DAS GLÜCK AUS DER TUPPERDOSE
Katharina Hullen füllt den Liebestank ihrer Familie mit Pausenbroten.
Katharina: Liebe geht durch den Magen. Das gilt für den romantischen Eheabend mit feinem Essen ebenso wie für den rustikalen Sauerkrauteintopf oder die schnöden Nudeln mit Tomatensoße, wenn sie mittags zur Begrüßung als Lieblingsessen auf dem Tisch stehen. Ich habe entdeckt, dass ich den Liebestank einzelner Familienmitglieder mit Essenszubereitung füllen kann. Kommt eines der Mädchen früher von der Schule nach Hause als die anderen und steht auf seinem Platz ein verzierter Teller mit geschnittenem Obst, dann bin ich mit Sicherheit – für den Moment „die beste Mama der Welt!“ Eine andere freut sich in gleicher Weise, wenn sie ein warmer Kakao und ein Keks erwartet. Unser viertes Kind stürmt nach dem Kindergarten ins Haus und schreit gleich lautstark nach seinem Apfel, und Hauke nimmt mich viel lieber zur Begrüßung in den Arm, wenn wir ihm noch etwas vom Mittagessen übriggelassen haben.
Mit diesem Wissen über die Macht der liebevollen Essenszubereitung stehe ich jeden Morgen auf und schlurfe in die Küche, um fünf Brotdosen und ihre Nutzer startklar für den Tag zu machen. Sie sind niemals Kunstwerke und absolut gewöhnlich, aber ich bemühe mich, für jeden Einzelnen das Lieblingsbrot mit dem Lieblingsaufschnitt und dem Lieblingsobst liebevoll angeordnet unterzubringen. Wer einen langen Tag hat, bekommt noch einige Lieblingskekse dazu, und wer eine Arbeit schreibt, den obligatorischen Traubenzucker. Für meinen Mann gibt es noch einen großen Kaffeebecher und ein Frühstücksbrot. Tatsächlich spannen wir unsere Kinder im Vergleich zu ihren Freunden im Haushalt recht umfangreich ein. Und bei vielen Aufgaben denke ich auch, dass es nur richtig und wichtig ist, wenn jeder in der Lage ist, zumindest seine Dinge zu erledigen. Natürlich sind die Kinder in der Lage, sich ihre Dosen selbst zu füllen. Ich bräuchte es nur kundzutun, dass diese Regel ab morgen gilt. Aber irgendwie stehen die Brotdosen auf meiner Aufgabenliste! Sie sind wie kleine Zettel, die man im Mäppchen oder der Arbeitstasche der Lieben versteckt und auf denen „Ich denke an dich!“ steht.
So ist es nicht das gleiche, wenn Papa mal diesen „Dienst“ übernimmt. Er, der ohnehin morgens um jede halbe Minute im Bett feilscht, wirft in jede Snackbox irgendein Brot mit irgendeinem Aufschnitt und viertelt vielleicht noch einen Apfel, den er auf die Kinderdosen aufteilt. Fertig! „Warum machen die sich eigentlich nicht selbst die Dosen? Ich hatte früher gar keine Dose, wenn ich mir nicht selbst was mitgenommen habe. Hat mir nicht geschadet, bis mittags nichts zu essen!“, höre ich ihn grummeln, während er sich (weil er ja nicht so lange für die Zubereitung braucht) noch einmal fünf Minuten neben mich legt. Mmh, er tut mir ein bisschen leid. Vielleicht kaufe ich ihm ein Steak für heute Abend …
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
PAUSENBROTE FÜR PRINZESSINNEN
Hauke Hullen ärgert sich über die liebevoll zubereiteten Zwischenmahlzeiten seiner Frau.
Hauke: Da steht sie auf dem Küchentisch: die Brotdose, liebevoll gefüllt von der besten Ehefrau und Mutter von allen. Was da zwischen den Plastikdeckeln liegt, ist lecker, gesund und im höchsten Maße ärgerlich!
Ganz ehrlich: Warum können sich unsere Kinder ihre Schulbrote nicht selbst schmieren? Warum stehen wir in aller Herrgottsfrühe auf den kalten Küchenfliesen und legen Salami auf Brotscheiben – eine Tätigkeit, die unsere Kinder genauso gut beherrschen wie wir?
All das ist die Folge eines Prozesses, der einem Suchtverhalten ähnelt. Angefangen hat es damals mit einer ganz kleinen Dosis, der niedlichen Brotdose für den Kindergarten. Nur ein halbes Brot. Nur ein paar Gurkenscheibchen. Nur für die KiTa-Zeit und stets in dem festen Glauben, jederzeit aufhören zu können. Ich äußerte erste Bedenken: Unser Mädchen frühstückt doch schon zu Hause, bekommt im KiGa ein zweites Frühstück gestellt, ist zum Mittagessen auch schon wieder daheim, muss es da wirklich noch eine zusätzliche … – es musste.
Im Laufe der Zeit brauchte meine Frau mehr Stoff, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Inzwischen werden 5 Dosen gefüllt, Kathi experimentiert auch mit anderen Substanzen herum, immer auf der Suche nach dem nächsten Glücksgefühl.
Nun, ich will die Drogen-Metapher nicht zu sehr strapazieren, auch will ich nicht auf die schwierige Symbolik eingehen, die ein von der Frau angebotener Apfel in frommen Kreisen hat. Doch festzuhalten ist, dass unsere Mädels morgens auf dem Sofa herumlungern, während wir ihre Brote schmieren – da stimmt doch was nicht! Zugegeben: ich bin nicht der hilfsbereiteste Mensch, vor allem, wenn ich Arbeiten übernehmen soll, die der andere locker selbst erledigen könnte. Dass ich meinen Kindern nur ungern die Brotdosen fülle, mag kaltherzig klingen – aber ich mähe auch nicht den Rasen für meine Nachbarn, damit diese mehr Zeit fürs Fernsehgucken haben.
Als Lehrer erlebe ich immer wieder Eltern, die es nicht geschafft haben, sich abzunabeln. Vergessene Hefte, Mützen und Handys werden den kleinen Prinzen und Prinzessinnen hinterhergetragen und auch gerne mitten im Unterricht überreicht. Ja, Brotdosen selbstverständlich auch. So was gab es damals nicht, als ich zur Schule ging, quasi direkt nach dem Krieg. Ich wurde auch nicht einmal von meinen Eltern mit dem Auto abgeholt, inzwischen reicht jedoch leichter Nieselregen, und … ach, Sie können es sich denken.
Schweife ich ab? Nein, ich glaube nicht. Während ich morgens zur Schule fahre, fallen mir viele Beispiele ein, die das Überbehüten der Eltern und die Unselbstständigkeit der Kinder illustrieren. So gesehen ist die Brotdose kein Zeichen der Liebe, sondern eher eine Fußfessel in Lillifee-Optik. „Schlimm!“, denke ich, und nehme einen Schluck Kaffee aus meinem Thermobecher, den mir meine Frau, dieser Schatz, schnell noch zugesteckt hat.
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.