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Eifersucht unter Geschwistern – So gehen Sie als Eltern damit um

In Familien mit mehreren Kindern bleibt Eifersucht zwischen Geschwistern nicht aus. Wie Eltern damit am besten umgehen können, erklärt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Melanie Schüer.

„Immer spielst du nur mit Theo!“, wirft die kleine Selma ihrem Vater wütend vor und verlässt aufgebracht das Wohnzimmer. Solche oder ähnliche Szenen kennen viele Eltern, denn Eifersucht zwischen Geschwistern ist ein Gefühl, das oft eine Rolle spielt. Im Umgang damit hilft am besten eine Mischung aus Vorbeugung und Krisenhilfe:

1. Vorbeugen: Was können Eltern tun, um Eifersucht möglichst zu verhindern?

Prävention gegen Eifersucht beginnt am besten bereits vor der Geburt des Geschwisterkindes:

  • In dieser Phase gilt es, das ältere Kind bewusst in die Schwangerschaft einzubeziehen, z.B.:
  • es zu (unkomplizierten) Untersuchungen mitnehmen, wenn es möchte
  • es Tritte des Babys im Bauch spüren lassen
  • ihm erlauben, den Babybauch anzumalen
  • es in die Gestaltung des Babyzimmers einzubeziehen, wenn das Kind Freude daran hat
  • Kinderbücher zu dem Thema lesen, zum Beispiel „Hallo Baby, wann kommst du?“ von Lydia Hauenschild oder „Wir sind jetzt vier“ von Sabine Cuno.
  • schon einige Wochen vor der Geburt den Ablauf mehrfach entspannt besprechen: Wer passt auf das ältere Geschwisterkind auf? Wie lange bleiben Mama und das Geschwisterchen voraussichtlich im Krankenhaus? Bei Hausgeburten: Wer wird kommen, warum könnte Mama zwischendurch weinen oder schreien?

Aktiv mitmachen auch nach der Geburt

Wenn das Baby dann da ist, ist es ebenfalls sinnvoll, das ältere Geschwisterkind so oft es möglich ist, teilhaben zu lassen, zum Beispiel beim Wickeln, Waschen, usw. Hier gilt es aber, eine gute Balance zu halten: Bieten Sie dem älteren Kind an, mitzumachen – aber fordern Sie dies nicht ein wie eine Pflicht. Wenn Sie merken, dass Ihr großes Kind keine Lust (mehr) hat, zu helfen, dann nehmen Sie das gelassen: „Kann es sein, dass du lieber spielen willst? Das ist völlig okay!“

Exklusivzeiten für jedes Kind

Hinter Eifersucht steckt nicht in erster Linie eine Ablehnung des Geschwisterkindes, sondern meistens ein eigenes Bedürfnis im Sinne von „Ich möchte Mama/Papa mal wieder ganz für mich haben!“ Das ist ein verständlicher Wunsch, denn die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Elternteils zumindest ab und an zu haben, ist wichtig für die Entwicklung eines Kindes. In solchen Situationen fühlt sich ein Kind besonders gesehen, wertgeschätzt und geliebt. Deshalb sollten Eltern von Anfang an ihr Bestes tun, um regelmäßig Zeiten einzubauen, in denen jedes Kind Zeit allein mit einem Elternteil verbringen kann. Das kann und muss nicht immer viel sein – eine halbe Stunde auf dem Spielplatz und zwanzig Minuten ruhige Zubettgehzeit am Abend können bereits ganz viel bewirken.

Bei älteren Kindern ab ca. 10 Jahren muss eine solche Exklusivzeit nicht mehr mehrfach pro Woche stattfinden. Und es kann auch sein, dass selbst eine wöchentliche Eltern-Kind-Zeit nicht immer einzurichten ist. Achten Sie dann besonders auf Gelegenheiten, die sich ergeben, z.B. eine Autofahrt zu zweit, ein gemeinsamer Einkauf, eine Kugel Eis nach dem Arztbesuch … Und versuchen Sie, gelegentlich besondere Aktionen mit je einem Kind zu ermöglichen, zum Beispiel einen Kinobesuch oder einen Spieleabend zuhause, während das andere Kind bei einer Freundin übernachtet. Wichtig ist auch, diese Zeiten positiv hervorzuheben: „Wie schön, dass wir mal wieder etwas zu zweit unternehmen!“ So zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie gerne Zeit mit ihm verbringen.

2. Was, wenn die Eifersucht trotzdem hochkocht?

Trotz bester Vorbeugung kann es passieren, dass Eifersucht entsteht. Gerade dann, wenn das ältere Kind noch jünger als drei oder vier Jahre ist, erlebt fast jede Familie eine oder mehrere solcher Phasen. In diesem Alter braucht einfach auch das ältere Geschwisterkind noch ganz viel Aufmerksamkeit von den Eltern und empfindet ein anderes Kind, das genau das auch einfordert, ganz schnell unbewusst als Bedrohung. Auch ältere Kinder erleben das und brauchen ihre Eltern, aber sie sind oft schon gefestigter in ihrem Selbstbewusstsein und haben mehr Interesse am Spiel mit Gleichaltrigen, sodass der Fokus auf die Eltern ein kleines bisschen nachlässt. Folgende Schritte sind hilfreich, wenn die Eifersucht sich eingenistet hat:

