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Bedürfnisse von Eltern und Kindern ausbalancieren

Bei der „Bedürfnisorientierten Erziehung“ stehen die Kinder im Fokus. Doch auch die Bedürfnisse der Eltern zählen. Therapeutin Melanie Schüer gibt Tipps, wie Eltern und Kinder zufrieden bleiben.

Babys nah am Körper tragen, nach Bedarf stillen, Matratzenlager als Familienbetten … all das ist zurzeit bei jungen Eltern längst keine Ausnahme mehr, sondern gehört immer häufiger zur Normalität im Alltag mit Säuglingen und Kleinkindern. Seit einigen Jahren orientieren sich immer mehr Eltern am Ansatz der sogenannten „Bedürfnisorientieren Erziehung“. Diese Denkweise schenkt der Eltern-Kind-Beziehung besonders viel Beachtung. Körpernähe, Tragen, Einschlafbegleitung beziehungsweise gemeinsames Schlafen sind dabei wichtige Elemente. Die Bedürfnisorientierte Erziehung geht davon aus, dass Babys und Kleinkinder immer einen legitimen Grund für ihr Verhalten haben, denen bestimmte Bedürfnisse zugrunde liegt, und nie weinen oder quengeln, um ihre Eltern zu „ärgern“ oder „Grenzen auszutesten“.

Die Angst vor dem Verwöhnen

Tatsächlich ist ein Verständnis im Sinne von „Passt auf, der will nur schauen, wie weit er gehen kann!“ oder „Wenn ihr auf jedes Weinen reagiert, tanzt sie euch bald auf der Nase herum!“ und damit eine Angst vor dem „Verwöhnen“ noch weit verbreitet. Jedoch geht das an der Realität vorbei.

Wichtig dabei ist aber, zu verstehen: Eltern, die kindliche Bedürfnisse erkennen und erfüllen, verwöhnen nicht. Sie nehmen ihre Kinder ernst und geben ihnen eine wichtige Erfahrung mit auf den Weg: Nämlich, dass sie ernst genommen und liebevoll umsorgt werden. Das ist eine wichtige Basis für die Entstehung von Urvertrauen und Beziehungsfähigkeit.

Natürlich kann man Kinder „verwöhnen“ oder „verweichlichen“, doch das bedeutet etwas ganz andres:

  • wenn Kindern ständig Aufgaben abgenommen werden, die sie schon selbst ausführen könnten
  • wenn Kindern der Eindruck vermittelt wird, dass nur ihre Bedürfnisse zählen und sich die ganze Welt um sie dreht
  • wenn Kindern nie Frust oder die Erfahrung der Folgen ihres Handelns zugemutet werden

Die 7 Kernpunkte der bedürfnisorientierten Erziehung

Konkret betont die bedürfnisorientierte Erziehung sieben wesentliche Elemente:

  • Birth Bonding: Direkt nach der Geburt sollte Augen- und Körperkontakt zwischen Mutter und Kind ermöglicht werden.
  • Stillen statt Flaschennahrung (Stillen nach Bedarf, ca. ein bis vier Jahre lang, um die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken)
  • Häufiges Tragen des Babys nah am Körper
  • Schlafen in der Nähe des Babys (z.B. Familienbett, Beistellbett)
  • Rasches Reagieren auf das Weinen des Babys
  • Verzicht auf Schlaftrainings, die „(allein) weinen lassen“ beinhalten
  • Balance zwischen den elterlichen und den kindlichen Bedürfnissen

Wünsche oder Bedürfnisse?

Die Balance zwischen kindlichen und elterlichen Bedürfnissen ist Teil der sieben Kernelemente der bedürfnisorientierten Erziehung. Und doch kann der starke Fokus auf die Bedürfnisse des Kindes dazu führen, dass Eltern sich selbst aus den Augen verlieren. Insbesondere dann, wenn Ansprüche wie natürliche Ernährung, windelfreie Erziehung, Familienbett usw. hinzukommen. Eine weitere Schwierigkeit: Die Begründer der Bedürfnisorientierten Erziehung, das Ehepaar Sears, erwähnen zwar den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen, führen dies aber nicht weiter aus. So ist nicht klar, was das Problem ist: Steht hinter dem fünften Aufstehen nach einem liebevollem Einschlafritual mit Kuscheln und Vorlesen ein Bedürfnis nach Nähe, das wir auf keinen Fall verweigern dürfen? Muss ich das Bedürfnis meines Kleinkindes nach Selbstbestimmung erfüllen, wenn es sich weigert, seine Zähne zu putzen? Was zählt mehr, wenn die Mutter abstillen will, das Kind aber nicht?

All das sind nicht nur knifflige Fragen, sondern ganz schnell auch Auslöser für Streitigkeiten zwischen Elternteilen. Und das ist oft eng verbunden mit der großen Angst, etwas falsch zu machen und damit die Eltern-Kind-Bindung zu gefährden oder dem Kind anderweitig zu schaden. Wichtig ist dabei, dass das Bedürfnis, das sich hinter dem Verhalten verbirgt, oft einem größeren Thema entspricht, z.B. „Selbstbestimmung“ oder „Nähe“. Wenn das klar ist, können Eltern schauen: Wie können wir diesem Bedürfnis auf andere Weise gerecht werden, auch wenn wir in dieser Sache etwas durchsetzen müssen – wie: „Die Zähne müssen geputzt werden, damit dein Mund gesund bleibt. Aber du darfst selbst bestimmen, ob vor oder nach dem Lesen. Und wenn du willst, darfst du auch meine Zähne putzen.“

Risiko Eltern-Burn-out

Eigene Bedürfnisse zurückzustellen, auch deutlich mehr als in anderen Lebensbereichen, gehört zum Elternsein dazu. Wenn das Baby nachts Koliken hat, tagsüber wegen Trennungsängsten ständige Nähe sucht oder das Kind zehnmal am Tag erbricht – all das sind Erfahrungen, die Eltern nur bewältigen können, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen.

Aber: Dass die eigenen Bedürfnisse kaum noch zählen, sollte nie zum Dauerzustand werden. Nach einigen Tagen, spätestens Wochen, in denen nur zählt, was das Kind braucht, spüren Eltern immer mehr Anzeichen für einen leeren emotionalen Akku. Gereiztheit, depressive Verstimmungen, Schlafprobleme, körperliche Schmerzen … Vieles kann uns zeigen: Achtung! Me-Time ist kein Luxus, sondern dringend nötig!

Me-Time ist kein Luxus

Dieser Satz kann Eltern kaum oft genug gesagt werden. Wir denken doch oft still und heimlich: „Solange die Kinder glücklich sind, geht’s mir auch gut. Das passt schon. Irgendwann sind sie ja groß.“ Das Problem ist nur: Kinder spüren deutlich, wie es ihren Eltern geht. Und wenn es den Eltern schlecht geht, dann leiden früher oder später auch die Kinder darunter.

„Euer Alltag ist ihre Kindheit“, sagte die Autorin Nicola Schmidt und das bedeutet eben auch: Die elterliche Erschöpfung, Überforderung, permanente Stressbelastung – all das ist Teil dessen, was die Kinder später als „meine Kindheit“ in Erinnerung behalten werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass Kinder keine Probleme mitbekommen sollten. Im Gegenteil, sie dürfen wissen, dass nicht immer alles einfach ist und auch Eltern mal zu kämpfen haben. Gerade so lernen sie auch den Umgang mit Stress und Schwierigkeiten. Aber eben das nur, wenn Eltern genau das angehen: Einen guten Umgang mit den Herausforderungen des Alltags zu verfolgen. Und das geht nur, indem sie auch eigene Bedürfnisse absolut ernst nehmen und ihnen Priorität einräumen.

Die „Spätestens-Regel“

Dazu ist es sinnvoll, erst einmal zu sammeln, bei welchen Aktivitäten ich als Elternteil auftanken kann – beispielsweise Schwimmen, in die Sauna gehen, wandern. Dann wird überlegt:

  • Wie oft würde ich das gern machen?
  • Wie oft könnte ich es im aktuellen Alltag womöglich schaffen, Zeit zu finden, wenn ich es wirklich versuche, einzubauen?
  • Wann mache ich das aber spätestens wieder, wenn ich es vorher wegen Krankheiten, Problemen der Kinder o.ä. aufgeschoben habe? (z.B. nach drei Wochen)
  • Was lasse ich dafür auch mal liegen?

Mini-Oasen

Zeitaufwändige Me-Time-Aktivitäten funktionieren im Alltag oft höchstens alle 1-2 Wochen. Umso wichtiger ist es, auch kürzere Möglichkeiten zur Erholung zu finden, z.B.

  • das Hören von Entspannungsmeditationen, Musik oder von einem Hörbuch
  • ein Telefonat mit einer vertrauten Person
  • ein leckeres Essen nur für mich selbst oder als Paar, wenn die Kinder schlafen
  • ein kleiner Spaziergang oder eine halbe Stunde Sport

Bedürfnisse der Eltern: Paar-Zeit

Die Paarbeziehung zu pflegen ist ein ganz wichtiger Teil der elterlichen Bedürfnisse. Auch das hat für die Kinder wesentlichen Vorbild-Charakter und stellt die Familie auf Dauer auf ein stabiles Fundament. Hier hilft es, sich für einmal pro Woche einen Paarabend vorzunehmen für gute Gespräche, Filme, Spiele o.ä. Auch leckeres Essen oder ein Wein können dazu gehören. Wenn die Abende noch mit Einschlafbegleitung gefüllt sind, kann für eine Weile auch eine Paar-Zeit 1-2 mal im Monat reichen – dann aber gern etwas länger, zum Beispiel mit Unterstützung von lieben Menschen, die auf die Kinder aufpassen. Natürlich geht das auch tagsüber, wenn die Kinder abends nur von ihren Eltern in’s Bett gebracht werden mögen.

Kindern Grenzen kommunizieren

Um diese Balance zwischen Eltern-Bedürfnissen und Kind-Bedürfnissen zu erreichen, ist es wichtig, dass die Kinder erfahren: Was ich will und brauche, ist wichtig. Und was meine Eltern wollen und brauchen, ebenfalls! Gemeinsam suchen wir nach Kompromissen.

