein einmaliges Bekenntnis der Liebe genügt nicht, denn „lieben“ ist ein aktives Verb. Es verlangt die Aktivität von kleinen und großen Liebesbeweisen, um nicht zu verkümmern. In der ersten Phase der Verliebtheit fällt es uns leicht, Aufmerksamkeiten zu ersinnen und zu verschenken. Doch irgendwann kommt unsere Liebesbeziehung im Alltag an, findet sich zwischen Routine und Gewöhnlichem wieder und wir gehen davon aus, dass der/die andere schon weiß, dass wir ihn/sie lieben. Wenn wir wollen, dass unsere Liebe Spuren hinterlässt, muss sie erlebbar sein, zum Anfassen und Spüren, zum Erinnern und Träumen. Doch wie sieht der perfekte Liebesbeweis überhaupt aus?

Hände weg von Hollywood

Hollywood und romantische Romane liefern Ideen, doch die scheinen sich nur umsetzen zu lassen, wenn man viel Geld, einen Adoniskörper, unbegrenzte Risikobereitschaft oder am besten alles zusammen hätte. Die Ansprüche an einen perfekten Liebesbeweis lassen uns erschöpft und überfordert zurück. Wir sind weder Romanheldin noch Prince Charming und dennoch sehnen wir uns danach, unserem Partner auf ganz besondere Weise zu zeigen, wie sehr wie ihn/sie lieben.

Im Kleinen wie im Großen

Aber vielleicht muss es auch nicht immer der ganz große Wurf sein. Wenn man sich nicht an Kleinigkeiten freuen kann, kann man sich auch nicht an den großen Überraschungen freuen. Kann man ein Sternemenü zelebrieren, wenn man die schlichte Mahlzeit verachtet? Kann man den Wellness-Urlaub genießen, wenn man sich nicht im Alltag entspannen kann? Was nützen die spektakulären Liebesbeweise, wenn man sich nicht an den kleinen Gesten der Zuneigung erfreuen kann? Eine Umarmung. Ein Post-it mit Herzchen. Eine gepflückte Blume vom Wegrand. Eine SMS mit: „Du fehlst!“. Die aufgehaltene Tür. Ein Streicheln über den Handrücken. Eine Süßigkeit auf dem Schreibtisch.

Unsere Liebe verdichtet für einen Augenblick in eine liebevolle Geste. Wenn ein Augenblick die Zeit zwischen zwei Lidschlägen ist und wir zwischen 11 und 19 Mal in der Minute blinzeln, dann sind das bis zu 16.200 Augenblicke am Tag. Wird da nicht ein Moment dabei sein, den wir unserem Partner schenken können?

Individuelle Vorlieben

Es mag Frauen geben, die empfinden Handlungen wie Tür aufhalten, in den Mantel helfen oder eine Rechnung zu übernehmen als Bevormundung. Übereifriger Feminismus und Gender Mainstreaming haben der Höflichkeit so manche Kerbe geschlagen. Ich finde es angenehm, wenn mir jemand in die Jacke hilft, damit ich mich nicht mit den verknuddelten Ärmeln plage. Sobald wir die Motivation einer freundlichen Geste entdecken, tut sie einfach nur gut.

Wir kennen doch unseren Partner und wissen, worüber er oder sie sich besonders freut. Ist es ein kleines Geschenk oder eine gemeinsame Unternehmung oder ermutigende Worte?

Wer mag die runde Brötchenhälfte?

Wenn wir nicht wissen, was unserem Partner gefällt, dann müssen wir darüber sprechen und unser Gegenüber muss ehrlich antworten. Wie oft hat man schon ein vermeintliches Lieblingsessen zubereitet und dabei denkt der Mann: „Jetzt hat sie schon wieder gefüllte Paprika gekocht. Ich konnte das Gericht schon als Kind nicht leiden.“ Es wäre doch schade, wenn wir aus Liebe auf die runde Brötchenhälfte verzichten, in der Annahme, dass unser Partner sie mag, und dabei ist es ihm schnurzpiepegal.

