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Liebevoll loben, ehrlich ermutigen – Das müssen Kinder hören

Worte schaffen Realität. Das gilt umso mehr im Umgang mit Kindern. Wie sprechen wir mit ihnen? Welche Bewertungen äußern wir? Vermitteln wir etwas Positives oder etwas Negatives? Pädagoin Stefanie Diekmann klärt darüber auf, was Kinder wirklich hören müssen.

Mitte der 90er: Geburtstagsfeier einer Tante. Ich habe noch keine Kinder. Ein kleiner Junge tobt und donnert dabei mit seinem Kopf so an den Tisch, dass die Schwarzwälder Kirschtorte schwankt. Die Mutter greift sich ihren Sohn und sagt: „Was hast du gerade im Kopf? Den Teufel!“ Ich zucke zusammen und ringe nach Worten. Auch wenn ich sonst vieles stehen lassen kann, werde ich wachgerüttelt: Unbedachte Worte und Bewertungen sind machtvolle Stempel für die Selbstwahrnehmung eines Kindes.

Wir Eltern reden viel – locker, fröhlich, angespannt oder zornig. Ich denke nicht immer vorher über das nach, was ich sage. Gerade im Umgang mit meinen Kindern habe ich erlebt, wie schnell Worte aus mir herauspurzeln. Deshalb ist es mir wichtig, ein Bewusstsein für die Kraft meiner Worte zu entwickeln. Denn jedes Wort bewirkt etwas!

Ermutigung lernen

Anna (alle Namen geändert) berichtet, wie sie als Kind fast unsichtbar war. Immer wieder stellt ihre Mutter sie anderen mit diesen Worten vor: „Anna ist so, dass man sie immer vergisst und übersieht!“ Wahrscheinlich ist es liebevoll gemeint, denn Annas Brüder sind laut und präsent. Erst mit 40 Jahren gönnt sich Anna schließlich eine Beratung, um zu verstehen, was sie so unscheinbar macht und welchen Einfluss die Worte ihrer Mutter hatten.

Natürlich erlangt nicht jede Aussage so eine hohe Bedeutung im Leben eines Kindes – zum Glück. Wir können nie wissen, welche Bemerkung, welches Lob oder welche Rüge im Kind Resonanz auslöst. Deswegen sollten wir sorgsam mit unseren Worten umgehen. Worte sind kraftvoll. Sie können schwächen oder stärken, motivieren oder demotivieren, trennen oder verbinden. Das Tolle ist: Worte können eingeübt werden. Jede Familie kann Ermutigung und Lob lernen. Wir können dabei bewusst auf unsere Sprache und unsere Wortwahl achten.

Wir können zum Beispiel zuhören, wie andere Eltern ihre Kinder loben oder wie Ehepartner über den anderen sprechen. Und reflektieren: Welche bewertenden Formulierungen nutze ich häufig? „Da warst du lieb!“ „Sei schön leise!“ „Stell dich nicht so an wegen der Beule am Kopf!“ „Du kannst wirklich nichts!“ Wenn wir uns das bewusst gemacht haben, können wir üben, die Sätze umzuformen: „Deine Unterstützung hat mir gutgetan.“ „Danke, dass du gerade still zuhörst.“ „Ich spüre, du hast Schmerzen.“ „Ich möchte gern herausfinden, was du besonders gut kannst.“

Liebe ohne Bewertungen

Manchmal hilft es, mir auszumalen, was meine Bewertungen konkret heißen. „Da warst du lieb!“: Wäre mir das Kind denn nicht lieb, wenn es sich anders verhielte? „Lieb sein“ wird in Verbindung gebracht mit „still sein und mich nicht fordern“ und vermittelt automatisch, dass ein Kind nicht lieb ist, wenn es mehr körperliche Aktivität oder Fragen mitbringt. In diesem Moment stellen wir uns unbewusst über das Kind, um ihm zu sagen, wie es zu sein hat. Jedes Kind hat ein großes Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung. Kinder wollen mit den Eltern zusammenarbeiten und ihnen gefallen. Sie strengen sich an, die Kriterien für unsere Bewertungen zu erfüllen – auch, wenn sie sich dafür verbiegen müssen. „Lieb sein“ kann aber auch bedeuten: „Ich habe dich immer lieb, egal wie dein Verhalten gerade ist.“ Diese Zusage, diese eine Liebesbekundung sollte nicht mit einer Rüge oder einem Lob verbunden sein.

Das Selbstvertrauen von Kindern ist so sehr von Lob abhängig, dass sie es permanent einfordern. Manche Kinder verhalten sich ständig so, dass sie anderen gefallen. Oder sie tun Dinge nur, um ein Lob zu bekommen.

„Sei schön leise!“: Hier legen wir unsere Bewertung von „schön“ auf das Kind. Wer sagt denn, dass leise sein „schön“ ist? „Stell dich nicht so an wegen der Beule am Kopf!“: Ich habe auch Momente, in denen mir etwas Schmerzen verursacht. Wie wohltuend, wenn jemand diese Schmerzen nicht wegredet. „Du kannst wirklich nichts!“: Solche Bewertungen wischen den Respekt vor dem Einzelnen weg. Unserem Kind dürfen wir das nicht zumuten.

„Das hast du toll gemacht!“ Hier dürfen wir fragen, ob unser Kind selbst zufrieden ist. Denn um dieses innere eigene Bewerten geht es im Lob. Unser Kind wird ein gesundes Ich-Gefühl entwickeln, wenn es nicht auf positive Bewertungen von außen angewiesen ist. Lob ist eine Einladung zum Austausch über die Wahrnehmung des Gelungenen und des Noch-nicht-Gelungenen.

Orientierung geben

Auch wir selbst sind mit Worten geprägt worden – vielleicht mit guten, vielleicht mit weniger guten. Gerade in turbulenten Alltags-Situationen kann es zu spontanen Äußerungen kommen, die den Tiefen unserer eigenen Erfahrung entspringen. Deshalb ist es wichtig, den eigenen Sprachgebrauch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern. Wie wäre es, eine Lobliste anzulegen? Es kann auch eine Liste werden, die eine Familie für sich erstellt: Was wertet mich auf? Was wärmt mich von innen? Was sagt Gott über mich?

Im Familienalltag bewerten wir uns ständig gegenseitig. Wir bewerten, indem wir ignorieren, Wohlwollen zeigen, mit den Augen rollen oder kommentieren. All das hilft unserem Kind, sich zu orientieren: „So ist mein Leben. Das finden meine Eltern wichtig.“ In manchen Familien, die ich berate, erlebe ich zu wenig Worte. Dabei sind Worte wichtiger Bestandteil zum Beispiel einer Mahlzeit: Wir hören zu, achten auf kleine Gesten der Höflichkeit und laden klar und liebevoll zum Sitzenbleiben ein. Worte leiten an und vermitteln ein Familiengefühl. Wir geben Kindern mit bewusst gewählten Worten Halt. Positive Äußerungen wie „Ich freue mich mit dir“, „Ich bin beeindruckt“ oder „Ich freue mich, wie stolz du bist“ bringen dem Kind Wertschätzung entgegen und stärken das Ich-Gefühl. Solche Worte rutschen tief ins Herz eines Kindes.

Positive Haltung

In einer Familie liegt schnell der Fokus auf Fehlern und dem, was „falsch“ läuft. Im Miteinander geht es aber nicht um Erfolg oder Misserfolg, sondern um eine wertfreie Begegnung miteinander und – in Familien mit christlichem Hintergrund – auch die Begegnung mit Gott. Wir dürfen den Sprachgebrauch unserer Erziehung hinterfragen und ersetzen und den Fokus auf die Fähigkeiten des Kindes oder die Möglichkeiten zur Unterstützung legen. Manchmal hilft es, den Teenager zu fragen: „Ich finde Erfolg nicht so wichtig. Wie geht es dir damit, wenn ich das nicht lobe?“ Unseren Sohn hat es beispielsweise verletzt, dass wir auf sein gelungenes Abitur nicht reagiert haben.

Wir können mit positiver Sprache eine positive Haltung fördern. Wir können zum Beispiel auf das Wort „falsch“ verzichten und lieber Alternativen oder Lösungswege anbieten. Anstelle von „Ach, Luisa, du hast ja schon wieder die Jacke falsch angezogen“ können wir sagen: „Schau mal, der Ärmel hängt da unten. Hier kannst du reinschlüpfen.“ Der Fokus liegt nicht auf dem Fehler, sondern wir bieten positive Unterstützung an. So entsteht eine ermutigende Atmosphäre.

Oft haben wir eine Bewertung im Kopf und im Herzen. Wir finden das Verhalten des Kindes zu laut oder sein Zögern zu ängstlich. Simone ärgert sich wiederkehrend über den fordernden Ton ihrer Tochter. Wenn Lenja in den Raum kommt, hat Simone oft den Impuls, zu fliehen oder zu meckern. Zunächst tauscht sie sich darüber mit ihrem Partner aus. So ein Austausch kann einen Perspektivwechsel bewirken, der den Zugang zum Kind verändert. Simone bekommt dadurch Orientierung über ihre eigenen Gefühle, sodass sie in der nächsten kritischen Situation statt eines Motzanfalls sagen kann: „Ich möchte gern mit dir reden. Aber wenn du mit mir in diesem Ton sprichst, macht mich das sauer.“ Simone wiederholt diesen Satz und findet heraus, dass es ihrer Tochter guttut, erst mal in den Arm genommen zu werden. Nun kann eine Wertschätzung ins Herz sacken.

Simone beschreibt in der Beratung: „Auch wenn das Kind meine Bemerkungen nicht hört, prägen sie doch die Wirklichkeit. Deswegen möchte ich mir zur Gewohnheit machen, gut über mein Kind zu sprechen. Gute Worte über andere verändern auch unsere Sicht auf sie und unsere Haltung ihnen gegenüber. Wir können aussprechen, was mit Gottes Hilfe in den Kindern Wirklichkeit werden kann und soll.“

Kraft und Segen

Johann ist erwachsen. Er berichtet von einer Mitarbeiterin in seiner Kirche, die immer wieder zu ihm gesagt hat: „Du wirst ein guter Leiter. Du hast Einfluss auf Menschen.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Johann gestottert, er war zurückgezogen und schrullig. Tatsächlich aber sah die Mitarbeiterin, wie er sich um die neuen Kinder bemühte oder Jüngeren half. Johann hat sich in diese Idee, dass Gott ihm wunderbare Gaben geschenkt hat, hineingelebt und ist heute tatsächlich ein hingebungsvoller Gruppenleiter.