  1. Keine Panik! Solche Phasen sind normal und wenn man ihnen gut begegnet, in aller Regel vorübergehend. Nehmen Sie das Problem also ernst, aber ohne Drama oder Selbstvorwürfe.
  2. Die Situation in Ruhe reflektieren: Überlegen Sie, welche Faktoren für die Eifersucht wichtig sein könnten. Ist das ältere Kind vielleicht wirklich in letzter Zeit zu kurz gekommen? War ein Elternteil oder eine andere wichtige Bezugsperson zu beschäftigt mit dem Baby?
  3. Mit dem Kind selbst sprechen: Nehmen Sie das eifersüchtige Kind in einer ruhigen Situation beiseite und beginnen Sie ein freundliches, vorwurfsfreies Gespräch. Machen Sie deutlich, dass Eifersucht kein Tabuthema ist, und dass Sie einfach verstehen wollen, was gerade schwierig ist: „Du, ich habe den Eindruck, seit Theo auf der Welt ist, bist du manchmal traurig oder ärgerst dich. Viele Kinder finden es erst einmal stressig, wenn das Geschwisterkind da ist. Es kann sich dann so anfühlen, als wenn man die Eltern plötzlich teilen muss. Vielleicht fühlt man sich manchmal allein gelassen oder vermisst die Zeit allein mit den Eltern. Das ist ganz normal, denn es ist ungewohnt, dass da auf einmal ein anderes Kind ist, das viel Aufmerksamkeit braucht. Kann es sein, dass du das auch so erlebst?“ Fragen Sie auch, was genau das Kind vermisst oder, was es sich wünschen würde. Je nach Alter kann das Kind das möglicherweise nicht sagen – es ist dennoch gut, die Frage zu stellen. Versuchen Sie, die Sorgen und den Ärger Ihres Kindes erst einmal stehen zu lassen und anzuerkennen.
  4. Auch hier hilft es, Kinderbücher zu dem Thema zu lesen, die helfen, die schwierigen Gefühle einzuordnen und einen Umgang damit zu finden, z.B. „Wen hast du am allerliebsten?“ von Sam MacBratney.
  5. Deutlich machen: „Ich liebe dich genauso sehr wie vorher!“ In dem Kinderbuch „Meine Mama nur für mich“ von Uta Stern wird ein schönes Bild dazu vorgeschlagen, z.B. so: „Ich verstehe, dass es schwierig ist. Es braucht etwas Zeit, sich an das neue Leben zu gewöhnen. Aber eins ist ganz klar: Ich liebe dich immer noch genauso sehr wie schon immer! Meine Liebe zu dir ist noch immer genauso groß! Das Herz eines Papas kann sozusagen wachsen! Man kann sich das so vorstellen: In meinem Herzen ist ein Raum nur für dich. Da ist meine ganze Liebe für dich drin. Und als Theo zur Welt kam, da ist das Herz gewachsen und es ist ein neuer Raum entstanden – mit der Liebe zu Theo. Aber dein Raum, meine Liebe zu dir, ist noch immer genauso groß! Ich bin so froh, dass ich dich habe!“
  6. Planen Sie eine Weile (etwa zwei Monate lang) besonders viel Exklusiv-Zeit mit dem eifersüchtigen Kind ein. Teilen Sie sich als Eltern auf oder schauen Sie, wenn Sie alleinerziehend sind, ob Sie eine andere Bezugsperson mit ins Boot holen können. Achten Sie auch darauf, die Stärken und positiven Verhaltensweisen anzuerkennen, um das Selbstwertgefühl zu stärken. Eine schöne Methode sind „Ermutigungskarten“: Auf kleine Kärtchen schreiben Bezugspersonen des Kindes, was sie alles an ihr mögen, gern mit ihm machen, was sie gut kann, usw. So ein ehrliches, positives Feedback wirkt ungemein stärkend.
  7. Gefühlsregulation fördern: Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es mit negativen Gefühlen wie Wut und Traurigkeit umgehen kann. Erlauben Sie ihm, traurig zu sein: „Du musst die Traurigkeit nicht wegschieben. Gefühle gehen ganz von allein wieder. Weinen tut manchmal gut. Ich bin da für dich.“ Gute Strategien bei Wut sind zum Beispiel: mit dem Fuß auf den Boden stampfen, in ein Kissen boxen, einen Wutball mehrfach stark zusammenpressen.
    Wenn Ihr Kind das Geschwisterkind schlecht behandelt hat, reagieren Sie möglichst ruhig, aber entschlossen. Erklären Sie gefasst und in wenigen Worten, dass Sie keine Gewalt akzeptieren und gehen Sie, wenn nötig, dazwischen. Entschuldigungen einfordern ist meist keine gute Idee. Denn diese sind meist nicht ernst gemeint und können Kindern den Eindruck vermitteln „Ich sage einfach hinterher Entschuldigung und dann ist alles wieder gut.“ Nehmen Sie sich lieber Zeit, mit dem Kind über seine Gefühle (die zur Gewalt geführt haben) und die Gefühle des anderen Kindes: „Wie hat er sich wohl gefühlt, als du es getreten hast? Meinst du, er hat deinen Turm absichtlich umgeschmissen? Was wollte Theo vielleicht, als er zu dir gekrabbelt ist?” Überlegen Sie auch gemeinsam, wie Ihr Kind beim nächsten Mal in einem ähnlichen Konflikt handeln könnte. So werden langfristig Empathie und Problemlösefähigkeiten trainiert.

Zu guter Letzt: Wenn die Eifersucht trotz Ihrer Bemühungen hartnäckig bleibt oder Maße annimmt, die Sie überfordern, dann scheuen Sie sich bitte nicht, fachliche Hilfe anzunehmen. Erziehungsberatungsstellen (dajeb.de oder auch online: elternleben.de) bieten kostenlose Unterstützung und ein objektiver Blick verhilft oft zu ganz neuen Perspektiven und Ideen.

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Autorin.

Das Glitzerkind: Wenn ein Kind mit Begabung herausragt

Wenn eins der Kinder eine besondere Begabung hat, ist es für die Eltern nicht immer leicht, allen gerecht zu werden. Was es zu bedenken gilt, erklärt Pädagogin Stefanie Diekmann.

Wenn Julian (13) seinen Sportrucksack packt, hat er schon einen langen Schultag hinter sich – und noch viel vor sich. Während seine Geschwister Anne (10) und Lina (5) sich mit Freundinnen verabreden, kaut er an einem Müsliriegel und ruft ungeduldig: „Wer fährt mich heute?“ Lina brüllt: „Niemand! Ich will, dass Mama weiter mit mir Uno spielt!“ Schnell entspinnt sich ein Wortgefecht zwischen den Geschwistern. Ohne das Ende der Diskussion abzuwarten, werden Anne und Lina angetrieben, sich zu ihren Freundinnen aufzumachen, damit Mama Heidi sich ins Auto setzen kann. Papa Sascha kann dienstags nie. Und ausgerechnet am Dienstag haben die Mädchen keine Termine und eigentlich Zeit zum Spielen und Zuhause-Sein. Draußen dreht sich Anne um und zwinkert Julian versöhnlich zu: „Viel Spaß! Heute kein Foul, okay?“

Ungleichgewicht durch Begabung

Julians Fußballbegabung ist in den letzten zwei Jahren immer mehr zum Thema in der Familie geworden. Mittlerweile trainiert er viermal pro Woche in einem Stützpunkt – zusätzlich zum normalen Training. Und die ersten Vereine von weiter weg haben schon angefragt, ob Julian zum Probetraining kommen möchte.

Eine Begabung, die viel Organisation und Einsatz verlangt. Eine Begabung, die zwischen den Geschwistern ein Ungleichgewicht herstellt. Nicht weil die Schwestern nicht begabt sind, sondern weil ihre Gestaltung des Alltags und ihre Entwicklung der Persönlichkeit alltagskompatibler sind. Natürlich haben Julians Schwestern auch Hobbys, diese sind allerdings nur ein wöchentlicher Termin ohne große Folgen für das Familienleben. Ein Termin, der die Eltern nicht herausfordert, über weitgreifende Entscheidungen nachzudenken. Julians Eltern grübeln viel über seine Begabung. Ist es nicht ihre Pflicht, diese zu fördern? Was würde in ihrer Beziehung zum Sohn passieren, wenn sie ihn nicht unterstützen?

Sascha war früher Handballer. Er kann sich noch an das Gefühl erinnern, seinen Eltern unwichtig zu sein. In seinen 12 Jahren Handball-Leidenschaft haben sie nie auf der Tribüne gesessen. Seine Frau Heidi versucht, diesen Schmerz als Antrieb für Julians Unterstützung zu verstehen und gleichzeitig den Blick auf alle zu weiten: Wie geht es Anne? Was empfindet Lina, wenn der Alltag so stark auf Julian ausgerichtet ist? Was empfindet Julian, wenn seine Schwestern Neid ausdrücken und die Eltern durch die Mehrbelastung angespannt sind? Manchmal wird Lina weinerlich und klammert sich an Heidi. Nach einigen unschönen Szenen wird klar: Lina drückt so aus, dass ihr das Tempo zu hoch ist. Anne wird immer stiller und unsichtbarer. Sie hilft viel, ist verständnisvoll, räumt auf und es braucht viel Sensibilität, zu spüren: Das Kindliche verschwindet und ihre Bedürfnisse werden zurückgestellt.

