Beiträge

Lena wagt eine zweite Schwangerschaft – obwohl die erste traumatisch war

Nach einer Frühgeburt will Lena Bischoff nie mehr schwanger sein. Doch in ihr wächst der Wunsch nach einem zweiten Kind.

Nachdem mein Sohn in der 33. Schwangerschaftswoche zu früh auf die Welt kam, konnte ich mir lange Zeit kein weiteres Kind vorstellen. Ich war ziemlich traumatisiert und erschüttert von den Erlebnissen und einfach nur froh, dass es meinem Sohn gut ging. Ich wollte nicht noch einmal eine Schwangerschaft durchstehen, war sie doch von Anfang an geprägt von Ängsten und Zweifeln. Gerade da ich nun schon ein Kind zu Hause hatte, wollte ich nicht in die Situation kommen, zwischen zwei Kindern hin und hergerissen zu sein.

Und trotzdem erwachte in mir der leise, zaghafte Wunsch, es noch einmal zu versuchen. Wir genossen die Zeit mit ihm und fanden es schön, ein Kind in unserem Leben zu haben. Und was, wenn es diesmal gut gehen würde? Was, wenn ich eine schöne Schwangerschaft erleben würde oder gar eine natürliche Geburt? Was, wenn der kleine Sohn zum großen Bruder werden würde? Je näher der zweite Geburtstag unseres Sohnes rückte, umso stärker wuchs der Wunsch einer erneuten Schwangerschaft in mir. Umso mehr rückten auch die Erinnerungen und Erlebnisse in den Hintergrund. Meinem Mann ging es ähnlich. Noch einmal. Dachten wir uns. Noch einmal wagen. Noch einmal aufbrechen.

Ein Lied gibt Lena Kraft

Ich musste in dieser Zeit des Ringens immer an das Lied „Ich brech‘ noch einmal auf“ von Cae Gauntt denken, das mich ermutigte. Denn ich war, wie im Lied beschrieben, auf der Suche. Auf der Suche nach dem richtigen Weg. Als Christin war ich auf der Suche nach Gottes Antwort auf unseren Wunsch. Ich wusste, ich würde ihn brauchen, wenn wir es wagen würden. Ich wusste, allein konnte ich es nicht schaffen. Aber ich wollte es schaffen. Mut und Angst. Mein Dauerthema.

Aber es war definitiv an der Zeit für einen Mutausbruch. Mein starker Wunsch zeigte mir das. Und wie es in dem Lied heißt: „Ich lass zurück, was mich hält und ich geh … und die Frage, wie und wo es weitergeht, wird zum Gebet“. Natürlich ist das Lied nicht auf meine Situation zugeschrieben worden, aber ich sah es als mein Mutmachlied an, denn ich hatte Sehnsucht und ich wollte den Weg gehen. Und das nicht allein.

Risikoschwangerschaft

Und entgegen meiner Erwartung wurde ich sofort schwanger, nachdem wir den Entschluss gefasst hatten. Ich bin sehr dankbar dafür, denn ich weiß nicht, ob ich meine Meinung nicht doch geändert hätte, wenn es lange gedauert hätte. Wir freuten uns sehr.

Die Schwangerschaft war geprägt von Vorsorge und Kontrolle. Ich war in mehrfacher Hinsicht risikoschwanger, und die Klinik und mein Arzt wollten mich engmaschig kontrollieren. Das tat mir gut und gab mir Sicherheit. Natürlich hätte es im Ernstfall nicht wirklich helfen können, aber dennoch brauchte ich für das Aufrechterhalten meines Mutausbruches diese medizinische Bestätigung.

Furcht ist omnipräsent

Ich dachte immer wieder an Gottes Zusage: „Fürchte dich nicht!“ Es war wie eine Stimme in der Nacht, wie eine kleine Erinnerung im stressigen Alltag, immer wieder kam ein leises, kleines „Fürchte dich nicht!“ in meine Gedanken gehuscht und ließ mich aufatmen. Ich wollte vertrauen. Ich wollte mutig sein. Ich wollte Zuversicht haben. Und doch fürchtete ich mich. Immer wieder. Immer mehr.

