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Vorfreude oder schlechtes Gewissen? So gelingt der Kita-Start

Am Ende der Elternzeit steht der Wiedereinstige in den Beruf an. In die Vorfreude mischt sich aber oft das schlechte Gewissen, weil das Kind in die Kita muss. Familienberaterin Daniela Albert verrät, wie der Übergang gelingt.

Mit dem Gedanken an den Kita-Start tun sich viele Eltern schwer. Sie entscheiden sich, andere Menschen in das Leben ihres Kindes zu lassen und sie ein Stück loszulassen. Das Kind wird zukünftig ein paar Stunden am Tag ohne die Eltern verbringen und sie müssen sich darauf verlassen, dass es dem Nachwuchs dort gut geht. Dass Eltern da erst einmal nervös sind und nicht nur voller Vorfreude, ist normal.

Leider ist bei der U3-Betreuung auch das schlechte Gewissen ein Begleiter, besonders für Mütter. Gerade in Westdeutschland sozialisierte Frauen tun sich schwerer mit dem Gedanken, dass ihre Kleinkinder außerhäuslich betreut werden sollen. Das liegt daran, dass unsere eigene Müttergeneration und oft auch unsere Großmütter länger für die Kinderbetreuung zuständig waren. So hat sich bei uns eingebrannt, dass dies der beste Weg ist, ein Kind durch die Kleinkindjahre zu begleiten.

Oft gilt die Betreuung von Kleinkindern durch ihre Mütter auch als der „natürliche Weg“. Menschheitsgeschichtlich war es allerdings nur eine sehr kurze Zeitspanne so, dass Mütter nach der Geburt von Kindern mehrere Jahre Zeit hatten, sich nur auf diese zu konzentrieren. Selbst unsere Großmütter hatten diese Zeit nicht, sie hatten viele zusätzliche Aufgaben in Haus, Garten oder gar nicht so selten auch durch einen dringend benötigten Zuverdienst. Schon immer gab es andere Menschen, die Mütter deshalb bei der Betreuung ihrer Kinder unterstützt haben.

Viel Zeit für Eingewöhnung einplanen

Der Unterschied zur Kita ist allerdings, dass die sich kümmernden Personen zumeist von Anfang an im Umfeld der Kinder waren. In der U3-Betreuung muss ein Kind nun neuen Menschen vertrauen lernen – und die Eltern auch! Ich empfehle daher, viel Zeit für die Eingewöhnung einzuplanen, sodass Eltern und Kinder die Möglichkeit haben, die neuen Betreuungspersonen gut kennenzulernen. Vielleicht können die Eltern vor der offiziellen Eingewöhnung schon ab und zu für einen Besuch in der Kita vorbeigehen oder bereits Kontakte zu anderen Kita-Familien knüpfen. Je vertrauter dem Kind die neuen Menschen sind, desto leichter werden auch die Eltern sich tun.

Für den Anfang ist weniger mehr – Eltern sollten mit wenigen Stunden am Tag starten Sie mit wenigen Stunden am Tag, sofern der Beruf die Möglichkeit dazu bietet, und dann die Zeit steigern, wenn das Kind dafür bereit ist. Und ganz wichtig: Die Bindungsarbeit, die Eltern zu Hause machen, ist noch immer entscheidend! Ein liebevolles, zugewandtes Elternhaus, in dem ein Kind erlebt, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden, ist ein starker Rückhalt und gleicht auch eine eventuell einmal nicht ganz optimale Betreuungssituation aus. Nur Mut und viel Freude beim Wiedereinstieg!

Daniela Albert ist Autorin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de), lebt mit ihrer Familie in Kaufungen.

„Der Igel schläft nur …“

Eigentlich wollen Eltern die Wahrheit sagen und trotzdem flunkern sie im Alltag immer wieder. Simone Oswald stellt fest: Auf das Motiv kommt es an.

„Darum legt die Lüge ab …“ (Epheser 4,25) – die Bibel ist eindeutig: Wir sollen nicht lügen. Und dann gibt es ja auch das schlaue Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht … Ich nicke mit dem Kopf und kann das nur richtig finden. Die Wahrheit ist doch die Basis für Vertrauen, und Ehrlichkeit ist eine wichtige Tugend, die ich auch meinem Kind vorleben will. Bei uns wird nicht gelogen!

Ich nicke also vor mich hin – und wenig später höre ich mich sagen: „Der platte Igel da am Straßenrand? Ähm … Dem geht’s prima, der schläft nur.“ Oh oh. Lüge ich mein Kind etwa an? Oder ist das nur ein „altersgemäßes Flunkern“ und völlig legitim?

Lügende Kinder: Schrecklich!

Wenn es hingegen um die Kinder geht, sind die meisten Erwachsenen sich einig: Lügen ist strengstens verboten, genau wie schummeln, betrügen, schwindeln und flunkern. (Platzt ein Kind am Kindergeburtstag aber lauthals damit heraus, dass Omas Geschenk ziemlich blöd ist – finden wir das schon wieder „zu ehrlich“.) Während wir bei den ganz Kleinen also noch von ihrer brutalen Ehrlichkeit überrumpelt werden, heben wir bei den etwas Größeren schon schimpfend den Zeigefinger, wenn wir sie beim Lügen erwischen.

Nur ein paar Psychologen findet man im Internet, die dem auch etwas Positives abgewinnen können: ‚Lügen lernen‘ sei ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung, lese ich. Ganz normal ab etwa vier Jahren. Ein Ausdruck für Empathie und Selbstkontrolle – also wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein.

Ich muss zugeben: Das nimmt mir schon mal etwas den Druck und ich bin beruhigt. Wenn mein Kleiner mich mal anflunkert und mit schokoverschmiertem Mund beteuert, dass er heute noch „überhaupt keine Sokolade gegessen“ habe – dann ist das kein Hinweis darauf, dass er später mal ein notorischer Lügner wird. Ich schimpfe also nicht, sondern gehe auf Ursachen-Suche: Wieso flunkert ein Kind? Hat es sich das irgendwo abgeschaut – vielleicht sogar von den Eltern?

Flunkernde Erwachsene: Geht klar!

Genug Gelegenheit, sich das Schwindeln bei uns Erwachsenen abzuschauen und nachzumachen, hätten unsere Kinder mit Sicherheit. Haben Sie einer Freundin zum Beispiel schon mal bestätigt, dass die schrecklichfurchtbare Shopping-Ausbeute ganz wundervoll aussieht – einfach, weil sie sich so gefreut hat und Sie ihr nicht wehtun wollten? Oder haben Sie schon mal ein Treffen abgesagt, weil Sie leider, leider andere Verpflichtungen haben – und den Abend dann gemütlich auf der Couch verbracht?

Wir Großen flunkern, lügen und nutzen Fast-Wahrheiten, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Lügen uns das Leben in manchen Situationen einfacher macht. Wir wollen niemanden verletzen, wir wollen nicht anecken oder Ärger bekommen – also kommen wir mit kleinen, harmlosen Halb-Wahrheiten um die Ecke und freuen uns sogar noch, weil uns spontan eine tolle Ausrede eingefallen ist.

Und unsere Kinder? Die sind nicht blöd, sondern sehr sensibel – und merken alles! Wenn wir uns als Vorbilder unserer Sprösslinge sehen, sollten wir ihnen also keine widersprüchlichen Signale senden („Man“ darf nicht lügen – Mama lügt aber doch?) oder gar die Moral-Keule in Richtung Nachwuchs schwingen. Denn: Auch wir als Mamas und Papas flunkern und lügen unsere Kleinen an. Ist uns das eigentlich bewusst?

Lügen – oder „bloß“ flunkern?

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den toten Igel am Straßenrand gerade als „schlafend“ bezeichnet habe, nehme ich mich natürlich gleich selbst in Schutz. Ich sage mir: Das war ja keine Lüge in dem Sinne. Da habe ich ja nur geflunkert, nicht die grausame Wahrheit ausgesprochen und dem Kleinen eine Erklärung geliefert, die seinem Alter entspricht. Aber ich habe eben auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Also: gelogen?

Ist die Igel-Lüge eine Lüge? Ich befinde mich in einem Dilemma und sage: moralisch nein, faktisch ja. Die wichtigere Frage scheint mir aber zu sein: Für wen und mit welcher Absicht wird gelogen und geflunkert? Ich glaube, genau das macht den ganz großen Unterschied: Lügen (oder flunkern) wir Eltern für oder gegen unsere Kleinen?