Deshalb ist es gut, wenn Eltern ihren Kindern auch aufzeigen, wo ihnen selbst etwas wichtig ist oder zu viel wird. Kinder dürfen mitbekommen, dass auch Eltern Pausen brauchen, respektvoll behandelt werden wollen und traurig, verärgert oder frustriert sein können. Und, dass auch ein “Nein” liebevoll sein kann – weil zum guten Elternsein eben auch eine gute Selbstfürsorge zählt. Das können und sollten Eltern dann auch formulieren, zum Beispiel:

„Ich sehe, dass du gern noch bleiben möchtest. Das verstehe ich – du hast gerade viel Spaß auf dem Spielplatz. Aber weißt du, ich bin heute auch verabredet, mit Pia. Und es ist mir wichtig, sie zu treffen. Deshalb müssen wir jetzt los. Aber wenn du magst, können wir übermorgen wieder hierherkommen und dann mehr Zeit mitbringen!“

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

 

Sohn mit Tourette: „Mein Kind war mir peinlich“

Er rief unvermittelt „Heil Hitler“: Mit ihrem Tourette-kranken Sohn Florian ging Sabine Eisenmann regelrecht durch die Hölle. Ein Bericht.

Sabine Eisenmann (62) ist eine lebenslustige, attraktive Frau aus Aspach bei Stuttgart. Aber die Friseurmeisterin und ihr Mann Volker waren oft verzweifelt über Florian, ihren Erstgeborenen. Als Säugling litt er massiv unter Neurodermitis. Was danach kam, forderte die Eltern aber noch mehr heraus: Tourette. Mit acht, neun Jahren wurde Florian immer verhaltensauffälliger. Der Junge warf zunehmend mit obszönen Worten um sich, spuckte über den Tisch, beschimpfte Passanten aufs Übelste oder rief unvermittelt mit ausgestrecktem rechtem Arm „Heil Hitler!“ in der Fußgängerzone. „Mir war mein eigenes Kind peinlich und ich hatte massive Selbstzweifel,“ sagt die Mutter heute. Als der Kinderarzt ihr riet, sich bei der Erziehungsberatungsstelle Hilfe zu holen, war ein erster von vielen Tiefpunkten und Erschöpfungszuständen erreicht.

Hinzu kamen Querelen in der Ehe. Denn die Eltern waren unterschiedlicher Auffassung, wie mit Florian zu verfahren sei. Neben der Bibel las Mutter Sabine Erziehungsratgeber, um sich Hilfe zu holen. Denn die Aussetzer des Sohnes, der bald mit Max einen jüngeren Bruder hatte, bot auch in Kindergarten, Grundschule oder Sportverein immer wieder Angriffsflächen, erforderte Erklärungen, Rechtfertigungen und Entschuldigungen. Parallel kamen im Abstand von vier Wochen immer neue Tics hinzu, wie der Fachbegriff für diese Auffälligkeiten bei Tourette lautet – zum Beispiel das Ablecken von Schuhen oder Fassaden.

Horrortrip

„Solange wir nicht wussten, was Florian fehlt, war das wie ein Horrortrip,“ erinnert sich die Mutter, die tagsüber mit den Söhnen allein war, weil der Vater im Außendienst arbeitete. Das Schlimmste sei gewesen, dass sich Mutter und Sohn wechselseitig heimlich beobachteten. Denn intuitiv spürte der Zehnjährige, dass sein Verhalten die Mama stresste. Deshalb versuchte er, seine Tics unbemerkt von ihr auszuagieren. Sie wiederum observierte ihn umso lückenloser, um nichts zu verpassen.

Hilfreich in diesen schweren Jahren war, dass die erweiterte Familie, Freunde, Nachbarn und Gemeindemitglieder Florian nahmen, wie er sich gab, sodass hier keine zusätzlichen Konflikte wie Ausgrenzung, Rückzug oder Scham drohten. Der Terminkalender war mit Arztterminen, Untersuchungen und Besprechungen gefüllt, bei denen immer die Botschaft mitschwang, Florian sei nicht okay.

Dagegen wiederum half, dass Florians Lehrerin am Ende seiner Grundschulzeit den Eltern nahelegte, ihren Sohn trotz seiner Auffälligkeiten auf eine weiterführende Schule gehen zu lassen. Dadurch war für den Jungen der Weg frei, mit seinen Klassenkameraden zusammenzubleiben, die seine Marotten bereits kannten und ihn notfalls auch „beschützten“.

Stets „normal“ behandelt

Sabine Eisenmann hat über ihre Erfahrungen ein Buch verfasst mit dem eindrücklichen Titel: „Ficken, Fotze, Feuerfrei.“ Darin beschreibt sie, wie sie eines Tages mit Sohn und Ehemann in eine psychiatrische Einrichtung fuhr, in der Florian untersucht werden sollte. Schon auf der Hinfahrt sahen die Eltern auf dem Gelände Kinder mit Helmen, die sich selbst auf den Kopf schlugen oder die in Vorrichtungen fixiert waren. „Ich sagte zu Volker: ‚Egal, was die hier diagnostizieren und machen, hier lassen wir unseren Florian nicht.‘“ Als aber bereits zehn Minuten nach Beginn der Untersuchung und Befragung der Psychiater dem Zwölfjährigen „einen reinrassigen Tourette“ diagnostizierte und ihn mit Tabletten sedierte, war das für die Eltern wie ein Befreiungsschlag. „Endlich war klar, dass wir nichts falsch gemacht hatten.“ Und die Mutter war dankbar, dass die Nervenkrankheit nicht von weiteren Störungen überlagert war, die etwa die Motorik oder den Verstand einschränken.

Gern ließ der Arzt den Jungen wieder mit den Eltern nach Hause in dessen gewohnte Umgebung gehen, wo er seinen Platz hatte, anerkannt war und sich geliebt wusste. „Diese Normalität und Selbstverständlichkeit, die wir mit Florian in der Familie, der Nachbarschaft und in unserem Dorf lebten, hat immer alle überrascht und beeindruckt.“ Dies sei vermutlich vor allem das Verdienst von ihr und ihrem Mann gewesen, die Florian stets „normal“ behandelten und dasselbe auch von anderen erwarteten.

Regelmäßige Krisen mit Tourette

„Ich habe Florian in der Erziehung nichts durchgelassen, nur weil er vermeintlich krank gewesen ist oder es so schlimm hatte“, erklärt Sabine Eisenmann. Notfalls stellte sich der jüngere Bruder Max in der Clique schützend vor seinen Bruder und machte damit unmissverständlich klar, dass Florian dazugehört, egal, was er sagt und tut. Diese Haltung war mit ein Grund, weshalb sich die Mutter auch keiner Selbsthilfegruppe anschloss. „Ich wollte nicht ständig von Tourette sprechen müssen, wenn ich schon dauernd Florians Tics um mich hatte.“ Auch hätte ihr dieses Umfeld wohl die Hoffnung auf ein konventionelles Leben genommen, weil sie hier „von vielen schlimmen Entwicklungen hörte und las“.

In Florians Pubertät erlebte die Familie regelmäßig Krisen. So drohte den Eltern nach fünf, sechs Jahren Dauerstress die Kraft auszugehen. Doch in ihrem Glauben schöpfte Sabine Eisenmann immer neue Kraft. Und da sie ohnehin Notizen über den Krankheitsverlauf gemacht hatte, reifte in ihr der Impuls, über das Erlebte ein Buch zu schreiben. „Das Buch hat uns geholfen, das Erlebte aufzuarbeiten.“ Die Lektüre berührt durch die intimen Einblicke, die die Autorin gewährt. Wenn etwa der Ehemann phasenweise damit haderte, lieber keinen Sohn gehabt zu haben als diesen oder das Liebesleben der Eltern über Jahre auf der Strecke blieb. Das Buch macht aber auch Mut, eigene Krisen anzunehmen – weil wir sie meistern können. Es ist auch ein Plädoyer gegen Segmentierung und für Verschiedenheit im Leben. Florian arbeitet übrigens seit Jahren in Zürich. Er hat eine Top-Position in der IT-Security bei einer Bank.

Leonhard Fromm ist Wirtschaftsjournalist und Diplom-Theologe. Der zweifache Vater lebt in Schorndorf bei Stuttgart.

Enttäuschung: Wenn mein Kind nicht so ist, wie ich es dachte

Kinder entsprechen nicht immer den Erwartungen, die ihre Eltern an sie haben. Stefanie Diekmann über die schädliche Dynamik der Enttäuschung und wie wir sie durchbrechen können.

Über ein Thema in der Eltern-Kind-Beziehung wird wenig gesprochen und geschrieben: die Enttäuschung über das eigene Kind. Dabei kennen dieses Gefühl wohl die meisten Eltern mehr oder weniger stark. In manchen Momenten ist mir mein Kind vertraut und herzensnah. Aber je älter das Kind wird und je deutlicher die Persönlichkeit sichtbar wird, desto eher müssen wir uns dem Gefühl der Enttäuschung stellen.

Unerfüllte Wünsche

Aber darf ich als Mutter oder Vater überhaupt enttäuscht von meinem eigenen Kind sein? Vorsichtig formuliere ich eher: „Ich mache mir Sorgen“ oder „Ich verstehe nicht, warum …“. Ich wage es nur selten, meine Gedanken über meine innere Zerrissenheit zu teilen. In der Psychologie gibt es eine Sicht auf diese Irritation zwischen Eltern und Kindern. Die Definition des Begriffes Enttäuschung ist darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen darunter leiden, dass ihre Wünsche oder Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wenn die Wünsche der Eltern nicht erfüllt werden, entsteht bei ihnen Kummer und Enttäuschung.