Mettwurst und Spitzenwäsche

Mein Mann ist als Außendienstmitarbeiter in verschiedenen Städten unterwegs. Er hat die Möglichkeit, zwischen zwei Terminen in ein Geschäft zu gehen und bringt mir dann Dinge, von denen ich mal gesagt habe, dass ich sie gebrauchen könnte, wie einen Topfkratzer oder eine Tasche für meine Ordner, mit. Manchmal bringt er mir auch Dinge mit, die ich nicht dringend brauche, zum Beispiel ein Spitzenbustier. In meinem Alltag komme ich höchstens beim Bäcker und Metzger vorbei. Dann kaufe ich ihm seine Lieblingsmettwurst, die er mit rohen Zwiebeln isst. Er freut sich, auch wenn er anschließend keine Küsse mehr bekommt. Blumen bringt er mir nie mit und das ist gut so, ich kaufe sie mir selbst, denn sie müssen zu den Vasen, Sofakissen und Tischdecken passen.

Sagt was!

Unter Frauen höre ich solche Klagen: „Mein Mann kennt nicht einmal meine Kleidergröße und bringt mir nie etwas mit.“ „Andere Männer sind viel aufmerksamer als meiner.“ „Nie kocht er für mich.“

An Valentinstag drängeln sich die Männer ins Blumengeschäft und zum Hochzeitstag schleppen sie sich schweratmend durch die Parfumabteilung. Lasst uns die Männer von diesen Vorstellungen an Aufmerksamkeiten befreien! Lasst uns direkt sagen, was uns gefällt und nicht nur hoffen, dass der Partner die indirekten Andeutungen decodieren kann. Wie die kleinen Gesten aussehen, entscheidet jedes Paar für sich. Wir dürfen nicht vergleichen. Der einen Frau sind ihre von ihrem Mann frisch gebügelten Blusen ein Liebesbeweis, dem anderen, dass man zusammengekuschelt einschläft und bei meinem ist es die Zwiebelmettwurst.

Kleine Gesten im Alltag

Eine kleine Geste ist ein lebendig gewordener Gedanke der Zuneigung im Alltag. Ohne großen Aufwand kann ich etwas für den anderen erledigen, was er nur ungern tut, zum Beispiel zur Post gehen, die Flaschen wegbringen, die Betten machen, staubsaugen, die Blumen gießen.

Kleine Gesten haben die Kraft, Missverständnisse zu entwaffnen. Sie schützen uns vor Empfindlichkeiten und zu hohen Ansprüchen. Sobald sich eine Geste mit Dankbarkeit paart, hat sie die Fähigkeit, uns durch Alltagsstürme zu tragen.

Ein Butterbrot voll Liebe

Jeden Morgen richte ich für meine Kinder und meinen Mann eine Brotdose her. Ja, es ist gesünder und kostengünstiger als ein gekaufter Snack, aber es ist auch eine Tupperdose voller Zuneigung. Ein Zettel mit „Du schaffst das“ oder „Ich denke an dich“ oder mit Herzchen signalisiert, dass wir auch während des Arbeitstages miteinander verbunden sind und er lässt mich wissen, dass es ihm gefällt. Wieso sonst sollte ich mir die Brotschmiererei im schlaftrunkenen Zustand antun?

Bleibt authentisch!

Wenn ich mich ständig verbiegen muss, damit mein Partner sich wertgeschätzt weiß, wird die Ehe zur Last. Die kleinen Gesten müssen nicht eingeübt und trainiert werden, sie schlummern in uns, vielleicht müssen sie nur wachgerüttelt werden. Aufmerksamkeiten lassen sich leicht in den Alltag integrieren, wenn sie authentisch sind.

Es fällt mir leicht, meinem Mann körperliche Zuneigung zu schenken, aber es würde mir schwerfallen, mich für Fußball und Stadionbesuche zu begeistern. Der andere wird es sowieso spüren, wenn man etwas ungern tut. Als ich ein Kind war, sagte meine Oma: „Wenn du nicht gern teilst, brauchst du überhaupt nicht zu teilen.“ Ich habe mir dann immer überlegt, wie ich trotz des Teilens freudig aussehen kann. Es geht nicht! Ein Geschenk muss von Herzen kommen, damit es sich im Gesicht widerspiegelt. Ja, und manchmal gibt es die Momente, die man für sich alleine haben möchte. Für diesen Fall hat mein Mann ein kleines Snacklager in seinem Kleiderschrank und ich trockne meine Fruchtgummiteile in meinem Bücherregal, bis sie hart wie Bonbons sind. (Das muss man im Verborgenen tun, sonst futtern die Kinder alles weg.)