Das Kind schützen

Eine Lüge, die für mich grundsätzlich in Richtung „pro Kind“ geht, ist die klassische Notlüge. Wie der Name schon sagt, nutzen wir sie in Not-Situationen, wo uns die Worte, die Kraft oder das Wissen für die tatsächliche Wahrheit fehlen. Mit einem Kind anatomisch korrekt über den Tod eines lieben Menschen zu sprechen, das würde empathischen Eltern im Traum nicht einfallen. Auch eine Antwort, die dem Alter des Kindes angepasst wurde – und dadurch nicht mehr so ganz der Erwachsenen-Version der Wahrheit entspricht – gehört für mich in diese Kategorie. In Situationen, in denen die elterliche „Lüge“ mehr Nutzen als Schaden anrichtet, wird die kleine Kinderseele geschützt. Ich finde deswegen: Manchmal gibt es Situationen, da dürfen wir lügen.

Für oder gegen das Kind?

Ein bisschen kritischer ist das schon mit der anderen Art von Flunkerei: den Bequemlichkeitslügen. Wer am Ende des Tages einfach keinen Nerv mehr hat, erzählt den Kindern überzeugend, dass die Batterie vom nervtötend lauten Feuerwehrauto leider leer ist. Meine Freundin lobt ihre Große für das zauberhaft gemalte Bild, das eigentlich eher furchteinflößend aussieht. Und ich erzähle dem Kleinen mittags lang und breit, dass jetzt alle anderen auch einen Mittagsschlaf machen.

Und obwohl das alles Momente sind, in denen wirklich keine Not-Situation vorliegt – steckt nicht auch hier manchmal eine durchaus „positive Absicht“ hinter der Lüge? Ich glaube nämlich: Es gibt Bequemlichkeitslügen, die wir gegen unsere Kinder verwenden, aber eben auch solche, die wir für unsere Kinder erzählen. Meine Alle-machen-Mittagsschlaf-Lüge zum Beispiel, die nutze ich ja immerhin, um damit ein wenig Erholung und Stressabbau beim kleinen Schläfer zu erzielen. Und auch meine Freundin, die mit Komplimenten ein Papierkorb-würdiges Kunstwerk der Tochter bestaunt und beklatscht, will mit dieser Bequemlichkeitslüge ihre kleine Künstlerin positiv bestärken und ihr eine Freude machen. Gelogen: Ja. Eher aus Bequemlichkeit als aus tatsächlicher Not: Ja. Aber mit bester Absicht und eben für das Kind.

Bequemlichkeitslügen gegen das Kind? Hier wird es für mich kritisch – denn hier steht die Bequemlichkeit der Eltern so im Mittelpunkt, dass eigentlich nur die eigenen Bedürfnisse zählen und das Wohl des Kindes in den Hintergrund tritt. Wer etwa dem Nachwuchs erzählt, dass freche Kinder von der Polizei mitgenommen werden, der hat damit wohl keine positiven Ziele für das Kind im Hinterkopf. Der einzige Grund für diese Art der Lüge: Wir Erwachsenen haben gerade keine Lust, keine Zeit oder keinen Nerv für die Wahrheit. Mit solchen Drohungen schüchtern wir unsere Kinder zudem ein, um lange Diskussionen, ein am Boden liegendes Drama-Kind oder endlose Erklärungen bequem und schnell abzukürzen. Der Preis: Wir riskieren das unerschütterliche Vertrauen, das unsere Kinder in uns haben.

Der Akku vom lauten Spielgerät ist leer, in der Schokolade ist leider Alkohol oder Kaffee drin, und: „Wenn du nicht sofort kommst, dann fahren wir ohne dich los“? Alles gelogen. Ganz ehrlich: Es ist verständlich, dass uns in manchen Situationen einfach keine Kraft mehr bleibt oder uns die Zeit im Nacken sitzt und solche Lügen mal nützen. Aber: Ich finde, diese Lügen dürfen und sollten eine seltene Ausnahme bleiben. Wir sind schon „groß“ – uns sollte etwas Besseres einfallen, als dass wir aus reiner Bequemlichkeit oder Hektik unsere ganzen Moralvorstellungen von Ehrlichkeit, Vertrauen und Vorbildfunktion über Bord werfen.

Was ist die Absicht?

Gibt es also „erlaubte“ und „verbotene“ Lügen? Ich denke vielmehr, es gibt Lügen für das Kind und Lügen gegen das Kind. Notlügen sollen schützen – wir verfolgen damit positive Ziele und wollen mit der Flunkerei unseren Kleinen etwas Gutes tun oder es vor Schlechtem bewahren. Ganz ähnlich ist es übrigens für mich auch mit der Rede über Christkind und Osterhase. Wir bringen damit Kinderaugen zum Strahlen, schenken ihnen den Glauben an Wunder. Wer würde da so streng sein und von „Lüge“ sprechen wollen? Ist die Intention hinter einer Aussage positiv, gehen wir den Flunker-Weg für unser Kind. Bequemlichkeitslügen lassen sich also manchmal tatsächlich nutzen, um etwas Gutes für ein Kind zu bewirken – manchmal haben wir aber einfach keine Lust auf oder Kraft für die „ehrliche Variante“.

Und genau dabei dürfen wir uns kritisch hinterfragen: Ist es mir das wert? Ist das für mich eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, in der authentische Ehrlichkeit nur dann an der Tagesordnung ist, wenn Mama oder Papa gerade Lust dazu haben? Nehme ich für ein bisschen Zeitersparnis, Nervenschonung und aus Unlust in Kauf, dass ich mein Kind anlüge?

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie im Landkreis Deggendorf.

Mama, das will ich nicht wissen! – So teilen Sie Probleme mit ihren erwachsenen Kindern!

Eine Beziehung auf Augenhöhe mit den erwachsenen Kindern zu führen, bedeutet auch, offen miteinander zu reden. Aber wieviel kann man preisgeben, ohne dass es peinlich wird?

Wenn ich mit meinen erwachsenen Kindern unterwegs bin, ist es immer auch so, als wenn ich mein Leben noch einmal erleben würde. Unweigerlich werde ich an meine eigenen Herausforderungen in der Ehe, an den Druck im Job oder an Missverständnisse unter Freunden erinnert.

In Erinnerungen gefangen

Nicht selten bin ich dabei sogar mehr in meinen eigenen Erinnerungen an Emotionen und Selbstzweifeln gefangen, als bei dem Anliegen meines Gegenübers zu sein. Eine Begleitung auf Augenhöhe fordert mich heraus, bewusst wahrzunehmen, in welcher Ebene ich gerade herumtanze. Ist es meine eigene Erinnerung, die mich mit Schmerz und Hoffnung wieder einholt? Dann ist es wichtig, meine Antwort zu filtern. Ich kann von meinem Erleben erzählen, meinen Fragen und auch davon, wie ich die Entscheidung heute bewerten würde. Diese Filterfunktion meint auch: Was ist verdaulich für mein Kind?

Manchmal wird das Begleiten auf Augenhöhe aber auch missverstanden, und Eltern teilen ungefiltert ihre aktuellen Herausforderungen im Sexualleben, ihre Sorgen bezüglich des Älterwerdens, des Kontostandes oder die Probleme mit ihrer Biografie. Durch das Zumuten dieser Lebensthemen wollen sie Respekt ausdrücken. Weisheit ist gefragt, denn Kinder bleiben immer Kinder ihrer Eltern.

Fingerspitzengefühl

Wenn wir weise filtern, was wir mit unseren Kindern teilen, können wir als Eltern trotz aller Anfragen und Kritik Vorbilder bleiben. Ein Einblick in die aktuelle Herausforderung fordert daher immer ein großes Maß an Fingerspitzengefühl. Eine Krise darf gern so formuliert werden, dass Eltern auf dem Weg sind. Im Gespräch kann dann die Reaktion des erwachsenen Kindes den weiteren Verlauf beeinflussen. Die Frage nach konkreten Details zeigt: Hier ist ein harmloses und oberflächliches Gespräch nicht zufriedenstellend. Eine konkrete Frage nach dem Umgang in einem Themenfeld ist eine Einladung, auch konkreter zu antworten. Die Eltern dürfen nun auch Fragende und Suchende werden. Die erwachsenen Kinder brauchen diese Momente, in denen sie gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Weg sind. Der Erfahrungsvorsprung im Leben bleibt, die Themen des Lebens können aber mit gemeinsam gestellten Fragen von Jung und „Alt“ sehr bereichernd bedacht werden.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

„Der Igel schläft nur…“ – Darf ich mein Kind anlügen?