Das sind oft kleine Alltagsmomente: So kann zum Beispiel ein Kind, das ständig die Nähe seiner Mutter sucht und an ihr klebt, für sie zur Herausforderung werden. Wenn sie ehrlich ist, eskaliert es schon in ihr, wenn sie spürt, dass das Kind sich im Raum näher zu ihr orientiert. Immer wieder bekommt sie Rückmeldungen, wie wichtig es sei, dass sie ihr Kind ermutigt, sich von ihr zu lösen. Sie gibt sich alle Mühe, hat aber das Gefühl, ihr anhängliches Kind lässt sich nicht darauf ein. Nach überstandenen Stresssituationen sammelt sich in ihr eine Mischung von Erschöpfung und Ratlosigkeit, die sie in ihrem mütterlichen Handeln lähmt. Das innere Bild ihres Kindes nimmt die Mutter mit zum nächsten Geburtstag, wo scheinbar alle Kinder miteinander spielen – ihr Kind aber auf ihrem Schoß wie festgeklebt ist. Das Bild verstärkt sich beim Besuch in der Stadtbücherei, wo das Kind jammert und keine Ruhe zum Verweilen hat. Das Gefühl der Verunsicherung und der inneren Abwehr klebt an dieser Mutter und lässt sie nicht los.

Die Enttäuschung ansehen

Die Dynamik der Enttäuschung kann vor allem dann zerstörerisch sein, wenn ich die Enttäuschung nicht bewusst wahrnehme, sondern verdränge. Sogar vor Gott, dem ich doch vertraue, fällt es mir oft schwer, ehrlich zu sein. Die inneren Enttäuschungsmomente führen dann mehr und mehr zu einer Distanz zum Kind. Diese Distanz spürt das Kind und wird dadurch noch mehr verunsichert.

Es können viele unterschiedliche Dinge sein, die bei mir als Mutter ein Gefühl der Enttäuschung auslösen: Mein Kind ist nörgelig oder unmusikalisch oder ängstlich oder unfreundlich oder unsportlich … Dabei ist es wichtig, meine Enttäuschung anzusehen und auszusprechen. Wenn ich wegsehe, machen mich die gesammelten Enttäuschungsmomente immer weniger liebesfähig. Enttäuschungen haben so viel mit meinen Hoffnungen, Wunschvorstellungen und Erwartungen zu tun. Bei Enttäuschungen handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung. Das bemerke ich allein dadurch, dass mein Mann ganz anders mit bestimmten Situationen umgeht.

Es ist wichtig, meine Emotionen, Erwartungen und Handlungen zu verstehen, um letztendlich meinen Frieden mit der Enttäuschung zu schließen: Ich wäre so gern verständnisvoll. Ich verstehe mein Kind nicht. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Je mehr ich meinen Kummer vor Gott ausbreite, desto mehr fällt mir mein „Ich“ auf. Ja, mein Kind ist vom Charakter und vom Handeln her anders, als ich es mir ausgemalt habe. Es geht hier aber tatsächlich um mich!

Eigene Erwartungen

Die Dynamik der Enttäuschung hat etwas mit meinem Bild von meinem Kind und von mir als Mutter zu tun. Die Enttäuschung fühlt sich so an, als würde ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht. Die ursprüngliche Erwartung war demnach höher als das tatsächliche Ergebnis. Aber die Beziehung zu meinem Kind ist keine abrufbare Investition. Sie ist ein offener Prozess voller Nähe- und Distanzübungen.

Wenn nun diese Dynamik der Enttäuschung erneut loslegen will, möchte ich mich hinterfragen: Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus. Situationen, die nicht meinen Erwartungen gerecht werden, sollten nicht immer als komplett negative Situationen gewertet werden. Ich darf versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen und sie als Chance für mich und mein Kind zu betrachten. Ich möchte diese objektiv beurteilen und hinterfragen: Was will mir mein Kind mit seinem Verhalten mitteilen? Als Mutter kann ich Vorbild sein und einen Platz zum Austausch unserer Gefühle finden, um diese zu verarbeiten.

Mutige Schritte

Dabei verzichte ich auf negativ festlegende Gedanken und Aussagen über mich. Mich als Mutter an den Pranger zu stellen und mir Vorwürfe zu machen, belastet nicht nur mich, sondern auch die Nähe zum Kind. Um mich von meiner Enttäuschung zu lösen, gebe ich meine Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche ganz bewusst an Gott zurück. Ich bemühe mich um ein Miteinander mit meinem Kind, sodass es sich angenommen und geliebt weiß. Dabei können diese kleinen Übungen helfen:

  • Ich lächle mein Kind an, wenn es den Raum betritt.
  • Ich kommentiere das Spiel meines Kindes nicht.
  • Ich frage: Wie ging es dir in dieser Situation?
    Oder: Was schlägst du vor?

Vielleicht finden wir zusammen eine Idee für mutige Schritte. So lange übe ich mich darin, das Gute in meinem Kind zu sehen und zu benennen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Enttäuschung: Wenn mein Kind nicht meinen Vorstellungen entspricht

Kinder entsprechen nicht immer den Erwartungen, die ihre Eltern an sie haben. Was können Eltern tun, damit daraus keine schädliche Dynamik von Enttäuschung und Ablehnung entsteht?

Über ein Thema in der Eltern-Kind-Beziehung wird wenig gesprochen und geschrieben: die Enttäuschung über das eigene Kind. Dabei kennen dieses Gefühl wohl die meisten Eltern mehr oder weniger stark. In manchen Momenten ist mir mein Kind vertraut und herzensnah. Aber je älter das Kind wird und je deutlicher die Persönlichkeit sichtbar wird, desto eher müssen wir uns dem Gefühl der Enttäuschung stellen.

Unerfüllte Wünsche

Aber darf ich als Mutter oder Vater überhaupt enttäuscht von meinem eigenen Kind sein? Vorsichtig formuliere ich eher: „Ich mache mir Sorgen“ oder „Ich verstehe nicht, warum …“. Ich wage es nur selten, meine Gedanken über meine innere Zerrissenheit zu teilen. In der Psychologie gibt es eine Sicht auf diese Irritation zwischen Eltern und Kindern. Die Definition des Begriffes Enttäuschung ist darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen darunter leiden, dass ihre Wünsche oder Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wenn die Wünsche der Eltern nicht erfüllt werden, entsteht bei ihnen Kummer und Enttäuschung.

Das sind oft kleine Alltagsmomente: So kann zum Beispiel ein Kind, das ständig die Nähe seiner Mutter sucht und an ihr klebt, für sie zur Herausforderung werden. Wenn sie ehrlich ist, eskaliert es schon in ihr, wenn sie spürt, dass das Kind sich im Raum näher zu ihr orientiert. Immer wieder bekommt sie Rückmeldungen, wie wichtig es sei, dass sie ihr Kind ermutigt, sich von ihr zu lösen. Sie gibt sich alle Mühe, hat aber das Gefühl, ihr anhängliches Kind lässt sich nicht darauf ein. Nach überstandenen Stresssituationen sammelt sich in ihr eine Mischung von Erschöpfung und Ratlosigkeit, die sie in ihrem mütterlichen Handeln lähmt. Das innere Bild ihres Kindes nimmt die Mutter mit zum nächsten Geburtstag, wo scheinbar alle Kinder miteinander spielen – ihr Kind aber auf ihrem Schoß wie festgeklebt ist. Das Bild verstärkt sich beim Besuch in der Stadtbücherei, wo das Kind jammert und keine Ruhe zum Verweilen hat. Das Gefühl der Verunsicherung und der inneren Abwehr klebt an dieser Mutter und lässt sie nicht los.

Die Enttäuschung ansehen

Die Dynamik der Enttäuschung kann vor allem dann zerstörerisch sein, wenn ich die Enttäuschung nicht bewusst wahrnehme, sondern verdränge. Sogar vor mir selbst fällt es mir oft schwer, ehrlich zu sein. Die inneren Enttäuschungsmomente führen dann mehr und mehr zu einer Distanz zum Kind. Diese Distanz spürt das Kind und wird dadurch noch mehr verunsichert.

Es können viele unterschiedliche Dinge sein, die bei mir als Mutter ein Gefühl der Enttäuschung auslösen: Mein Kind ist nörgelig oder unmusikalisch oder ängstlich oder unfreundlich oder unsportlich … Dabei ist es wichtig, meine Enttäuschung anzusehen und auszusprechen. Wenn ich wegsehe, machen mich die gesammelten Enttäuschungsmomente immer weniger liebesfähig. Enttäuschungen haben so viel mit meinen Hoffnungen, Wunschvorstellungen und Erwartungen zu tun. Bei Enttäuschungen handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung. Das bemerke ich allein dadurch, dass mein Mann ganz anders mit bestimmten Situationen umgeht.

Es ist wichtig, meine Emotionen, Erwartungen und Handlungen zu verstehen, um letztendlich meinen Frieden mit der Enttäuschung zu schließen: Ich wäre so gern verständnisvoll. Ich verstehe mein Kind nicht. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Als Christin hilft mir das Gebet: Je mehr ich meinen Kummer vor Gott ausbreite, desto mehr fällt mir mein „Ich“ auf. Ja, mein Kind ist vom Charakter und vom Handeln her anders, als ich es mir ausgemalt habe. Es geht hier aber tatsächlich um mich!

Eigene Erwartungen

Die Dynamik der Enttäuschung hat etwas mit meinem Bild von meinem Kind und von mir als Mutter zu tun. Die Enttäuschung fühlt sich so an, als würde ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht. Die ursprüngliche Erwartung war demnach höher als das tatsächliche Ergebnis. Aber die Beziehung zu meinem Kind ist keine abrufbare Investition. Sie ist ein offener Prozess voller Nähe- und Distanzübungen.

Wenn nun diese Dynamik der Enttäuschung erneut loslegen will, möchte ich mich hinterfragen: Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus. Situationen, die nicht meinen Erwartungen gerecht werden, sollten nicht immer als komplett negative Situationen gewertet werden. Ich darf versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen und sie als Chance für mich und mein Kind zu betrachten. Ich möchte diese objektiv beurteilen und hinterfragen: Was will mir mein Kind mit seinem Verhalten mitteilen? Als Mutter kann ich Vorbild sein und einen Platz zum Austausch unserer Gefühle finden, um diese zu verarbeiten.