Familien-Oasen

Die Eltern sind mehr und mehr zur Überzeugung gekommen, dass sie für alle drei Kinder Förderer sein wollen. Sie wollen bewusst hinsehen: Was beschäftigt unser Kind – unabhängig von Leistung und Leistungsbereitschaft? Und wie werden Werte, für die sie als Christinnen und Christen einstehen, sichtbar – in unseren Gesprächen, unserem Handeln und Gebeten? Was gelingt uns nicht und wo brauchen wir einander? Was, wenn Julians Begabung dazu führt, dass er fast keine Zeit mehr hat, in unsere Kirche zu gehen? Da ist Julian nun so ein Glitzerkind mit einer starken Begabung. Und es ist wie bei jeder Bastelarbeit mit Glitzerpulver: Alles andere bekommt Spuren vom Glitzer ab – unweigerlich.

Was hilfreich ist: Die Eltern planen immer wieder Oasen als gesamte Familie, in denen das Thema Fußball keine Rolle spielt. Das kann ein Schwimmbadbesuch sein. Oder ein Kochduell, bei dem die jüngste Schwester wegen des tollen Namens ihrer Punsch-Erfindung gewinnt. Und wenn es kracht oder der Alltag ein zu hohes Tempo hat, gibt es gemeinsame Gespräche am Tisch: Was brauchen wir als Familie, um gut miteinander leben zu können? Nach den ersten Monaten des Stützpunkttrainings wurde der Tonfall in der Familie immer gereizter und liebloser.

Bei einem Spaziergang wurde den erschöpften Eltern klar: Wir brauchen ein Unterstützernetzwerk – Menschen, die Julian fahren. Andere, die mal ein Abendbrot sicherstellen, wenn sowohl Sascha als auch Heidi bei einem Elterngespräch benötigt werden. Oder eine Anlaufstelle für die Mädchen, wenn mal niemand zu Hause ist. Erst schien es fast aussichtlos. Aber nach und nach trauten sich Sascha und Heidi, offener mit ihrer Suche zu sein. Der Opa blühte im Gespräch mit Julian auf. Für ihn sind die Zeiten im Auto keine Belastung – im Gegenteil. Den gelegentlichen Abendbrotdienst übernahm Dagmar, eine alleinstehende Frau aus der Gemeinde. Natürlich war es zunächst fremd, seinen Kühlschrank jemandem außerhalb der Familie anzuvertrauen. Aber Dagmar gehörte mit ihren Rezepten aus einer anderen Generation bald zum Familieninventar.

Das Loben neu lernen

Neben all den praktischen Themen wurde auch klar, dass Leistung ein sensibles Thema ist. Natürlich muss sich Julian anstrengen, seine Fitnessübungen machen und ja, ein Sieg ist großartig. Den zerknirschten Sohn liebevoll anzusehen, wenn die Mannschaft wegen seines Fehlpasses verloren hat, war für den sportbegeisterten Sascha zuerst eine Herausforderung. Gerade Anne möchte von ihren Eltern oft hören und spüren, wo sie richtig gut ist. Was sie kann. Wo sie sichtbarer ist als ihr Bruder. Die Balance zwischen dem Kleinreden von sportlichen Erfolgen – was Julian schmerzt – und dem Überhöhen der Flötenaufführung – was Anne sofort als Fake spürt – ist für Heidi besonders schwer. Sie musste das Loben neu lernen. Wem bringt ein „Gut gemacht!“ etwas? Will sie nicht eher vermitteln, dass alle von Gott Gesehene sind? Genau hinzusehen und nicht einfach kurz zu loben, hat das Bewusstsein für den anderen verändert.

Manchmal ist es nötig, im Auto vor dem Haus der Großeltern zu sagen: „Ihr wisst: Opa liebt Fußball und wir werden heute viel darüber reden!“ Lina nickt dann und sagt: „Ich weiß – heute ist Julians Glitzer-Stunde. Ist okay!“ Aber das Glitzerkind ist nicht mehr nur noch Julian, sondern jeder in der Familie schimmert schön!

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und arbeitet als Gemeindereferentin in Göttingen. Sie hat drei erwachsene Kinder.

Einzelkinder: Mythen und Wahrheit

Über Einzelkinder gibt es viele Vorurteile. Sind sie berechtigt? Einzelkinder, Einzelkind-Eltern und Experten berichten über das Aufwachsen ohne Geschwister. Von Lisa-Maria Mehrkens

Laut Statistischem Bundesamt lebte 2022 in über der Hälfte der Familien nur ein Kind. Rund ein Viertel der Kinder wachsen dauerhaft als Einzelkinder auf. Sind diese tatsächlich verwöhnt, egoistisch oder sozial weniger kompetent, wie gängige Vorurteile lauten? „Einige Vorurteile können in Einzelfällen zutreffen. Dennoch sind sie keineswegs allgemeingültig“, betont der Psychotherapeut Joachim Lask, der in eigener Praxis auch Paare und Familien berät.

Die wissenschaftliche Studienlage ist nicht eindeutig. Eine große österreichische Studie von 2013 zeigte, dass Einzelkinder in der Kindheit in Bezug auf Kooperation, Konkurrenz, Verantwortung und Teilen gegenüber Kindern mit Geschwistern etwas zurückliegen. Dafür haben sie manchmal einen Vorsprung im Selbstwertgefühl, in der kognitiven und sprachlichen Entwicklung und bei schulischen Leistungen. Oft wissen Einzelkinder eher, was sie selbst wollen, da sie sich nicht an (älteren) Geschwistern orientieren oder auf diese Rücksicht nehmen müssen.

Die von mir befragten Eltern konnten die Vorurteile aus eigenen Erfahrungen jedenfalls nicht bestätigen. Einzelkinder würden genauso liebevoll und fürsorglich mit anderen spielen und auch teilen. „Auch Geschwister sind kein Garant dafür, dass Teilen Spaß macht“, erklärt eine Mutter. „Es gibt sicher solche Einzelkinder, aber es gibt auch solche Geschwisterkinder. Das kommt vielmehr auf die Erziehung, den Charakter und das Umfeld an“, meint eine andere.

Exklusive Zeiten

Ob gewollt oder ungewollt – das Leben mit einem Einzelkind hat seine Vorteile. Am häufigsten genannt werden finanzielle Aspekte, mehr Flexibilität und Spontaneität, da man nur auf ein Kind Rücksicht nehmen muss, und insgesamt weniger Stress. Zudem ist es leichter, ein Kind bei den Großeltern oder einem Babysitter abzugeben, wodurch man mehr Unternehmungen ohne Kind machen kann. „Ich genieße es, dass mein Kind jetzt aus dem Gröbsten raus ist und ich wieder ein Stück weit Freiheiten und mein altes Leben zurückhabe“, sagt eine Einzelkind-Mutter.

Für manche ist es Gefühlssache: „Genau wie ich damals wusste, dass jetzt der Zeitpunkt für ein Kind ist, weiß ich jetzt, dass ich kein weiteres mehr möchte. Ein Kinderwunsch kann genauso deutlich gefühlt werden wie ein ‚Kein-Kinderwunsch‘. Dabei geht es weder um Überforderung noch darum, das Muttersein zu bereuen. Es fühlt sich einfach stimmig an“, erklärt eine andere Mutter.