Eigentlich wollen Eltern die Wahrheit sagen und Kinder zur Ehrlichkeit erziehen. Trotzdem flunkern sie im Alltag immer wieder. Wann könnte eine Lüge gerechtfertigt sein?

Schon in den Zehn Geboten heißt es: „Du sollst nicht lügen.“ Und der Volksmund weiß: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ … Ich nicke mit dem Kopf und kann das nur richtig finden. Die Wahrheit ist doch die Basis für Vertrauen, und Ehrlichkeit ist eine wichtige Tugend, die ich auch meinem Kind vorleben will. Bei uns wird nicht gelogen!

Ich nicke also vor mich hin – und wenig später höre ich mich sagen: „Der platte Igel da am Straßenrand? Ähm … Dem geht’s prima, der schläft nur.“ Oh oh. Lüge ich mein Kind etwa an? Oder ist das nur ein „altersgemäßes Flunkern“ und völlig legitim?

Lügende Kinder: Schrecklich!

Wenn es hingegen um die Kinder geht, sind die meisten Erwachsenen sich einig: Lügen ist strengstens verboten, genau wie schummeln, betrügen, schwindeln und flunkern. (Platzt ein Kind am Kindergeburtstag aber lauthals damit heraus, dass Omas Geschenk ziemlich blöd ist – finden wir das schon wieder „zu ehrlich“.) Während wir bei den ganz Kleinen also noch von ihrer brutalen Ehrlichkeit überrumpelt werden, heben wir bei den etwas Größeren schon schimpfend den Zeigefinger, wenn wir sie beim Lügen erwischen.

Nur ein paar Psychologen findet man im Internet, die dem auch etwas Positives abgewinnen können: ‚Lügen lernen‘ sei ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung, lese ich. Ganz normal ab etwa vier Jahren. Ein Ausdruck für Empathie und Selbstkontrolle – also wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein.

Ich muss zugeben: Das nimmt mir schon mal etwas den Druck und ich bin beruhigt. Wenn mein Kleiner mich mal anflunkert und mit schokoverschmiertem Mund beteuert, dass er heute noch „überhaupt keine Sokolade gegessen“ habe – dann ist das kein Hinweis darauf, dass er später mal ein notorischer Lügner wird. Ich schimpfe also nicht, sondern gehe auf Ursachen-Suche: Wieso flunkert ein Kind? Hat es sich das irgendwo abgeschaut – vielleicht sogar von den Eltern?

Flunkernde Erwachsene: Geht klar!

Genug Gelegenheit, sich das Schwindeln bei uns Erwachsenen abzuschauen und nachzumachen, hätten unsere Kinder mit Sicherheit. Haben Sie einer Freundin zum Beispiel schon mal bestätigt, dass die schrecklichfurchtbare Shopping-Ausbeute ganz wundervoll aussieht – einfach, weil sie sich so gefreut hat und Sie ihr nicht wehtun wollten? Oder haben Sie schon mal ein Treffen abgesagt, weil Sie leider, leider andere Verpflichtungen haben – und den Abend dann gemütlich auf der Couch verbracht?

Wir Großen flunkern, lügen und nutzen Fast-Wahrheiten, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Lügen uns das Leben in manchen Situationen einfacher macht. Wir wollen niemanden verletzen, wir wollen nicht anecken oder Ärger bekommen – also kommen wir mit kleinen, harmlosen Halb-Wahrheiten um die Ecke und freuen uns sogar noch, weil uns spontan eine tolle Ausrede eingefallen ist.

Und unsere Kinder? Die sind nicht blöd, sondern sehr sensibel – und merken alles! Wenn wir uns als Vorbilder unserer Sprösslinge sehen, sollten wir ihnen also keine widersprüchlichen Signale senden („Man“ darf nicht lügen – Mama lügt aber doch?) oder gar die Moral-Keule in Richtung Nachwuchs schwingen. Denn: Auch wir als Mamas und Papas flunkern und lügen unsere Kleinen an. Ist uns das eigentlich bewusst?

Lügen – oder „bloß“ flunkern?

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den toten Igel am Straßenrand gerade als „schlafend“ bezeichnet habe, nehme ich mich natürlich gleich selbst in Schutz. Ich sage mir: Das war ja keine Lüge in dem Sinne. Da habe ich ja nur geflunkert, nicht die grausame Wahrheit ausgesprochen und dem Kleinen eine Erklärung geliefert, die seinem Alter entspricht. Aber ich habe eben auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Also: gelogen?

Ist die Igel-Lüge eine Lüge? Ich befinde mich in einem Dilemma und sage: moralisch nein, faktisch ja. Die wichtigere Frage scheint mir aber zu sein: Für wen und mit welcher Absicht wird gelogen und geflunkert? Ich glaube, genau das macht den ganz großen Unterschied: Lügen (oder flunkern) wir Eltern für oder gegen unsere Kleinen?

Das Kind schützen

Eine Lüge, die für mich grundsätzlich in Richtung „pro Kind“ geht, ist die klassische Notlüge. Wie der Name schon sagt, nutzen wir sie in Not-Situationen, wo uns die Worte, die Kraft oder das Wissen für die tatsächliche Wahrheit fehlen. Mit einem Kind anatomisch korrekt über den Tod eines lieben Menschen zu sprechen, das würde empathischen Eltern im Traum nicht einfallen. Auch eine Antwort, die dem Alter des Kindes angepasst wurde – und dadurch nicht mehr so ganz der Erwachsenen-Version der Wahrheit entspricht – gehört für mich in diese Kategorie. In Situationen, in denen die elterliche „Lüge“ mehr Nutzen als Schaden anrichtet, wird die kleine Kinderseele geschützt. Ich finde deswegen: Manchmal gibt es Situationen, da dürfen wir lügen.

Für oder gegen das Kind?

Ein bisschen kritischer ist das schon mit der anderen Art von Flunkerei: den Bequemlichkeitslügen. Wer am Ende des Tages einfach keinen Nerv mehr hat, erzählt den Kindern überzeugend, dass die Batterie vom nervtötend lauten Feuerwehrauto leider leer ist. Meine Freundin lobt ihre Große für das zauberhaft gemalte Bild, das eigentlich eher furchteinflößend aussieht. Und ich erzähle dem Kleinen mittags lang und breit, dass jetzt alle anderen auch einen Mittagsschlaf machen.

Und obwohl das alles Momente sind, in denen wirklich keine Not-Situation vorliegt – steckt nicht auch hier manchmal eine durchaus „positive Absicht“ hinter der Lüge? Ich glaube nämlich: Es gibt Bequemlichkeitslügen, die wir gegen unsere Kinder verwenden, aber eben auch solche, die wir für unsere Kinder erzählen. Meine Alle-machen-Mittagsschlaf-Lüge zum Beispiel, die nutze ich ja immerhin, um damit ein wenig Erholung und Stressabbau beim kleinen Schläfer zu erzielen. Und auch meine Freundin, die mit Komplimenten ein Papierkorb-würdiges Kunstwerk der Tochter bestaunt und beklatscht, will mit dieser Bequemlichkeitslüge ihre kleine Künstlerin positiv bestärken und ihr eine Freude machen. Gelogen: Ja. Eher aus Bequemlichkeit als aus tatsächlicher Not: Ja. Aber mit bester Absicht und eben für das Kind.

Lüge aus Bequemlichkeit

Bequemlichkeitslügen gegen das Kind? Hier wird es für mich kritisch – denn hier steht die Bequemlichkeit der Eltern so im Mittelpunkt, dass eigentlich nur die eigenen Bedürfnisse zählen und das Wohl des Kindes in den Hintergrund tritt. Wer etwa dem Nachwuchs erzählt, dass freche Kinder von der Polizei mitgenommen werden, der hat damit wohl keine positiven Ziele für das Kind im Hinterkopf. Der einzige Grund für diese Art der Lüge: Wir Erwachsenen haben gerade keine Lust, keine Zeit oder keinen Nerv für die Wahrheit. Mit solchen Drohungen schüchtern wir unsere Kinder zudem ein, um lange Diskussionen, ein am Boden liegendes Drama-Kind oder endlose Erklärungen bequem und schnell abzukürzen. Der Preis: Wir riskieren das unerschütterliche Vertrauen, das unsere Kinder in uns haben.