Mutige Schritte

Dabei verzichte ich auf negativ festlegende Gedanken und Aussagen über mich. Mich als Mutter an den Pranger zu stellen und mir Vorwürfe zu machen, belastet nicht nur mich, sondern auch die Nähe zum Kind. Um mich von meiner Enttäuschung zu lösen, gebe ich meine Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche ganz bewusst an Gott zurück. Ich bemühe mich um ein Miteinander mit meinem Kind, sodass es sich angenommen und geliebt weiß. Dabei können diese kleinen Übungen helfen:

  • Ich lächle mein Kind an, wenn es den Raum betritt.
  • Ich kommentiere das Spiel meines Kindes nicht.
  • Ich frage: Wie ging es dir in dieser Situation?
    Oder: Was schlägst du vor?

Vielleicht finden wir zusammen eine Idee für mutige Schritte. So lange übe ich mich darin, das Gute in meinem Kind zu sehen und zu benennen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Wenn’s mal wieder laut wird… – So gelingt der Umgang mit der Wut

Im alltäglichen Familientrubel kann es schnell hitzig werden. Wenn die Wut hochkocht, braucht es starke Nerven. Psychotherapeutin Melanie Schüer gibt Tipps, was Eltern und Kindern hilft.

Knallende Türen, lautes Geschimpfe und jede Menge Tränen – dass die Wut immer mal wieder hoch- bzw. auch überkocht, kennen wohl alle Familien. Und das ist auch ganz nachvollziehbar. Denn Kinder zu erziehen, nebenbei den Haushalt zu führen, den Familienalltag zu organisieren und womöglich auch noch zu arbeiten – das ist Schwerstarbeit und oftmals eine Überforderung. Schlafmangel, ständige Infekte, ein übervoller Terminkalender, riesige Wäscheberge und viele weitere Herausforderungen im Leben mit Kindern zerren einfach an den Nerven. Dass Eltern da immer mal wieder die Geduld verlieren und lauter werden, als sie eigentlich wollen, ist verständlich.

Anschreien ist fast wie körperliche Gewalt

Was, wenn im Affekt dann sogar die Hand ausrutscht? Dann fühlen sich die meisten Eltern sehr schnell sehr schlecht, und das ist gut so! Denn auch wenn wir alle nicht perfekt sind und einzelne Fehler uns nicht gleich zu schlechten Eltern machen – körperliche Gewalt ist ein No-Go. Zahlreiche Studien zeigen, wie schädlich es für Kinder ist, wenn sie mit Gewalt erzogen werden. Übrigens: Studien zeigen zudem, dass regelmäßiges Anschreien sich auf Kinder genauso negativ auswirkt. Beides schadet der psychischen Gesundheit und der Entwicklung von sozialen Fähigkeiten ganz enorm. Schreien ist verbale Gewalt und damit genauso schwerwiegend wie ein Klaps.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es mit der glücklichen Kindheit vorbei ist, wenn Papa oder Mama mal die Sicherung durchbrennt. Aber: Körperliche und verbale Gewalt sollten wir als Eltern beide niemals als „normal“ ansehen.

Schadensbegrenzung im Worst Case

Stattdessen gilt, wenn wir eine solche Grenze überschritten haben:

  • sich kurz Ruhe gönnen, tief durchatmen
  • sich bei dem Kind entschuldigen: „Es tut mir leid! Ich hätte dich nicht anschreien/hauen dürfen. Entschuldige bitte.“
  • Überlegen, was der Auslöser war und, wie die Ruhe zukünftig besser gewahrt werden kann. Oft ist es wichtig, sich mehr Ruhepausen zu organisieren, z.B. mithilfe von Familienpaten oder Projekten wie „wellcome“ mit Kindern im ersten Lebensjahr (wellcome-online.de)
  • Wenn die Wut immer wieder mit einem durchgeht: Unterstützung holen, z.B. von einer Erziehungsberatungsstelle (dajeb.de)

Durch ein solches Verhalten bringen wir unseren Kindern etwas Wichtiges bei: Fehlerfreundlichkeit. Sie sehen an unserem Beispiel, wie man Fehler zugeben und an sich arbeiten kann. Und das hilft auch ihnen selbst, einen guten Umgang mit den eigenen Emotionen und Schwächen im Verhalten zu erlernen.

Wenn die Wut kommt: Tools für den Umgang

  • Eine Hand auf den Bauch legen und tief in den Bauch einatmen, kurz die Luft anhalten, dann langsam und ausgiebig ausatmen. Das 5 Mal wiederholen.
  • Beobachten, was sich in unseren Gefühlen und unserer Körperwahrnehmung verändert, wenn der Ärger wächst, z.B. Hitze, Herzrasen, Anspannen der Muskeln, etc., um zu erkennen, wann es gefährlich wird.
  • Sich ein Codewort überlegen, das man sich innerlich als Stopp-Signal sagt, wenn die Wut stärker wird, z.B.: „Stopp, bleib ruhig, es geht vorbei!“
  • Kurz die Situation unterbrechen und Gegen-Reize setzen, z.B. mit einem Glas Wasser, dem Öffnen des Fensters für etwas frische Luft oder kaltem Wasser, das man sich über die Handgelenke laufen lässt.

Und was ist mit Kinder-Wut?

Dass wir Erwachsenen gut mit Wut umgehen lernen, ist die Basis für ein entspanntes Familienleben, denn Kinder orientieren sich am Verhalten ihrer Eltern. Doch auch Frust und Ärger der Kleinen kann uns im Alltag ziemlich herausfordern – besonders in der Autonomiephase (oft auch „Trotzphase“ genannt) zwischen ca. zwei und sechs Jahren. In diesem Alter spüren die Kleinen ganz besonders stark ihren eigenen Willen. Gleichzeitig ist ihr Gehirn noch nicht so weit entwickelt, als dass sie sich in andere hineinversetzen könnten. Das heißt, sie nehmen intensiv wahr, was sie wollen und verstehen noch nicht, warum andere manchmal ganz andere Bedürfnisse haben. Da sind Wutanfälle vorprogrammiert! Hinzu kommt, dass die Kleinen noch kaum Selbstkontrolle haben: Ruhig bleiben, obwohl die Wut hochkocht ist ohne diese Fähigkeit kaum möglich und so ist es normal, dass Kinder besonders in diesem Alter oft “ausrasten”. Helfen kann dann:

  • Selbst ruhig bleiben und sich erinnern: Mein Kind macht das nicht absichtlich! Es ist gerade überfordert von seinen Gefühlen.
  • Auf Augenhöhe gehen, das Kind freundlich ansprechen, Kontakt herstellen: „Hey, ich bin da!“
  • Die Gefühle, die du bei deinem Kind wahrnimmst, in Worte fassen: „Ich sehe, du bist gerade ziemlich wütend, oder?“ Das zeigt deinem Kind, dass es nicht allein ist und hilft ihm, nach und nach zu lernen, die Wut selbst zu erkennen und zu verbalisieren.
  • Kompromisse und Wahlmöglichkeiten anbieten, um den Wunsch des Kindes nach Autonomie ernst zu nehmen, z.B.: „Wir können jetzt kein Kleid anziehen, aber du kannst zwischen diesen Hosen auswählen!“
  • Techniken zeigen, die helfen, die Wut zu kanalisieren, z.B.: „Komm, wir boxen die ganz Wut jetzt in die Kissen!“ oder „Wir stampfen die Wut jetzt in den Boden, bis es uns besser geht!“

Miteinander statt gegeneinander

Wir haben wohl alle diesen Traum von einem harmonischen, glücklichen Familienleben. Und doch ist es normal, dass der Alltag oft chaotischer, anstrengender und konfliktreicher aussieht. Auch wir Eltern haben Bedürfnisse und Grenzen, die wir auch formulieren sollten. Gerade Gespräche, in denen wir respektvoll mit unseren Kindern reflektieren, was im Streit schiefgelaufen ist und wie es besser gehen kann, stärken die sozialen Fähigkeiten unserer Kinder sehr. Das Wichtigste ist unsere Grundhaltung: Wir leben nicht gegeneinander, sondern miteinander. Nicht „wir gegeneinander“, sondern „wir gemeinsam gegen die Probleme“.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

Familienstreit an Weihnachten – So können Sie Ihrem Kind helfen

Der Traum einer besinnlichen Weihnacht platzt oft, wenn nicht alles perfekt ist. Der Stress steigt und dann nerven noch die Verwandten. Doch wie erleben das erst die Kinder? Therapeutin Melanie Schüer erklärt, wie Sie Ihrem Kind helfen können.

„Einerseits ist Weihnachten ja echt schön – aber andererseits bin ich auch froh, wenn es vorbei ist. Denn die Erwachsenen sind an diesen Tagen immer so wahnsinnig gestresst …“

So in etwa äußerte sich in der Weihnachtszeit einmal meine Tochter über ihr Erleben der „schönsten Zeit des Jahres“ und ich musste erst einmal schlucken – das saß!

Diese gemischten Gefühle bezüglich der zugleich festlichsten und doch auch anstrengendsten Wochen des Jahres kennen wir vermutlich alle. Kinder und Jugendliche nehmen dies oft noch stärker wahr, weil sie sich besonders freuen – alles ist noch neu und so aufregend! – und gleichzeitig die bestehende Anspannung und Stressbelastung noch weniger reflektieren und einordnen können.

Es könnte alles so schön sein…

Auch in meiner psychotherapeutischen Arbeit erlebe ich, dass gerade depressive Symptome um die Weihnachtszeit herum zunehmen. Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Beispiel:

  • Hohe Erwartungen: Es soll schön werden, besinnlich, gemütlich, lecker, freudvoll, besonders – und das möglichst für alle! Das bedeutet viel Arbeit bei der Vorbereitung und viel Druck, denn Weihnachten ist eben nur einmal im Jahr.
  • Unterschiedliche Bedürfnisse, die alle an drei Tagen unter einen Hut gebracht werden sollen
  • Die Anspannung darüber, Familienmitglieder wiederzutreffen, denen man sonst eher aus dem Weg geht

Weihnachten mit strahlenden Augen

Was kann helfen, damit Kinder und Jugendliche Weihnachten so erleben, wie wir es ihnen wünschen – mit vor Freude geröteten Bäckchen, strahlenden Augen und einem fröhlichen Herzen?