Worte haben Kraft. Wo Wunden entstanden sind, dürfen wir um Vergebung bitten. Wenn uns unser Kind herausfordert, können wir es segnen. Denn im Segnen liegt der unfassbar starke Blick, den Gott auf unser Kind hat. Ich lade euch ein zum liebevollen Loben und ehrlichen Ermutigen!

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und Pädagogin, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt in Göttingen.

Wie Worte unsere Kinder prägen

Worte haben Kraft und prägen unsere Kinder entscheidend. Wie wir eine gesunde Selbstwahrnehmung fördern können.

Mitte der 90er: Geburtstagsfeier einer Tante. Ich habe noch keine Kinder. Ein kleiner Junge tobt und donnert dabei mit seinem Kopf so an den Tisch, dass die Schwarzwälder Kirschtorte schwankt. Die Mutter greift sich ihren Sohn und sagt: „Was hast du gerade im Kopf? Den Teufel!“ Ich zucke zusammen und ringe nach Worten. Auch wenn ich sonst vieles stehen lassen kann, werde ich wachgerüttelt: Unbedachte Worte sind machtvolle Stempel für die Selbstwahrnehmung eines Kindes.

Wir Eltern reden viel – locker, fröhlich, angespannt oder zornig. Ich denke nicht immer vorher über das nach, was ich sage. Gerade im Umgang mit meinen Kindern habe ich erlebt, wie schnell Worte aus mir herauspurzeln. Deshalb ist es mir wichtig, ein Bewusstsein für die Kraft meiner Worte zu entwickeln. Denn jedes Wort bewirkt etwas!

Ermutigung lernen

Anna (alle Namen geändert) berichtet, wie sie als Kind fast unsichtbar war. Immer wieder stellt ihre Mutter sie anderen mit diesen Worten vor: „Anna ist so, dass man sie immer vergisst und übersieht!“ Wahrscheinlich ist es liebevoll gemeint, denn Annas Brüder sind laut und präsent. Erst mit 40 Jahren gönnt sich Anna schließlich eine Beratung, um zu verstehen, was sie so unscheinbar macht und welchen Einfluss die Worte ihrer Mutter hatten.

Natürlich erlangt nicht jede Aussage so eine hohe Bedeutung im Leben eines Kindes – zum Glück. Wir können nie wissen, welche Bemerkung, welches Lob oder welche Rüge im Kind Resonanz auslöst. Deswegen sollten wir sorgsam mit unseren Worten umgehen. Worte sind kraftvoll. Sie können schwächen oder stärken, motivieren oder demotivieren, trennen oder verbinden. Das Tolle ist: Worte können eingeübt werden. Jede Familie kann Ermutigung und Lob lernen. Wir können dabei bewusst auf unsere Sprache und unsere Wortwahl achten.

Wir können zum Beispiel zuhören, wie andere Eltern ihre Kinder loben oder wie Ehepartner über den anderen sprechen. Und reflektieren: Welche bewertenden Formulierungen nutze ich häufig? „Da warst du lieb!“ „Sei schön leise!“ „Stell dich nicht so an wegen der Beule am Kopf!“ „Du kannst wirklich nichts!“ Wenn wir uns das bewusst gemacht haben, können wir üben, die Sätze umzuformen: „Deine Unterstützung hat mir gutgetan.“ „Danke, dass du gerade still zuhörst.“ „Ich spüre, du hast Schmerzen.“ „Ich möchte gern herausfinden, was du besonders gut kannst.“

Liebe ohne Wertung

Manchmal hilft es, mir auszumalen, was meine Bewertung konkret heißt. „Da warst du lieb!“: Wäre mir das Kind denn nicht lieb, wenn es sich anders verhielte? „Lieb sein“ wird in Verbindung gebracht mit „still sein und mich nicht fordern“ und vermittelt automatisch, dass ein Kind nicht lieb ist, wenn es mehr körperliche Aktivität oder Fragen mitbringt. In diesem Moment stellen wir uns unbewusst über das Kind, um ihm zu sagen, wie es zu sein hat. Jedes Kind hat ein großes Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung. Kinder wollen mit den Eltern zusammenarbeiten und ihnen gefallen. Sie strengen sich an, die Bewertungskriterien zu erfüllen – auch, wenn sie sich dafür verbiegen müssen. „Lieb sein“ kann aber auch bedeuten: „Ich habe dich immer lieb, egal wie dein Verhalten gerade ist.“ Diese Zusage, diese eine Liebesbekundung sollte nicht mit einer Rüge oder einem Lob verbunden sein. Das Selbstvertrauen von Kindern ist so sehr von Lob abhängig, dass sie es permanent einfordern. Manche Kinder verhalten sich ständig so, dass sie anderen gefallen. Oder sie tun Dinge nur, um ein Lob zu bekommen.

„Sei schön leise!“: Hier legen wir unsere Bewertung von „schön“ auf das Kind. Wer sagt denn, dass leise sein „schön“ ist? „Stell dich nicht so an wegen der Beule am Kopf!“: Ich habe auch Momente, in denen mir etwas Schmerzen verursacht. Wie wohltuend, wenn jemand diese Schmerzen nicht wegredet. „Du kannst wirklich nichts!“: Diese Bewertung wischt den Respekt vor dem Einzelnen weg. Unserem Kind dürfen wir das nicht zumuten. „Das hast du toll gemacht!“ Hier dürfen wir fragen, ob unser Kind selbst zufrieden ist. Denn um dieses innere eigene Bewerten geht es im Lob. Unser Kind wird ein gesundes Ich-Gefühl entwickeln, wenn es nicht auf positive Bewertungen von außen angewiesen ist. Lob ist eine Einladung zum Austausch über die Wahrnehmung des Gelungenen und des Noch-nicht-Gelungenen.

Orientierung geben

Auch wir selbst sind mit Worten geprägt worden – vielleicht mit guten, vielleicht mit weniger guten. Gerade in turbulenten Alltags-Situationen kann es zu spontanen Äußerungen kommen, die den Tiefen unserer eigenen Erfahrung entspringen. Deshalb ist es wichtig, den eigenen Sprachgebrauch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern. Wie wäre es, eine Lobliste anzulegen? Es kann auch eine Liste werden, die eine Familie für sich erstellt: Was wertet mich auf? Was wärmt mich von innen? Was sagt Gott über mich?

Im Familienalltag bewerten wir uns ständig gegenseitig. Wir bewerten, indem wir ignorieren, Wohlwollen zeigen, mit den Augen rollen oder kommentieren. All das hilft unserem Kind, sich zu orientieren: „So ist mein Leben. Das finden meine Eltern wichtig.“ In manchen Familien, die ich berate, erlebe ich zu wenig Worte. Dabei sind Worte wichtiger Bestandteil zum Beispiel einer Mahlzeit: Wir hören zu, achten auf kleine Gesten der Höflichkeit und laden klar und liebevoll zum Sitzenbleiben ein. Worte leiten an und vermitteln ein Familiengefühl. Wir geben Kindern mit bewusst gewählten Worten Halt. Positive Äußerungen wie „Ich freue mich mit dir“, „Ich bin beeindruckt“ oder „Ich freue mich, wie stolz du bist“ bringen dem Kind Wertschätzung entgegen und stärken das Ich-Gefühl. Solche Worte rutschen tief ins Herz eines Kindes.

Positive Haltung

In einer Familie liegt schnell der Fokus auf Fehlern und dem, was „falsch“ läuft. Im Miteinander geht es aber nicht um Erfolg oder Misserfolg, sondern um eine wertfreie Begegnung miteinander und mit Gott. Wir dürfen den Sprachgebrauch unserer Erziehung hinterfragen und ersetzen und den Fokus auf die Fähigkeiten des Kindes oder die Möglichkeiten zur Unterstützung legen. Manchmal hilft es, den Teenager zu fragen: „Ich finde Erfolg nicht so wichtig. Wie geht es dir damit, wenn ich das nicht lobe?“ Unseren Sohn hat es beispielsweise verletzt, dass wir auf sein gelungenes Abitur nicht reagiert haben.

Wir können mit positiver Sprache eine positive Haltung fördern. Wir können zum Beispiel auf das Wort „falsch“ verzichten und lieber Alternativen oder Lösungswege anbieten. Anstelle von „Ach, Luisa, du hast ja schon wieder die Jacke falsch angezogen“ können wir sagen: „Schau mal, der Ärmel hängt da unten. Hier kannst du reinschlüpfen.“ Der Fokus liegt nicht auf dem Fehler, sondern wir bieten positive Unterstützung an. So entsteht eine ermutigende Atmosphäre.

Oft haben wir eine Bewertung im Kopf und im Herzen. Wir finden das Verhalten des Kindes zu laut oder sein Zögern zu ängstlich. Simone ärgert sich wiederkehrend über den fordernden Ton ihrer Tochter. Wenn Lenja in den Raum kommt, hat Simone oft den Impuls, zu fliehen oder zu meckern. Zunächst tauscht sie sich darüber mit ihrem Partner aus. So ein Austausch kann einen Perspektivwechsel bewirken, der den Zugang zum Kind verändert. Simone bekommt dadurch Orientierung über ihre eigenen Gefühle, sodass sie in der nächsten kritischen Situation statt eines Motzanfalls sagen kann: „Ich möchte gern mit dir reden. Aber wenn du mit mir in diesem Ton sprichst, macht mich das sauer.“ Simone wiederholt diesen Satz und findet heraus, dass es ihrer Tochter guttut, erst mal in den Arm genommen zu werden. Nun kann eine Wertschätzung ins Herz sacken.

Simone beschreibt in der Beratung: „Auch wenn das Kind meine Bemerkungen nicht hört, prägen sie doch die Wirklichkeit. Deswegen möchte ich mir zur Gewohnheit machen, gut über mein Kind zu sprechen. Gute Worte über andere verändern auch unsere Sicht auf sie und unsere Haltung ihnen gegenüber. Wir können aussprechen, was durch Gott in den Kindern Wirklichkeit werden kann und soll.“

Kraft und Segen

Johann ist erwachsen. Er berichtet von einer Mitarbeiterin in seiner Kirche, die immer wieder zu ihm gesagt hat: „Du wirst ein guter Leiter. Du hast Einfluss auf Menschen.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Johann gestottert, er war zurückgezogen und schrullig. Tatsächlich aber sah die Mitarbeiterin, wie er sich um die neuen Kinder bemühte oder Jüngeren half. Johann hat sich in diese Idee, dass Gott ihn gebrauchen kann, hineingelebt und ist heute tatsächlich ein hingebungsvoller Gruppenleiter.