Der Akku vom lauten Spielgerät ist leer, in der Schokolade ist leider Alkohol oder Kaffee drin, und: „Wenn du nicht sofort kommst, dann fahren wir ohne dich los“? Alles gelogen. Ganz ehrlich: Es ist verständlich, dass uns in manchen Situationen einfach keine Kraft mehr bleibt oder uns die Zeit im Nacken sitzt und solche Lügen mal nützen. Aber: Ich finde, diese Lügen dürfen und sollten eine seltene Ausnahme bleiben. Wir sind schon „groß“ – uns sollte etwas Besseres einfallen, als dass wir aus reiner Bequemlichkeit oder Hektik unsere ganzen Moralvorstellungen von Ehrlichkeit, Vertrauen und Vorbildfunktion über Bord werfen.

Was ist die Absicht?

Gibt es also „erlaubte“ und „verbotene“ Lügen? Ich denke vielmehr, es gibt Lügen für das Kind und Lügen gegen das Kind. Notlügen sollen schützen – wir verfolgen damit positive Ziele und wollen mit der Flunkerei unseren Kleinen etwas Gutes tun oder es vor Schlechtem bewahren. Ganz ähnlich ist es übrigens für mich auch mit der Rede über Christkind und Osterhase. Wir bringen damit Kinderaugen zum Strahlen, schenken ihnen den Glauben an Wunder. Wer würde da so streng sein und von „Lüge“ sprechen wollen? Ist die Intention hinter einer Aussage positiv, gehen wir den Flunker-Weg für unser Kind. Bequemlichkeitslügen lassen sich also manchmal tatsächlich nutzen, um etwas Gutes für ein Kind zu bewirken – manchmal haben wir aber einfach keine Lust auf oder Kraft für die „ehrliche Variante“.

Und genau dabei dürfen wir uns kritisch hinterfragen: Ist es mir das wert? Ist das für mich eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, in der authentische Ehrlichkeit nur dann an der Tagesordnung ist, wenn Mama oder Papa gerade Lust dazu haben? Nehme ich für ein bisschen Zeitersparnis, Nervenschonung und aus Unlust in Kauf, dass ich mein Kind anlüge?

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrer Familie in Niederbayern.

Ein Paar – zwei Perspektiven: Taschengeld

Müssen sie alles vom Taschengeld bestreiten?

Katharina Hullen möchte, dass ihre Kinder den Wert des Geldes lernen. Aber sie sollten auch Freiheiten haben.

Katharina: „Können wir noch ein Eis essen?“ Noch bevor ich zu einer Entscheidung kommen kann, tönt schon die klare Antwort aus Haukes Mund: „Ihr könnt euch gerne ein Eis von eurem Taschengeld kaufen!“ Lange Gesichter bei den Kindern: „Also kein Eis!“ Da sie aber feine Antennen für Unstimmigkeiten zwischen uns Eltern haben, nehmen sie doch noch einen kleinen Quengelanlauf bei mir. Am Ende bleibt es bei keinem Eis – aber der beste Ehemann von allen und ich sind uns nicht immer einig, was die Kinder von ihrem Taschengeld bestreiten müssen und was nicht.

Darum gab es in den letzten Monaten auch harte Tarifverhandlungen im Hause Hullen. Die Gewerkschaftsvertreter trafen auf einen eher unbeugsamen Arbeitgebervertreter, welcher die Haltung vertrat: „Die Getränke, die ihr in der Jugendstunde für kleines Geld kaufen könnt, könnt ihr gut vom Taschengeld bezahlen!“ und „Wenn du lange Schultage hast und darum dreimal die Woche mit deinen Freunden Pizza essen gehst, bezahlst du das vom Taschengeld.“

Ich kann beide Seiten sehr gut verstehen. Das Budget der Kinder ist nicht so umfangreich, als dass sie all diese Ausgaben einfach so tätigen könnten. Sie müssen sich gut überlegen, wie viele Getränke sie beim Jugendabend in der Kirchengemeinde trinken und wie oft sie mit den Freunden auswärts essen gehen können.

Aber wollen wir nicht eigentlich, dass sie die Jugendstunde genießen und vielleicht auch mal einen Freund auf ein Getränk einladen können? Sollen sie wirklich darüber nachdenken müssen, ob sie noch ein zweites Getränk nehmen? Andererseits ist das Taschengeld dafür da, den Wert des Geldes zu erkennen und den verantwortungsbewussten Umgang damit zu lernen. Wenn alles von Mama und Papa übernommen wird, entfällt dieser Effekt. Sie lernen erst später oder nie, gute Entscheidungen mit ihrem Geld zu treffen und mit Verzicht oder Mangel klarzukommen.

Am Ende der Verhandlungen kamen wir zu einem Kompromiss: Wir erhöhen das Taschengeld um ein Getränk pro Woche und geben dem Oberstufenkind etwas Verpflegungsgeld zusätzlich. Alles darüber hinaus wird vom Taschengeld bestritten.

Interessant finde ich hier wieder einmal die unterschiedlichen Prägungen. Hauke selbst hat als Jugendlicher einen guten Teil seines Taschengeldes in Pommes, Pizza und Co. investiert, da seine Eltern nicht bereit waren, dafür Geld herauszurücken. Vielleicht ist es ihm darum so wichtig, dass die Kinder selbst für ihr Eis und ihre Burger aufkommen.

Grundsätzlich fällt mir auf: Unsere Kinder fragen uns nach mehr Taschengeld, weil sie einerseits mehr ausgeben wollen, aber andererseits auch, weil sie erhalten wollen, was sie haben. Vor die Entscheidung gestellt, Eis vom eigenen Geld zu bezahlen oder zu verzichten, wählen sie stets „kein Eis“. Vielleicht haben sie ja doch schon was gelernt!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Immer schauen sie auf mein Portemonnaie!

Hauke Hullen ist genervt, wenn seine Kinder sparen wollen und gleichzeitig alle Ausgaben auf Papa abwälzen.

Hauke: „Können wir noch ein Eis essen?“ Wann immer wir als Familie einen Ausflug unternehmen, kommt irgendwann diese Frage aller Fragen. Jahreszeitlich bedingt mal abgewandelt in der Pommes- oder Crêpes-Version, aber immer verbunden mit großen hoffnungsvollen Kinderaugen, die schmachtend auf Pommes und Papas Portemonnaie schauen.

Nun stehe ich ungesunden Snacks durchaus nicht abgeneigt gegenüber – was mich aber stört, ist die Tatsache, dass ich den ganzen Spaß bezahlen soll. Natürlich ernähre ich meine Familie gerne und üppig, doch selbst wenn wir uns gerade erst von der heimischen Tafel erhoben haben, beginnen bei der nächsten Leuchtreklame die Sirenengesänge von der Rückbank, die mir die Spendierhosen andichten wollen.

„Klar kannst du dir ein Eis kaufen, dafür bekommst du ja Taschengeld“, ist meine Standard-Replik, welche ebenso standardisiert mit Augenrollen und Unverständnis quittiert wird. Als ob meine Kinder ihr Taschengeld für derlei Zeug ausgeben würden, wenn doch die elterliche Geldbörse mit ihren unendlichen Weiten in der Nähe ist!

Hier stoßen wir auf ein interessantes Phänomen: Laut Paragraph 110 des Bürgerlichen Gesetzbuches darf ein Minderjähriger den unsinnigsten Tand kaufen, „wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind“. Also mit dem Taschengeld. Und obwohl Eltern den Kindern eigentlich nicht reinreden sollten in ihre Kaufentscheidungen, haben wir uns doch schon alle den Mund fusselig geredet, um das Kind davor zu bewahren, seine Ersparnisse in überteuerten Nepp zu investieren. Doch diese Zeiten sind bei meinen Töchtern vorbei – inzwischen bin ich derjenige, der sie zum Kauf von unnötigem Fastfood animieren muss! Aus reinem Selbstschutz!