Als erstes ist es hilfreich, zu reflektieren und zu erklären, was los ist: Stress lässt sich in der Adventszeit nicht immer vermeiden. Aber es hilft Kindern, wenn Erwachsene diese Erfahrungen altersgemäß einordnen: „Puh, es tut mir leid, dass ich vorhin so gereizt war! Der Advent ist so schön, aber manchmal auch so stressig, weil so vieles zu erledigen ist. Und das alles neben der normalen Arbeit, die ja auch nicht liegen bleiben kann. Deswegen kommt es vor, dass ich genervt reagiere, weil ich müde bin von all dem, was zu tun ist. Aber morgen machen wir uns einen gemütlichen Tag, ja?“

Das Schlagwort „Weniger ist Mehr“ hilft tatsächlich dabei, die randvolle Zeit zu entzerren. Es bringt oft ungemein Entlastung, wenn man sich zumindest einen Tag vor Heiligabend freinehmen kann, den Baum schon etwas früher als sonst aufstellt und schmückt, die Geschenke schon im November besorgt oder auch mit einigen Leuten bespricht, sich nichts zu schenken, sondern lieber mit weniger Trubel einfach die gemeinsame Zeit zu genießen.

Auch hilft es, wenn wir in den Terminkalender bewusst Zeiten für Stille und Besinnlichkeit einplanen. Das kann auch mit altersgemäßen Medien gelingen, wie:

  • Videos wie „Superbuch – das erste Weihnachten“ (ca. 6-12 Jahre)
  • Der Weihnachtsfolge der Serie „The Chosen“ (ab ca. 12 Jahren)
  • Fortlaufenden Adventskalender-Büchern wie „Komm doch mit nach Betlehem!“ (SCM-Verlag, ca. 5-10 Jahre) oder „Ricas Weihnachtsüberraschung“ (ca. 2-6 Jahre)

Für Erwachsene besonders schwer, aber für das Familienleben ungemein wichtig ist es, Unperfektheiten auszuhalten. Wenn wir Erwachsene an unsere Weihnachtserinnerungen denken oder überlegen, wie wir damals Weihnachten gern erlebt hätten – wäre dann wirklich eine einwandfrei saubere Wohnung oder ganz besondere Deko das Wesentliche? Letztlich entscheidet viel mehr das Maß der Herzlichkeit, Liebe und einer fröhlichen Stimmung darüber, wie positiv Kinder und Jugendliche Weihnachten erleben.

Weihnachten – das Fest der Widersprüche

Jugendliche empfinden das ach-so-friedliche Beisammensein einmal im Jahr mit allen Verwandten, auch der unliebsamen Tante Agatha, oft als heuchlerisch. Daher brauchen sie Unterstützung darin, das Geschehen differenziert einzuordnen. „Das ganze Jahr über wird gestritten und gezankt und dann plötzlich spielen wir uns Friede, Freude, Eierkuchen vor!?“ Hier können Erwachsene am besten reagieren, indem sie:

  • Die Ungereimtheiten und auch mögliche Konflikte und Fehler anerkennen und einräumen, dass nicht alle Beziehungen heil und friedlich sind
  • Und gleichzeitig hervorheben, dass gerade in diesem „sowohl als auch“ eine Chance stecken kann: Nämlich, dass die gemeinsame Besinnung auf etwas Größeres (die Geburt dessen, der sich selbst als „Licht der Welt“ bezeichnet und die Menschen auffordert, Frieden mit Gott und dem Nächsten zu machen) helfen kann, über Uneinigkeiten hinweg zu sehen oder diese zumindest nicht größer werden zu lassen, als sie sein müssten.

Kinder mit einbeziehen

Ein wichtiges Element für ein harmonisches Weihnachtsfest ist, Kinder und Jugendliche in das Geschehen einzubeziehen. Das kann sowohl bedeuten, dem Nachwuchs altersgemäße Aufgaben zu übertragen (beim Putzen, Dekorieren, Backen, etc. helfen) als auch, die kindlichen Ideen und Wünsche bei der Planung zu berücksichtigen. Hier gilt es, ein gesundes Maß zu finden – Eltern sollen und dürfen einen gewissen Rahmen vorgeben, der ihnen wichtig ist. Aber Kinder fühlen sich wertgeschätzt, wenn sie in gewissen Bereichen mitgestalten können, zum Beispiel: Was könnten wir den Großeltern schenken? Wie wollen wir die Bescherung gestalten? Was gibt es als Nachtisch?

Die Advents- und Weihnachtszeit, so schwierig sie oft ist, ist eine ganz besondere Zeit. Daher ist es so immens wichtig, vor allem die Zeit mit den Menschen, die wir lieben, zu genießen, auch wenn manches nicht perfekt ist.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

Familienstreit an Weihnachten? So helfen Sie Ihren Kindern

Der Traum einer besinnlichen Weihnacht platzt oft, wenn nicht alles perfekt ist. Der Stress steigt und dann nerven noch die Verwandten. Doch wie erleben das erst die Kinder? Mit diesen Tipps helfen Sie Ihren Kindern, die Spannungen auszuhalten.

„Einerseits ist Weihnachten ja echt schön – aber andererseits bin ich auch froh, wenn es vorbei ist. Denn die Erwachsenen sind an diesen Tagen immer so wahnsinnig gestresst …“

So in etwa äußerte sich in der Weihnachtszeit einmal meine Tochter über ihr Erleben der „schönsten Zeit des Jahres“ und ich musste erst einmal schlucken – das saß!

Diese gemischten Gefühle bezüglich der zugleich festlichsten und doch auch anstrengendsten Wochen des Jahres kennen wir vermutlich alle. Kinder und Jugendliche nehmen dies oft noch stärker wahr, weil sie sich besonders freuen – alles ist noch neu und so aufregend! – und gleichzeitig die bestehende Anspannung und Stressbelastung noch weniger reflektieren und einordnen können.

Es könnte alles so schön sein…

Auch in meiner psychotherapeutischen Arbeit erlebe ich, dass gerade depressive Symptome um die Weihnachtszeit herum zunehmen. Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Beispiel:

  • Hohe Erwartungen: Es soll schön werden, besinnlich, gemütlich, lecker, freudvoll, besonders – und das möglichst für alle! Das bedeutet viel Arbeit bei der Vorbereitung und viel Druck, denn Weihnachten ist eben nur einmal im Jahr.
  • Unterschiedliche Bedürfnisse, die alle an drei Tagen unter einen Hut gebracht werden sollen
  • Die Anspannung darüber, Familienmitglieder wiederzutreffen, denen man sonst eher aus dem Weg geht

Weihnachten mit strahlenden Augen

Was kann helfen, damit Kinder und Jugendliche Weihnachten so erleben, wie wir es ihnen wünschen – mit vor Freude geröteten Bäckchen, strahlenden Augen und einem fröhlichen Herzen?

Als erstes ist es hilfreich, zu reflektieren und zu erklären, was los ist: Stress lässt sich in der Adventszeit nicht immer vermeiden. Aber es hilft Kindern, wenn Erwachsene diese Erfahrungen altersgemäß einordnen: „Puh, es tut mir leid, dass ich vorhin so gereizt war! Der Advent ist so schön, aber manchmal auch so stressig, weil so vieles zu erledigen ist. Und das alles neben der normalen Arbeit, die ja auch nicht liegen bleiben kann. Deswegen kommt es vor, dass ich genervt reagiere, weil ich müde bin von all dem, was zu tun ist. Aber morgen machen wir uns einen gemütlichen Tag, ja?“

Das Schlagwort „Weniger ist Mehr“ hilft tatsächlich dabei, die randvolle Zeit zu entzerren. Es bringt oft ungemein Entlastung, wenn man sich zumindest einen Tag vor Heiligabend freinehmen kann, den Baum schon etwas früher als sonst aufstellt und schmückt, die Geschenke schon im November besorgt oder auch mit einigen Leuten bespricht, sich nichts zu schenken, sondern lieber mit weniger Trubel einfach die gemeinsame Zeit zu genießen.

Auch hilft es, wenn wir in den Terminkalender bewusst Zeiten für Stille und Besinnlichkeit einplanen. Das kann auch mit altersgemäßen Medien gelingen, wie:

  • Videos wie „Superbuch – das erste Weihnachten“ (ca. 6-12 Jahre)
  • Der Weihnachtsfolge der Serie „The Chosen“ (ab ca. 12 Jahren)
  • Fortlaufenden Adventskalender-Büchern wie „Komm doch mit nach Betlehem!“ (SCM-Verlag, ca. 5-10 Jahre) oder „Ricas Weihnachtsüberraschung“ (ca. 2-6 Jahre)

Für Erwachsene besonders schwer, aber für das Familienleben ungemein wichtig ist es, Unperfektheiten auszuhalten. Wenn wir Erwachsene an unsere Weihnachtserinnerungen denken oder überlegen, wie wir damals Weihnachten gern erlebt hätten – wäre dann wirklich eine einwandfrei saubere Wohnung oder ganz besondere Deko das Wesentliche? Letztlich entscheidet viel mehr das Maß der Herzlichkeit, Liebe und einer fröhlichen Stimmung darüber, wie positiv Kinder und Jugendliche Weihnachten erleben.

Weihnachten – das Fest der Widersprüche

Jugendliche empfinden das ach-so-friedliche Beisammensein einmal im Jahr mit allen Verwandten, auch der unliebsamen Tante Agatha, oft als heuchlerisch. Daher brauchen sie Unterstützung darin, das Geschehen differenziert einzuordnen. „Das ganze Jahr über wird gestritten und gezankt und dann plötzlich spielen wir uns Friede, Freude, Eierkuchen vor!?“ Hier können Erwachsene am besten reagieren, indem sie:

  • Die Ungereimtheiten und auch mögliche Konflikte und Fehler anerkennen und einräumen, dass nicht alle Beziehungen heil und friedlich sind
  • Und gleichzeitig hervorheben, dass gerade in diesem „sowohl als auch“ eine Chance stecken kann: Nämlich, dass die gemeinsame Besinnung auf etwas Größeres (die Geburt dessen, der sich selbst als „Licht der Welt“ bezeichnet und die Menschen auffordert, Frieden mit Gott und dem Nächsten zu machen) helfen kann, über Uneinigkeiten hinweg zu sehen oder diese zumindest nicht größer werden zu lassen, als sie sein müssten.