Von Woche zu Woche spitzte sich mein schlechtes Gefühl zu. Ich betete und fragte mich, wie ich die Wochen, diese hoffentlich vielen, vielen Wochen überstehen sollte, wenn mein Mutgerüst schon am Anfang zu wanken begann. Ich betete. Meine Gebete sind meistens „Bitte, Gott“ oder „Danke, Gott“. Und ich vertraue darauf, dass er versteht. Dass er mich kennt.

Eine Enttäuschung wird zum Segen

Am nächsten Tag hatte ich wieder einen dieser vielen Vorsorgetermine. Ich war etwas erschüttert, als man mir sagte, dass mein Arzt krank sei, aber die Vertretung mich sehen würde. Ich hatte Vertrauen in ihn, war er doch vor der Schwangerschaft sorgfältig von mir ausgesucht worden. Ich konnte mich schlecht darauf einlassen, mir von einem anderen Arzt eine Meinung geben zu lassen. Ich war in dieser Zeit sehr abhängig davon, was die mir vertrauten Schulmediziner zum Kind in meinem Bauch sagen. Mein eigentlich gesundes Bauchgefühl hatte sich von meiner Angst in den Hintergrund drängen lassen. Und in Zeiten, in denen man sein Kind noch nicht dauernd spürt, fiel es mir schwer, zuversichtlich zu bleiben.

Ich saß etwas geknickt im Behandlungszimmer und wartete auf die Vertretung. Herein kam eine junge Ärztin, selbst Mutter von zwei Söhnen, einfühlsam, empathisch, freundlich, zugewandt. Der erste Arzt, der mich in diesen 16 Wochen fragte, wie es mir seelisch ging. Dem Baby ging es bestens, aber sie sah meine Vorgeschichte und fragte, ob ich Hilfe hätte und wie ich durch die Wochen käme.

Entscheidender Tipp

Augenblicklich musste ich weinen. Ich merkte, wie viel sich in mir angestaut hatte, wie sehr ich mich immer zusammenriss – für meinen Mann, meinen Sohn und mich. Ich sagte, dass ich es aktuell nicht mehr gut schaffen würde. Sie gab mir eine Nummer einer Hebamme, die geschult war in „Emotioneller Erster Hilfe in der Schwangerschaft“. Das kannte ich bis dahin nicht. Es klang aber gut.

Ich rief an und sprach mit einer freundlichen Frau, die aufmerksam zuhörte, mich gut spiegelte und reflektierte und versprach, vorbeizukommen. Dieser Anruf war die beste Entscheidung in meiner Schwangerschaft. Fortan begleitete mich diese vom Himmel geschickte Hebamme in allen meinen Ängsten, Freuden, alten Lasten, neuen Sorgen und Herausforderungen. Sie wurde wichtig für unsere ganze Familie.

Die Hebamme hilft

Sie fing nicht nur mich auf, sie sah auch meinen Mann und meinen Sohn. Sie spürte Stimmungen – ich konnte ihr nichts vormachen. Sie schaffte es, dass ich mir selbst authentisch begegnen und meine vorherige Schwangerschaft aufarbeiten konnte. Dass ich Frieden damit fand und versöhnt wurde mit meiner Geschichte. Es kamen bereits vergessen geglaubte Gefühle hoch, die ich ernsthaft angehen und auflösen konnte. Geblieben ist die Freude über meinen Erstgeborenen, die große Dankbarkeit für sein Leben, seine Gesundheit, seinen Charakter, der uns täglich bereichert.

Neues Vertrauen

Es gab eine Zeit, in der ich richtige Panik durchlebte, was an uns allen zehrte. Diese Hebamme war neben meinem Mann und meiner Familie wie ein Anker für mich, ein Lichtblick, eine kleine Rettungsweste, an die ich mich klammerte. Sie wusste genau, was ich wann brauchte, sei es ein Gespräch, medizinische Ratschläge, Hebammenwissen oder eine Ganzkörpermassage, um mich wieder zu erden. Sie half mir, hinter meinem Mutausbruch zu stehen, mich auf das Baby zu freuen, Vorfreude überhaupt erst zuzulassen und dem kleinen Menschen in meinem Bauch den Platz in unserer Mitte einzugestehen, den er verdient hatte.

Sie half uns, gemeinsame Rituale zu entwickeln, um Kontakt zum Babybruder aufzunehmen und den Großen mit einzubinden. Sie gab mir Sicherheit und Vertrauen in meine eigenen Instinkte zurück. Ich begann am Ende der Schwangerschaft sogar zu träumen, mir Wünsche einzugestehen, mich auf die Geburt vorzubereiten und es für möglich zu halten, dass es diesmal anders kommen würde.