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Dr. Simon Meier ist Leiter einer Familienberatungsstelle. „Einzelkinder stehen viel mehr im Fokus ihrer Eltern. Alle Zuwendung und Aufmerksamkeit konzentrieren sich auf dieses eine Kind. Dadurch gibt es mehr exklusive Zeiten für das Kind allein, zum Spiel und zur Interaktion zwischen Eltern und Kind. Zudem stehen häufig mehr Ressourcen zur schulischen und außerschulischen Förderung zur Verfügung“, sagt er. Das kann ein Vorteil sein. So können Eltern in Ruhe alle Entwicklungsschritte aufnehmen und genießen, die sonst mit mehreren Kindern nebenbei ablaufen. „Man kann sein Kind ständig Lieblingskind nennen“, beschreibt eine Mutter.

Wenn der Spielpartner fehlt

Einzelkinder genießen oft die alleinige Aufmerksamkeit der Eltern. Geschwisterrivalitäten bleiben ihnen erspart. Doch manche Einzelkinder berichten, sich gelegentlich einsam zu fühlen oder starken Druck zu spüren, die Erwartungen der Familie zu erfüllen. Ohne Geschwister als Spielpartner sind die Eltern zudem öfter gefordert. Viele sind besorgt, ihr Kind könne doch zu einem egoistischen, sozial weniger kompetenten Menschen heranwachsen. „Geschwisterkinder erleben mehr Frustrationen durch Prozesse des Teilens, des Zurücksteckens und dadurch, dass sie abwarten und ihre Bedürfnisse aufschieben müssen“, erklärt Simon Meier.

Dennoch kann man auch Einzelkindern ausreichend Sozialkompetenz vermitteln. „Es ist notwendig, dass Eltern ihrem Kind von Anfang an Möglichkeiten bieten, mit anderen Kindern in Kontakt zu treten – ob auf dem Spielplatz, in Krabbelgruppen oder im Kindergarten. Solche Interaktionen mit Gleichaltrigen fördern grundlegende soziale Kompetenzen wie Teilen, Zusammenarbeit und Empathie“, rät Joachim Lask. Er ergänzt: „Eltern von Einzelkindern sollten ihre Erwartungen an das Kind kritisch überdenken. So können sie ihre eigenen, vielleicht unerfüllten Wünsche verstehen. Damit gelingt es, das Kind angemessen zu unterstützen, ohne es zu überfordern oder einzuschränken.“

Einzelkinder können Teilen lernen

Auch die befragten Einzelkind-Eltern versuchen, ihren Kindern – auch außerhalb der Betreuung in Kita und Schule – viel sozialen Umgang mit anderen Kindern zu ermöglichen: durch Unternehmungen und Urlaube mit anderen Familien mit gleichaltrigen Kindern, Treffen auf dem Spielplatz oder die Beteiligung in Sportgruppen. „Man kann jedem Kind von Anfang an vermitteln, dass man Spielsachen oder Essen teilt. Es braucht kein Geschwisterchen, um das zu lernen“, meint ein Vater. Gegen die Langeweile, die das Kind vielleicht ohne Spielpartner zu Hause empfindet, hilft, ihm frühzeitig beizubringen, alleine zu spielen, und es möglichst oft in den Haushalt einzubeziehen. „Meine Tochter liebt es, mir beim Kochen oder Backen zu helfen und es ‚allein‘ zu machen“, schildert eine Mutter ihre Erfahrungen.

Wissenschaft und Erfahrungswerte stimmen überein: Vorurteile gegenüber Einzelkindern sind lediglich pauschale Aussagen, die im Einzelfall ganz anders sein können. Nicht alle Einzelkinder sind egoistisch und nicht alle Geschwisterkinder teilen gern. Denn letztlich hängen die Charaktereigenschaften und die Entwicklung eines Kindes von viel mehr ab als von der Geschwisteranzahl.

Lisa-Maria Mehrkens ist Journalistin, Autorin und Psychologin. Mit ihrer Familie wohnt sie in Chemnitz. Mehr unter: mehrkens.journalismus

 

Schicksal Sandwichkind?

Wie stark prägt die Geschwisterkonstellation die Persönlichkeit von Kindern? Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Geschwister – Warum die Konstellation nicht unser Schicksal ist

Wie stark prägt die Konstellation der Geschwister die Persönlichkeit von Kindern? Familienberaterin Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Reihenfolge der Geschwister

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Lena wagt eine zweite Schwangerschaft – obwohl die erste traumatisch war

Nach einer Frühgeburt will Lena Bischoff nie mehr schwanger sein. Doch in ihr wächst der Wunsch nach einem zweiten Kind.

Nachdem mein Sohn in der 33. Schwangerschaftswoche zu früh auf die Welt kam, konnte ich mir lange Zeit kein weiteres Kind vorstellen. Ich war ziemlich traumatisiert und erschüttert von den Erlebnissen und einfach nur froh, dass es meinem Sohn gut ging. Ich wollte nicht noch einmal eine Schwangerschaft durchstehen, war sie doch von Anfang an geprägt von Ängsten und Zweifeln. Gerade da ich nun schon ein Kind zu Hause hatte, wollte ich nicht in die Situation kommen, zwischen zwei Kindern hin und hergerissen zu sein.

Und trotzdem erwachte in mir der leise, zaghafte Wunsch, es noch einmal zu versuchen. Wir genossen die Zeit mit ihm und fanden es schön, ein Kind in unserem Leben zu haben. Und was, wenn es diesmal gut gehen würde? Was, wenn ich eine schöne Schwangerschaft erleben würde oder gar eine natürliche Geburt? Was, wenn der kleine Sohn zum großen Bruder werden würde? Je näher der zweite Geburtstag unseres Sohnes rückte, umso stärker wuchs der Wunsch einer erneuten Schwangerschaft in mir. Umso mehr rückten auch die Erinnerungen und Erlebnisse in den Hintergrund. Meinem Mann ging es ähnlich. Noch einmal. Dachten wir uns. Noch einmal wagen. Noch einmal aufbrechen.

Ein Lied gibt Lena Kraft

Ich musste in dieser Zeit des Ringens immer an das Lied „Ich brech‘ noch einmal auf“ von Cae Gauntt denken, das mich ermutigte. Denn ich war, wie im Lied beschrieben, auf der Suche. Auf der Suche nach dem richtigen Weg. Als Christin war ich auf der Suche nach Gottes Antwort auf unseren Wunsch. Ich wusste, ich würde ihn brauchen, wenn wir es wagen würden. Ich wusste, allein konnte ich es nicht schaffen. Aber ich wollte es schaffen. Mut und Angst. Mein Dauerthema.

Aber es war definitiv an der Zeit für einen Mutausbruch. Mein starker Wunsch zeigte mir das. Und wie es in dem Lied heißt: „Ich lass zurück, was mich hält und ich geh … und die Frage, wie und wo es weitergeht, wird zum Gebet“. Natürlich ist das Lied nicht auf meine Situation zugeschrieben worden, aber ich sah es als mein Mutmachlied an, denn ich hatte Sehnsucht und ich wollte den Weg gehen. Und das nicht allein.

Risikoschwangerschaft

Und entgegen meiner Erwartung wurde ich sofort schwanger, nachdem wir den Entschluss gefasst hatten. Ich bin sehr dankbar dafür, denn ich weiß nicht, ob ich meine Meinung nicht doch geändert hätte, wenn es lange gedauert hätte. Wir freuten uns sehr.

Die Schwangerschaft war geprägt von Vorsorge und Kontrolle. Ich war in mehrfacher Hinsicht risikoschwanger, und die Klinik und mein Arzt wollten mich engmaschig kontrollieren. Das tat mir gut und gab mir Sicherheit. Natürlich hätte es im Ernstfall nicht wirklich helfen können, aber dennoch brauchte ich für das Aufrechterhalten meines Mutausbruches diese medizinische Bestätigung.