Kinder mit einbeziehen

Ein wichtiges Element für ein harmonisches Weihnachtsfest ist, Kinder und Jugendliche in das Geschehen einzubeziehen. Das kann sowohl bedeuten, dem Nachwuchs altersgemäße Aufgaben zu übertragen (beim Putzen, Dekorieren, Backen, etc. helfen) als auch, die kindlichen Ideen und Wünsche bei der Planung zu berücksichtigen. Hier gilt es, ein gesundes Maß zu finden – Eltern sollen und dürfen einen gewissen Rahmen vorgeben, der ihnen wichtig ist. Aber Kinder fühlen sich wertgeschätzt, wenn sie in gewissen Bereichen mitgestalten können, zum Beispiel: Was könnten wir den Großeltern schenken? Wie wollen wir die Bescherung gestalten? Was gibt es als Nachtisch?

Die Advents- und Weihnachtszeit, so schwierig sie oft ist, ist eine ganz besondere Zeit. Daher ist es so immens wichtig, vor allem die Zeit mit den Menschen, die wir lieben, zu genießen, auch wenn manches nicht perfekt ist.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

Kreativität – Was Kinder dazu brauchen

Im Ausleben von Kreativität erleben Kinder Lebensfreude und Erfüllung. Heilpädagogin Sonja Krebs zeigt, warum Kinder dazu einen geschützten Raum brauchen und wie Eltern sie dabei unterstützen können.

Menschen sind von sich aus kreativ. Und wenn ich von Kreativität schreibe, meine ich nicht das Fensterbild aus Tonkarton, ein mit Pinsel gemaltes Bild oder ein musikalisches Wunderwerk. Kreativität ist viel mehr und sichert unser Überleben, da sie Weiterentwicklung, Ausprobieren, Experimentieren beinhaltet. Es ist die Kraft, zu gestalten und schöpferisch zu wirken. Es ist die Kraft, gedanklich in die Weite zu gehen und kreative Lösungen zu finden.

Kreativität gibt Kraft

Kreative Ideen sind gerade in der aktuellen Zeit, angesichts des Klimawandels und Krisen verschiedenster Art, notwendig. Wir sind gefordert, Neues zu denken und zu entwickeln und in die Umsetzung zu kommen. Kreatives Schaffen im Sinne von musischen und künstlerischen Tätigkeiten kann in persönlichen Herausforderungen wirksam unterstützen, Zugang zu eigenen Kraftquellen, Fähigkeiten und Bedürfnissen zu erschließen.

Somit macht es in jeglicher Hinsicht Sinn, Kinder in ihrer Kreativität zu stärken. Denn diese stärkt nicht nur ihre Lebenszuversicht und Resilienz. Aus der Schöpferkraft fließen auch Kraft und Freude für das Leben. Kreativität ermöglicht, aus spielerischer Lebensfreude und Zuversicht heraus vertrauensvoll ins Handeln zu kommen und das Zusammenspiel von eigenem Handeln und Wirksamkeit zu erleben. Diese kann allein oder in der Interaktion mit Mitmenschen geschehen.

Wertschätzend unterstützen

Doch was braucht es im Alltag, damit ein Kind kreativ sein und diese wertvollen Aspekte erleben kann? Erforderlich ist zunächst ein wertschätzender Rahmen. Kinder brauchen Zeit, Wärme und Halt, um sich entfalten zu können. Kreatives Schaffen braucht keine Bewertung von richtig oder falsch, sondern Bestätigung: „Ich sehe dich, ich traue dir zu, dass du voller Ideen steckst, und ich glaube daran, dass du neue Lösungswege finden kannst.“ Das kann beim Malen eines Bildes sein oder bei einer Gesprächsbegleitung im Konflikt mit Mitschülern. Auch hier können kreative Wege gefunden werden: Welche Möglichkeiten habe ich? Was kann ich tun? Auf welche Erfahrungen und Fähigkeiten kann ich zurückgreifen? Was kann ich neu ausprobieren?

Dafür braucht es mein echtes Zutrauen in die Fähigkeiten des Kindes und die Bereitschaft, diese auch gemeinsam freizulegen. Oft sind Kinder verunsichert, weil sie glauben, etwas nicht zu können oder etwas Perfektes schaffen zu müssen. Dadurch wird die Schaffensfreude gehemmt. Darum gilt es, Kinderbilder nicht zu bewerten, sondern wertschätzend zu unterstützen und zum Beispiel gemeinsam herauszufinden, welche Lieblingsstelle das Kind auf seinem Bild findet. Gern darf es erzählen, was es so daran mag. Es geht nicht um das Endprodukt, sondern um die Freude am Kreativsein. Dabei sollten sich Kinder wie Erwachsene nicht vom Lob oder der Kritik anderer abhängig machen, sondern ein Gefühl dafür entwickeln, was für sie stimmig ist und ihnen selbst gefällt.

Sich selbst kennenzulernen, dient im Lebensalltag dazu, eine eigene Meinung und Haltung zu entwickeln und den Selbstwert nicht von anderen abhängig zu machen. Und aus der innigen Verbindung zu mir selbst kann dann eine echte Verbindung zum Gegenüber entstehen.

Alle Sinne aktiv

Der Wald ist ein wunderbares und kreatives Spielfeld. Das Kind kann sich fragen – oder von den Eltern zu Fragen angeregt werden: Welches Bedürfnis habe ich – Ruhe oder Action? Was steht mir zur Verfügung? Benötige ich in der Umsetzung meiner Idee Unterstützer? Baue ich mir eine Hütte oder Wippe oder lege ich mit Naturmaterialien ein Bodenbild? Lege ich mich selbst auf den Waldboden und nehme alles um mich herum wahr und lasse meine Gedanken fantasievoll schweifen? Es gibt viele individuelle Wege, kreativ zu sein. Gerade im Wald sind alle Sinne aktiv und wachsam: Ich sehe, lausche, betrachte, nehme den Duft wahr, nehme meine Bewegung wahr. Ich bin achtsam.

Dasselbe kann zum Beispiel auch beim Malen mit Flüssigfarben oder Rasierschaum geschehen: Das Kind folgt intuitiv seinen Ideen und erprobt spielerisch verschiedene Möglichkeiten seiner Selbstwirksamkeit. Es lernt seinen Handlungsspielraum auf farbenfrohe Art kennen.

Kreativ vor dem Bildschirm?

Aber wie sieht es aus mit Kreativität in Bezug auf Medien und Computerspiele? Hier fällt die bedeutsame ganzheitliche Wahrnehmung mit Bewegung weg. Doch es gibt durchaus Medienmaterial für ältere Kinder, das dazu einlädt, aktiv und kreativ zu werden. Onlineworkshops zum Beispiel können ein inspirierender Anschubser sein, um selbst aktiv zu werden. Bei Spielen wie Minecraft können Welten erbaut werden und Kids sich online begegnen. Man kann auch gemeinsam Filme oder Serien schauen und anschließend überlegen, wie die Geschichte weitergehen könnte oder welche Lösungen es für die Protagonisten gibt. Oder man kann gemeinsam reflektieren, wie Stimmungen mit Licht, Kameraeinstellung und Musik erzeugt wurden.

Wenn wir mit unseren Kindern unterwegs sind, ihre Interessen und Stärken wahrnehmen, sie darin bestärken, gedanklich in die Weite zu gehen und sie darin unterstützen, selbst wirksam zu werden, ist ein guter nährender Boden für Kreativität geschaffen. Und wie wunderbar ist es, dass Gott uns eine Schöpfer- und Gestaltungskraft in vielfältigen Formen geschenkt hat!

Sonja Krebs ist Erzieherin, Heilpädagogin, Resilienztrainerin und systemisch-lösungsorientierte Beraterin (atelier-einmalig.de). Sie lebt in Königswinter.

Vater sein mit Leidenschaft: „Ich bin nur meinem Kind etwas schuldig“

Der Journalist und Autor Tillmann Prüfer ist leidenschaftlich gern Vater. Wie er die Rolle und Aufgaben eines modernen Vaters sieht und woran sich Väter heute orientieren können, erzählt er im Interview.

Sie sind Vater von vier Töchtern. Was ist die wichtigste Lektion, die Sie durch Ihre Kinder gelernt haben?
Tillman Prüfer: Dass man mehr von den Kindern beigebracht bekommt, als man selbst den Kindern beibringt. Man denkt normalerweise, dass Erziehung so funktioniert: Da kommt ein junger Mensch wie ein unbeschriebenes Blatt zur Welt und wird dann durch die Eltern gebildet, mit Werten versorgt und so etwas. Wenn man dann aber mit Kindern zu tun hat, merkt man, dass man von ihnen mindestens genauso viel lernen kann, wie sie von einem selbst lernen, und dass man sich selbst durch die Kinder genauso verändert. Es ist ein beidseitiges Beeinflussen. Einem wird ein Mensch ins Leben geschenkt, der aber schon, wenn er da ist, ein vollkommener Mensch ist, also eine vollkommene Persönlichkeit, mit der man dann das Leben bestreitet.

Andererseits brauchen Kinder Sicherheit und Richtungsweisung. Ist das ein Widerspruch?
Nein, das ist kein Widerspruch. Natürlich lernt das Kind von den Eltern und von seinem Vater. Aber es lernt nicht in dem Sinne, dass man Regeln und Vorgaben gibt. Das braucht man natürlich für ein gesundes Zusammenleben. Aber es lernt vor allem durch das Vorbild der Eltern. Und wenn ich Vater eines Kindes bin, lernt das Kind vorrangig durch die Anschauung meiner Person: Wie kommt er durch sein Leben, was ist ihm wichtig, worauf achtet er besonders, wie löst er Probleme, was macht ihn glücklich? Das bedeutet Sicherheit und Richtung. Das verlangt viel Auseinandersetzung mit sich selbst. Denn wenn ich meinem Kind etwas vorleben möchte, muss ich erst mal wissen, was das eigentlich ist. Und dann kommt die entscheidende Frage: Wann lebe ich das eigentlich vor? Wann ist die Zeit dafür? Wann haben wir eigentlich Zeit, miteinander Dinge zu erleben? Das ist der Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung.