Eine tolle, schöne Geburt

Und es wurde belohnt. Nicht nur durch einen wundervollen zweiten Sohn, sondern auch durch eine tolle, schöne Geburt, die mich mit vielem versöhnte, mir einen großen Frieden schenkte und mir ein erholsames, entspanntes Wochenbett erlaubte, wo wir alles sacken lassen konnten und uns fallen ließen. Es flossen Tränen der Freude und Erleichterung, der Anspannung und der Entspannung. „Ich brech’ noch einmal auf“.

Ich wünsche jeder Schwangeren, die traumatisiert ist, schwere Erlebnisse hatte oder einfach Angst hat, so eine Begleitung. In vielen Ländern in Europa finden sich Hebammen mit dieser Zusatzqualifikation (emotionelle-erste-hilfe.org). Die Leistungen werden komplett von der Kasse übernommen. Die Hebamme hat uns allen diese Monate erleichtert und ist uns die erste Zeit mit zwei Kindern immer mit viel Herz und Liebe zur Seite gestanden.

Von Lena Bischoff

„Ist er neidisch?“

„Mein Sohn (17) und meine Tochter (15) sind total unterschiedlich: Während er der zurückhaltende Typ ist, kaum Hobbys hat und mittelmäßige Schulnoten, ist sie aufgeschlossen, sehr beliebt und in der Schule ein Ass. Er verhält sich ihr gegenüber oft beleidigend und ausgrenzend. Meine Tochter fühlt sich deshalb oft verletzt. Wir haben das Gefühl, dass er neidisch ist. Wie können wir den beiden helfen, miteinander klarzukommen?“

Geschwister sind neben den eigenen Eltern die ersten Menschen, mit denen wir es alltäglich zu tun haben. Vom ersten Tag an rivalisieren wir mit den Geschwistern um die Gunst der Eltern.

Die Frage, ob das jüngere Geschwisterchen den älteren Bruder, die ältere Schwester vom Gunst-Thron bei den Eltern stößt, verführt ältere Geschwister oft genug dazu, die eigene Macht hinterrücks zu demonstrieren. Da wird geschlagen und gemobbt – häufig, wenn die Eltern gerade nicht hinschauen. Gleichzeitig wissen nachgeborene Kinder meist sehr genau, was sie tun müssen, um den Beschützerinstinkt bei den Eltern zu wecken. Deshalb flüchten sie sich gern in eine Opferrolle, in der sie zeigen, wie gemein der ältere Bruder, die ältere Schwester ist. Sie verstehen es auch, sich in Szene zu setzen als kleiner Prinz oder kleine Prinzessin.

INTERESSE ZEIGEN

Ihre Kinder sind jedoch alt genug, um zu wissen, wie sie miteinander umgehen sollten. Vielleicht ist der große Bruder gar nicht neidisch auf die Erfolge seiner kleinen Schwester, sondern darauf, wie diese Erfolge bei den Eltern, also Ihnen, ankommen. Natürlich sind Sie stolz auf Ihre Tochter, weil sie viele Freunde hat und ein schulisches Ass ist. Das würde alle Eltern glücklich machen. Aber da ist auch Ihr Sohn. Auch er hat Hobbys. Vielleicht nicht so weltbewegende. Möglicherweise sind es Interessen, mit denen Sie nichts anfangen können? Versuchen Sie es trotzdem. Interessieren Sie sich für das, was ihn bewegt. Nehmen Sie an der Welt Ihres Sohnes teil. Wenn er merkt, dass er genauso viel wert ist wie Ihre Tochter, ist es für ihn nicht mehr so wichtig, die Schwester herabzusetzen. Ja, vielleicht ist er im Augenblick tatsächlich neidisch. Wenn er allerdings keinen Grund mehr dafür hat, fällt es ihm leichter, diesen Neid zu überwinden.