Furcht ist omnipräsent

Ich dachte immer wieder an Gottes Zusage: „Fürchte dich nicht!“ Es war wie eine Stimme in der Nacht, wie eine kleine Erinnerung im stressigen Alltag, immer wieder kam ein leises, kleines „Fürchte dich nicht!“ in meine Gedanken gehuscht und ließ mich aufatmen. Ich wollte vertrauen. Ich wollte mutig sein. Ich wollte Zuversicht haben. Und doch fürchtete ich mich. Immer wieder. Immer mehr.

Von Woche zu Woche spitzte sich mein schlechtes Gefühl zu. Ich betete und fragte mich, wie ich die Wochen, diese hoffentlich vielen, vielen Wochen überstehen sollte, wenn mein Mutgerüst schon am Anfang zu wanken begann. Ich betete. Meine Gebete sind meistens „Bitte, Gott“ oder „Danke, Gott“. Und ich vertraue darauf, dass er versteht. Dass er mich kennt.

Eine Enttäuschung wird zum Segen

Am nächsten Tag hatte ich wieder einen dieser vielen Vorsorgetermine. Ich war etwas erschüttert, als man mir sagte, dass mein Arzt krank sei, aber die Vertretung mich sehen würde. Ich hatte Vertrauen in ihn, war er doch vor der Schwangerschaft sorgfältig von mir ausgesucht worden. Ich konnte mich schlecht darauf einlassen, mir von einem anderen Arzt eine Meinung geben zu lassen. Ich war in dieser Zeit sehr abhängig davon, was die mir vertrauten Schulmediziner zum Kind in meinem Bauch sagen. Mein eigentlich gesundes Bauchgefühl hatte sich von meiner Angst in den Hintergrund drängen lassen. Und in Zeiten, in denen man sein Kind noch nicht dauernd spürt, fiel es mir schwer, zuversichtlich zu bleiben.

Ich saß etwas geknickt im Behandlungszimmer und wartete auf die Vertretung. Herein kam eine junge Ärztin, selbst Mutter von zwei Söhnen, einfühlsam, empathisch, freundlich, zugewandt. Der erste Arzt, der mich in diesen 16 Wochen fragte, wie es mir seelisch ging. Dem Baby ging es bestens, aber sie sah meine Vorgeschichte und fragte, ob ich Hilfe hätte und wie ich durch die Wochen käme.

Entscheidender Tipp

Augenblicklich musste ich weinen. Ich merkte, wie viel sich in mir angestaut hatte, wie sehr ich mich immer zusammenriss – für meinen Mann, meinen Sohn und mich. Ich sagte, dass ich es aktuell nicht mehr gut schaffen würde. Sie gab mir eine Nummer einer Hebamme, die geschult war in „Emotioneller Erster Hilfe in der Schwangerschaft“. Das kannte ich bis dahin nicht. Es klang aber gut.

Ich rief an und sprach mit einer freundlichen Frau, die aufmerksam zuhörte, mich gut spiegelte und reflektierte und versprach, vorbeizukommen. Dieser Anruf war die beste Entscheidung in meiner Schwangerschaft. Fortan begleitete mich diese vom Himmel geschickte Hebamme in allen meinen Ängsten, Freuden, alten Lasten, neuen Sorgen und Herausforderungen. Sie wurde wichtig für unsere ganze Familie.

Die Hebamme hilft

Sie fing nicht nur mich auf, sie sah auch meinen Mann und meinen Sohn. Sie spürte Stimmungen – ich konnte ihr nichts vormachen. Sie schaffte es, dass ich mir selbst authentisch begegnen und meine vorherige Schwangerschaft aufarbeiten konnte. Dass ich Frieden damit fand und versöhnt wurde mit meiner Geschichte. Es kamen bereits vergessen geglaubte Gefühle hoch, die ich ernsthaft angehen und auflösen konnte. Geblieben ist die Freude über meinen Erstgeborenen, die große Dankbarkeit für sein Leben, seine Gesundheit, seinen Charakter, der uns täglich bereichert.

Neues Vertrauen

Es gab eine Zeit, in der ich richtige Panik durchlebte, was an uns allen zehrte. Diese Hebamme war neben meinem Mann und meiner Familie wie ein Anker für mich, ein Lichtblick, eine kleine Rettungsweste, an die ich mich klammerte. Sie wusste genau, was ich wann brauchte, sei es ein Gespräch, medizinische Ratschläge, Hebammenwissen oder eine Ganzkörpermassage, um mich wieder zu erden. Sie half mir, hinter meinem Mutausbruch zu stehen, mich auf das Baby zu freuen, Vorfreude überhaupt erst zuzulassen und dem kleinen Menschen in meinem Bauch den Platz in unserer Mitte einzugestehen, den er verdient hatte.

Sie half uns, gemeinsame Rituale zu entwickeln, um Kontakt zum Babybruder aufzunehmen und den Großen mit einzubinden. Sie gab mir Sicherheit und Vertrauen in meine eigenen Instinkte zurück. Ich begann am Ende der Schwangerschaft sogar zu träumen, mir Wünsche einzugestehen, mich auf die Geburt vorzubereiten und es für möglich zu halten, dass es diesmal anders kommen würde.

Eine tolle, schöne Geburt

Und es wurde belohnt. Nicht nur durch einen wundervollen zweiten Sohn, sondern auch durch eine tolle, schöne Geburt, die mich mit vielem versöhnte, mir einen großen Frieden schenkte und mir ein erholsames, entspanntes Wochenbett erlaubte, wo wir alles sacken lassen konnten und uns fallen ließen. Es flossen Tränen der Freude und Erleichterung, der Anspannung und der Entspannung. „Ich brech’ noch einmal auf“.

Ich wünsche jeder Schwangeren, die traumatisiert ist, schwere Erlebnisse hatte oder einfach Angst hat, so eine Begleitung. In vielen Ländern in Europa finden sich Hebammen mit dieser Zusatzqualifikation (emotionelle-erste-hilfe.org). Die Leistungen werden komplett von der Kasse übernommen. Die Hebamme hat uns allen diese Monate erleichtert und ist uns die erste Zeit mit zwei Kindern immer mit viel Herz und Liebe zur Seite gestanden.

Von Lena Bischoff

„Ist er neidisch?“

„Mein Sohn (17) und meine Tochter (15) sind total unterschiedlich: Während er der zurückhaltende Typ ist, kaum Hobbys hat und mittelmäßige Schulnoten, ist sie aufgeschlossen, sehr beliebt und in der Schule ein Ass. Er verhält sich ihr gegenüber oft beleidigend und ausgrenzend. Meine Tochter fühlt sich deshalb oft verletzt. Wir haben das Gefühl, dass er neidisch ist. Wie können wir den beiden helfen, miteinander klarzukommen?“

Geschwister sind neben den eigenen Eltern die ersten Menschen, mit denen wir es alltäglich zu tun haben. Vom ersten Tag an rivalisieren wir mit den Geschwistern um die Gunst der Eltern.