Leider mit wenig Erfolg. Obwohl gerade erst im Teenager-Alter angekommen, sparen sie eisern für Führerschein und Eigenheim. Für die Finanzierung dekadenter Genüsse, auf die sie trotzdem nicht verzichten wollen, sollen aber die Eltern aufkommen. Problematischerweise werden sie dabei unterstützt von der besten Ehefrau von allen: Katharinas Mutterherz kann vermutlich die Vorstellung nicht ertragen, dass unsere Kinder unterzuckert vor sich hinleiden, weil sie ihr Taschengeld nicht ausgeben wollen. Um diese Not von Mutter und Meute zu lindern und um der ständigen Bettelei den Nährboden zu entziehen, gab es nun mehrfache außerplanmäßige Taschengelderhöhungen.

Die Kinder sind bislang sehr zufrieden. Sie können nun noch mehr sparen – und liegen mir weiterhin in den Ohren.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

6 bis 10 – Mein Kind hat Legasthenie

Elternfrage: „Bei meinem Kind (8) wurde Legasthenie diagnostiziert. Wird es ihm trotz dieser Diagnose möglich sein, ein normales Leben zu führen und etwas zu erreichen? Wie kann ich es dabei unterstützen?“

Die Diagnose Legasthenie kann erst einmal beängstigend sein. Aber es ist wichtig zu bedenken, dass Legasthenie in erster Linie eine Lernstörung ist. Das bedeutet, dass das Lernen schwerer fällt, zum Beispiel dauert das Lesen deutlich länger, lautes Lesen ist stockender und es passieren deutlich mehr Fehler beim Schreiben. Das wirkt sich dann aber auch auf die Noten aus.

In Mathe ist es aufgefallen

Eine betroffene Mutter berichtet, dass ihre Tochter mit 12 Jahren durch einen Test die Diagnose erhielt. Ihr war es aufgefallen, weil sie in einer Klassenarbeit in Mathe, die nur aus Textaufgaben bestand, größere Probleme hatte, obwohl das Rechnen ihr nicht schwerfiel. In der Rechtschreibung hatte sie hauptsächlich Probleme mit kleinen Worten, wie „dann“, „wenn“ oder Bindeworten, während sie „Marathon“ richtig schrieb. „Das Hauptproblem war allerdings, dass Nicole (Name geändert) sich dumm fühlte und nicht mehr gern in die Schule ging“, sagt Nicoles Mutter. Wenn sich schon so früh ein solches Gefühl einstellt, ist das für den Rest der Schulzeit natürlich schlecht und kann psychische Probleme zur Folge haben. Daher ist es wichtig, die Situation anzugehen. Denn mit Intelligenz hat Legasthenie nichts zu tun; diese spezielle Störungist in der Regel angeboren.

Als Eltern fragt man sich, wie man sein Kind am besten unterstützen kann. „Üben, Wörter richtig zu schreiben, bringt überhaupt nichts“, berichtet Nicoles Mutter. „Sie hat am nächsten Tag wieder dieselben Fehler gemacht.“ Stattdessen gibt es verschiedene schulische und außerschulische Förderprogramme, die gezielt und professionell mit den Kindern arbeiten. „Das hat vor allem den Vorteil, dass Eltern sich ganz auf die persönliche Unterstützung konzentrieren können und zu Hause weniger Konflikte beim Üben entstehen“, berichtet Nicoles Mutter.

Förderprogramme von Schule und Jugendamt

Es gibt eine Reihe von schulischen und außerschulischen Fördermaßnahmen. Insbesondere Programme jenseits der Schule müssen zwar organisiert werden, aber es lohnt sich. Und sie werden, je nach Land, teilweise auch vom Jugendamt finanziert, sodass auf die Eltern zwar der organisatorische, aber nicht der finanzielle Aufwand zukommt. Zudem gibt es in der Schule, bei Vorlage entsprechender Tests, einen Nachteilsausgleich. Dadurch erhalten die Kinder bei Tests und Klassenarbeiten mehr Zeit und die Rechtschreibung wird weniger streng bewertet. „Auch da muss man als Eltern manchmal sehr hinterher sein, denn Lehrerinnen und Lehrer oder die Schulleitung haben das nicht immer auf dem Schirm“, sagt Nicoles Mutter. Aber letztlich gibt es die Möglichkeit bis zum Abitur und darüber hinaus. Viele Ausbildungen, Hochschulen und Universitäten gewähren mittlerweile ebenfalls einen Nachteilsausgleich.

Alle Wege stehen offen

„Nicole ist mittlerweile 19. Sie hat das Abitur geschafft und studiert an einer Fachhochschule. Ihren Alltag kann sie ohne Probleme bewältigen“, berichtet die glückliche Mutter. „Das Wichtigste war, ihr zu vermitteln, dass wir sie unterstützen und an sie glauben, und sie zu motivieren. Wir haben das Problem erkannt, es angenommen und das Beste daraus gemacht.“ Wegbegleiter haben Nicole und ihrer Mutter ebenfalls Mut gemacht, sich nicht unterkriegen zu lassen. Prinzipiell stehen einem Kind mit Legasthenie alle Wege offen. Sicher sind manche Wege etwas schwieriger, aber ein normales Leben ist ohne Einschränkungen möglich.

Marcus Beier ist Redakteur bei Family und Family NEXT.

Ziemlich beste (Schwieger-)Eltern: So klappt es mit einer guten Beziehung zu erwachsenen Kindern

Auch erwachsene Kinder brauchen Liebe und Rückhalt. Zugleich bauen sie an einem eigenen Leben und entwickeln sich weiter. Wie verhalten sich Eltern da am besten? Sieben Thesen für eine gelingende Beziehung.

Von Jörg Berger

Die Sichtweisen, die ich Ihnen hier vorstelle, entwickeln sich normalerweise in einer persönlichen Begleitung. In wenigen Zeilen könnten sie wie ein Anforderungskatalog wirken, dem man kaum gerecht werden kann. Doch spüren Sie dabei in Ihr Elternherz. Ist es nicht genau das, was Sie Ihren Kindern sein und geben wollen? Wir blicken als fortgeschrittene Eltern auf eine ermutigende Erfahrung zurück: Vieles gelingt, obwohl wir nicht perfekt sind. Die Liebe zählt.

1. Erwachsene Kinder brauchen Eltern, die sich ihrer emotionalen Macht bewusst sind
Es fühlt sich oft gar nicht so an. Stattdessen fühlen wir Eltern uns verwundbar – spätestens, wenn jugendliche Kinder wütend auf uns werden, dicht machen oder hart über uns urteilen. Und eines Tages verlassen sie uns. Wir Eltern müssen loslassen. Viele – wie meine Frau und ich gerade – bleiben auch traurig zurück und überlegen, was nun unser Leben füllt. Doch in emotionaler Hinsicht üben wir unbewusst mehr Macht aus, als wir denken. Wenn Kinder heftig reagieren, tun sie das, weil sie unserer Elternmacht etwas entgegensetzen. Wir haben uns tief in ihre Seele eingeprägt, mit Wertvollem und auch mit Belastendem. Das Gefühlsleben, das Gewissen und die spontanen Gedanken unserer Kinder werden immer von uns beeinflusst bleiben, auch wenn zum Glück neue Prägungen hinzukommen.

Deshalb lösen sich auch erwachsene Kinder weiter von uns Eltern ab. Um entfalten zu können, was in ihnen steckt, müssen unsere Kinder noch das eine oder andere von uns abstoßen. Was folgt daraus? Zunächst ein weites Herz für Überreaktionen. Unsere erwachsenen Kinder dürfen und sollen auch einmal wütend werden. Sie dürfen und sollen sich auch einmal verschließen oder überkritisch sein. Denn in jeder Reaktion auf Heutiges kann eine Reaktion auf frühere Erfahrungen enthalten sein. Eltern, die solche Reaktionen nicht auf die Goldwaage legen, erleichtern ihren Kindern, sich als gleichberechtigtes Gegenüber zu fühlen. Dann klingen mit den Jahren auch die Überreaktionen ab.

