Bindung in der Paarbeziehung: Expertin verrät, wie das gelingt
Die Bindung ist der entscheidende Faktor für eine glückliche Paarbeziehung. Im Interview verrät Paartherapeutin Ira Schneider ihre Tipps.
Unser Auto bringen wir regelmäßig in die Inspektion und zum TÜV, viele andere Geräte, die wir benutzen, werden regelmäßig gewartet, nur bei der Beziehung sind wir oft nachlässig. Warum ist das so?
Das kann unterschiedliche Gründe haben. Es kann sein, dass ein Paar so betriebsam ist, dass das gegenseitige emotionale Nähren gar nicht möglich ist. Es kann auch daran liegen, dass man das Gegenüber vielleicht nicht mehr so richtig spürt oder nicht mehr den Zugang dazu hat, wie schön es ist, gemeinsam innezuhalten, sich anzuschauen und sich Raum zu geben. Manche Paare scheuen sich, innezuhalten, weil das auch ein gewisses Maß an Konfrontationen bedeuten könnte. Das Innehalten zu vermeiden, kann unbewusster Widerstand sein, weil da etwas bedrohlich sein und ungemütliche Gefühle wecken könnte.
Man darf nicht vergessen, dass das Leben einfach auch viel fordert. Berufliches, Krankheiten, Übergänge, Umzüge und so weiter. Da sind die meisten Paare und Eltern froh, wenn sie den Alltag überleben.
Da ist dann eine stabile Bindung wichtig. Denn Bindung hat nicht nur etwas mit Erziehung zu tun, sondern betrifft auch Erwachsene. Was macht das Thema Bindung besonders relevant in der Paarbeziehung?
Eine Bindung zu den Fürsorgepersonen ist für Kinder im Grunde eine Lebensversicherung. Kinder können gar nicht anders, als sich zu binden. Eine Kollegin von mir sagt immer: „Kinder binden sich, weil sie nicht anders überleben können. Sie überprüfen dabei ihre Eltern nicht auf pädagogische Eignung.“ Im besten Falle ist das Kind sicher gebunden. Das ist aber nichts, was das Kind beeinflussen kann. Der Bindungsstil ist immer die bestmögliche Strategie, sich der Umwelt anzupassen. Für eine möglichst sichere Bindung braucht es Feinfühligkeit und Responsivität seitens der Fürsorgepersonen. Für das Kind ist wichtig, dass die Fürsorgepersonen überwiegend in der Lage sind, Bedürfnisse zu erspüren und darauf angemessen und versorgend einzugehen.
Das ist bei Paaren nicht viel anders. In der Paartherapie sprechen wir von der sicheren Paarbindung. Das Ziel, auf das ich mit den Paaren hinarbeite, ist, dass sie beieinander emotional sicher sind und sich verletzlich zeigen können. Ein Indikator für eine sichere Paarbindung ist die Responsivität. Dabei geht es darum, ob das Paar tendenziell innerlich bereit ist, auf das Gegenüber einzugehen und emotional verfügbar und aufgeschlossen ist. Paare strecken sich nach Bindung aus und versuchen einander zu erreichen. Im besten Falle haben beide Partner das Gefühl, sich gegenseitig mit positiven Bindungssignalen zu erreichen. Wer sich fallen lassen kann, spürt, dass die Paarbeziehung ein sicherer Ort, ein Bindungshafen ist.
Solche Bindung ist besonders wichtig, auch in Krisensituationen. Was sind die häufigsten Krisenherde, die Ehen erleben?
Leidensdruck entsteht, wenn die Paarbindung erschüttert ist und nicht mehr ganz sicher ist. Dann geraten Paare immer häufiger in bestimmte Interaktionszyklen. Das sind oft schmerzliche Reaktionskreisläufe, die sich dauernd wiederholen, die oft zu Rückzugsverhalten führen oder zu einem emotionalen Protestverhalten. Es kann sein, dass der eine Teil immer vehementer, immer beharrlicher, immer lauter wird und der andere Teil immer verschlossener und sich immer mehr zurückzieht. Das Rückzugsverhalten wird in der Paartherapie oft als Schutzverhalten vor dem Druck, nicht zu genügen, verstanden. Das Protestverhalten wird als Kampf gegen das Gefühl des Unverbunden- und Abgeschnitten-Seins eingeordnet. Manchmal schluckt der Rückzügler länger viel Frust und explodiert dann. Oder der protestierende Teil ist so erschöpft vom Versuch, Bindung wiederherzustellen, dass er oder sie sich abspaltet und aussteigt.
Was können kleine Rituale sein, die der Beziehung und der Bindung dienlich sind?
Was ich wichtig finde, ist beispielsweise Blickkontakt. Den anderen bewusst anzuschauen. Manchmal bitte ich Paare in der Therapie, einander einfach anzuschauen. Ich gehe dafür kurz raus aus der Sitzung. Und viele sagen mir anschließend, dass es das erste Mal seit Monaten sei, dass sie sich wieder ansehen. Einige weinen vor Ergriffenheit und spüren wieder etwas Wärme füreinander.
Eine Idee ist, auch tagsüber in Kontakt zu bleiben. Vielleicht durch einen kurzen Anruf, eine kurze Nachricht oder einfach durch ein kleines Liebes-Emoji. So ist die Kommunikation nicht nur funktional im Sinne der Absprachen, sondern schafft auch eine Herzensverbindung.
Manchmal ist die Belastung durch Kinder, Job und andere Dinge so groß, dass man als Ehepaar zu zerbrechen droht. Was hilft in solchen Situationen, den Partner nicht aus dem Blick zu verlieren?
Es kann hilfreich sein, das große Ganze im Blick zu behalten und sich immer wieder daran zu erinnern, dass es Phasen gibt, die wirklich intensiv sind. Alle Phasen haben ein Anfang und ein Ende. Wichtig ist, dass eine Phase nicht in einen langanhaltenden Zustand übergeht. Deshalb sollte man Frühwarnzeichen nicht ignorieren und feinfühlig bleiben.
Der zweite Punkt ist, daran festzuhalten, dass das Band der Liebe stark ist, auch wenn ein Paar nicht jeden Tag die Zeit hat, die es gerne miteinander hätte. Sich das gegenseitige Vermissen dann zuzusprechen, kann guttun. Und sich so viel Wertschätzung entgegenzubringen wie möglich, für all die Dinge, die das Paar gerade miteinander wuppt. So entsteht ein Grundgefühl von: „Ich sehe dich und du siehst mich.“
Welchen Stellenwert hat aus deiner Sicht die gemeinsame Verbindung zu Gott?
Für mich persönlich ist das sehr wichtig. Ich glaube, dass es wohltuend ist, als Paar zu wissen, dass man nicht allein mit den Herausforderungen ist. Wir haben einen Gott an unserer Seite, der wohlwollend ist und wir können uns zu ihm immer wieder hinwenden und mit seiner Unterstützung rechnen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.
Ira Schneider ist Paartherapeutin, Autorin und Referentin. In Ihrem Podcast „Voll Liebe! Der Beziehungspodcast“ spricht sie ausführlich über Bindung in der Partnerschaft. Zu hören unter erfplus.de oder überall, wo es Podcasts gibt. schneider-ira.com