Die Frage, ob das jüngere Geschwisterchen den älteren Bruder, die ältere Schwester vom Gunst-Thron bei den Eltern stößt, verführt ältere Geschwister oft genug dazu, die eigene Macht hinterrücks zu demonstrieren. Da wird geschlagen und gemobbt – häufig, wenn die Eltern gerade nicht hinschauen. Gleichzeitig wissen nachgeborene Kinder meist sehr genau, was sie tun müssen, um den Beschützerinstinkt bei den Eltern zu wecken. Deshalb flüchten sie sich gern in eine Opferrolle, in der sie zeigen, wie gemein der ältere Bruder, die ältere Schwester ist. Sie verstehen es auch, sich in Szene zu setzen als kleiner Prinz oder kleine Prinzessin.

INTERESSE ZEIGEN

Ihre Kinder sind jedoch alt genug, um zu wissen, wie sie miteinander umgehen sollten. Vielleicht ist der große Bruder gar nicht neidisch auf die Erfolge seiner kleinen Schwester, sondern darauf, wie diese Erfolge bei den Eltern, also Ihnen, ankommen. Natürlich sind Sie stolz auf Ihre Tochter, weil sie viele Freunde hat und ein schulisches Ass ist. Das würde alle Eltern glücklich machen. Aber da ist auch Ihr Sohn. Auch er hat Hobbys. Vielleicht nicht so weltbewegende. Möglicherweise sind es Interessen, mit denen Sie nichts anfangen können? Versuchen Sie es trotzdem. Interessieren Sie sich für das, was ihn bewegt. Nehmen Sie an der Welt Ihres Sohnes teil. Wenn er merkt, dass er genauso viel wert ist wie Ihre Tochter, ist es für ihn nicht mehr so wichtig, die Schwester herabzusetzen. Ja, vielleicht ist er im Augenblick tatsächlich neidisch. Wenn er allerdings keinen Grund mehr dafür hat, fällt es ihm leichter, diesen Neid zu überwinden.

STÄRKEN AUFZEIGEN

Sicherlich lieben Sie Ihre Kinder in gleicher Weise – zumindest sind Sie dieser Ansicht. Trotzdem reagieren Sie vielleicht unterschiedlich auf die sportlichen Erfolge und die Noten Ihrer Kinder. Wenn Ihre Tochter eine Eins nach Hause bringt – sind Sie da nicht enthusiastischer, als wenn Ihnen der Sohn eine Vier unter die Nase hält? Doch denken Sie daran, dass Ihr Sohn für die Vier trotzdem hart gearbeitet hat! Zeigen Sie Ihrem Sohn seine Stärken auf (auch Zurückhaltung ist eine Stärke), dann hat er keinen Grund mehr, Ihre Tochter auszugrenzen. Es ist harte Realität, dass die wenigsten von uns Überflieger sind. Wir sind nicht alle gleich. Aber wir sind alle gleichwertig. Das zu erkennen, darin liegt die eigentliche Größe – für jeden von uns.

Ingrid Neufeld hat als Erzieherin zuletzt mit Flüchtlingskindern und deren Eltern gearbeitet. Nun genießt sie ihren Ruhestand als Mutter von drei erwachsenen Töchtern und zwei Enkeln. Sie lebt bei Bamberg. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Zusammen in einem Zimmer?

„Meine Tochter (4) wünscht sich, dass ihr kleiner Bruder (11 Monate) mit ihr im Zimmer schläft. Halten sich die beiden aber nicht gegenseitig vom Schlafen ab? Was müsste man bei der Zusammenlegung beachten?“

Das Wichtigste, was Kinder zum guten Leben brauchen, ist das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, Wärme, Nähe und Vertrauen. Dieses urmenschliche Grundbedürfnis endet gerade nicht mit dem Sonnenuntergang und auch nicht mit der Stillzeit. Wenn es Abend wird und die Nacht heranbricht, dann meldet es sich in besonderer Weise. Denn seit Anbeginn der Zeit suchen wir Schutz vor der Dunkelheit.

Gemeinsam Schlafen bringt nur Vorteile

Auch wenn dieses Bedürfnis in erster Linie von den Eltern gestillt wird, so spielen doch auch Geschwister eine ganz maßgebliche Rolle. Das gemeinsame Schlafen kann dabei ein wichtiger Baustein sein, der meiner Erfahrung nach für alle nur Vorteile mit sich bringt! Die Nächte werden ruhiger. Die Gegenwart des anderen, sein Atmen und das Rascheln der Bettdecke teilen mit, was ein kleiner Mensch besonders nachts dringend wissen muss: Ich bin nicht allein, ich bin Teil dieser Herde. Ich rieche den Duft, der mir vertraut ist, das Dunkle kann mir nichts anhaben, und ich kann getrost schlafen. Selbst im Krankheitsfall hat dieses Zusammenspiel eine außerordentlich beruhigende und entlastende Wirkung.

Natürlich wird am Abend noch ein wenig geflüstert, werden kleine Geheimnisse geteilt, Geschichten erzählt und Ängste besprochen, von denen Eltern gar nichts wissen müssen. Kaum etwas stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl mehr. Kaum etwas lässt Geschwister einander näherkommen. Schlafrhythmen passen sich einander an, und recht schnell gehen Zusammenschläfer gemeinsam zu Bett und stehen auch gemeinsam wieder auf. Die Chancen für Eltern, am Wochenende ein Stündchen länger unbehelligt zu bleiben, steigen sprunghaft an. Denn man kann sich durchaus ein Weilchen miteinander beschäftigen, ein Hörspiel hören und etwas spielen.

Regeln helfen im gemeinsamen Zimmer

Davon abgesehen sehen auch Vierjährige schon ein, warum es nicht klug wäre, das schlafende Geschwisterkind zu wecken. Gemeinsam kann man Vereinbarungen treffen, was in solchen Fällen zu tun ist, zum Beispiel ruhig den Raum verlassen und anderweitig auf Suche nach Unterhaltung gehen. Umgekehrt haben Kinder, wenn sie denn einmal eingeschlafen sind, einen bemerkenswert tiefen Schlaf. Ein weinendes Baby oder Kleinkind kann aus dem Bettchen genommen werden, ohne dass das Geschwisterkind davon gestört würde.

So viele Vorteile das Zusammenschlafen von Geschwistern auch bietet, so wichtig sind klare Regeln für das gemeinsame Leben. Bei uns haben sich zum Beispiel Schatzkisten bewährt, in denen persönlichste Besitztümer aufgehoben werden und an die Mitbewohner keinesfalls drangehen dürfen. Es braucht Rückzugsmöglichkeiten und Räume des Privaten. Das Bedürfnis nach Privatsphäre und einem eigenen Raum wächst mit den Jahren und steigenden Alltagsherausforderungen. Mit Eintritt in die weiterführende Schule und dem Anklopfen der Pubertät braucht es nach Möglichkeit ein eigenes Zimmer, sei es noch so klein, und eine Tür, die man fest hinter sich zumachen kann.

Sandra Geissler lebt mit ihrer Familie in Nierstein und bloggt unter 7geisslein.wordpress.com. 

„Er ist und bleibt mein Bruder“

Er war in rechten Gruppen aktiv, stand den Reichsbürgern nahe und den Querdenkern. Er wettert gegen Flüchtlinge und Juden. Wie geht seine Schwester damit um?