STÄRKEN AUFZEIGEN

Sicherlich lieben Sie Ihre Kinder in gleicher Weise – zumindest sind Sie dieser Ansicht. Trotzdem reagieren Sie vielleicht unterschiedlich auf die sportlichen Erfolge und die Noten Ihrer Kinder. Wenn Ihre Tochter eine Eins nach Hause bringt – sind Sie da nicht enthusiastischer, als wenn Ihnen der Sohn eine Vier unter die Nase hält? Doch denken Sie daran, dass Ihr Sohn für die Vier trotzdem hart gearbeitet hat! Zeigen Sie Ihrem Sohn seine Stärken auf (auch Zurückhaltung ist eine Stärke), dann hat er keinen Grund mehr, Ihre Tochter auszugrenzen. Es ist harte Realität, dass die wenigsten von uns Überflieger sind. Wir sind nicht alle gleich. Aber wir sind alle gleichwertig. Das zu erkennen, darin liegt die eigentliche Größe – für jeden von uns.

Ingrid Neufeld hat als Erzieherin zuletzt mit Flüchtlingskindern und deren Eltern gearbeitet. Nun genießt sie ihren Ruhestand als Mutter von drei erwachsenen Töchtern und zwei Enkeln. Sie lebt bei Bamberg. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Zusammen in einem Zimmer?

„Meine Tochter (4) wünscht sich, dass ihr kleiner Bruder (11 Monate) mit ihr im Zimmer schläft. Halten sich die beiden aber nicht gegenseitig vom Schlafen ab? Was müsste man bei der Zusammenlegung beachten?“

Das Wichtigste, was Kinder zum guten Leben brauchen, ist das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, Wärme, Nähe und Vertrauen. Dieses urmenschliche Grundbedürfnis endet gerade nicht mit dem Sonnenuntergang und auch nicht mit der Stillzeit. Wenn es Abend wird und die Nacht heranbricht, dann meldet es sich in besonderer Weise. Denn seit Anbeginn der Zeit suchen wir Schutz vor der Dunkelheit.

Gemeinsam Schlafen bringt nur Vorteile

Auch wenn dieses Bedürfnis in erster Linie von den Eltern gestillt wird, so spielen doch auch Geschwister eine ganz maßgebliche Rolle. Das gemeinsame Schlafen kann dabei ein wichtiger Baustein sein, der meiner Erfahrung nach für alle nur Vorteile mit sich bringt! Die Nächte werden ruhiger. Die Gegenwart des anderen, sein Atmen und das Rascheln der Bettdecke teilen mit, was ein kleiner Mensch besonders nachts dringend wissen muss: Ich bin nicht allein, ich bin Teil dieser Herde. Ich rieche den Duft, der mir vertraut ist, das Dunkle kann mir nichts anhaben, und ich kann getrost schlafen. Selbst im Krankheitsfall hat dieses Zusammenspiel eine außerordentlich beruhigende und entlastende Wirkung.

Natürlich wird am Abend noch ein wenig geflüstert, werden kleine Geheimnisse geteilt, Geschichten erzählt und Ängste besprochen, von denen Eltern gar nichts wissen müssen. Kaum etwas stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl mehr. Kaum etwas lässt Geschwister einander näherkommen. Schlafrhythmen passen sich einander an, und recht schnell gehen Zusammenschläfer gemeinsam zu Bett und stehen auch gemeinsam wieder auf. Die Chancen für Eltern, am Wochenende ein Stündchen länger unbehelligt zu bleiben, steigen sprunghaft an. Denn man kann sich durchaus ein Weilchen miteinander beschäftigen, ein Hörspiel hören und etwas spielen.

Regeln helfen im gemeinsamen Zimmer

Davon abgesehen sehen auch Vierjährige schon ein, warum es nicht klug wäre, das schlafende Geschwisterkind zu wecken. Gemeinsam kann man Vereinbarungen treffen, was in solchen Fällen zu tun ist, zum Beispiel ruhig den Raum verlassen und anderweitig auf Suche nach Unterhaltung gehen. Umgekehrt haben Kinder, wenn sie denn einmal eingeschlafen sind, einen bemerkenswert tiefen Schlaf. Ein weinendes Baby oder Kleinkind kann aus dem Bettchen genommen werden, ohne dass das Geschwisterkind davon gestört würde.

So viele Vorteile das Zusammenschlafen von Geschwistern auch bietet, so wichtig sind klare Regeln für das gemeinsame Leben. Bei uns haben sich zum Beispiel Schatzkisten bewährt, in denen persönlichste Besitztümer aufgehoben werden und an die Mitbewohner keinesfalls drangehen dürfen. Es braucht Rückzugsmöglichkeiten und Räume des Privaten. Das Bedürfnis nach Privatsphäre und einem eigenen Raum wächst mit den Jahren und steigenden Alltagsherausforderungen. Mit Eintritt in die weiterführende Schule und dem Anklopfen der Pubertät braucht es nach Möglichkeit ein eigenes Zimmer, sei es noch so klein, und eine Tür, die man fest hinter sich zumachen kann.