2. Erwachsene Kinder schätzen Eltern, die gut mit Schuld umgehen können
Eltern werden an ihren Kindern schuldig. Je reifer Eltern mit dieser Tatsache umgehen, desto leichter machen sie es ihren Kindern. Nicht hilfreich sind übertriebene Schuldgefühle, denn dann käme ja die Botschaft an: „Ich habe bei dir versagt. Du bist ganz verkorkst.“ Unsere Kinder sind wunderbar; wir können also nicht alles falsch gemacht haben. Wenig hilfreich wäre es auch, bei unseren Kindern eine Absolution zu suchen: „Kannst du mir vergeben, was ich falsch gemacht habe?“ Kinder können Eltern nicht von Schuldgefühlen entlasten. Eine grundsätzliche Vergebung könnte es außerdem erschweren, irgendwann einmal konkret anzusprechen, was in der Vergangenheit nicht gut gelaufen ist. Denn dürfen Kinder das noch, wenn sie doch schon „alles“ vergeben haben?

Wenn Eltern die Frage nach eigener Schuld beschäftigt, rate ich ihnen: „Seien Sie einfach offen, aufmerksam und einladend, wenn Sie merken, dass Ihr Kind etwas aus der Vergangenheit beschäftigt. Wenn etwas zur Sprache kommt, können Sie Fehler eingestehen und um Vergebung bitten. Aber vielleicht ist das, wofür Sie sich gerade schuldig fühlen, gar kein Problem für Ihr Kind.“ Solange es nicht zum Thema wird, ist eine Schuld woanders besser aufgehoben: in einer Beichte, einem Seelsorgegespräch oder im vertrauten Gespräch einer Freundschaft.

3. Erwachsene Kinder staunen über korrekturbereite Eltern
Ob wir entspannt mit Fehlern der Vergangenheit umgehen können, zeigt sich auch darin, wie wir heute reagieren, wenn uns Kinder mit ihrer Reaktion zeigen, dass wir gerade unachtsam, ungerecht, zu kritisch, zu wenig feinfühlig und anderes waren. Natürlich sind auch unsere Kinder keine Heiligen. Trotzdem werbe ich im Umgang mit ihnen um eine Korrekturbereitschaft – zur Not auch einseitig: „Du hast Recht, gerade war ich wirklich … Das tut mir leid. Du musst dich … gefühlt haben.“

Ich habe schon viele Beispiele erlebt und erzählt bekommen, in denen sich dadurch eine Situation entspannt und die erwachsenen Kinder dann eingestehen: „Danke. Ich habe ja auch …“ Manchmal brauchen Eltern dazu etwas Geduld. In bestimmten Ablösungsphasen ist es Kindern einfach wichtig, nicht immer diejenigen zu sein, mit denen etwas nicht stimmt, die nicht genügen oder etwas falsch machen.

4. Erwachsene Kinder freuen sich über Diskretion
Unsere Kinder sind unser großes Projekt. Wir würden lügen, wenn wir behaupten, in unserem Stolz auf unsere Kinder läge nicht auch ein klein wenig Stolz auf uns selbst. Gleichzeitig ist das Wohl unserer Kinder unser verwundbarster Punkt. Was ihnen droht, versetzt uns in Sorge. Was sie schmerzt, geht uns an die Nieren. All das macht unsere Kinder zu einem naheliegenden Gesprächsstoff. Doch wer soll von dem erfahren, was sich im Leben unserer Kinder abspielt? Wer darf von ihnen wissen, was sie selbst nur wenigen Menschen anvertrauen? Das sollte sich an dem orientieren, womit sich unsere Kinder wohl fühlen. Wer sich für Diskretion entscheidet, wird sich manchmal auf die Zunge beißen. Doch es lohnt sich. Kinder spüren das Maß unserer Vertraulichkeit und das bestimmt das Maß ihres Vertrauens.

Bei sensiblen Themen würde ich sogar sagen: Nicht alles, was ein Vaterohr hört, ist auch für das Mutterohr bestimmt und umgekehrt. Es gibt Männerthemen und Frauenthemen. Und es gibt Themen, die man lieber mit demjenigen bespricht, der etwas Abstand zu den Dingen hat. Bei anderen Themen wäre alles andere als eine gefühlvolle Reaktion verletzend. Die wird man eher bei dem emotionaleren Elternteil suchen. Manchmal ersehnen Kinder einen klaren Maßstab, der sie auf Kurs hält. Manchmal brauchen sie ein Gegenüber, das Fünfe gerade sein lässt. Hier öffnen sich Kinder je nach Thema mal dem einen, mal dem anderen Elternteil.

Erwachsene Kinder würden sich komisch fühlen, wenn sie bitten: „Sag es lieber nicht der Mama/dem Papa.“ Doch genau das kann einmal dran sein. Das andere Elternteil kann dann vielleicht stichwortartig einbezogen werden: „Wir haben darüber gesprochen, wie es Pia gerade in der Ausbildung geht.“

Ein, zwei verschwiegene Orte würde ich dennoch allen Eltern empfehlen. Es gibt Dinge, an denen man alleine zu schwer tragen würde und die man aussprechen muss. Dazu eignen sich Personen, die den erwachsenen Kindern nicht allzu nahestehen und die für sich behalten, was man ihnen anvertraut.

5. Erwachsene Kinder brauchen glückliche Eltern
Haben wir für unsere Kinder Opfer gebracht? Hoffentlich nicht. Denn die Anstrengung, der Schlafmangel, das Pausieren persönlicher Freiheiten und ein materieller Verzicht sind mehr als aufgewogen im Glück, das wir an und mit unseren Kindern erlebt haben. Dennoch ist es möglich, dass, je nach Lebens- und Familiengeschichte, das Elternsein vielleicht ein Kampf war, der Wunden und Narben zurückgelassen hat. Dann ist es umso wichtiger, dass sich Eltern mit ihrer Geschichte versöhnen. Sie dürfen stolz auf die Wunden und Narben sein. Denn sie haben sie sich im Einsatz für etwas Wertvolles zugezogen. Eltern sollten nicht ruhen, bis sie damit glücklich sind. Vielleicht braucht es dazu Orte der Regeneration, eine Begleitung oder eine Zeit, in der eine heilsame Selbstfürsorge im Vordergrund steht.

Kaum dass wir unsere Elternaufgabe gemeistert haben, kommt außerdem die Lebensphase, die unser Glück hart angreifen kann: Zeichen des Alters, Krankheit, zerbrechende Beziehungen, Verluste, Lebensträume, die Sie nicht mehr verwirklichen werden. Doch das soll unsere erwachsenen Kinder nicht belasten. Sie sollen doch fröhlich und unbelastet in das eigene Leben starten. Darf ich so weit gehen und vertreten, dass es unsere fortgeschrittene Elternpflicht ist, glücklich zu sein?

Glück ist nicht auf gute Lebensumstände angewiesen. Das zu entdecken, fordert die eigene Entwicklung und vielleicht den eigenen Glauben heraus. Glück in der Lebensmitte verstehen nur noch wenige als ein Leben ohne Belastungen. Es heißt vielmehr: Belastungen durch Wertvolles aufwiegen, bis das Glück obenauf ist.

6. Natürlich brauchen Kinder, was Sie ohnehin tun
Es geht so viel Rückhalt davon aus, wenn Eltern helfen, sich interessieren, schenken, kochen, zu etwas einladen… Man kann es nicht hoch genug schätzen. Eben weil wir Eltern immer eine emotionale Macht behalten, geht zu Herzen, was von uns kommt. Das Wissen, auf uns zählen zu können, gibt unseren Kindern Stärke, wenn Situationen besonderen Mut erfordern.

Gleichzeitig schützt der Rückhalt im Elternhaus vor falscher Stärke, die man im Geldanhäufen, im Erfolg oder in einer Ich-brauche-niemanden-Mentalität finden könnte. Leben gelingt nur, wenn die Fähigkeit, sich verwundbar zu machen, mit Mut zusammenfindet. Das geht nur mit Rückhalt. Den kann man auch bei anderen finden. Aber es ist schön, wenn man ihn bei den Eltern hat.

7. Erwachsene Kinder schätzen ein zweites Zuhause
Schwiegerkinder finden bei ihren „neuen Eltern“ oft ein zweites Zuhause. Sie erleben eine Zugehörigkeit und eine Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft sind. Sie können etwas genießen, was die eigenen Eltern eventuell nicht so gut geben konnten, und ein Nachholbedürfnis stillen. Wo die eigenen Eltern vielleicht ernst und verantwortlich waren, genießt man in der Schwiegerfamilie Humor und Entspannung. Wo Eltern ihre Liebe nicht so offen zeigen konnten, füllt die Herzlichkeit der Schwiegerfamilie den emotionalen Tank. Es kann für Schwiegereltern sehr motivierend sein, wenn sie spüren, wie wichtig sie für Schwiegertöchter und -söhne sind. Das hilft auch, sich für das Ungewohnte zu öffnen, das mit Schwiegerkindern in die Familie kommt. Früher oder später wird man auch mal einen Konflikt mit Schwiegerkindern austragen müssen. Doch der kann von der Liebe bestimmt sein, die man für die eigenen Kinder hat, und vom Taktgefühl, das man gegenüber Gästen zeigt.