Das Aufzählmonster

Kleine Aufmerksamkeiten entfalten sich durch Dankbarkeit und verkümmern durch Vorhaltungen: Es gibt Zeiten, da ist man nicht so aufmerksam, vielleicht weil Stress bei der Arbeit herrscht oder weil man Ärger mit den Nachbarn hat oder weil man körperlich erschöpft ist. In diesen Phasen investiert einer von beiden mehr in die Beziehung. Wenn man jetzt anfängt aufzuzählen, was man schon alles getan hat und wie viel man für den anderen opfert, dann entfesselt man das Aufzählmonster. Es hat die Macht, aus Kleinigkeiten Konflikte zu erschaffen. Plötzlich nervt alles! Zu lautes Einatmen. Zu lautes Ausatmen. Der Schlüssel wird nicht an den gewohnten Platz abgelegt, im Auto rieseln Krümel über die Sitze oder die Spülmaschine wird nicht effektiv eingeräumt. Im gleichen Maß, wie uns Kleinigkeiten erfreuen, können sie uns ärgern. In diesen Momenten müssen wir innehalten, durchatmen und uns dem Aufzählmonster in den Weg stellen. Wir werden kaum die Energie und Kreativität haben, uns etwas Außergewöhnliches für den Partner zu überlegen. Umso besser, wenn wir auf ein Repertoire aus Aufmerksamkeiten zurückgreifen können.

Der Partner ist genervt? Ich gebe ihm Möglichkeiten, sich zurückzuziehen.

Der Partner ist gehetzt? Ich umarme ihn ganz fest.

Der Partner ist entmutigt? Ich bete mit ihm.

Vom Sekundengeizhals zum Zeitschenker

Viele Unglücke passieren, weil man denkt, man hätte nicht genug Zeit. Man hastet durch den Alltag, drängelt sich durch den Verkehr und verbrennt sich am heißen Kaffee den Mund in dem Glauben, dadurch ein paar Sekunden zu sparen. Aus den gleichen Gründen verlieren wir unsere Aufmerksamkeit. Keine Zeit für den Abschiedskuss, weil ein Termin ansteht? Keine Zeit, dem Partner einen gesegneten Tag zu wünschen, weil das Kind quengelt? Die kleinen Aufmerksamkeiten kosten uns nur einen Augenblick und jeder Tag besteht aus wenigstens 16.000 Augenblicken. Wir dürfen nicht zum Sekundengeizhals mutieren. Lasst uns am Tag zehn Minuten Zeit nehmen, die wir in überlegten Portionen an unseren Partner verschenken. Vier Augenblicke, um sich zu umarmen. Zehn Augenblicke, um zwei Cappuccinos zu kochen. Zwei Augenblicke für den Gute-Nacht-Kuss.

Alles, was wir als wichtig erachten, wurde uns geschenkt: Leben, Zeit, Liebe, Beziehungen, Familie, Talente, Hoffnung. Wir sind Beschenkte. Wir dürfen großzügig sein mit unserer Aufmerksamkeit, mit Dank und Lob. Ja, und manchmal schlüpft aus unseren Hirnwindungen eine außergewöhnliche Idee, wie wir unseren Partner auf ganz besondere Weise mit unserer Liebe überraschen können.

Susanne Ospelkaus lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München, bloggt unter susanne-ospelkaus.com und arbeitet als Ergotherapeutin.

„Er hat ständig neue Freundinnen“

„Mein Sohn studiert seit einem Jahr in einer anderen Stadt. Seitdem hatte er bereits mehrere Freundinnen, mit denen er aber schnell wieder Schluss gemacht hat. Wie finde ich einen Zugang zu ihm bei diesem Thema? Oder kann ich gar nichts machen?“

Lebensentwürfe, die unseren eigenen entgegengesetzt gelebt werden, können uns ordentlich unter die Haut gehen. Wir wollen das Beste für unsere Kinder und sie vor Fehlentscheidungen und Schaden bewahren.