Sandra Geissler lebt mit ihrer Familie in Nierstein und bloggt unter 7geisslein.wordpress.com. 

„Er ist und bleibt mein Bruder“

Er war in rechten Gruppen aktiv, stand den Reichsbürgern nahe und den Querdenkern. Er wettert gegen Flüchtlinge und Juden. Wie geht seine Schwester damit um?

 

Wenigstens habe ich keinen Nazi in der Familie“, meinte meine Freundin lachend am Telefon, als wir uns über die Macken in ihrer Familie austauschten. Dann blieb ihr das Lachen im Halse stecken: „Oh, sorry, tut mir leid …!“ Da musste ich lachen – darüber, dass sie so peinlich berührt war – und sagte: „Es stimmt doch: Es ist wirklich schön, wenn man keinen Nazi zum Bruder hat!“

So ganz genau weiß ich nicht, ob mein Bruder sich aktuell zu den Nazis rechnet. Das wechselt. Im letzten Sommer war er noch auf Demos von den Querdenkern, in einer der letzten Nachrichten schrieb er, dass sie zu den „regierungsgesteuerten Gruppen“ gehörten. Als ich mich für Flüchtlinge engagierte, wurde sein Facebook-Konto wegen rechtsextremer Äußerungen gelöscht. Während ich für eine christliche Organisation arbeite, ist er mit irgendwelchen obskuren Druiden unterwegs. Sein Laptop wurde schon mehr als einmal gepfändet und auf rechtsterroristisches Material geprüft, da er mit den Reichsbürgern sympathisierte oder auch dabei war …
Es ist einfacher, wenn man keinen Nazi, Reichsbürger, Querdenker oder ähnliches in der Familie hat. Aber seine Geschwister kann man sich eben nicht aussuchen. Vielleicht hätte er auch lieber einen kleinen Raufbold zum Bruder gehabt, statt mich, der kleinen braven Schwester.

Ein „schwieriger Junge“

Stephan (Name geändert) wuchs in einer christlichen Vorzeigefamilie auf. Meine Eltern sind in der Kirche aktiv, engagieren sich darüber hinaus ehrenamtlich im Ort. Perfekte Eltern gibt es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass meine Eltern ehrlich versucht haben, Stephan mit viel Liebe und Geduld zu erziehen. Doch er passte von klein auf nicht in die Muster, die unsere Gesellschaft vorgibt. Im Kindergarten galt er als aggressiv, in der Grundschule konnte er nicht lange stillsitzen: ein Zappelphilipp. Einerseits konnte er sämtliche Quartett-Karten auswendig, andererseits waren seine Deutsch-Hausaufgaben oft eine Qual – für uns alle. Schließlich wurde die Diagnose ADHS gestellt, und mein Bruder bekam Ritalin. Meine Eltern suchten mit ihm Therapeuten und Ärzte auf, aber Stephan blieb ein „schwieriger Junge“.

Vielleicht schlüpfte ich, weil diese Rolle schon besetzt war, in die Rolle des „Sonnenscheins“. Ich lebte eher angepasst, brachte gute Noten nach Hause und machte meinen Eltern möglichst wenig Probleme. Die hatten sie ja auch schon mit Stephan. Mein Bruder war mir oft unangenehm. Bei Verwandtenbesuchen mussten wir einmal früher nach Hause, weil mein Bruder „sich wieder mal daneben benommen hatte“. Ich war manchmal wütend auf ihn, manchmal war er mir einfach nur peinlich. In einer Therapiesitzung sollte mein Bruder seine Familie aufstellen, erzählte mir mein Vater einmal. Die Therapeutin stellte für jedes Mitglied eine Figur aufs Brett. Mein Bruder nahm die Figur für mich direkt wieder vom Brett herunter: „Die kann in die Mülltonne.“ Die Beziehungsdynamik zwischen uns war von klein auf nicht die beste.
In den christlichen Kinderstunden fiel mein Bruder immer als Außenseiter auf, als Störenfried, als Unruhestifter. Besonders meiner Mutter war das sehr unangenehm – und ich denke, dass Stephan das gespürt hat. Der Gemeindekontext mit lauter (vergleichsweise) braven Kindern wirkte wie eine Dunkelfolie, vor der er besonders mit seiner Andersartigkeit hervorstach.
Wenn ich heute mit Stephan über den christlichen Glauben spreche, bekomme ich sehr gemischte Botschaften. Manchmal ist er sehr interessiert, aber oft spürt man, dass institutionalisierter Glaube für ihn ein rotes Tuch ist. Ich verstehe das ein Stück weit. Kirche oder Gemeinde waren für ihn kein Ort, wo er Liebe und Geborgenheit empfunden hat, sondern wo er sich als Außenseiter fühlen musste. Statt bedingungsloser Gnade hat er vermutlich eher die Botschaft verstanden, dass er so, wie er ist, nicht gut genug, lieb genug, vernünftig genug, normal genug ist, um dabei zu sein.