Worte haben Kraft. Wo Wunden entstanden sind, dürfen wir um Vergebung bitten. Wenn uns unser Kind herausfordert, können wir es segnen. Denn im Segnen liegt der unfassbar starke Blick, den Gott auf unser Kind hat. Ich lade euch ein zum liebevollen Loben und ehrlichen Ermutigen!

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und Pädagogin, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt in Göttingen.

Sexualisierte Gewalt an Kindern: Expertin gibt Tipps zur Prävention

Wie lernen Kinder, die Grenzen körperlicher Nähe wahrzunehmen und zu benennen? Und wie kann man Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen? Im Interview gibt Präventionsexpertin Agota Lavoyer Tipps, worauf Eltern achten sollten.

Wann würdest du beginnen, mit Kindern über körperliche Nähe und Grenzen zu sprechen?

Agota Lavoyer: Darüber kann man sehr früh mit Kindern sprechen, sobald man ihnen auch andere Dinge erklärt. Als Eltern bekommt man ja mit, wie viel Nähe ein Kind mag. Diese Beobachtungen sollte man unbedingt aufgreifen und dem Kind beibringen, dass sein Körper ihm gehört und es selbst darüber entscheiden darf. Als Erwachsene ist es wichtig, uns bewusst zu machen: Auch Kinder haben Grenzen. Diese Erkenntnis ist relativ neu in unserer Gesellschaft, weil wir von einer Pädagogik kommen, in der körperliche Gewalt ganz normal Teil der Erziehung war. Viele sträuben sich noch dagegen, Grenzen von Kindern genauso zu achten wie von Erwachsenen.

Kein öffentlicher Gegenstand

Ja, da wird schnell mal ungefragt einem Kind über den Kopf gestreichelt, auch von fremden Personen. Was kann ich als Elternteil in so einem Fall tun?

Am wichtigsten finde ich, dem Kind die Rückmeldung zu geben: Das ist nicht okay. Der Kopf eines Kindes ist kein öffentlicher Gegenstand, der einfach berührt werden darf. Diese klare Haltung seiner Eltern gibt dem Kind Sicherheit, selbst zu bestimmen, wie viel Nähe es zulassen möchte. Und wenn man solche Vorfälle im eigenen Umfeld immer wieder thematisiert, sensibilisiert das auch diejenigen, die so etwas vielleicht selbst manchmal tun.

Wie können wir als Eltern unser Kind noch darin stärken, eigene Grenzen zu kommunizieren?

Ich finde es gut, sich bei alltäglichen Dingen wie Umarmungen oder Küssen immer mal rückzuversichern, ob unser Kind das noch mag oder ob es vorher gefragt werden möchte. Wenn wir dem Kind unsere eigenen Grenzen vorleben, lernt es, dass es normal und in Ordnung ist, diese auch zu kommunizieren.

Grenzen einhalten

Ich habe mich mal überwunden, einem Verwandten zu sagen, dass ich das Gefühl habe, mein Vierjähriger möchte nicht jedes Mal gekuschelt werden und dass er ihn vorher fragen soll. Er geht nun sehr achtsam mit dem Kind um. Und mein Sohn fühlt sich ernst genommen und sucht von sich aus viel Nähe zu diesem Verwandten.

Das ist ein schönes Beispiel. Als Eltern müssen wir uns darüber bewusst sein: Wir sind dafür zuständig, dass die Grenzen unserer Kinder gewahrt werden. Ein Kind ist in den meisten Fällen überfordert damit. Ich finde es wichtig, Kindern in diesem Zusammenhang auch beizubringen: „Du musst niemals Nähe oder Zärtlichkeit erdulden, um Liebe, Aufmerksamkeit oder ein Geschenk zu bekommen.“ Es ist in der Gesellschaft noch nicht selbstverständlich, über körperliche Grenzen zu sprechen. Ich bin zuversichtlich, dass sich das in der Zukunft ändern kann. Unsere Kinder können wir von Anfang an sprachfähig machen.

Jetzt haben wir viel über Grenzen gesprochen. Wieso ist es so wichtig, Kinder auch konkret über die Gefahren sexualisierter Gewalt aufzuklären?

Das Ausmaß an sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern ist enorm – etwa jedes siebte Kind ist betroffen –, doch viele Kinder haben keine Ahnung, was sexualisierte Gewalt ist. Wir klären sie selbstverständlich über die Gefahren im Straßenverkehr oder von Feuer auf. Auch über sexualisierte Gewalt sollten wir unaufgeregt mit ihnen ins Gespräch kommen. Das ist für viele Erwachsene schwierig, weil sie diese Gespräche mit ihren Eltern selbst nicht erlebt haben. Doch um Übergriffe erkennen und mit uns darüber sprechen zu können, müssen Kinder wissen, was okay ist und was nicht.

Klare Sprache

Ich habe von dem Beispiel gehört, dass ein Kind von den sexuellen Übergriffen durch seinen Großvater erzählt hat: „Der Opa fährt immer den Traktor in die Garage.“ Weshalb ist es so wichtig, die Körperteile im Intimbereich korrekt zu benennen?

Einerseits stärkt es die Selbstwirksamkeit und das Körpergefühl, wenn ein Kind weiß, wie Körperteile heißen, und andererseits macht es Kinder sprachfähig. Das gilt für sexualisierte Gewalterlebnisse in der Kindheit und ist genauso wichtig für die schöne Seite von Nähe, um Bedürfnisse äußern und Konsens herstellen zu können. In meinem Umfeld erlebe ich: Wenn Kinder mit den Begriffen Vulva, Vagina und Penis aufwachsen, sind das normale Worte für sie.

Fast alle Täter und Täterinnen stammen aus dem nahen Umfeld. Was können Eltern tun, um Übergriffen vorzubeugen?

Potenzielle Tatpersonen werden abgeschreckt, wenn sie miterleben, dass offen über Grenzen gesprochen wird und die Kinder darüber Bescheid wissen. Ich würde auch in allen Einrichtungen und Vereinen, die mein Kind besucht, nachfragen, ob es ein Schutzkonzept für sexualisierte Gewalt gibt und wie mit Grenzverletzungen umgegangen wird. Oder auch, was dafür getan wird, damit es nicht zu grenzverletzendem Verhalten von Erwachsenen gegenüber Kindern kommt und wie mit grenzverletzendem Verhalten unter Kindern umgegangen wird. Wenn man das beim Elternabend fragt, werden auch die anderen Eltern sensibilisiert. Außerdem finde ich es enorm wichtig, dass Lehrpersonen sich mit diesen Themen beschäftigen und mit den Schülerinnen und Schülern darüber sprechen. Niemand kann dafür sorgen, dass alle Eltern mit ihren Kindern über Grenzen und Grenzverletzungen sprechen, doch in die Schule müssen alle Kinder gehen.

Sexualisierte Gewalt: Fragen stellen und zuhören

Und wie können Eltern ihr Kind ermutigen, von grenzverletzendem Verhalten zu erzählen?

Ich habe lange in der Opferberatung gearbeitet und viele Erwachsene gefragt, was sie als Kinder gebraucht hätten, um darüber zu sprechen. Neben der Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, haben nicht wenige gesagt: „Es hat nie jemand gefragt.“

Gerade wenn wir uns um ein Kind Sorgen machen, weil es sich verändert hat, oft traurig ist oder schlecht schläft, stellen wir dem Kind viele Fragen, wie: „Wirst du gemobbt, hast du Probleme in der Schule oder mit den Freunden …?“ Ich finde es wichtig, auch immer mal wieder zu fragen: „Ist dir schon mal jemand zu nahe getreten, hat dich im Intimbereich berührt oder dir eine sexualisierte Nachricht geschickt?“

Je alltäglicher diese Themen in einer Familie sind, desto einfacher ist es, darüber zu sprechen.

So helfen Eltern betroffenen Kindern

Angenommen, mein Kind erzählt mir von einem Vorfall, wie soll ich als Elternteil reagieren?

Unsere Reaktion ist für die Verarbeitung des Kindes sehr ausschlaggebend. Mein wichtigster Rat ist, in dem Moment zu versuchen, ruhig zu bleiben, dem Kind zuzuhören, es ernst zu nehmen und nichts zu überstürzen. Dem Kind immer die Rückmeldung zu geben: „Ich finde es stark, dass du mir das erzählt hast. Vielen, vielen Dank!“

Idealerweise schreibt man wortwörtlich auf, was das Kind erzählt hat. In den meisten Fällen ist man emotional so aufgewühlt, dass man schon am nächsten Tag nicht mehr genau weiß, was das Kind erzählt hat. Priorität Nummer eins ist: das Kind vor Begegnungen mit der mutmaßlichen Tatperson schützen. Es ist okay, wenn das Kind für ein paar Tage mal nicht in die Schule geht. Wir sollten die Tatperson auf keinen Fall direkt mit der Tat konfrontieren. Ich rate immer, sich unbedingt Hilfe von Fachpersonen zu holen. Es gibt keine pauschale Handlungsstrategie für sexualisierte Gewalt, sondern die Fachleute werden jeden Fall genau anschauen und individuell raten, was zu tun ist. Es gibt sehr viele gute Stellen, an die man sich wenden kann, auch telefonisch oder per Chat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anna Koppri.

Anlaufstellen

Nummer gegen Kummer für Eltern (D):
0800 111 0 550

hilfe-portal-missbrauch.de

Was uns wichtig ist

Erwachsene Kinder haben einen anderen Blick auf die Welt als ihre Eltern. Trotzdem können wichtige Werte noch weitergegeben werden.

Wir sind mit unserem erwachsenen Sohn und seinen zwei Kumpels zusammen in Italien im Urlaub. Eine schöne Zeit für uns: Wir sehen, wie diese drei jungen Erwachsenen ihren Tag planen, wie sie miteinander umgehen und wie sie diskutieren und die Welt sehen. Dabei stellen wir fest, dass sich unser Blick auf die Welt von ihrem unterscheidet. So diskutieren wir unter anderem darüber, wieso sich die Freunde unseres Sohnes nicht ehrenamtlich engagieren. Oder wieso sie den Klimawandel für sich als gegeben annehmen und nicht mehr kämpfen.