 

Wenigstens habe ich keinen Nazi in der Familie“, meinte meine Freundin lachend am Telefon, als wir uns über die Macken in ihrer Familie austauschten. Dann blieb ihr das Lachen im Halse stecken: „Oh, sorry, tut mir leid …!“ Da musste ich lachen – darüber, dass sie so peinlich berührt war – und sagte: „Es stimmt doch: Es ist wirklich schön, wenn man keinen Nazi zum Bruder hat!“

So ganz genau weiß ich nicht, ob mein Bruder sich aktuell zu den Nazis rechnet. Das wechselt. Im letzten Sommer war er noch auf Demos von den Querdenkern, in einer der letzten Nachrichten schrieb er, dass sie zu den „regierungsgesteuerten Gruppen“ gehörten. Als ich mich für Flüchtlinge engagierte, wurde sein Facebook-Konto wegen rechtsextremer Äußerungen gelöscht. Während ich für eine christliche Organisation arbeite, ist er mit irgendwelchen obskuren Druiden unterwegs. Sein Laptop wurde schon mehr als einmal gepfändet und auf rechtsterroristisches Material geprüft, da er mit den Reichsbürgern sympathisierte oder auch dabei war …
Es ist einfacher, wenn man keinen Nazi, Reichsbürger, Querdenker oder ähnliches in der Familie hat. Aber seine Geschwister kann man sich eben nicht aussuchen. Vielleicht hätte er auch lieber einen kleinen Raufbold zum Bruder gehabt, statt mich, der kleinen braven Schwester.

Ein „schwieriger Junge“

Stephan (Name geändert) wuchs in einer christlichen Vorzeigefamilie auf. Meine Eltern sind in der Kirche aktiv, engagieren sich darüber hinaus ehrenamtlich im Ort. Perfekte Eltern gibt es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass meine Eltern ehrlich versucht haben, Stephan mit viel Liebe und Geduld zu erziehen. Doch er passte von klein auf nicht in die Muster, die unsere Gesellschaft vorgibt. Im Kindergarten galt er als aggressiv, in der Grundschule konnte er nicht lange stillsitzen: ein Zappelphilipp. Einerseits konnte er sämtliche Quartett-Karten auswendig, andererseits waren seine Deutsch-Hausaufgaben oft eine Qual – für uns alle. Schließlich wurde die Diagnose ADHS gestellt, und mein Bruder bekam Ritalin. Meine Eltern suchten mit ihm Therapeuten und Ärzte auf, aber Stephan blieb ein „schwieriger Junge“.

Vielleicht schlüpfte ich, weil diese Rolle schon besetzt war, in die Rolle des „Sonnenscheins“. Ich lebte eher angepasst, brachte gute Noten nach Hause und machte meinen Eltern möglichst wenig Probleme. Die hatten sie ja auch schon mit Stephan. Mein Bruder war mir oft unangenehm. Bei Verwandtenbesuchen mussten wir einmal früher nach Hause, weil mein Bruder „sich wieder mal daneben benommen hatte“. Ich war manchmal wütend auf ihn, manchmal war er mir einfach nur peinlich. In einer Therapiesitzung sollte mein Bruder seine Familie aufstellen, erzählte mir mein Vater einmal. Die Therapeutin stellte für jedes Mitglied eine Figur aufs Brett. Mein Bruder nahm die Figur für mich direkt wieder vom Brett herunter: „Die kann in die Mülltonne.“ Die Beziehungsdynamik zwischen uns war von klein auf nicht die beste.
In den christlichen Kinderstunden fiel mein Bruder immer als Außenseiter auf, als Störenfried, als Unruhestifter. Besonders meiner Mutter war das sehr unangenehm – und ich denke, dass Stephan das gespürt hat. Der Gemeindekontext mit lauter (vergleichsweise) braven Kindern wirkte wie eine Dunkelfolie, vor der er besonders mit seiner Andersartigkeit hervorstach.
Wenn ich heute mit Stephan über den christlichen Glauben spreche, bekomme ich sehr gemischte Botschaften. Manchmal ist er sehr interessiert, aber oft spürt man, dass institutionalisierter Glaube für ihn ein rotes Tuch ist. Ich verstehe das ein Stück weit. Kirche oder Gemeinde waren für ihn kein Ort, wo er Liebe und Geborgenheit empfunden hat, sondern wo er sich als Außenseiter fühlen musste. Statt bedingungsloser Gnade hat er vermutlich eher die Botschaft verstanden, dass er so, wie er ist, nicht gut genug, lieb genug, vernünftig genug, normal genug ist, um dabei zu sein.

Nur schwarz und weiß

Erst als Stephan erwachsen war, wurde eine Form von Autismus festgestellt. Mein Bruder denkt die Welt gern in schwarz-weiß, klare Grenzen (und Abgrenzungen) helfen ihm, sich zu orientieren. Empathie ist für ihn fast nicht möglich, aber dafür kann er nichts. Er teilt seine Meinungen ungefiltert mit – ob er sein Gegenüber damit verletzt oder nicht. Er hat einen sehr hohen IQ, aber soziale Kompetenzen besitzt er kaum. Er wirkt oft schusselig und tollpatschig. Er kann aus Erfahrungen nur bedingt lernen; das ist Teil seiner Autismus-Spektrum-Störung.

War unsere Beziehung nur schlecht? Nein, bestimmt nicht. Wir teilten unsere Liebe zu Tieren und führten oft zusammen die Hunde von Nachbarn aus. Einmal schenkte mein Bruder mir eine Tasse zum Geburtstag, auf der stand: „Hab dich lieb.“ Stephan ist immer sehr ehrlich, und die Eigenschaft schätze ich bis heute.
Als Kind hatte ich oft die naive Vorstellung, dass er sich nur „richtig bekehren“ müsse, und dann würde endlich alles gut. Ich habe mich manchmal auch bemüht, dazu beizutragen, was erwartungsgemäß nicht von Erfolg gekrönt war. Stephan merkt sehr schnell, ob etwas fair ist oder nicht, ob Druck in einer Beziehung ausgeübt wird oder jemand ihn gängeln will. Meine Avancen in die Richtung sind (zum Glück) fehlgeschlagen. Wenn ich heute zurückdenke, dann tut es mir leid, dass ich ihn in mein Schema pressen wollte, anstatt ihn so anzunehmen und zu lieben, wie er ist.

Feindbilder übernommen

Stephan zog mit Anfang 20 aus, emanzipierte sich von der Familie und lebt nun sein eigenes Leben. Dabei hat er Menschen kennengelernt, bei denen er nicht ständig als Außenseiter auffällt. Eine übersichtliche Einordnung der Welt, ein Drinnen und Draußen, klare Strukturen, die meinem Bruder entgegenkommen. Mit dieser Welt hat er auch die Feindbilder, die Abgrenzung und die Verschwörungsideologien übernommen. Ich vermute, dass er in diesen Kreisen endlich das Gefühl hat, genug zu sein, dazuzugehören, ein Teil zu sein. Sie übertrugen ihm Aufgaben, er durfte dort Reden halten, sie haben ihm eine Stimme und eine Stellung gegeben. Die rechten Gruppen, in denen er verkehrt, haben es scheinbar geschafft, ihm das zu vermitteln, was unsere christlichen Gemeinden ihm nicht geben konnten. Das ist etwas, was mir immer wieder sehr weh-tut. Jesus hat es hinbekommen, genau für die Menschen attraktiv zu sein, die am Rand der Gesellschaft standen. Wieso fühlen sich diese Menschen in unseren Gemeinden nicht wohl?