Nur schwarz und weiß

Erst als Stephan erwachsen war, wurde eine Form von Autismus festgestellt. Mein Bruder denkt die Welt gern in schwarz-weiß, klare Grenzen (und Abgrenzungen) helfen ihm, sich zu orientieren. Empathie ist für ihn fast nicht möglich, aber dafür kann er nichts. Er teilt seine Meinungen ungefiltert mit – ob er sein Gegenüber damit verletzt oder nicht. Er hat einen sehr hohen IQ, aber soziale Kompetenzen besitzt er kaum. Er wirkt oft schusselig und tollpatschig. Er kann aus Erfahrungen nur bedingt lernen; das ist Teil seiner Autismus-Spektrum-Störung.

War unsere Beziehung nur schlecht? Nein, bestimmt nicht. Wir teilten unsere Liebe zu Tieren und führten oft zusammen die Hunde von Nachbarn aus. Einmal schenkte mein Bruder mir eine Tasse zum Geburtstag, auf der stand: „Hab dich lieb.“ Stephan ist immer sehr ehrlich, und die Eigenschaft schätze ich bis heute.
Als Kind hatte ich oft die naive Vorstellung, dass er sich nur „richtig bekehren“ müsse, und dann würde endlich alles gut. Ich habe mich manchmal auch bemüht, dazu beizutragen, was erwartungsgemäß nicht von Erfolg gekrönt war. Stephan merkt sehr schnell, ob etwas fair ist oder nicht, ob Druck in einer Beziehung ausgeübt wird oder jemand ihn gängeln will. Meine Avancen in die Richtung sind (zum Glück) fehlgeschlagen. Wenn ich heute zurückdenke, dann tut es mir leid, dass ich ihn in mein Schema pressen wollte, anstatt ihn so anzunehmen und zu lieben, wie er ist.

Feindbilder übernommen

Stephan zog mit Anfang 20 aus, emanzipierte sich von der Familie und lebt nun sein eigenes Leben. Dabei hat er Menschen kennengelernt, bei denen er nicht ständig als Außenseiter auffällt. Eine übersichtliche Einordnung der Welt, ein Drinnen und Draußen, klare Strukturen, die meinem Bruder entgegenkommen. Mit dieser Welt hat er auch die Feindbilder, die Abgrenzung und die Verschwörungsideologien übernommen. Ich vermute, dass er in diesen Kreisen endlich das Gefühl hat, genug zu sein, dazuzugehören, ein Teil zu sein. Sie übertrugen ihm Aufgaben, er durfte dort Reden halten, sie haben ihm eine Stimme und eine Stellung gegeben. Die rechten Gruppen, in denen er verkehrt, haben es scheinbar geschafft, ihm das zu vermitteln, was unsere christlichen Gemeinden ihm nicht geben konnten. Das ist etwas, was mir immer wieder sehr weh-tut. Jesus hat es hinbekommen, genau für die Menschen attraktiv zu sein, die am Rand der Gesellschaft standen. Wieso fühlen sich diese Menschen in unseren Gemeinden nicht wohl?