In einem kurzen Moment in der Küche nimmt mein Sohn mich in den Arm und sagt: „Na, Mama, du merkst, ihr habt einiges richtig gemacht. Wir haben als Kinder immer gelernt, wie wichtig es ist, sich in andere zu investieren. Und mir fällt das gar nicht schwer!“ Können wir am Leben unserer Kinder sehen, welche Werte Bestand haben? Können wir sogar nach der prägenden Familienphase noch Werte weitergeben?

In den Teenager-Jahren und der ersten Zeit als junge Erwachsene werden viele Werte aus dem Familienleben von den Heranwachsenden überprüft. Dabei gehen sie in Distanz zu ihren Eltern und betrachten deren Leben kritisch. Das beginnt mit den Mahlzeiten und dem Freizeitverhalten, richtet sich darauf, wie man sich kleidet oder einrichtet und reicht bis hin zu großen ethischen Themen und Debatten. Nicht selten haben mein Mann und ich diese Diskussionen als Erschütterungen wahrgenommen: „Eben fandet ihr doch alles noch gut und jetzt …?“ Mir hat es geholfen, mich den Auseinandersetzungen mit unseren Kindern zu stellen, um in ihrer Nähe zu bleiben – auch wenn es wehtat. Umso mehr begeistert es mich, wenn ich an ihrem Handeln plötzlich entdecke: Da schimmert ein Wert durch, der meinem Mann und mir auch wichtig ist.

Kleine T-Rex-Ärmchen

Werte sind eine Art innerer Kompass. Werte legen den Grundstein dafür, wie wir leben und arbeiten. Sie sind Grundprinzipien für das Miteinander und legen Eigenschaften und Ideale fest. Bei all der Schnelllebigkeit heutzutage geben Werte eine Grundausrichtung vor, eine Art roten Faden, der Kräfte bündelt und dabei hilft, die eigenen Grundsätze nicht aus den Augen zu verlieren. Meine Werte bieten mir die Möglichkeit, wie bei einem Sandkasten meine Handlungen, Ideen oder Möglichkeiten durch ein Sieb zu geben und die wichtigsten Dinge herauszufiltern. Dazu gehören für mich die klassischen christlichen Werte. Als Jesus nach dem wichtigsten Gebot gefragt wird (Markus 12,28 ff), stellt er ein Beziehungsgeflecht vor, das von Wertschätzung, Respekt und Achtung lebt: „Liebe Gott, und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Immer wieder hat uns diese Schablone motiviert, von uns weg zu sehen. Das ist ein Blick, den wir besonders mit den erwachsenen Kindern brauchen. Ich freue mich, wenn ich sehe, wie liebevoll sie ihre Geburtstagsessen dekorieren, wie sie Waffelbacktage veranstalten, wie sie für jemanden da sind oder die Schulden des anderen bezahlen. Das sind Werte, die sie durch das Leben mit uns mitbekommen haben.

Werte sind in unserer Familie immer wieder Thema. Wir freuen uns darüber, wie die anderen sich entwickeln. Wir sehen uns gern und stellen uns dabei immer wieder einer gemeinsamen Reflexion. Das haben wir schon gemacht, als die Kinder im Kindergartenalter waren. Bis heute wird erst zwinkernd gefrotzelt: „Na, Mama, hast du wieder eine pädagogische Übung für uns?“ Trotzdem erleben wir diesen Wert des qualitativen Austausches. Und ich sehe daran, wie sie ihre Freundschaften gestalten, dass sie sich bemühen, auf die Bedürfnisse des anderen zu achten und in eine Reflexion mit dem anderen kommen. Es ist schön und spannend zu sehen, wie unsere Werte in ihrem Leben präsent bleiben, sich aber auch verändern. Wenn wir zum Beispiel über das Schlafverhalten von Babys oder vegane Ernährung diskutieren oder über eigenständiges Handeln mit Aktien, ohne einen soliden Bankberater hinzuzuziehen, verwandle ich mich in einen kleinen Dinosaurier. Ich rudere empört mit den kleinen T-Rex-Ärmchen und fühle mich manchmal ungerecht behandelt.

Ins Gespräch kommen

Als wir mit den Freunden unseres Sohnes im Italienurlaub darüber reden, blickt mich einer von ihnen ernst an und sagt: „Meine Eltern haben mit uns nie über so etwas geredet. Das sind Gedanken, die ich mir heute zum ersten Mal mache.“ Manchmal brauchen wir in unserem Familienalltag Hilfe darin, Worte zu finden. Es geht darum, nicht nur einfach zu leben und tatkräftig zu sein, sondern auch darüber zu sprechen. Warum höre ich der Nachbarin am Gartenzaun zu? Warum bemühe ich mich, den Müll zu trennen? Warum finde ich es wichtig, zu spenden? Warum verteidige ich meine Kinder oder spreche liebevoll über meinen Ehemann? Es ist nie zu spät, diese Diskussion aufleben zu lassen. Dabei kann es herausfordernd sein, wenn es unterschiedliche Sichtweisen gibt und das Gespräch scheinbar zum Erliegen kommt. Mir hilft es, Fragen zu stellen: Warum möchtet ihr kein Auto haben? Weshalb hast du dich gegen die Mitarbeit in der Kirchengemeinde entschieden? Gibt es eine gesellschaftliche Entwicklung, die dir gerade Sorgen macht? Bist du jemandem in den letzten Wochen eine Hilfe gewesen? So bleiben Werte in Kopf und Herz.

Vor ein paar Tagen saß ich in einem Gottesdienst neben einem alten Mann. Er stützte sich auf seinen Rollator, hörte zu, sang aber nicht mit. Nach dem Gottesdienst habe ich mich ihm zugewandt, weil ich nicht unfreundlich sein wollte. Ich hörte an seinem Akzent, dass er nicht in dieser Region geboren ist und erfuhr, dass er seit 55 Jahren zu dieser Gemeinde gehört. Nach ein bisschen Erzählen wusste ich, dass er 44 Enkel und zehn Urenkel hat. Dass er und seine Frau jeden Tag mit einem dieser Enkel telefonieren und für zwei dieser Enkel und Urenkel beten. Dass sie von allen wissen, was sie gerade tun und brauchen, und dass sie versuchen, an ihrem Leben Interesse zu zeigen. Beim Zuhören flossen mir die Tränen. Was für ein großartiges Geschenk! Was für ein Reichtum! Ich hoffe, dass die Enkel dieser Familie diesen Wert schätzen können und ihn weitergeben: Interesse am anderen zu haben.

In Italien haben wir unter anderem darüber gesprochen, dass mein Mann und ich uns wünschen, dass die junge Generation idealistischer wird. Vielleicht beginnt es damit, dass wir unsere Ideale prüfen und weiter vorleben, sichtbar werden lassen und so diese Werte stetig ins Gespräch bringen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und Pädagogin, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt in Göttingen.

6 bis 10 – Verbunden bleiben

Elternfrage: „Mein Sohn ist neun Jahre alt, und ich vermisse das Alter, in dem er noch mehr meine Nähe gesucht hat. Wie schafft man es, eine tiefe Verbundenheit zu Kindern zu halten, die einen immer weniger brauchen?“

Bindung ist von Anfang an eins der größten Grundbedürfnisse von Kindern. Das Bedürfnis verschwindet nicht, wenn sie älter werden. Es ändert sich jedoch mit der Zeit die Art, wie Eltern die Verbindung zu ihren Kindern leben und vertiefen. Ich habe drei Ideen für den Alltag gesammelt, die dabei helfen können, eine tiefe Verbundenheit zu unseren Kindern zu fördern.

1. Den Moment nutzen

Kinder, die selbstständig werden, verändern ihren Alltag: Sie gestalten die Nachmittage eigenständiger als zuvor, sind länger in der Schule und oft nicht mehr zu den gewohnten, festen Zeiten zu Hause. Umso wichtiger ist es als Eltern, die wenigen Verbindungsmomente wahrzunehmen, die uns das Leben schenkt. Die Herausforderung dabei ist, dass es sich für uns Eltern häufig nicht nach einem günstigen Moment anfühlt, weil wir gerade das Geschirr spülen, eine E-Mail schreiben oder die Zähne putzen wollten. Wir dürfen lernen, die Momente zu erkennen und zu nutzen, in denen unsere Kinder offen für Verbindung sind. Auch wenn dabei etwas anderes erstmal liegen bleibt.

2. Interesse zeigen

Wenn unsere Kinder größer werden, ändern sich oft auch ihre Interessen. Es kommt vielleicht auch ein neues Hobby hinzu, das nicht zu unseren eigenen Vorlieben gehört. Für eine gute Verbundenheit ist es wichtig, dass wir genau dafür Interesse entwickeln. Wir können lernen, nicht nur nach der Schule zu fragen, sondern nach dem, was gerade wirklich wichtig für das Kind ist – auch, wenn wir das womöglich nicht verstehen. Frag nach, wie der YouTuber heißt, den dein Kind toll findet und erkundige dich, was es an ihm so mag. Lass dir seine liebsten Videos zeigen oder die Lieblingsmusik vorspielen. Setz dich daneben, wenn es zockt und lass dir erklären, wie das funktioniert.

3. Körpernähe anbieten

Nichts fördert die Bindung so sehr wie positiver Körperkontakt. Bei Berührungen wie einer Umarmung schüttet der Körper Oxytocin aus. Dieses Hormon wird auch als Bindungshormon bezeichnet. Es intensiviert die Verbundenheit, verstärkt das Vertrauen zueinander, baut Stress ab und löst Ängste. Sind unsere Kinder klein, entstehen Kuschelzeiten meist von allein. Das ändert sich jedoch oft, wenn sie älter werden. Trotzdem ist diese Art der Nähe wichtig. Wir dürfen auch unseren großen Kindern Körperkontakt anbieten, zum Beispiel durch eine Umarmung, eine Massage oder ein nahes Beieinandersitzen auf dem Sofa.

Zum Schluss noch ein kleiner Gedanke: Genauso wichtig, wie die Verbundenheit zu deinen Kindern ist die Verbundenheit zu dir selbst, deinem Partner und Gott. Vielleicht darfst du erleben, dass dafür jetzt, wenn dein Kind größer wird, wieder mehr Zeit und Raum entsteht. Ich wünsche dir, dass du das ganz bewusst für dich nehmen und genießen kannst.

