„Ich war in meinem Leben noch nie so krank“: Gesamte Familie mit Covid-19 infiziert
Das Coronavirus hat Familie Müller* voll erwischt. Zeitweise konnte sich Mutter Heike nur auf allen Vieren ins Bad schleppen. Doch in Erinnerung behält sie nicht die Tage im Fiebertraum, sondern die Solidarität der Nachbarn.
Es ist ein Anruf, der Heike Müller* zum ersten Mal stocken lässt: Bei ihrem Hausarzt geht nur der Anrufbeantworter ran. Die Praxis sei geschlossen, weil es Covid-19-Fälle im Team gegeben habe. Tatsächlich hat Heike dort in der Woche zuvor noch ein Rezept abgeholt – und seit Tagen mit Kopf- und Gliederschmerzen zu kämpfen. „Bis zu dem Telefonat habe ich mir überhaupt gar keine Gedanken gemacht“, erzählt sie.
Plötzlich Fieber
Als dann auch noch ihr Mann Fieber bekommt, verstärkt sich die Ahnung des Paares, dass sie sich mit dem Virus angesteckt haben könnten. Zu diesem Zeitpunkt Mitte März befindet sich die Familie aus der Nähe von Tübingen bereits in häuslicher Isolation. Deshalb unternehmen Heike und ihr Mann zwei Tage lang nichts. „Aber am Freitag war das mit dem Fieber so irre, dass wir die Vertretung unseres Hausarztes angerufen haben“, sagt die zweifache Mutter. Der Arzt schickt sie ins Corona-Testzentrum in Tübingen.
Über 40 Grad Fieber
Vater und Mutter Müller lassen sich testen. Und tatsächlich: Sie haben sich angesteckt. Was in den folgenden Tagen passiert, daran kann sich Heike rückblickend nur noch verschwommen erinnern: „Ich war in meinem Leben noch nicht so krank.“ Zehn Tage lang hat sie über 40 Grad Fieber. Wirklich kritisch ist der Zustand bei ihr und ihrem Partner nie – beide haben zu keinem Zeitpunkt Atemnot – wohl aber ist die Zeit nervenzehrend. Auf das Klo kann Heike sich zeitweise nur auf allen Vieren schleppen – wortwörtlich. Sie schläft kaum und wenn doch, plagen sie Fieberträume.
Sportliche Familie
Und auch bei den Kindern machen sich Symptome bemerkbar. Matteo (12) hat Husten und Fieber. Und Noa-Marie (15) hustet und fühlt sich mitunter sehr schlapp. Besonders hart trifft Corona die Familie Müller, weil diese sonst ziemlich fit ist. „Ich hatte meinen Lebtag ein einziges Mal Grippe“, erzählt Mama Heike. Doch der Virus wirft sie aus der Bahn. Die Frage nach dem „Warum ich?“ stellt sich Heike aber nicht. „Ich habe mir eher gedacht: Es wird schon alles seinen Sinn haben“, sagt die Christin.
Von überall her Hilfe
Was Heike Müller aus den Krankheitswochen besonders in Erinnerung bleibt, ist dann auch nicht das Fieber-Delirium. Es ist die Solidarität ihrer Nachbarn. „Eigentlich dachte ich, die ziehen jetzt ein Stacheldraht um unser Haus, machen ein rotes Kreuz an die Tür und schreiben darauf ‚Bannzone‘.“ Das Gegenteil geschieht. Die Müllers erfahren eine „wahnsinnige Welle an Hilfsbereitschaft“. Auf eine Whatsapp-Nachricht an die Nachbarschaft, in der sie von der Quarantäne berichten, bekommen sie innerhalb weniger Minuten „überwältigend viele“ Antworten. Bekannte bieten an, den Hund auszuführen, Brötchen zuzubereiten und einkaufen zu gehen. „Das fand ich unfassbar“, resümiert die 47-Jährige.
Die Kinder werden zu Helden
Und auch die beiden Kids werden angesichts der bettlägerigen Eltern zu Überlebenskünstlern. Noa-Marie organisiert per Smartphone Helfer, die Essen besorgen. Die beiden kochen Nudeln und versorgen die Eltern mit Tee. Für die Mutter ist das ein wahrer Segen. Denn Essen zubereiten hätte sie in den schlimmsten Krankheitstagen nicht können. „Ich bin so stolz auf meine Kinder, dass die das hingekriegt haben“, sagt sie.
150 Masken
Fünf Wochen lang bleibt Heike Müller krankgeschrieben. Als der Nebel sich langsam löst, fragt sie sich, wie sie den Nachbarn etwas von dem Engagement zurückgeben kann, das sie ihrer Familie entgegenbrachten. Zu dem Zeitpunkt gibt es in Deutschland kaum Masken zu kaufen. „Und ich kann nähen. Also habe ich rumgefragt, wer denn eine Maske braucht.“ 150 Stück näht Heike schlussendlich.
Als die Müllers schließlich wieder das Haus verlassen dürfen, ist das eine Erleichterung: „Das war fantastisch“, erzählt die Mutter: „Ich habe noch nie erlebt, dass die Kinder so heiß drauf waren, als erstes mit dem Hund Gassi zu gehen.“ Mittlerweile ist die Familie wieder genesen – zum Großteil zumindest. Auch fünf Monate nach dem Lockdown fühlen sich die Familienmitglieder noch erschöpft.
„Es war nie einfacher, Leben zu retten“
Im Nachhinein hat die überstandene Infektion zumindest etwas Gutes: Für die Forschung ist Familie Müller hochinteressant. Aktuell nehmen die Baden-Württemberger an einer Studie teil, die untersucht, inwieweit Kinder an der Verbreitung von Covid-19 beteiligt sind. Außerdem haben sie hautnah erfahren, was dieser Virus zu tun imstande ist. Ihre Masken tragen sie voller Überzeugung: „Es war nie einfacher, Leben zu retten“, sagt Heike Müller.
*Der Nachname wurde von der Redaktion geändert.