RESPEKT UND WERTSCHÄTZUNG ZEIGEN

Ihr Sohn ist auf dem Weg zum Erwachsensein und für sein Leben selbst verantwortlich. Der Übergang vom Kindes- ins Erwachsenenalter ist eine große Herausforderung und ein wichtiger Entwicklungsschritt, in dem sich einiges neu orientiert. Die körperliche Reife und die geistig-seelische Reife klaffen in dieser Zeit auseinander, und die Phase ist geprägt von Umschwung und Unsicherheit. Verantwortliche Entscheidungen sind zu treffen, Selbstständigkeit und Freiheit nehmen rapide zu und Eltern haben nur noch wenige Einflussmöglichkeiten.

Wir möchten Sie ermutigen, die Beziehung, trotz der unterschiedlichen Lebensentwürfe, zu halten. Genießen Sie die Zeiten, in denen Austausch gelingt. In einem Miteinander, das von Wertschätzung, Respekt, Wärme und Echtheit geprägt ist, können auch kritische Themen in Angriff genommen werden. Zeigen Sie Interesse an seinem Leben und daran, was ihn gerade bewegt, für ihn wichtig oder herausfordernd ist. Fokussieren Sie sich nicht ausschließlich auf das Thema „Partnerschaften“.

GLAUBEN UND WERTE VORLEBEN

Aber auch Eltern von erwachsenen Kindern können sich die Freiheit nehmen, ihre Sorgen auszudrücken. Dabei ist es wichtig zu beachten, aus der Perspektive der Ich-Botschaft zu sprechen, sodass Ihr Sohn immer die Wahl hat, das Gesagte für sich zu bewerten und für sich eigene Entscheidungen zu treffen. Niemand möchte sich gerne im Erwachsenenalter bevormunden lassen. Tappen Sie nicht in die Falle der Eskalation oder der Streitspirale, indem man die eigene Sichtweise als die einzig richtige darstellt. Möglicherweise ist Ihr Sohn auch dabei, seine Lebens- und Wertevorstellungen herauszufinden, und manchmal sind Fehlentscheidungen nötig, um standhafte Werte für das eigene Leben zu kreieren. Signalisieren Sie Gesprächsbereitschaft, Ihr Sohn kann dann entscheiden, ob und, wenn ja, wann er auf Ihr Angebot zurückkommen möchte.

Eltern werden auch in solchen Zeiten in ihrer Rolle als Vorbilder neu herausgefordert. Leben Sie Ihrem Sohn Ihren Glauben und Ihre Überzeugungen vor und handeln Sie auch danach. Leben Sie, was Ihnen wichtig ist. Glaube, der in guten wie in schwierigen Tagen sichtbar wird, gewinnt an Attraktivität.

Martina Schäfer und Sandra Schreiber sind Beraterinnen und systemische Elterncoaches in der christlichen Beratungsstelle „LebensRaum Gießen“.

 

 

„Ihr Freund ist viel älter“

Unsere Tochter (17) hat einen Freund, der zwölf Jahre älter ist. Wir haben den Eindruck, dass die Beziehung der beiden nicht auf Augenhöhe ist. Sollen wir mit ihr darüber reden? Oder ist das zu viel Einmischung?“

Ich kann die Fragestellung sehr gut verstehen und glaube, dass es für eine Mutter oder einen Vater nicht einfach ist, die Tochter in einer Beziehung zu sehen, bei der man Bedenken hat. Der Altersunterschied ist dabei nur ein Aspekt. Auch die nationale Herkunft, politische Einstellungen oder Drogen- und Alkoholmissbrauch können Dinge sein, die uns an den Partnern unserer Kinder stören. Aber die Grenzen zu einer guten Entscheidung sind in Ihrem Falle fließend.

Der juristische Aspekt wird sich schon bald biografisch lösen: Mit dem 18. Geburtstag haben Sie keine Erziehungsverantwortung mehr für Ihre Tochter. Es bringt also nichts, auf Ihre elterliche Fürsorgepflicht zu verweisen. Ihre Tochter muss Sie auch nicht um Erlaubnis fragen, mit wem sie befreundet ist. Die Zeiten, in der ein blumenbeschmückter Bräutigam an der Haustür um die Hand Ihrer Tochter anhält, sind vorbei. Trotzdem sollten Sie sie nicht sehenden Auges in eine Beziehung gehen lassen, bei der Sie Bedenken haben.