Judith Oesterle ist Mama von drei Kindern, Pädagogin, Künstlerin und Coach.

Vater sein – Hirnforscher erklärt: Das brauchen Kinder von ihren Vätern

Vater sein ist nicht nur eine Aufgabe oder eine Rolle, sondern eine innere Haltung. Star-Hirnforscher Gerald Hüther erzählt im Interview, warum Kinder von ihren Vätern bedingungsloses Interesse brauchen.

Im Kindergarten und der Grundschule werden Kinder mehrheitlich von Frauen betreut. Sind Männer verzichtbar geworden?

Gerald Hüther: Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, um sich zu orientieren. Da Frauen und Männer unterschiedlich sind, fehlt ein wesentliches Gegenüber für eine gesunde Rollenbildung, wenn kein Mann da ist. Jungen und Mädchen müssen aber ein inneres Bild von dem entwickeln, was männlich und was weiblich ist. Mannsein lerne ich eben nicht aus dem Internet, dem Fernsehen oder aus Büchern. Und wenn die Kinder keinen Mann erleben, wachsen sie mit einem echten Erfahrungsdefizit auf.

Vater sein – eine besondere Bedeutung

Hier kommt besonders der Vater ins Spiel. Worin sehen Sie die Bedeutung von Vätern?

Wir haben zwei verschiedene Geschlechter und eine bestimmte Erfahrungswelt für Frauen und Männer in unserer Gesellschaft. Und die einzige Notwendigkeit, die ich als Hirnforscher sehe, ist, dass Kinder Gelegenheit bekommen müssen, möglichst unterschiedliche Erfahrungen mit vielfältigen Menschen zu machen. Es gibt eine ganze Reihe Untersuchungen, die zeigen, dass Väter und Mütter unterschiedlich auf Kinder reagieren und ihnen damit auch andere Möglichkeiten bieten. Wenn zum Beispiel ein Kind auf dem Spielplatz von der Schaukel fällt, nimmt die Mutter das Kind auf den Schoß, tröstet es und setzt es dann woanders hin. In die Sandkiste zum Beispiel, wo es nicht mehr runterfallen kann.

Bei Vätern beobachtet man häufiger, dass sie das Kind nehmen, es trösten und es wieder zurück auf die Schaukel setzen. Und das ist eine völlig andere Erfahrung für ein Kind. Nämlich, dass es ein Problem gab, aber dass das Problem nicht dadurch gelöst wird, dass man es vermeidet, sondern dass man sich dem Problem stellt. Es mag sein, dass Männer das leichter können, und so mag es eine ganze Reihe von anderen Dingen geben, die ein Vater dem Kind besser vermitteln kann. Und das gilt eben nicht nur für Jungs, die natürlich ein männliches Vorbild brauchen, sondern das gilt in gleicher Weise auch für Mädchen. Auch Mädchen brauchen ihre Väter.

Was macht für Sie einen richtig guten Vater aus?

Ich fürchte, dass es keine richtig guten Väter gibt, sondern dass jeder Vater versuchen kann, es so gut wie möglich zu machen. Und es gibt Väter, die sich selbst darüber bewusst sind, dass sie für ihre Kinder ein Rollenmodell bieten. Kinder lernen von Vorbildern, und Jungs lernen von ihrem Vater, was männliche Identität bedeutet und bekommen damit einen Maßstab und eine Orientierung, die ihnen oftmals für das ganze Leben lang bedeutsam ist. Das war und ist aber nicht immer gegeben. Daher wäre es gut, wenn Väter sich noch stärker darüber bewusst würden, welche bedeutsame Rolle sie spielen und wie sehr ihr Vorbild ihre Kinder auf ihrem Weg prägt.

Aber nicht nur die Jungs, sondern die Mädchen in gleicher Weise. Denn wir sehen auch in vielen Studien, dass Mädchen ihre spätere Partnerwahl sehr stark unter dem Einfluss der Erfahrungen treffen, die sie mit ihrem eigenen Vater gemacht haben. Manche suchen sich einen, der so ähnlich ist wie der Vater, andere suchen einen, der sich in ihren Augen sehr stark von ihrem Vater unterscheidet. Väter sind also Rollenmodelle für Söhne, wie sie als Väter leben. Und Töchter sollten an ihrem Vater sehen können, wie ein Mann wertschätzend mit einer Frau umgeht und was man von einem Mann erwarten sollte. Und sie leben vor, wie Partnerschaft aussieht.

Anspruch und Wirklichkeit

Als Vater versuche ich natürlich, meine Sache gut zu machen. Trotzdem scheitere ich oft genug an meinen Ansprüchen. Ich möchte liebevoll sein und doch reagiere ich über. Was kann ich tun, um ein besserer Vater zu sein?

Vielleicht ist es hilfreich, erst mal zu fragen, weshalb es so oft nicht gelingt. Das hat etwas mit Affekten zu tun, die wach werden, wenn man als Vater mit bestimmten Verhaltensweisen des Kindes konfrontiert wird. Das kann wie ein Trigger wirken, der im eigenen Gefühlsleben bestimmte Emotionen und Affekte erzeugt, die so stark sind, dass man plötzlich nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. Und dass man plötzlich in dieser übererregten Situation – neurobiologisch nennen wir das Frontalhirndefizit – kopflos reagiert.

Aus dem Affekt heraus tut man Dinge, die man sonst nicht machen würde. Das passiert vor allem dann, wenn man in engen emotionalen Bindungen steht. Also mit den eigenen Kindern oder dem Ehepartner. Was notwendig wäre, um nicht im Affekt zu reagieren: Zählen Sie erst mal bis zehn und dann denken Sie nochmal kurz nach und dann handeln sie. Wer sofort aus dem Affekt heraus handelt, kann nicht umsichtig und liebevoll mit seinem Kind umgehen. Das wären die praktischen Tipps.

Als Vater ein Vorbild zu sein, ist nicht immer leicht. Die Rollen im Beruf, in der Familie, in der Gesellschaft sind sehr unterschiedlich. Wie kann man das Mann- und Vatersein da leben?

Als Mann muss man sich über die verschiedenen Rollen bewusst sein. Die Gefahr ist groß, von der Gesellschaft verführt zu werden, irgendwelche Rollen spielen zu wollen, um Anerkennung zu bekommen. Es ist schlecht, wenn ein Mann, dem dieses Theaterspiel selbst nicht klar ist, Kinder erzieht, egal ob Jungs oder Mädchen. Wer das selbst nicht durchschaut, identifiziert sich dann auch allzu leicht mit seiner Rolle. Den Kindern so ein Rollenspiel vorzuleben, kann dazu führen, dass auch sie versuchen, irgendwelche Rollen zu spielen, und sich dabei selbst fremd werden.

Jetzt könnte man versuchen, diese Rolle, die man in der Gesellschaft spielt, zu hinterfragen und sich nicht mit dieser Rolle zu identifizieren. Wenn ich gefragt werde, wer ich bin, dann sage ich eben nicht: Ich bin Professor für Neurobiologie. Sondern: Ich bin Gerald Hüther, der sich auf irgendeine Art und Weise darum bemüht, im Leben zurechtzukommen. Das ist ein ganz anderes Selbstbild. Und dieses andere Selbstbild, dass ich, wie alle anderen, suchend und fragend unterwegs bin, wäre als Grundhaltung dann auch für die Kinder großartig.

Dadurch ist man nicht der Besserwisser und der Alleskönner, der die Kinder zum Objekt seiner Erwartungen, Belehrungen und Bewertungen macht. Sondern man outet sich als einer, der auch nicht weiß, wie es geht. Man kann dem Kind auch offenbaren, dass man ein fehlbarer Mensch ist, der sich Mühe gibt und es versucht, so gut wie möglich zu machen. Hier ist der Erwachsene, ob Mutter oder Vater, nicht mehr die Führungsfigur, die das Kind erzieht und belehrt und ihm alles beibringt.

Solche Eltern werden ihr Kind in seiner ganzen Einzigartigkeit so annehmen, wie es ist. Sie werden nicht versuchen, aus diesem Kind etwas zu machen, wovon sie glauben, dass es darauf ankäme oder günstig wäre. Und das ist die wirkliche Definition von Liebe, nämlich das bedingungslose Interesse an der Entfaltung des Geliebten. Das halte ich im Augenblick für die wichtigste Botschaft, die wir an Väter weitergeben können: Kein Rollenspieler, sondern ein authentischer Mann zu sein. Natürlich brauchen Kinder auch Führung, Halt und Orientierung. Aber was sie nicht brauchen, ist jemand, der autoritär sagt, wie das Kind zu sein hat.

Vater sein – sich auf das Kind einlassen

Das setzt voraus, sich tief im Inneren auf das Kind einzulassen.

Richtig. Aber das fällt vielen Vätern schwer, weil sie eine andere Haltung erlernt haben. Nämlich, dass Väter bei kleinen Kindern noch nicht so wichtig sind und sie nicht gebraucht werden. Aber wenn man sich auf die Kinder einlässt, spürt man plötzlich, wie das Kind einen einlädt, in seine Welt zu kommen und alles mit zu entdecken. Die Welt, das Wohnzimmer, die Puppe, das Bett und auch den Papa, der mit kindlichen Augen betrachtet ganz anders ist.

Dann öffnet sich plötzlich nochmal auf eine neue Weise eine ganze Erfahrungswelt. Je öfter man diese Erfahrung macht, wie sehr sich das Kind darauf freut, dass der Papa jetzt da ist und es mit ihm etwas machen kann, desto stärker fühlt es der Papa. Dann macht er diese starke emotionale Erfahrung, dass er eigentlich ein toller Papa ist und dass er dadurch dem Kind eine ganze Menge schenken kann und dass er auch ganz viel von dem Kind bekommt.

Aus dieser wiederholt gemachten Erfahrung wird dann eine Haltung. Und die Haltung heißt, dass es toll ist, mit meinem Kind als Vater auf diese Weise verbunden zu sein. Das will ich auch aufrechterhalten. Das heißt, er kann später wieder arbeiten gehen. Diese Erfahrung geht nicht wieder weg und diese Haltung bleibt bestehen. So kann man das lernen und auch anderen Vätern weitergeben, sich auf diese Erfahrung einzulassen.