Unser emotionales Gehirn kennt übrigens kein „Schwieger-“. Dafür hat es keine Kategorie. Wo unser Verstand „Schwiegereltern“ denkt, fühlt unser Herz: „Eltern.“ Schwiegereltern können die ersten Thesen deshalb auch auf ihre Schwiegerkinder anwenden. In gewisser Hinsicht ist das sogar leichter. Denn eine Toleranz für Überreaktionen und eine Bereitschaft zur Selbstkorrektur gleichen dann aus, was andere Eltern versäumt haben.

Jörg Berger arbeitet als Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg (epaartherapie.de). Mehr zum Thema finden Sie in seinem Buch „Stachelige Eltern und Schwiegereltern. Wie Sie Frieden schließen und versöhnt leben“ (Francke).

Erwachsene Kinder: Wie viel Neugier ist okay?

Sobald die Kinder aus dem Haus sind und ihr eigenes Leben führen, muss sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern neu ordnen. Wieviel Nähe und Nachfragen ist nötig oder gewünscht?

Die Eltern-Kind-Beziehung in dieser Lebensphase wandelt sich stark – und sollte dies auch, damit sie langfristig für beide Seiten als befriedigend erlebt werden kann.

Beziehung auf Augenhöhe

Der größte Unterschied liegt darin, dass kleine Kinder abhängig sind und ich sie erziehen, also in eine Richtung lenken will. Jetzt aber besteht kein Abhängigkeitsverhältnis mehr. So bin ich gefordert, in eine neue Rolle hineinzuwachsen. Bin aufgefordert, die Beziehung neu zu klären. Was macht mein Elternsein bei erwachsenen Kindern eigentlich aus? Eine besondere Form von Freundschaft über die Generationsgrenze hinweg? Was hilft beim Hineinwachsen in eine gleichberechtigtere Beziehung zwischen Erwachsenen, die auf Augenhöhe sind?

  • Ganz grundsätzlich ist, dass ich darauf vertraue und mir sicher bin, dass mein erwachsenes Kind sein Leben gut bewältigen wird. Wenn es diese Sicherheit von mir spürt, wird das schon die Beziehung entspannen.
  • Ich kann mir vornehmen, ab einem gewissen Alter Lebensentscheidungen (Beruf, Partnerschaft) des Kindes nicht mehr in Frage zu stellen. Und nachzufragen, ob es meine Meinung hören möchte.
  • Ich übe ein, mich auf eine lebendige Beziehung einzulassen. Lebendig bedeutet, dass das Nähe-Distanz-Verhältnis in Bewegung ist, wellenförmig verläuft. Deshalb bleibe ich wachsam und sensibel für mein Gegenüber mit seinen gegenwärtigen Bedürfnissen und seiner Offenheit für Nähe im persönlichen Austausch. Dieser persönliche Austausch sollte auf Gegenseitigkeit beruhen. Das heißt, die Fragen, die ich stelle, bin ich auch bereit, selbst zu beantworten.
  • Ich übe eine gleichberechtigte Beziehung ein, in der sich beide aktiv einbringen und die von beiden Seiten aus gepflegt wird. Eine Beziehung, in der Nachfragen Zeichen von gegenseitigem Interesse aneinander ist, nicht von Kontrolle.

Diese Wandlung hin zu einer Beziehung auf Augenhöhe ist ein Weg, ein Prozess. Es ist ein bewusstes Einüben, für das ich mich in jeder Begegnung neu aktiv entscheiden muss.

Zwei Problemfälle

Es gibt Eltern, die einen intensiven Kontakt einfordern, ungefragt Ratschläge erteilen und erwarten, dass diese befolgt werden. Solch ein Verhalten entspricht der alten, fürsorglichen und verantwortlichen Elternrolle, wird jetzt aber als bevormundend erlebt. Hier befindet sich die Beziehung in Schräglage, weil sie nicht mit der Unabhängigkeit des Kindes mitgewachsen ist.

Kinder, die große Probleme bewältigen müssen, zum Beispiel gesundheitlich oder psychisch, und deshalb nicht immer als Erwachsene agieren können, sind weiterhin auf unterstützende Eltern angewiesen. Um dem Kind aus seinen Schwierigkeiten wieder herauszuhelfen, bewegt man sich in einem Eiertanz zwischen Augenhöhe und Verantwortungsübernahme.

Und egal, an welchem Punkt man steht, man darf sich jederzeit zugestehen, dass man als Elternteil Unterstützung braucht. Man kann sich diese über den Austausch mit Freunden oder durch professionelle Hilfe holen. Wichtig ist, man holt sie sich.

Michaela Schnabel arbeitet als Sozialpädagogin und ist Mutter von drei erwachsenen Töchtern.

Kann mein Kind trotz Legasthenie normal leben?

Wenn einem Kind das Schreiben  besonders schwerfällt, kann sich dahinter Legasthenie verbergen. Viele Eltern fragen sich bei dieser Diagnose: Kann mein Kind damit ein normales Leben führen? Wie können wir es unterstützen?

Die Diagnose Legasthenie kann erst einmal beängstigend sein. Aber es ist wichtig zu bedenken, dass Legasthenie in erster Linie eine Lernstörung ist. Das bedeutet, dass das Lernen schwerer fällt, zum Beispiel dauert das Lesen deutlich länger, lautes Lesen ist stockender und es passieren deutlich mehr Fehler beim Schreiben. Das wirkt sich dann aber auch auf die Noten aus.

In Mathe ist es aufgefallen

Eine betroffene Mutter berichtet, dass ihre Tochter mit 12 Jahren durch einen Test die Diagnose erhielt. Ihr war es aufgefallen, weil sie in einer Klassenarbeit in Mathe, die nur aus Textaufgaben bestand, größere Probleme hatte, obwohl das Rechnen ihr nicht schwerfiel. In der Rechtschreibung hatte sie hauptsächlich Probleme mit kleinen Worten, wie „dann“, „wenn“ oder Bindeworten, während sie „Marathon“ richtig schrieb. „Das Hauptproblem war allerdings, dass Nicole (Name geändert) sich dumm fühlte und nicht mehr gern in die Schule ging“, sagt Nicoles Mutter. Wenn sich schon so früh ein solches Gefühl einstellt, ist das für den Rest der Schulzeit natürlich schlecht und kann psychische Probleme zur Folge haben. Daher ist es wichtig, die Situation anzugehen. Denn mit Intelligenz hat Legasthenie nichts zu tun; diese spezielle Störungist in der Regel angeboren.

Als Eltern fragt man sich, wie man sein Kind am besten unterstützen kann. „Üben, Wörter richtig zu schreiben, bringt überhaupt nichts“, berichtet Nicoles Mutter. „Sie hat am nächsten Tag wieder dieselben Fehler gemacht.“ Stattdessen gibt es verschiedene schulische und außerschulische Förderprogramme, die gezielt und professionell mit den Kindern arbeiten. „Das hat vor allem den Vorteil, dass Eltern sich ganz auf die persönliche Unterstützung konzentrieren können und zu Hause weniger Konflikte beim Üben entstehen“, berichtet Nicoles Mutter.

Förderprogramme von Schule und Jugendamt

Es gibt eine Reihe von schulischen und außerschulischen Fördermaßnahmen. Insbesondere Programme jenseits der Schule müssen zwar organisiert werden, aber es lohnt sich. Und sie werden, je nach Land, teilweise auch vom Jugendamt finanziert, sodass auf die Eltern zwar der organisatorische, aber nicht der finanzielle Aufwand zukommt. Zudem gibt es in der Schule, bei Vorlage entsprechender Tests, einen Nachteilsausgleich. Dadurch erhalten die Kinder bei Tests und Klassenarbeiten mehr Zeit und die Rechtschreibung wird weniger streng bewertet. „Auch da muss man als Eltern manchmal sehr hinterher sein, denn Lehrerinnen und Lehrer oder die Schulleitung haben das nicht immer auf dem Schirm“, sagt Nicoles Mutter. Aber letztlich gibt es die Möglichkeit bis zum Abitur und darüber hinaus. Viele Ausbildungen, Hochschulen und Universitäten gewähren mittlerweile ebenfalls einen Nachteilsausgleich.