DAS GESPRÄCH SUCHEN

Deshalb ist der Beziehungsaspekt wichtiger. Sprechen Sie mit Ihrer Tochter über Ihre Bedenken, ohne zu bewerten und fragen Sie sie auch, wie es ihr in ihrer Beziehung geht und wie sie mit dem Altersunterschied zu ihrem Freund zurechtkommt. Hören Sie ihr gut zu! Mit guten Fragen und aktivem Zuhören können Sie mehr erreichen als mit Vorwürfen und Kritik. Verständnis ist wichtiger als Einverständnis.

Versinken Sie also nicht in Sorge und Bedenken, sondern sprechen Sie ganz offen und ehrlich über Liebe, Partnerschaft, Erwartungen und über Aspekte einer „Beziehung auf Augenhöhe“. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich, dass Sie diese Augenhöhe auch im Blick auf Ihre Tochter wahren. Wie schnell sehen wir uns als Ältere und als Eltern in einer überheblichen Ankläger- und Besserwisserrolle, die jegliches offene Gespräch erstickt.

SICH IN LIEBE ÜBEN

Es kommt auch noch ein geistlicher Aspekt hinzu: Die Bibel spricht davon, dass ein Mann (und heute sicher auch eine Frau) Vater und Mutter verlassen muss, um in eine gelingende Beziehung eintreten zu können. Uns als „Verlassene“ bleibt dann vor allem, uns in einer positiven Grundhaltung zu üben: Wir dürfen lieben.

Den Mann, den Ihre Tochter liebt, den dürfen Sie auch lieben lernen. Eine Erinnerung an die eigene Unvollkommenheit in der jungen Beziehungssuche macht uns dabei barmherzig. Der Satz: „Dein Freund ist uns willkommen, weil du uns immer willkommen bist. Wenn du ihn liebst, wollen wir ihn auch lieben“, sollte gedanklich über der Tür stehen.

Wir können als Eltern unheimlich viel dazu beitragen, ob und wie eine Beziehung unserer Kinder gelingt, indem wir eine gute Willkommenskultur entwickeln und in liebevoller Barmherzigkeit leben.

Gottfried Muntschick ist Geschäftsführer der CVJM Familienarbeit Mitteldeutschland e.V.

 

 

Der einsame Wolf hat ausgedient

Männer kommen schon alleine klar? Christof Matthias hat festgestellt, dass er nur in Beziehungen wachsen kann.