Gibt es für Sie ein Vorbild für Männer und Väter?

Jesus Christus. Wenn man wissen will, wie der moderne Mann aus neurobiologischer Sicht aussieht, sollte man sich an Jesus orientieren. Der Kern dieses Mannseins heißt: ein Liebender zu sein. Das ist das, was Jesus konnte. Er brauchte nicht andere, um sich selbst aufzubauen, musste nicht mit Klugscheißereien dauernd dazwischenreden und anderen erzählen, was sie zu tun und zu lassen haben. Er hatte etwas zu verschenken. Und er konnte sich um andere kümmern, sich hingeben, da sein und zuhören. Das können wir alle lernen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.

Dr. Gerald Hüther ist emeritierter Professor für Neurologische Präventionsforschung und Autor vieler ­Sach- und Fachbücher. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Göttingen. gerald-huether.de

Mehr sein und weniger tun

Vater sein ist nicht nur eine Aufgabe oder eine Rolle, sondern es ist eine innere Haltung. Hirnforscher Gerald Hüther erzählt im Interview, was Kinder an Vätern wirklich brauchen.

Im Kindergarten und der Grundschule werden Kinder mehrheitlich von Frauen betreut. Sind Männer verzichtbar geworden?

Gerald Hüther: Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, um sich zu orientieren. Da Frauen und Männer unterschiedlich sind, fehlt ein wesentliches Gegenüber für eine gesunde Rollenbildung, wenn kein Mann da ist. Jungen und Mädchen müssen aber ein inneres Bild von dem entwickeln, was männlich und was weiblich ist. Mannsein lerne ich eben nicht aus dem Internet, dem Fernsehen oder aus Büchern. Und wenn die Kinder keinen Mann erleben, wachsen sie mit einem echten Erfahrungsdefizit auf.

Hier kommt besonders der Vater ins Spiel. Worin sehen Sie die Bedeutung von Vätern?

Wir haben zwei verschiedene Geschlechter und eine bestimmte Erfahrungswelt für Frauen und Männer in unserer Gesellschaft. Und die einzige Notwendigkeit, die ich als Hirnforscher sehe, ist, dass Kinder Gelegenheit bekommen müssen, möglichst unterschiedliche Erfahrungen mit vielfältigen Menschen zu machen. Es gibt eine ganze Reihe Untersuchungen, die zeigen, dass Väter und Mütter unterschiedlich auf Kinder reagieren und ihnen damit auch andere Möglichkeiten bieten. Wenn zum Beispiel ein Kind auf dem Spielplatz von der Schaukel fällt, nimmt die Mutter das Kind auf den Schoß, tröstet es und setzt es dann woanders hin. In die Sandkiste zum Beispiel, wo es nicht mehr runterfallen kann. Bei Vätern beobachtet man häufiger, dass sie das Kind nehmen, es trösten und es wieder zurück auf die Schaukel setzen. Und das ist eine völlig andere Erfahrung für ein Kind. Nämlich, dass es ein Problem gab, aber dass das Problem nicht dadurch gelöst wird, dass man es vermeidet, sondern dass man sich dem Problem stellt. Es mag sein, dass Männer das leichter können, und so mag es eine ganze Reihe von anderen Dingen geben, die ein Vater dem Kind besser vermitteln kann. Und das gilt eben nicht nur für Jungs, die natürlich ein männliches Vorbild brauchen, sondern das gilt in gleicher Weise auch für Mädchen. Auch Mädchen brauchen ihre Väter.

Was macht für Sie einen richtig guten Vater aus?

Ich fürchte, dass es keine richtig guten Väter gibt, sondern dass jeder Vater versuchen kann, es so gut wie möglich zu machen. Und es gibt Väter, die sich selbst darüber bewusst sind, dass sie für ihre Kinder ein Rollenmodell bieten. Kinder lernen von Vorbildern, und Jungs lernen von ihrem Vater, was männliche Identität bedeutet und bekommen damit einen Maßstab und eine Orientierung, die ihnen oftmals für das ganze Leben lang bedeutsam ist. Das war und ist aber nicht immer gegeben. Daher wäre es gut, wenn Väter sich noch stärker darüber bewusst würden, welche bedeutsame Rolle sie spielen und wie sehr ihr Vorbild ihre Kinder auf ihrem Weg prägt. Und nicht nur die Jungs, sondern die Mädchen in gleicher Weise. Denn wir sehen auch in vielen Studien, dass Mädchen ihre spätere Partnerwahl sehr stark unter dem Einfluss der Erfahrungen treffen, die sie mit ihrem eigenen Vater gemacht haben. Manche suchen sich einen, der so ähnlich ist wie der Vater, andere suchen einen, der sich in ihren Augen sehr stark von ihrem Vater unterscheidet. Väter sind also Rollenmodelle für Söhne, wie sie als Väter leben. Und Töchter sollten an ihrem Vater sehen können, wie ein Mann wertschätzend mit einer Frau umgeht und was man von einem Mann erwarten sollte. Und sie leben vor, wie Partnerschaft aussieht.

Als Vater versuche ich natürlich, meine Sache gut zu machen. Trotzdem scheitere ich oft genug an meinen Ansprüchen. Ich möchte liebevoll sein und doch reagiere ich über. Was kann ich tun, um ein besserer Vater zu sein?

Vielleicht ist es hilfreich, erst mal zu fragen, weshalb es so oft nicht gelingt. Das hat etwas mit Affekten zu tun, die wach werden, wenn man als Vater mit bestimmten Verhaltensweisen des Kindes konfrontiert wird. Das kann wie ein Trigger wirken, der im eigenen Gefühlsleben bestimmte Emotionen und Affekte erzeugt, die so stark sind, dass man plötzlich nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. Und dass man plötzlich in dieser übererregten Situation – neurobiologisch nennen wir das Frontalhirndefizit – kopflos reagiert. Aus dem Affekt heraus tut man Dinge, die man sonst nicht machen würde. Das passiert vor allem dann, wenn man in engen emotionalen Bindungen steht. Also mit den eigenen Kindern oder dem Ehepartner. Was notwendig wäre, um nicht im Affekt zu reagieren: Zählen Sie erst mal bis zehn und dann denken Sie nochmal kurz nach und dann handeln sie. Wer sofort aus dem Affekt heraus handelt, kann nicht umsichtig und liebevoll mit seinem Kind umgehen. Das wären die praktischen Tipps.

Als Vater ein Vorbild zu sein, ist nicht immer leicht. Die Rollen im Beruf, in der Familie, in der Gesellschaft sind sehr unterschiedlich. Wie kann man das Mann- und Vatersein da leben?

Als Mann muss man sich über die verschiedenen Rollen bewusst sein. Die Gefahr ist groß, von der Gesellschaft verführt zu werden, irgendwelche Rollen spielen zu wollen, um Anerkennung zu bekommen. Es ist schlecht, wenn ein Mann, dem dieses Theaterspiel selbst nicht klar ist, Kinder erzieht, egal ob Jungs oder Mädchen. Wer das selbst nicht durchschaut, identifiziert sich dann auch allzu leicht mit seiner Rolle. Den Kindern so ein Rollenspiel vorzuleben, kann dazu führen, dass auch sie versuchen, irgendwelche Rollen zu spielen, und sich dabei selbst fremd werden. Jetzt könnte man versuchen, diese Rolle, die man in der Gesellschaft spielt, zu hinterfragen und sich nicht mit dieser Rolle zu identifizieren. Wenn ich gefragt werde, wer ich bin, dann sage ich eben nicht: Ich bin Professor für Neurobiologie. Sondern: Ich bin Gerald Hüther, der sich auf irgendeine Art und Weise darum bemüht, im Leben zurechtzukommen. Das ist ein ganz anderes Selbstbild. Und dieses andere Selbstbild, dass ich, wie alle anderen, suchend und fragend unterwegs bin, wäre als Grundhaltung dann auch für die Kinder großartig. Dadurch ist man nicht der Besserwisser und der Alleskönner, der die Kinder zum Objekt seiner Erwartungen, Belehrungen und Bewertungen macht. Sondern man outet sich als einer, der auch nicht weiß, wie es geht. Man kann dem Kind auch offenbaren, dass man ein fehlbarer Mensch ist, der sich Mühe gibt und es versucht, so gut wie möglich zu machen. Hier ist der Erwachsene, ob Mutter oder Vater, nicht mehr die Führungsfigur, die das Kind erzieht und belehrt und ihm alles beibringt. Solche Eltern werden ihr Kind in seiner ganzen Einzigartigkeit so annehmen, wie es ist. Sie werden nicht versuchen, aus diesem Kind etwas zu machen, wovon sie glauben, dass es darauf ankäme oder günstig wäre. Und das ist die wirkliche Definition von Liebe, nämlich das bedingungslose Interesse an der Entfaltung des Geliebten. Das halte ich im Augenblick für die wichtigste Botschaft, die wir an Väter weitergeben können: Kein Rollenspieler, sondern ein authentischer Mann zu sein. Natürlich brauchen Kinder auch Führung, Halt und Orientierung. Aber was sie nicht brauchen, ist jemand, der autoritär sagt, wie das Kind zu sein hat.

Das setzt voraus, sich tief im Inneren auf das Kind einzulassen.

Richtig. Aber das fällt vielen Vätern schwer, weil sie eine andere Haltung erlernt haben. Nämlich, dass Väter bei kleinen Kindern noch nicht so wichtig sind und sie nicht gebraucht werden. Aber wenn man sich auf die Kinder einlässt, spürt man plötzlich, wie das Kind einen einlädt, in seine Welt zu kommen und alles mit zu entdecken. Die Welt, das Wohnzimmer, die Puppe, das Bett und auch den Papa, der mit kindlichen Augen betrachtet ganz anders ist. Und dann plötzlich öffnet sich nochmal auf eine neue Weise eine ganze Erfahrungswelt. Je öfter man diese Erfahrung macht, wie sehr sich das Kind darauf freut, dass der Papa jetzt da ist und es mit ihm etwas machen kann, desto stärker fühlt es der Papa. Dann macht er diese starke emotionale Erfahrung, dass er eigentlich ein toller Papa ist und dass er dadurch dem Kind eine ganze Menge schenken kann und dass er auch ganz viel von dem Kind bekommt. Aus dieser wiederholt gemachten Erfahrung wird dann eine Haltung. Und die Haltung heißt, dass es toll ist, mit meinem Kind als Vater auf diese Weise verbunden zu sein. Das will ich auch aufrechterhalten. Das heißt, er kann später wieder arbeiten gehen. Diese Erfahrung geht nicht wieder weg und diese Haltung bleibt bestehen. So kann man das lernen und auch anderen Vätern weitergeben, sich auf diese Erfahrung einzulassen.