Orientierung für Väter

Woran sollten sich Väter orientieren, gerade wenn sie kein optimales Vorbild hatten?
Umfragen haben ergeben, dass die meisten Männer ihre Väter lieben und positive Erinnerungen an sie haben. Aber leider ist der Normalfall ein Vater, der zu wenig Zeit hatte, um sie mit seinen Kindern zu genießen, weil seine Aufgabe in der Familie die des Alleinernährers war. Das ist leider immer noch das übliche Modell. Aber dadurch verpasst er viel. Später tut es ihm leid und er sieht sich im Defizit. Um das zu kompensieren, würde ich mich hinsetzen – allein oder mit der Partnerin – und auf einen Zettel schreiben, was mir wichtig ist, was meine Erwartungen an Vaterschaft sind, woran sich mein Kind erinnern soll. Was soll es gelernt haben, was soll rübergekommen sein? Anders gesagt: Was soll diese Vaterschaft nachher ausgemacht haben?

Wenn dann vier oder fünf Begriffe da stehen, kann ich mir überlegen, wie ich das weitergeben kann: Sind das gemeinsame Urlaube, Gespräche, gemeinsame Unternehmungen? Wenn ich zum Beispiel gern Fußball spiele, kann ich mit meinem Kind Fußball spielen oder ins Stadion gehen. Plötzlich ergeben sich sehr konkrete Dinge. Dann kann ich mir im dritten Schritt überlegen, wann dafür Zeit ist. Da wird es manchmal schwieriger, wenn ich merke, dass die Zeit zwischen 20 Uhr, wenn ich nach Hause komme, und 7 Uhr morgens, wenn ich das Kind in die Schule bringe, gar nicht so lang ist. Da kann ich ja gar nichts transportieren. Wann ist dann die Zeit, in der nur ich allein mit meinem Kind etwas machen kann? Dann geht es weiter mit dem Überlegen: Bin ich damit zufrieden? Kann ich das anders anstellen? Ich würde empfehlen, möglichst konkrete Aufgaben und Probleme zu benennen.

Rollen und Herausforderungen

Als Vater hat man verschiedene Rollen. Welche genau sind das?
Die Mutter- und Vaterrolle sind Begriffe aus der Entwicklungspsychologie, die gut eingeführt sind, aber die nicht grundsätzlich an Geschlechter geheftet sind. Da sind einfach zwei Menschen, Vorbilder, die ein Kind für eine günstige Entwicklung haben sollte. An der Vaterrolle ist das Wichtigste, dass man einen Elternpart hat, der eher den Herausforderer spielt, das Kind mit neuen Aufgaben konfrontiert, das Kind mehr lockt und ermutigt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass das immer der Vater sein muss.

Es gibt Situationen in unserer Ehe, da ist meine Frau eher in der Rolle der Herausforderin. Wenn wir im Urlaub sind, steigt sie mit dem Kind auf irgendwelche Klippen und springt wieder runter. Ich denke dann: „Spinnt ihr, ihr könnt euch wehtun! Bleibt doch besser hier, das ist doch viel zu gefährlich!“ Da bin ich eher der schützende, behütende Part. Das sind die zwei wesentlichen Dinge, die einem Kind guttun: Es sollte einen Part geben, bei dem es sich eher Schutz suchend zurückziehen kann, und einen Part, der eher nach außen zieht, der sagt: „Guck mal, geh doch mal da hin! Du kannst das!“ Das können sich Partner natürlich hin- und herspielen, wie es für sie passt. Nur diese Dualität ist gut.

Als Mann, als Vater, steht man vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen: Man möchte ein guter Vater sein, für die Kinder da sein, für die Ehefrau, man soll genug Geld verdienen, erfolgreich im Beruf sein. Wie sollte man mit diesen Erwartungen umgehen?
Indem man sich nur eine Person vornimmt, der man irgendetwas schuldig ist – und das ist das Kind. Natürlich kommen tausend Erwartungen: die des Chefs, der Partnerin, der Freunde, der Eltern und so weiter. Aber die einzige Person, der ich wirklich etwas schuldig bin, ist das Kind. Und das ist auch der einzige wirkliche Referenzpunkt, ob man seine Sache gut gemacht hat oder nicht. Das wird das Kind einem schon irgendwann sagen. Leider haben wir heute gar nicht so seltene Fälle von Vätern, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, nachdem sie ausgezogen sind. Und die leiden darunter, weil da einiges grundlegend falsch gelaufen ist. Wichtig ist: Man kann Dinge ganz anders machen, als die Gesellschaft das sagt. Man kann Dinge auch anders machen, als die eigene Frau das gut findet. Es geht einzig um das Kind. Wenn das Kind der Verlierer ist, dann ist etwas schiefgelaufen.

Vater – zwischen Beruf und Familie

Gibt es Berufe, die nicht familienkompatibel sind?
Mein Beruf gilt als nicht familienkompatibel. Und trotzdem arbeite ich seit über zwanzig Jahren in Teilzeit und habe ein abwechslungsreiches Arbeitsleben. Wir Männer glauben, wir können alles verändern, alles schaffen. Das männliche Bild ist: „The sky is the limit“, „Wir schaffen das!“ Aber dann diktiert der Job unser Leben. Das soll unabänderlich sein? Das glaube ich nicht! Wenn ich es will, dann kann ich mir die Dinge so biegen, dass ich für andere Menschen auch greifbar bin. Und wenn man sagt, das ist ein Job, der nicht kompatibel sei – ja, was soll das denn für ein Job sein? Einer, der mit einem glücklichen Leben nicht kompatibel ist? Ich glaube, wir müssen uns abgewöhnen zu denken, dass viele Überstunden das Maß der Dinge sind. Und mal ehrlich: Vierzig Stunden mehr in der Woche am Computer zu sitzen, ist, mit etwas Distanz betrachtet, auch nicht so toll.

Was würden Sie einem jungen oder werdenden Vater als wichtigsten Rat mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste ist, dass er sich vergegenwärtigt, dass Vatersein – genauso wie das Muttersein – das Leben komplett ändert. Und es ist das größte Abenteuer, das man als Mensch bestehen kann, einen anderen Menschen großzuziehen.

Das Zweite ist, dass es kein Job ist. Wenn Männer von ihrer angehenden Vaterschaft sprechen, dann sagen sie häufig, eine große Verantwortung liege jetzt vor ihnen und das alte Leben sei vorbei. Nein, es ist nicht vorbei. Das alte Leben ist das Leben, das man einem Kind vorlebt. Und es ist ganz wichtig, dass man Spaß daran hat und dass man es so macht, wie es für einen passt, weil es dann auch für das Kind meistens ganz gut passt. Man kriegt dafür keine Beförderung, es gibt keine Sternchen. Es gibt aber ein fantastisches Leben mit einem anderen Menschen.

Und das Dritte ist, dass man Vaterschaft auf die Lebensspanne sehen muss. Oft hat man das als Vater so im Kopf: Ich muss Geld verdienen und für das Kind sorgen, bis es ausgezogen ist, dann habe ich meine Arbeit gemacht. Nein, man ist ein Leben lang Vater – und ein Referenzpunkt für das Kind. Es guckt zu, wie man alt wird, wie man sein Leben in den Griff kriegt. Das, was sich dabei ändert, ist der zeitliche Horizont, in dem man tatsächlich Zeit mit dem Kind verbringen und sich als Vater einbringen kann. Es gibt eine Zahl – ich habe sie leider nicht nachgeprüft –, dass mit dem 12. Lebensjahr des Kindes die Face-to-Face-Zeit, die ein Kind mit seinen Eltern verbringt, schon zu 80 Prozent rum ist. Danach bleiben noch 20 Prozent. Das heißt, bis zum 12. Lebensjahr passiert das meiste.

Aber das ist gleichzeitig die Zeit, in der die Väter meistens voll im Job sind, das Häuschen abbezahlen, aber die wertvollste Zeit verpassen. Meist bemerkt man erst spät, wie krass das ist, weil man danach auch nicht mehr alles nachholen kann. Daher würde ich immer dazu raten, dies bei den wichtigen Entscheidungen zu bedenken.

Verlorenes aufholen

Wenn ein Vater in den Teenager-Jahren der Kinder feststellt, dass er im Kleinkindalter kaum zu Hause war und viel verpasst hat, kann man das zumindest teilweise nachholen?
Man kann einiges nachholen, anderes nicht. Ich glaube, es ist auch die Frage, wie weit man bereit ist, dem Kind gegenüber Fehler zuzugeben. Auch ich musste mit meiner ältesten Tochter viel sprechen und viel nacharbeiten. Das ist nicht einfach! Es ist einfacher, wenn man Dinge zusammen erlebt, als wenn man das später nacharbeitet. Man kann viel Vertrauen und Tiefe in der Beziehung später herstellen, aber man muss es wirklich wollen und das dem Kind von Herzen zeigen. Ich glaube, Kinder reagieren nicht gut darauf, wenn sie denken: „Aha, jetzt, wo sein Job nicht mehr so wichtig ist, bin ich plötzlich wichtig!“ Um diesen Eindruck zu vermeiden, braucht es schon ein bisschen Überzeugungskraft.

Sie haben Kinder sowohl im Teenager-Alter als auch schon erwachsene, und Sie haben die ganze Entwicklung schon durchgemacht. Wie verändert sich das Vatersein mit dem Aufwachsen der Kinder?
Es ist natürlich immer mehr ein Reden auf Augenhöhe. Kinder sind vom ersten Tag an als Persönlichkeit da. Und ihr Feedback wird konkreter. Meine Tochter Lotta hat mir kürzlich gesagt, dass es für sie immer wichtig war, dass ihre Eltern mit ihr auf Augenhöhe sprechen. Denn wenn man von oben herab behandelt wird, erzählt man irgendwann auch nichts mehr. Man kann sich früh bewusst machen, dass es nur sehr kurze Zeit ein echtes Machtgefälle zwischen Eltern und Kindern gibt. Der Einfluss, den Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder haben, in der sie alles in der Hand haben, existiert nur im Kleinkindalter. Aber danach nimmt es rasch ab und ist irgendwann gar nicht mehr da. Und wenn ich mich nicht darauf einlasse, meine Kinder ernst zu nehmen, dann kann ich auch nicht erwarten, dass meine Kinder mich ernst nehmen.