Meine Eltern sind mit Organisationen im Kontakt, die Familien und Aussteigern aus der rechten Szene Unterstützung anbieten. Wir bleiben in Kontakt mit ihm. Mir passiert es immer wieder, dass ich mit ihm streite, weil er Behauptungen aufstellt, die ich nicht stehen lassen will. Ich versuche, an seine Logik zu appellieren, an seinen gesunden Menschenverstand. Aber das bleibt fruchtlos.
Ich wäre zwar gern für ihn da, aber gleichzeitig kann ich auch nicht gut damit umgehen, wenn er mir ungefiltert Dinge an den Kopf wirft, die mich verletzen, provozieren, aufwühlen und verunsichern. Vielleicht ist es seine Art, um Aufmerksamkeit zu bitten. Doch ich bin nicht unbegrenzt fähig, meine Gefühle beiseitezuschieben. Wenn es mir gut geht, lasse ich mich auf Gespräche mit ihm ein, setze dabei aber Grenzen. Manchmal habe ich aber das Bedürfnis, mich vor verbalen Angriffen zu schützen, und ziehe mich zurück. Ich versuchte zum Beispiel, ihn mit logischen Argumenten zu widerlegen, als er behauptete, Flüchtlinge würden 2.000 Euro und ein iPhone geschenkt bekommen, wenn sie ins Land kämen („Was für einen Umsatz Apple zusätzlich gehabt haben muss! Und Wahnsinn, wie reich die Kommunen plötzlich sind!“). Sobald er aber anfängt, Dinge zu sagen, die menschenverachtend sind, oder er mich persönlich (bewusst?) angreift, bremse ich das Gespräch aus.
Bis heute sind die Kontakte sehr ambivalent. Auf der einen Seite schickt er in den Familien-Chat einen Link zu einem christlichen Video, das ihn angesprochen hat. Im gleichen Chat schreibt er wenig später antisemitische Hetze.

Viel barmherziger

In manchen Momenten denke ich, dass die Welt doch einfacher wäre, wenn mein Bruder einfach „normal“ wäre. Aber es sind nur Momente. Stephan ist für mich ein persönlicher Check-Up für die Authentizität meines Glaubens. Durch ihn ist mein Bedürfnis groß geworden, dass Gemeinde ein Ort wird, an dem sich Menschen wie Stephan zu Hause fühlen können. Er fordert mich immer wieder heraus und zeigt mir, dass es eine Welt außerhalb meiner Blase gibt. Er ist und bleibt mein Bruder, ich habe ihn lieb, auch wenn ich so vieles nicht mit ihm teile. Als Familie haben wir viel gelernt. Wir sind vermutlich alle sehr viel barmherziger mit anderen Familien, die nicht ins Schema F passen. Meine Mutter hat einige Kontakte zu anderen Müttern, die Kinder im autistischen Spektrum haben.

Ich bete für ihn, dass er Menschen, vielleicht Christen findet, die ihn so annehmen, wie er ist und keine belastete Vorgeschichte mit ihm haben. Ich wünsche mir für ihn, wir könnten ihm als Familie mehr Rückhalt geben, und gleichzeitig will ich mich von seinen Vorstellungen und Aussagen deutlich abgrenzen. Die Frage, wie ich, wie wir am besten mit Stephan umgehen sollten, wie es aussieht, ihn bedingungslos und wie Jesus zu lieben, bleibt für mich ein Weg, auf dem noch einiges an Strecke vor mir liegt.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Schwanger mit dem zweiten Kind: So wird das Geschwisterchen nicht eifersüchtig

Bei einer Geburt liegt die ganze Aufmerksamkeit auf dem Baby. Wie verhindert man, dass Bruder oder Schwester sich vernachlässigt fühlen? Eine Elternberaterin klärt auf.

„Wir erwarten unser zweites Kind. Ich habe Angst, dass unsere Tochter (2) eifersüchtig werden könnte. Wie kann ich sie jetzt schon auf die Ankunft ihres Geschwisterchens und ihre Rolle als große Schwester vorbereiten?“

Bereiten Sie sich gemeinsam mit Ihrer Tochter aufs Baby vor: Lassen Sie sie Babysachen aussuchen, das Kinderzimmer mit einrichten oder die Schränke einräumen. Es kann der großen Schwester helfen, ihren neuen Platz zu finden, wenn sie sich wichtig und gebraucht fühlt. Fragen Sie sie, wenn das Baby da ist, ruhig oft um Hilfe. Egal, ob es ein Glas Wasser ist, das während des Stillens gereicht wird oder die Windel beim Wickeln. Oder überlegen Sie gemeinsam, ob Sie alles für das Baby eingepackt haben, wenn Sie das Haus verlassen. Geben Sie ihr die Chance, sich als wertvollen Teil der Familie wahrzunehmen.