Gibt es für Sie ein Vorbild für Männer und Väter?

Jesus Christus. Wenn man wissen will, wie der moderne Mann aus neurobiologischer Sicht aussieht, sollte man sich an Jesus orientieren. Der Kern dieses Mannseins heißt: ein Liebender zu sein. Das ist das, was Jesus konnte. Er brauchte nicht andere, um sich selbst aufzubauen, musste nicht mit Klugscheißereien dauernd dazwischenreden und anderen erzählen, was sie zu tun und zu lassen haben. Er hatte etwas zu verschenken. Er konnte sich um andere kümmern, sich hingeben, da sein und zuhören. Das können wir alle lernen. Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Marcus Beier.

Dr. Gerald Hüther ist emeritierter Professor für Neurologische Präventionsforschung und Autor vieler ­Sach- und Fachbücher. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Göttingen. www.gerald-huether.de

Patchwork-Papa: So gelingt das Leben in der kniffligen Konstellation

Benjamin Funk hat mit seiner Frau Alexandra eine ganze Familie geheiratet. Zu Alexandras drei Kindern kamen später noch drei gemeinsame hinzu. Er verrät, was ihm und seiner Familie in der Patchwork-Herausforderung hilft.

Ich knallte die Tür unseres Schlafzimmers mit voller Wucht zu. Mein Puls raste, mein Kopf glühte vor Wut. Unser damals 13-jähriger Ältester und ich hatten uns heftig in die Wolle bekommen. Auch er war stinksauer. Er hatte es geschafft, jede einzelne meiner Nerven zu strapazieren und jeden denkbaren Knopf bei mir zu drücken, bis ich schließlich explodierte. Meine Frau kam dazu, versuchte, mich zu beruhigen. „Wie konnte ich nur so die Kontrolle verlieren? Was denkt er sich eigentlich?“, schrie ich quer durchs Schlafzimmer, laut genug, dass es jeder im Haus hören konnte. Nein, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Ich war damals nach Israel ausgewandert, um eine Familie zu heiraten. Eine klassische Patchwork-Familie: Meine Frau brachte drei Kinder mit in die Ehe. „Du bist jetzt Vater von null auf hundert“, sagte sie mir liebevoll und mit einem Lächeln. 2016 war das Jahr meines Aufbruchs nach Israel. Ich wollte eine Familie gründen und hatte durch den Aufbau eines Kinder- und Familienzentrums in einem herausfordernden Bezirk in Salzgitter viele Erfahrungen sammeln können. Das gab mir Rückenwind. Zugleich hatte ich Respekt davor, eine Frau mit drei Kindern zu heiraten – besonders, weil es sich um eine komplett fremde Kultur und ein fremdes Land handelte. Ich hatte meinen Job in Deutschland aufgegeben, mein Haus und mein Auto verkauft. Der eigentliche Plan war der, dass wir alle zusammen zwei bis drei Jahre später nach Deutschland ziehen würden.

Dauerkämpfe statt gütlicher Einigung

Doch die Realität machte uns einen Strich durch die Rechnung. Unsere Beziehung wurde auf eine harte Probe gestellt. Der Ex-Mann und Vater der Kinder, gewalttätig und mit seinem narzisstischen Wesen eine Belastung für alle, hatte tiefe Narben hinterlassen. Bis heute kämpft er immer wieder erfolglos vor Gericht gegen uns, indem er falsche Geschichten mit fingierten Zeugenaussagen gegen uns hervorbringt. Keines der Kinder hat mehr Kontakt zu ihm.

Eins möchte ich an dieser Stelle einwerfen: Du wirst das Wort „Stiefkinder“ nicht finden. Denn für mich gibt es keinen Unterschied. Unsere Großen und die drei Jüngeren, die noch dazugekommen sind, sind für mich eins – meine Kinder. Nur wenn ich bereit bin, alle Kinder so anzunehmen, kann Patchwork gelingen. Wenn ein Ehepaar getrennte Wege geht oder ein Elternteil verstirbt, stellt das auch die Kinder vor riesige Herausforderungen. Oft kommt hinzu, dass die Kinder sich bereits an die Lebensumstände mit einem Elternteil gewöhnt haben, bis ein neuer Partner ins Leben kommt. In unserem Fall hatte der Älteste unbewusst väterliche Verantwortung übernommen. Das passiert oft, wenn der Vater wegfällt. Das machte mein Ankommen und den Start unserer Beziehung nicht einfacher. Hier kamen die schlimmen Erfahrungen aus seiner Kindheit, der Bruch mit seinem Vater und die Pubertät zusammen. Unsere Konflikte gingen oft an unsere Grenzen. Warum unsere Beziehung nicht an diesen Baustellen zerbrach, lag unter anderem an den klaren Absprachen, die wir als Ehepartner getroffen hatten. Auch hatten wir uns keiner Illusion hingegeben.

Kein Plan B

Alles begann mit klaren Entscheidungen ohne einen Plan B. Wenn wir Klarheit leben, nehmen die Kinder das genauso wahr. Als jemand, der in eine Patchwork-Familie eintritt, muss mir eines bewusst sein: Ich heirate nicht nur meine Partnerin, sondern auch ihre Kinder. Eine klare Entscheidung zu treffen, bietet zwar keine Garantie gegen ein mögliches Scheitern, hilft aber, größere Probleme zu vermeiden.

Ein wesentlicher Faktor für uns war, dass meine Frau mich während unserer Fernbeziehung, als ich nur in Abständen nach Israel reisen konnte, schon als ihren zukünftigen Ehemann vorgestellt und so klar Stellung bezogen hatte. Diese klare Positionierung war entscheidend dafür, dass ich in der Familie ankommen und in die Rolle als Teil dieser neuen Patchwork-Konstellation hineinwachsen konnte. Man muss sich aber im Klaren sein, dass die Kinder in der Regel keinen neuen oder anderen Elternteil haben wollen. Das ist nicht schlimm, sondern ganz normal.

Patchwork: „Du bist nicht mein Vater“

Dass ich nicht der Vater sei, musste ich regelmäßig am Anfang hören. Es kann verletzend sein. Aber als erwachsener und mündiger Mann kann ich das aushalten. In solchen Momenten galt es, Ruhe zu bewahren. Meine Antwort war dann: „Das stimmt, aber ich bin der Erwachsene und ich möchte, dass du jetzt aufräumst.“ Hierbei gingen meine Frau und ich Hand in Hand. In der Anfangszeit liefen die Kinder oft schnurstracks zu meiner Frau, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten.

Es war mir aber auch wichtig, mich in das Kind hineinzuversetzen. Je nach Vorgeschichte ist in dem Kind eine Welt zerbrochen. In vielen Fällen trauern Kinder der Vergangenheit nach. Kinder haben eine Gabe: Sie können Konflikte verdrängen. Ein Vater bleibt ein Vater, auch wenn er ein schlechter Vater ist. In meiner Zeit in Salzgitter habe ich mit vielen Kindern zu tun gehabt, die von Vätern geschlagen und misshandelt wurden. Dennoch besuchten diese Kinder immer wieder ihre Väter, getrieben von der Hoffnung, dass sich diese eines Tages ändern würden. Das mitzuerleben war erschütternd. Deshalb kann ich ein Kind, das mir Ablehnung entgegenbringt, nicht verurteilen oder abweisen. Denn es hat vielleicht die Hoffnung, dass der Vater doch wieder zurückkommt oder sich ändern könnte.

Klare Entscheidung

Ein weiteres Geheimnis unseres Weges liegt darin: War ich zu streng oder hatte ich eine umstrittene Entscheidung getroffen, fiel meine Frau mir nie in den Rücken. Stattdessen besprach sie, wenn nötig, Dinge unter vier Augen mit mir. So stärkte sie meine Position und Autorität und half mir, in meine Rolle als Vater hineinzuwachsen.

Die Liste der möglichen Konflikte in einer Patchwork-Situation ist lang. Es ist offensichtlich, dass Kinder nur ungern ihre Mutter und deren Aufmerksamkeit mit einer neuen Person teilen wollen. Wenn zusätzlich Kinder vom neuen Partner hinzukommen, verstärken sich die Veränderungen noch deutlicher. Es ist ein Drahtseilakt zwischen Verständnis und Empathie einerseits und klarer Linie andererseits. So herausfordernd die Vergangenheit war: Wir als Eltern müssen eine Perspektive und Vision für unsere Familie finden.

Familien-Vision

Hand aufs Herz, Familie unter „normalen“ Umständen ist bereits eine Herausforderung. Deshalb haben wir als Ehepaar mit einem Bild gearbeitet, das uns half, unsere eigene Vision zu erkunden: Uns war es nicht gegeben, ein deutsches, stylishes Reihenhaus mit klaren Linien und solider Ausstattung zu gestalten. Wir kamen zusammen, als das Haus bereits im Bau war, durch Jahre geprägt und geformt, in guten wie in schlechten Zeiten. Deshalb ergab sich für uns ein Bild mit verschiedenen Wänden, großen und kleinen Fenstern, Rundungen – ein Kunstwerk, das in einer normalen Siedlung auffallen würde.

Dieses Bild half uns, unsere Erwartungen an uns und die Kinder in einem gesunden Rahmen zu halten. Ich kann von Kindern, die deutsch-israelisch sind, nicht erwarten, dass sie deutsche Tugenden erlernen und leben, nur weil ich in dieser Richtung gut konditioniert bin. Es gibt eine Menge Anekdoten, bei denen ich mit meinen Versuchen diesbezüglich kläglich scheiterte. Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass wir viele geniale Zeiten erleben.