Die ersten Anmeldungen für unseren Männertag kommen immer von Frauen. Sie wollen ihren Männern etwas Gutes tun und ihnen Begegnungen und Beziehungen ermöglichen. Der Leidensdruck scheint bei ihnen höher zu sein als bei ihren Männern selbst. Eine Anruferin fragte, ob sie ihren Mann denn schicken dürfe, denn er hätte ja gar keine Freunde. Viele Männer, die ich kenne, mich selbst eingeschlossen, kommen ganz gut alleine klar und empfinden das auch nicht als Mangel. Manche wünschen sich auch Freunde, wissen aber nicht, wie sie es anstellen können. Aber warum sollte Mann etwas ändern, wenn er doch scheinbar gar nicht leidet? Aus meiner Sicht gibt es dafür drei Gründe: Der Horizont erweitert sich, Freundschaften bieten Chancen zu persönlichem Wachstum und machen das Leben schöner. Wo immer ich den Weg des einsamen Wolfes verlassen und die Gemeinschaft zu anderen Männern gesucht habe, konnte ich mich mit anderen Sichtweisen auseinandersetzen und dazulernen. Jedermann erlebt und beschreibt die Welt aus anderen Augen und hat persönliche Erfahrungen gemacht. Die Geschichten, die dahinter liegen, sind immer spannend und bereichernd. Ich habe den Kontakt und den Austausch mit anderen Männern noch nie bereut. Ganz egal, ob es dabei um das Gespräch mit einem Nachbarn auf der Straße ging oder den Austausch am Lagerfeuer nach einer Motorradtour in der Wüste Arizonas. Wenn wir bei unseren Eheseminaren die Paare in Männer- und Frauenrunden aufteilen, reden die Männer meist länger als die Frauen. Ich habe den Eindruck, dass alle froh sind, ihrer inneren Einsamkeit zumindest für diese Zeit entflohen zu sein. Mir fällt es nicht zu, mein Herz sofort für andere zu öffnen. Aber wenn es gelingt, empfinde ich Entlastung, Freude und inneren Frieden. Hier scheint das innere Bedürfnis nach Anteilnahme und Verständnis befriedigt zu werden. Das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Dazu kommt, dass uns die Bibel dazu auffordert, charakterlich zu reifen und geistlich zu wachsen (Epheser 4,13+14). Wäre es nicht bedauerlich, wenn dich ein alter Freund nach vielen Jahren mit den Worten begrüßt: „Du bist ganz der Alte geblieben“? Wo erfährt der einsame Wolf eine Reflexion seiner Schwächen? Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, ist jede meiner Veränderungen in einem Beziehungskontext begründet. Wir sind aufgefordert, einander zu ermutigen, zu korrigieren und zu ermahnen. Korrigieren lasse ich mich aber eher von Menschen, denen ich vertrauen kann. Ich musste und muss mich deshalb immer fragen: Wo sind denn meine Vertrauten? Vertraute wachsen nicht an Bäumen, Vertrauen muss vorsichtig und langsam entwickelt werden, braucht Zeit und Pflege. Ich habe für mich entschieden, dass ich nicht einsam alt werden möchte und nicht als Wolf Angst und Schrecken verbreiten will. Deshalb nehme ich den Kalender in die Hand, schaue frühzeitig nach freien Zeiten, schreibe Einladungsmails oder telefoniere. Wenn ich die Pflege von Beziehungen nicht bewusst einplane, ist am Ende oft keine Zeit mehr übrig. Ich weiß gewiss: Gott hat mich nicht als Einzelgänger geschaffen, aber um mit jemandem zusammen ein Stück zu gehen, muss ich auf ihn zugehen.

 

Christof Matthias ist in der Leitung von Team.F und freiberuflicher Supervisor, Vater von drei leiblichen Söhnen, einem mehrfach behinderten Pflegesohn, zwei Schwiegertöchtern und Opa von zwei Enkeltöchtern.

„Alles gut?“

Christof Klenk mag keine Emojis in der mündlichen Sprache.

Die Frage „Wie geht es dir?“ ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Sie wird von einem lapidaren „Alles gut?“ abgelöst. Das ist prägnanter, hipper und klingt irgendwie nach Facebook oder WhatsApp. Man kann darauf nur mit dem mündlichen Gegenüber eines Emojis antworten: Alles super! Daumen hoch! Smiley!

Das ist glatt gelogen. Bei mir ist nie alles gut. Irgendwo zwickt’s immer, läuft etwas schief, wäre Luft nach oben. Ganz abgesehen davon, dass die Weltlage mit „Smiley, Smiley, Smiley“ wohl kaum umschrieben ist. Aber niemand will auf „Alles gut?“ eine differenzierte Antwort hören. In den meisten Fällen würde ein „Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden“ meine Gefühlslage ganz gut auf den Punkt bringen. Das klingt aber irgendwie altklug, nach Spaßbremse oder Besserwisser.

Zugegeben: Auf die Frage „Wie geht’s dir?“ antworte ich in den allermeisten Fällen auch nur mit „gut“. Das hat keinen hohen Informationswert, aber es kommt der Wahrheit trotzdem näher als „Daumen hoch! Alles bestens! Rundum glücklich!“ Da ist viel Schönes dabei, aber dass alles gut ist, kann ich eben nicht behaupten.

„Christof, halt mal den Ball flach. Hier geht’s doch nur um Smalltalk!“, mag mancher hier einwenden.  Letztlich geht es, wende ich ein, um das Wertvollste, was wir haben, nämlich um Beziehungen. Ich will bei einem zufälligen Treffen auf der Straße sicherlich kein Therapiegespräch, aber ein klein wenig die Chance eröffnen, dass Begegnung stattfindet und dass wir einander wahrnehmen, das wäre schon schön. Dann wäre schon eine Menge gut.

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT und lebt mit seiner Familie in Witten.