Alle Wege stehen offen

„Nicole ist mittlerweile 19. Sie hat das Abitur geschafft und studiert an einer Fachhochschule. Ihren Alltag kann sie ohne Probleme bewältigen“, berichtet die glückliche Mutter. „Das Wichtigste war, ihr zu vermitteln, dass wir sie unterstützen und an sie glauben, und sie zu motivieren. Wir haben das Problem erkannt, es angenommen und das Beste daraus gemacht.“ Wegbegleiter haben Nicole und ihrer Mutter ebenfalls Mut gemacht, sich nicht unterkriegen zu lassen. Prinzipiell stehen einem Kind mit Legasthenie alle Wege offen. Sicher sind manche Wege etwas schwieriger, aber ein normales Leben ist ohne Einschränkungen möglich.

Marcus Beier ist Redakteur bei Family und Family NEXT.

Wenn Teens sich zurückziehen: So können Eltern reagieren

Wenn aus Kindern Teens werden, ziehen sie sich von ihren Eltern zurück, suchen aber doch auch immer wieder ihre Nähe. Familienberaterin Daniela Albert verrät, wie Eltern das Dilemma lösen können.

„Was liest du, guckst du oder zockst du gerade?“ Das sind neuerdings Fragen, die mein Mann oder ich am Abend gestellt bekommen, wenn wir unseren eigenen Beschäftigungen nachgehen. Normalerweise ist es dann schon nach 21 Uhr. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass um diese Zeit bei uns nicht mehr die selige Ruhe aus Grundschultagen herrscht.

Zwei unserer Kinder sind endgültig aus der Phase herausgewachsen, in der sie sich um 20 Uhr ins Bett gelegt und geschlafen haben. Stattdessen hantieren sie viel später noch herum, suchen Hefte oder bringen ihre Brotdosen in die Küche. Und nicht selten kommen sie noch einmal zu uns und fragen, was wir tun.

Unaufdringliche Präsenz

Unausgesprochen wollen sie jedoch etwas anderes wissen: Darf ich dazukommen? Ist bei dem, was du gerade machst, Raum für mich? Darf ich mit dir zusammen ein bisschen auf den Bildschirm schauen, eine Tasse von deinem Tee schnorren und dir vielleicht erzählen, was ich den ganzen Tag für mich behalten habe? Von der Mathearbeit, die ich mit Sicherheit vergeigt habe, den Freundinnen, die sich in letzter Zeit so komisch verhalten, der Gruppe, aus der ich mich ausgeschlossen fühle? Darf ich dir erzählen, welches YouTube-Video mich gerade beschäftigt und welchen Gaming-PC ich cool finde? Können wir zusammen schweigen, damit ich es nicht allein in meinem Zimmer tun muss?

Ich gebe zu: Manchmal denke ich mir in solchen Momenten, dass ich meine Abende lieber allein verbringen würde. Gleichzeitig weiß ich, dass sie so wichtig und wertvoll sind.

Wenn unsere Kinder größer werden, gehen sie mehr und mehr in eine Welt, in die wir nur auf Einladung Zutritt haben. Wir wissen nicht mehr selbstverständlich, was sie beschäftigt, mit wem sie rumhängen oder welche Wünsche und Träume ihnen gerade durch den Kopf geistern. Oft wollen die Heranwachsenden das auch gar nicht. Dass sich gerade junge Teenager und Pre-Teens zurückziehen, ist normal. Doch das bedeutet nicht, dass sie uns nicht brauchen. Das tun sie. Unsere Ohren und unsere Herzen. Unsere unaufdringliche, kaum sichtbare Präsenz in ihrem Leben.

Kontrolle oder Laissez-faire?

Was diese Präsenz angeht, kann man auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Man kann sich mit dem Loslassen unfassbar schwertun und das Gefühl haben, dass man die Zügel viel stärker in der Hand behalten will. Müsste ich nicht noch Hausaufgaben kontrollieren und die Eltern der neuen Freunde mal anrufen? Sollte ich nicht darauf beharren, dass das Hobby, das keinen Spaß mehr macht, weitergeführt wird? Kann mein Kind seine Verpflichtungen als angehender Konfirmand wirklich allein organisieren? Sollte ich seine Chats lesen? Und wie viel Mitspracherecht habe ich eigentlich noch bei Klamottenauswahl und Körperpflege?

Ich kann aber auch zu wenig präsent sein. Der völlig freie Zugang zu Medien kann sich, gerade bei jüngeren Teenagern, als richtig schlechte Idee erweisen. Wie viel Laissez-faire ich an den Tag lege, wenn Jugendliche um die Häuser ziehen, hängt wohl auch sehr vom individuellen Reifegrad und dem Wohnort ab – aber auch hier kann ein allzu sorgloser Umgang mit einem bösen Erwachen enden. Und dass unser Kind Probleme in der Schule hat, sollten wir auch nicht erst beim Unterschreiben des Zeugnisses merken.

Egal, wie wir es halten, wir werden wohl bei der Begleitung von Teenagern auch mal stürzen. Ich denke, das gehört dazu, wenn wir mit ihnen einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Genau wie wir im Rückblick das eine oder andere aus der Babyzeit anders machen würden, werden sich auch Entscheidungen, die wir mit älteren Kindern treffen, als falsch erweisen. Das ist okay und gehört dazu. Großwerden ist heute unfassbar komplex. Keine Elterngeneration vor uns musste sich mit so vielfältigen Herausforderungen, gerade in der medialen Welt, auseinandersetzen, wie wir ihnen gegenüberstehen.

Zuhören und ernst nehmen

Genau deswegen habe ich für mich festgestellt, dass es vor allen Dingen einen Bereich gibt, bei dem ich nicht loslassen möchte: unseren Dialog. Ja, manchmal würde ich meine Abende gern anders verbringen. Und gleichzeitig ist es ein riesiges Geschenk, dass unsere Kinder zu uns kommen. Dass sie mit uns reden. Dass sie Familienregeln ausdiskutieren wollen und nicht einfach hinter unserem Rücken brechen.

Das läuft nicht immer harmonisch ab. Im Gegenteil, es kostet meinen Mann und mich gelegentlich Zeit, Schlaf und Nerven und geht manchmal nicht ohne Geschrei und Tränen vonstatten. Und doch ist es wichtig, dass wir einander anhören, ernst nehmen, uns entgegenkommen und Kompromisse finden.

Gerade bei strittigen Themen müssen wir Eltern uns bewusst machen, worum es eigentlich geht. Denn was für uns nach einem sinnvollen Verbot klingt, kann für den Teenager eine Vollkatastrophe sein. Nicht nur verderben wir damit vielleicht jede Menge Spaß – wir katapultieren das Kind mitunter auch aus einer sozialen Gruppe heraus. Dabei ist Zugehörigkeit ein menschliches Grundbedürfnis, und gerade Jugendliche finden sie nun einmal vor allem unter ihren Peers.

Im Dialog bleiben

Das bedeutet nicht, dass wir alles toll finden und erlauben müssen. Aber wir schulden unseren Kindern, dass wir uns kritisch mit der Frage auseinandersetzen, warum wir etwas nicht wollen: Hat das triftige Gründe oder spielen hier übertriebene Ängste mit hinein? Trauen wir unserem Kind zu wenig zu oder treffen wir eine gute Entscheidung zu seinem Schutz? Wo kann ich großzügig sein und auch mal einen Glaubenssatz über Bord werfen, um meinem Kind Raum für seine Bedürfnisse zu geben? Und wo bleibt mir nichts anderes übrig, als seine Freiheit zu beschneiden zu dem Preis, dass es sich unter seinen Freunden ausgeschlossen fühlt?

Für viele dieser Fragen suche ich meine Antworten noch, und für einige kann das, was sich heute richtig anfühlt, morgen schon nicht mehr passen. Im Dialog zu bleiben, scheint mir der einzig hilfreiche Weg durch diesen Dschungel. Neben dem Vertrauen auf den großen Reiseführer im Himmel, der sowieso seine ganz eigenen Geschichten mit unseren Kindern schreibt.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.