Vorbilder für Vaterschaft

Auch wenn ich es erst jetzt anspreche: Wir sind Christen und sind überzeugt, dass wir nur mit Gottes Hilfe den Weg bis heute geschafft haben. In der Bibel finden wir nur wenig gute väterliche Vorbilder. Doch in Jesus finde ich ein Vorbild, wie Vaterschaft aussehen sollte. Gute Führung hat in der Familie immer Liebe als Grundlage und das Wohl meiner Nächsten zum Ziel. Dabei ist wichtig zu wissen: Meine Taten wiegen immer mehr als meine Worte. Besonders als Männer neigen wir dazu, den Part von Regeln und Vorschriften besonders ausgeprägt zu leben. Mir wurde erst mit der Zeit klar, was wirkliche Führung bedeutet. Dazu gehört, gemeinsame Erlebnisse und Qualitätszeiten zu schaffen, manhmal fünf gerade sein zu lassen, authentisch zu leben und vor allem den Kindern alle Zeit zu geben, auf mich zuzukommen. Auch liegt es in meiner väterlichen Verantwortung, Lebensqualität in die Familie zu bringen.

Eine Erkenntnis, die alles verändert

Ein Artikel, der eigentlich nichts mit Patchwork zu tun hatte, veränderte meine Sichtweise grundlegend. Es ging um die Herausforderungen, mit denen Pflege- und Adoptivkinder konfrontiert sind. Oft fühlen sich diese Kinder in ihren neuen Familien fremd. Sicher, die Prägung von klein auf ist entscheidend, aber auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Studien zeigen, dass leibliche Kinder eine natürliche Neigung haben, nonverbale Signale besser zu verstehen. Viele Pflegeeltern sind sich dessen nicht bewusst, wodurch die Kinder sich fehl am Platz fühlen. Da sie scheinbar nicht in das familiäre Gefüge, die gestellten Anforderungen passen, kämpfen sie ständig damit, Erwartungen zu erfüllen. Diese Erkenntnis hat mich zum Umdenken bewegt. Ich verstand, warum so mancher Konflikt entstanden ist.

Die härtesten Momente sind und bleiben jene, in denen ich scheitere und an meine Grenzen stoße. Manchmal wähle ich die falschen Worte, bin zu pedanktisch, wo Gelassenheit angebracht wäre, und zögere, wenn Handeln gefragt ist. Was soll ich sagen: Wir sind Menschen, und Fehler gehören dazu, auch wenn sie schmerzen. Vergebung ist dabei der Schlüssel – das beinhaltet auch, meine Kinder um Entschuldigung zu bitten, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ebensowichtig ist es, mir selbst zu vergeben.

Patchwork-Papa zu sein ist ein Weg, der sich lohnt. Es ist eine ganzheitliche Aufgabe, herausfordernd und erfüllend. Als wir letztes Jahr Weihnachten mit unseren Kindern feierten und in die Runde fragten, wofür wir besonders dankbar sind, anworteten alle einstimmig, dass wir eine tolle und starke Familie sind. Jede Anstrengung, jede schlaflose Nacht, jeder Muskelkater vom Kinder-in-den-Schlaf-Schaukeln, jede Träne und der einelne Moment sind lohnenswert.

Bejamin Funk lebt mit seiner Frau Alexandra unf sechs Kinddern im Nordosten Israels.

Fürsorge und Sicherheit: Worauf es bei bindungsorientierter Erziehung ankommt

Dass Kinder alle Wünsche erfüllt bekommen, ist eins der Vorurteile in Bezug auf bindungsorientierte Erziehung. Wie dieser Erziehungsansatz tatsächlich gedacht ist, erklärt Expertin Marina Hoffmann.

Viele Eltern wollen sich von den Erziehungsmethoden ihrer eigenen Kindheit distanzieren und suchen nach neuen Wegen der Erziehung. Wichtig dabei ist jedoch, sich nicht allein aus eigenen Kindheitswunden heraus leiten zu lassen, sondern einen klaren Blick dafür zu bekommen, was Kinder zum gesunden Aufwachsen brauchen.

Gefühlsausbrüche

Manche Eltern fühlen sich beispielsweise dazu bewegt, jede Träne oder Wut ihres Kindes zu vermeiden, um die Beziehung nicht zu belasten oder das Kind nicht zu verletzen. Und ja, die Gefühlswucht von Kindern, wenn sie Grenzen erleben, kann sehr schwer anzusehen sein. Man möchte sein Kind am liebsten davor beschützen – und vielleicht auch sich selbst. Es erfordert sehr viel Energie und die Fähigkeit zur Selbstregulation, um diese unangenehmen Gefühle auch halten und begleiten zu können.

Aus entwicklungspsychologischer Sicht schaden Gefühlsausbrüche und Tränen aber weder der Kind-Eltern-Beziehung noch dem Kind selbst, ganz im Gegenteil: Die Bindung zwischen Kind und Elternteil kann sogar gestärkt werden, wenn das Kind dabei die Erfahrung macht, dass seine Eltern diesen Gefühlen einen sicheren Raum geben und trotz des Wutanfalls weiterhin präsent und zugewandt bleiben. Ein Kind, das in seiner Wut gesehen wird und Co-Regulation erfährt, lernt, dem eigenen Frust einen gesunden Ausdruck zu geben. Langfristig lernt es, seine Gefühle besser zu regulieren. Es macht außerdem die Erfahrung, dass seine Eltern Werte und Grenzen haben, für die sie einstehen dürfen.

Führung und Fürsorglichkeit

Die Co-Regulation eines 3-jährigen Kindes kann beispielsweise so aussehen: 1 „Ja, du bist jetzt echt sauer. Das ist richtig ärgerlich.“ Sieh das Kind in seinem Frust mit einer annehmenden Haltung und benenne das Gefühl.

2 „Drück gegen meine Hände, zeig mir, wie viel Wut du in dir hast!“ Zeige eine Möglichkeit auf, wie das Kind seinen Frust herauslassen kann, ohne jemanden zu verletzen. 3 „Puh, das war heftig. Aber wir haben es geschafft. Komm, wir knabbern jetzt einen Apfel.“ Versichere dem Kind, dass die Beziehung keinen Schaden genommen hat. Besprich die Situation erst, wenn das Kind entspannt und wieder aufnahmefähig ist.

Entgegen manchen Vorurteilen unterstützt der bindungsorientierte Ansatz also weder eine partnerschaftliche Haltung gegenüber dem Kind noch eine Erziehung ohne Grenzen. Vielmehr brauchen Kinder einen fürsorglichen Erwachsenen, der Sicherheit ausstrahlt und bei dem sie sich fallen lassen können. Elterliche Führung, gepaart mit unerschütterlicher Fürsorglichkeit, sind die Voraussetzungen, dass das kindliche Nervensystem Sicherheit registrieren und zur Ruhe finden kann.

Marina Hoffmann ist Expertin und Coach für Bindungsorientierte Erziehung.

3 bis 5 – Auf’s Fahrrad umsteigen?

Elternfrage: „Meine Frau und ich sind uneins darüber, wann unser Sohn (3) Rad fahren lernen soll. Ich meine, wir sollten jetzt beginnen, meine Frau findet es zu früh. Wann ist der beste Zeitpunkt für das Fahrrad? Und was sollte man sonst noch beachten?“

Wenn wir mit dem Fahrrad unterwegs sind, ist uns nicht bewusst, wie komplex die Bewegungsabläufe und wie vielfältig die Informationsverarbeitungen sind. Radfahren ist ein Zusammenspiel aus Motorik, Planung, Orientierung, Geschwindigkeit, Gleichgewicht, Sequenzierung von Handlungen und Regelwerk.

Obwohl man schon für Kleinkinder Fahrräder kaufen kann, bedeutet dies nicht, dass es das ideale Lernalter ist. Erst wenn Kinder von sich aus Interesse am Rad zeigen, sollten sie es ausprobieren. Dabei sind manche ein Kindergartenkind und andere gehen schon in die Schule.

Balance und Geschwindigkeit

Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn jüngere Kinder durch die Straßen sausen und Ihres noch auf einem Laufrad herumkurvt. Lernen braucht Zeit und die Voraussetzungen fürs Radfahren lassen sich gut mit Roller und Laufrad trainieren: Das Kind entwickelt ein Gespür für Balance und Geschwindigkeit. Es wird merken, wie schnell es sein muss, um die Beinchen zu heben. Und es wird wissen, wie ruckartig es den Lenker drehen kann, ohne auf die Nase zu fallen.

Viele Eindrücke müssen eingeordnet werden: Geräusche, Bewegungen von Personen und Autos oder Hindernisse auf dem Weg. Das Kind lernt Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und nach und nach automatisieren sich Bewegungsabläufe. Wenn es dann ein Fahrrad ausprobieren möchte, kann auch ein Rad von Geschwistern oder Nachbarskindern hilfreich sein. Eine Anschaffung lohnt sich erst, wenn sich Fahrerfolg einstellt. So sparen Sie sich zum Beispiel ein kleines 12-Zoll-Rad und können gleich ein größeres Rad anschaffen.

Ohne Stützräder fahren!

Vermeiden Sie Stützräder am Fahrrad! Sie sind eher hinderlich als hilfreich, denn mit ihnen lässt sich nicht der entscheidende Gleichgewichtssinn trainieren. Am Anfang fehlt den Kindern häufig die Kraft, um anzufahren. Geben Sie dem Rad einen Schubs, aber schieben Sie es nicht ständig. Das lenkt Ihr Kind ab und es guckt mehr nach hinten als nach vorn. Sie sollten außerdem darauf achten, nicht ständig zu reden, denn Ihr Kind ist mit so vielen Dingen auf einmal beschäftigt, dass es kaum auf Ihre Worte achten wird. Fahrradfahren ist körperbetont, es lässt sich nicht durch verbale Erklärungen erlernen. Wenn Sie Ihr Kind anfeuern wollen, dann rennen Sie vor und lotsen es ins Ziel, so fokussiert es sich nach vorn. Mancher Sturz lässt sich nicht vermeiden – sorgen Sie mit Helm, Knieschützern und robuster Kleidung vor.

Radeln Sie selbst gern? Ihre Begeisterung wird andere anstecken. Machen Sie aus dem Radausflug ein schönes Familienerlebnis. Suchen Sie sich ruhige Wege und leicht erreichbare Ziele: einen Lieblingsplatz im Park, die Eisdiele, den Bäcker oder das Tiergehege. Nichts ist frustrierender, als wenn aus dem Genussradeln ein Pedalenkampf wird. Die Freude wächst mit der Routine und dann „kommt Radfahren dem Flug der Vögel am nächsten“ (Louis J. Halle).

Susanne Ospelkaus ist Ergotherapeutin und Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München und bloggt unter: susanne-ospelkaus.com