Meine Eltern sind mit Organisationen im Kontakt, die Familien und Aussteigern aus der rechten Szene Unterstützung anbieten. Wir bleiben in Kontakt mit ihm. Mir passiert es immer wieder, dass ich mit ihm streite, weil er Behauptungen aufstellt, die ich nicht stehen lassen will. Ich versuche, an seine Logik zu appellieren, an seinen gesunden Menschenverstand. Aber das bleibt fruchtlos.
Ich wäre zwar gern für ihn da, aber gleichzeitig kann ich auch nicht gut damit umgehen, wenn er mir ungefiltert Dinge an den Kopf wirft, die mich verletzen, provozieren, aufwühlen und verunsichern. Vielleicht ist es seine Art, um Aufmerksamkeit zu bitten. Doch ich bin nicht unbegrenzt fähig, meine Gefühle beiseitezuschieben. Wenn es mir gut geht, lasse ich mich auf Gespräche mit ihm ein, setze dabei aber Grenzen. Manchmal habe ich aber das Bedürfnis, mich vor verbalen Angriffen zu schützen, und ziehe mich zurück. Ich versuchte zum Beispiel, ihn mit logischen Argumenten zu widerlegen, als er behauptete, Flüchtlinge würden 2.000 Euro und ein iPhone geschenkt bekommen, wenn sie ins Land kämen („Was für einen Umsatz Apple zusätzlich gehabt haben muss! Und Wahnsinn, wie reich die Kommunen plötzlich sind!“). Sobald er aber anfängt, Dinge zu sagen, die menschenverachtend sind, oder er mich persönlich (bewusst?) angreift, bremse ich das Gespräch aus.
Bis heute sind die Kontakte sehr ambivalent. Auf der einen Seite schickt er in den Familien-Chat einen Link zu einem christlichen Video, das ihn angesprochen hat. Im gleichen Chat schreibt er wenig später antisemitische Hetze.

Viel barmherziger

In manchen Momenten denke ich, dass die Welt doch einfacher wäre, wenn mein Bruder einfach „normal“ wäre. Aber es sind nur Momente. Stephan ist für mich ein persönlicher Check-Up für die Authentizität meines Glaubens. Durch ihn ist mein Bedürfnis groß geworden, dass Gemeinde ein Ort wird, an dem sich Menschen wie Stephan zu Hause fühlen können. Er fordert mich immer wieder heraus und zeigt mir, dass es eine Welt außerhalb meiner Blase gibt. Er ist und bleibt mein Bruder, ich habe ihn lieb, auch wenn ich so vieles nicht mit ihm teile. Als Familie haben wir viel gelernt. Wir sind vermutlich alle sehr viel barmherziger mit anderen Familien, die nicht ins Schema F passen. Meine Mutter hat einige Kontakte zu anderen Müttern, die Kinder im autistischen Spektrum haben.

Ich bete für ihn, dass er Menschen, vielleicht Christen findet, die ihn so annehmen, wie er ist und keine belastete Vorgeschichte mit ihm haben. Ich wünsche mir für ihn, wir könnten ihm als Familie mehr Rückhalt geben, und gleichzeitig will ich mich von seinen Vorstellungen und Aussagen deutlich abgrenzen. Die Frage, wie ich, wie wir am besten mit Stephan umgehen sollten, wie es aussieht, ihn bedingungslos und wie Jesus zu lieben, bleibt für mich ein Weg, auf dem noch einiges an Strecke vor mir liegt.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Schwanger mit dem zweiten Kind: So wird das Geschwisterchen nicht eifersüchtig

Bei einer Geburt liegt die ganze Aufmerksamkeit auf dem Baby. Wie verhindert man, dass Bruder oder Schwester sich vernachlässigt fühlen? Eine Elternberaterin klärt auf.

„Wir erwarten unser zweites Kind. Ich habe Angst, dass unsere Tochter (2) eifersüchtig werden könnte. Wie kann ich sie jetzt schon auf die Ankunft ihres Geschwisterchens und ihre Rolle als große Schwester vorbereiten?“

Bereiten Sie sich gemeinsam mit Ihrer Tochter aufs Baby vor: Lassen Sie sie Babysachen aussuchen, das Kinderzimmer mit einrichten oder die Schränke einräumen. Es kann der großen Schwester helfen, ihren neuen Platz zu finden, wenn sie sich wichtig und gebraucht fühlt. Fragen Sie sie, wenn das Baby da ist, ruhig oft um Hilfe. Egal, ob es ein Glas Wasser ist, das während des Stillens gereicht wird oder die Windel beim Wickeln. Oder überlegen Sie gemeinsam, ob Sie alles für das Baby eingepackt haben, wenn Sie das Haus verlassen. Geben Sie ihr die Chance, sich als wertvollen Teil der Familie wahrzunehmen.

Negative Gefühle zugestehen

Doch all das ändert eins nicht: Für Ihre Tochter ist die Ankunft eines Geschwisterkindes ein einschneidendes Erlebnis, das nicht nur mit positiven Gefühlen einhergehen kann. Sie muss die Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Eltern, die sie vorher für sich hatte, teilen. Auch Erwachsene fühlen sich in Situationen unwohl, in denen ihr sicher geglaubter Platz wankt. So würde wohl kaum jemand akzeptieren, dass der Partner eine weitere Person mit in die Beziehung bringt. Gestehen Sie Ihrer Tochter daher auch negative Gefühle wie Trauer, Wut und Eifersucht gegenüber dem neuen Kind zu.

Emotionen aussprechen

Wichtiger, als diese Gefühle zu verhindern, ist es, Kinder darin zu begleiten. Für Ihre Tochter ist das, was in ihr vorgeht, mitunter sehr verwirrend. Denn neben Freude und Verliebtheit in das neue Wesen und auch Stolz, nun die Große zu sein, hat sie eben auch die ganzen anderen Gefühle. Sie nimmt auch wahr, dass sie die Einzige ist, die so fühlt, weil sie ja sieht, dass Sie als Eltern sich uneingeschränkt freuen. Sie können ihr in dieser Situation helfen, wenn Sie ihr Worte für das geben, was sie fühlt. Sprechen Sie an, was Sie wahrnehmen. „Ich sehe, dass du traurig bist, weil ich schon so lange mit dem Baby beschäftigt bin und du warten musst.“ Zeigen Sie ihr, dass das, was sie empfindet, empfunden werden darf.

Nicht schimpfen oder strafen

Oft steckt hinter dem Wunsch, Eifersucht zu vermeiden, die Angst, dass das Geschwisterkind dem Baby gegenüber grob werden könnte. Dass gerade kleine Kinder, die sich noch nicht gut ausdrücken können, ihren Frust so zeigen, ist möglich. Haben Sie Ihre Tochter also im Auge und seien Sie präsent. Wenn sie das Baby ärgert, gehen Sie sanft dazwischen. Machen Sie sich klar, dass Ihre Tochter das nicht tut, um wirklich jemanden zu ärgern. Sie kann in solchen Situationen noch nicht anders handeln. Schimpfen oder Strafen würden die Wut auf das Baby verschlimmern. Bedenken Sie: Mit zwei Jahren ist Ihre Tochter zwar jetzt die Große, aber trotzdem noch ein Kleinkind.

Stellen Sie dem großen Geschwisterkind eine weitere Bezugsperson an die Seite. Das kann der Elternteil sein, der sich weniger um das Baby kümmert, aber auch Großeltern oder erwachsene Freunde, die regelmäßig kommen, um exklusiv Zeit mit der großen Schwester zu verbringen.

Daniela Albert ist Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.