Vielen Dank für das Gespräch und die wertvollen Anregungen!

Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.

Tillmann Prüfer ist stellvertretender Chefredakteur des Zeitmagazins und Autor mehrere Bücher. Zuletzt erschien sein Buch „Vatersein: Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen“ (Rowohlt/Kindler)

Resilienz – Was Kindern hilft, stark zu werden

Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder stark werden. Sie sollen Resilienz, also Widerstandsfähigkeit entwickeln, um den Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Was dabei helfen kann, erklärt Resilienz-Trainerin Dorothea Beier.

Aus der Forschung wissen wir, dass ein sehr wichtiger Faktor für die Entwicklung einer gesunden Resilienz eine gute Bindungsbeziehung ist. Sie entsteht durch die wechselseitige Kommunikation – zunächst mit einer Bezugsperson – vom Säuglingsalter an. Durch feinfühliges Antworten auf die Signale des Babys, wobei es angeschaut wird und bereits Gespräche mit Gestik und Mimik geführt werden, bilden sich Urvertrauen und ein positives Grundgefühl aus. Das Kind nimmt wahr: „Ich bin sicher und geborgen, ich bin richtig, ich darf sein, wie ich bin, meine Welt ist in Ordnung.“ Durch diese Wahrnehmung prägen sich bereits ein gesundes Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit aus. Kinder lernen durch liebevolle Interaktion mit der Bezugsperson, ihre Gefühle zu regulieren und Stress zu bewältigen. Hierdurch erlangen sie auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und mit ihnen zu fühlen. Sie werden beziehungsfähig, entwickeln Freundschaften, was wiederum eine starke Säule ist, die in stürmischen Zeiten Halt und Stütze gibt.

Manchmal haben Eltern bei einem ihrer Kinder den Eindruck, dass die Bindung instabil geworden ist. In jedem Lebensalter wirkt es dann Wunder, Zeit zu zweit mit dem Kind zu pflegen. Unternehmungen mit einem Elternteil allein, Gespräche auf Augenhöhe, etwas gemeinsam tun, was beiden Spaß macht, kann die verloren geglaubte Bindung wiederherstellen. „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.“ Dieser Satz des bekannten Psychotherapeuten Milton Erickson macht Mut, positiv in die Zukunft zu schauen, Visionen und Ziele zu verfolgen und dies auch unseren Kindern zu vermitteln. Selbst wenn ein Mensch keine sichere Bindung in seinen ersten Lebensjahren erfahren hat, kann das nachgeholt werden.

Humor macht stark

Es gibt keine perfekten Eltern und das ist gut so! Aber wir können uns Anregungen holen, wie unser Miteinander schöner werden kann und was Kinder in der Entwicklung zu starken Persönlichkeiten unterstützt.

Der Psychologe und Logotherapeut Viktor E. Frankl betont: „Resilienz entsteht durch gute Gefühle und durch Humor.“ Tatsächlich hat die Art, wie wir miteinander kommunizieren, einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Resilienz unserer Kinder. Würzen wir unsere Kommunikation mit Humor, so nimmt dies oftmals Stress aus einer Situation. Kinder lieben es, wenn sie mit uns lachen können und Spaß haben. Wir erfüllen damit nicht nur ihnen, sondern auch uns eines der wichtigsten seelischen Grundbedürfnisse, in diesem Fall Lustgewinn und Unlustvermeidung. Und zahlreiche Studien aus aller Welt bestätigen: Humor hilft Kindern, mit widrigen Lebensumständen umzugehen.

„Ich bin dumm, blöd und viel zu klein“

In unserer hektischen und schnelllebigen Zeit fällt es oft schwer, einfühlsam zuzuhören. Aber gerade dies fördert eine gute Kommunikation und damit auch Resilienz. Es kann helfen, wenn wir uns klarmachen, wie sehr es unsere Kinder lieben, wenn wir Blickkontakt aufnehmen und ihnen aktiv zuhören. Was möchte mein Kind mir sagen? Noch einmal nachfragen, mit Gestik und Mimik zugewandt sein, zeigt, dass wir wirklich zuhören.

Für unsere Kinder ist es wichtig, dass wir ihre verbalen und nonverbalen Botschaften verstehen, dass wir ihre Gefühle, Gedanken und Überzeugungen wahr- und ernst nehmen, indem wir sie aufnehmen und noch einmal mit unseren Worten wiederholen. Auf diese Weise fühlen sie sich von uns verstanden und mit uns verbunden. Diese Art der Kommunikation – auch aktives Zuhören genannt – ist eine sehr hilfreiche Methode, die in eine Familie viel Entspannung bringen kann. Welchen Unterschied es macht, wenn man sie anwendet, soll mit dem folgenden Beispiel verdeutlicht werden: Der 8-jährige Yannis konnte sich nur sehr schwer in der Schule mit Gleichaltrigen zurechtfinden. Zu Hause erklärte er eines Tages seiner Mutter, dass er dumm, blöd und viel zu klein sei. Erschrocken über seine Worte versuchte sie sofort, ihm das auszureden, worauf er mit einem Wutanfall reagierte.

Gemeinsam Resilienz entwickeln

Nach einer kompetenten Beratung verstand die Mutter, dass sich ihr Kind durch ihre Reaktion nicht verstanden gefühlt hat. Als sich die Situation wiederholte, versuchte sie es mit aktivem Zuhören. Sie sagte: „Ich weiß, was du denkst. Du kommst dir zu klein vor, glaubst, dass du blöd und dumm bist. Ich bin sehr froh, dass du mir das sagst, auch wenn ich anders darüber denke. Ja, es gibt Dinge, die dir noch nicht so gut gelingen. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir herausfinden können, was dir helfen könnte, besser über dich zu denken“. Die Mutter hatte mit ihrer Aussage die Wahrnehmung ihres Sohnes bestätigt, er fühlte sich verstanden und ernst genommen.

Wir machen unsere Kinder stark, wenn wir sie darin unterstützen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Gemeinsam mit Kindern über Lösungen für ein Problem nachzudenken und abzuwägen, was man tun könnte, hilft ihnen, gesunde, resiliente Erwachsene zu werden. Wenn wir sie darin anleiten, Handlungspläne zu entwickeln, fördert das ihre Eigenständigkeit, erfüllt ihr Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Dies fördert wiederum ihre Selbstwirksamkeit und stärkt ihr Selbstwertgefühl.

Fehler feiern

Es bleibt nicht aus, dass unsere Kinder auch mit Misserfolgen konfrontiert werden. Viele Menschen leiden unter der Angst, Fehler zu machen. Das kostet viel Kraft. Wir machen unsere Kinder stark fürs Leben, wenn wir ihnen helfen, zu verstehen, dass Fehler zum Leben dazugehören und dass man daraus lernen kann.

Eine Lehrerin fragte dazu am Beginn eines Schuljahres ihre Schüler: „Wer von euch hat das Gefühl, in diesem Jahr vielleicht Fehler zu machen oder manche Dinge nicht zu verstehen?“ Dann hob sie als erstes ihre Hand, woraufhin auch die Kinder sich trauten, das zuzugeben. Sie stellte einen Krug und einen Behälter mit Steinen auf ihr Pult und erklärte den Kindern: „Immer, wenn einer von uns einen Fehler macht, werfen wir einen Stein in den Krug. Wenn der Krug voll ist, feiern wir.“ Da der Krug nicht sehr groß war, konnte die erste Party schon bald darauf beginnen. Kinder, die sich zuvor – oft aus Angst vor Fehlern – nicht getraut hatten zu antworten, waren jetzt ermutigt und beteiligten sich am Unterricht. Das Leistungsniveau der Klasse steigerte sich hierdurch enorm und es gab so gut wie keine Disziplinschwierigkeiten.

Optimismus und Glaube

Kinder lieben es, wenn Eltern optimistisch in die Zukunft schauen. Das macht gute Gefühle und gibt ihnen Sicherheit. Sie beobachten, wie Eltern Probleme lösen und Entscheidungen treffen. Nicht allein hier kann auch der Glaube an Gott, der zu jeder Zeit einen Weg und eine Hilfe für uns hat, für den nichts zu schwer und unmöglich ist, eine große Hilfe sein. Wir können es mit den Kindern zu einem Ritual werden lassen, darüber nachzudenken, was am Tag besonders schön war. Gemeinsames Staunen über schöne Dinge, Dankbarkeit und Frohsinn helfen zu einem optimistischen Familienklima. Zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, sich nicht von Negativem herunterziehen zu lassen, sondern zu vertrauen, macht stark und fördert Resilienz.

Einfach Kind sein

Kinder brauchen auch Zeiten, in denen sie sich entspannen können und zur Ruhe finden. Ein ausgewogener Zeitplan, in dem unsere Kinder Kinder sein dürfen, unterstützt eine ausgewogene Hirnentwicklung. Sie entwickeln emotionale Regulationsfertigkeiten und sogar die Intelligenz wird gefördert, wenn sie zu spontanem und kreativem Spiel Zeit finden. Hierbei wird ihnen die Gelegenheit geboten, neugierig und erfinderisch zu sein. Sogar Langeweile kann förderlich sein, um die Welt und sich selbst zu entdecken.

Jede Interaktion mit unseren Kindern bietet die Gelegenheit, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie einzigartig und wertvoll sind. Wie wichtig und nötig auch „Extra-Zeiten“ sind, die wir in der Familie einrichten können, und in denen jedes einzelne Kind ganz besonders bedacht wird, kann man immer wieder beobachten. Kinder nehmen hierdurch in besonderer Weise die Liebe der Eltern wahr. Diese Zeiten sind Kraftquellen für Kinder. Hier können sie auftanken, den Stress des Alltags hinter sich lassen und einfach glücklich sein. Nicht zuletzt sind besondere Familienzeiten mit Spiel und Spaß, gemeinsame Ausflüge, Wanderungen und vieles mehr Oasenzeiten, die unsere Kinder resilient machen und ihnen helfen, mit Stress in gesunder Weise umzugehen.

Dorothea Beier ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Selbstbehauptungs- und Resilienz-Trainerin, Spiel- und Bewegungstrainerin sowie Coach für Kinder und Jugendliche. Sie lebt und arbeitet in Uelzen. praxis-dbeier.de