Negative Gefühle zugestehen

Doch all das ändert eins nicht: Für Ihre Tochter ist die Ankunft eines Geschwisterkindes ein einschneidendes Erlebnis, das nicht nur mit positiven Gefühlen einhergehen kann. Sie muss die Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Eltern, die sie vorher für sich hatte, teilen. Auch Erwachsene fühlen sich in Situationen unwohl, in denen ihr sicher geglaubter Platz wankt. So würde wohl kaum jemand akzeptieren, dass der Partner eine weitere Person mit in die Beziehung bringt. Gestehen Sie Ihrer Tochter daher auch negative Gefühle wie Trauer, Wut und Eifersucht gegenüber dem neuen Kind zu.

Emotionen aussprechen

Wichtiger, als diese Gefühle zu verhindern, ist es, Kinder darin zu begleiten. Für Ihre Tochter ist das, was in ihr vorgeht, mitunter sehr verwirrend. Denn neben Freude und Verliebtheit in das neue Wesen und auch Stolz, nun die Große zu sein, hat sie eben auch die ganzen anderen Gefühle. Sie nimmt auch wahr, dass sie die Einzige ist, die so fühlt, weil sie ja sieht, dass Sie als Eltern sich uneingeschränkt freuen. Sie können ihr in dieser Situation helfen, wenn Sie ihr Worte für das geben, was sie fühlt. Sprechen Sie an, was Sie wahrnehmen. „Ich sehe, dass du traurig bist, weil ich schon so lange mit dem Baby beschäftigt bin und du warten musst.“ Zeigen Sie ihr, dass das, was sie empfindet, empfunden werden darf.

Nicht schimpfen oder strafen

Oft steckt hinter dem Wunsch, Eifersucht zu vermeiden, die Angst, dass das Geschwisterkind dem Baby gegenüber grob werden könnte. Dass gerade kleine Kinder, die sich noch nicht gut ausdrücken können, ihren Frust so zeigen, ist möglich. Haben Sie Ihre Tochter also im Auge und seien Sie präsent. Wenn sie das Baby ärgert, gehen Sie sanft dazwischen. Machen Sie sich klar, dass Ihre Tochter das nicht tut, um wirklich jemanden zu ärgern. Sie kann in solchen Situationen noch nicht anders handeln. Schimpfen oder Strafen würden die Wut auf das Baby verschlimmern. Bedenken Sie: Mit zwei Jahren ist Ihre Tochter zwar jetzt die Große, aber trotzdem noch ein Kleinkind.

Stellen Sie dem großen Geschwisterkind eine weitere Bezugsperson an die Seite. Das kann der Elternteil sein, der sich weniger um das Baby kümmert, aber auch Großeltern oder erwachsene Freunde, die regelmäßig kommen, um exklusiv Zeit mit der großen Schwester zu verbringen.

Daniela Albert ist Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.

Erstgeborene, Sandwichkinder, Nesthäkchen: Das sagt die Geburtsfolge über Ihr Kind aus

Kinder werden stark dadurch geprägt, ob sie erstes, zweites oder drittes Kind sind. Ein Coach verrät: So können Eltern verhindern, dass sich diese Prägungen zu stark auswirken.

Erstgeborene: Schwäche zeigen

Älteste Kinder sind häufig perfektionistisch, es fällt ihnen schwer, Dinge aus der Hand zu geben. Ihnen sind Regeln und Vorschriften meist sehr wichtig. Sie müssen lernen, dass selbst der beste vorher zurechtgelegte Plan scheitern kann. Manches lässt sich nicht erzwingen. Seien Sie daher geduldig und nehmen Sie sich Zeit, die Fragen ihres Kindes von Anfang bis Ende genau durchzugehen. Sprechen Sie verschiedene Lösungswege für ein Problem durch. Überlegen Sie gemeinsam mit ihrem Kind, wie ein Plan B, C oder D aussehen könnte.

Für Erstgeborene ist es typisch, Dinge, die sie sich vorgenommen haben, unbedingt erreichen zu wollen. Erstgeborene fassen ihr Leben häufig als einen Kampf auf, in dem es ums Gewinnen geht. Zeigen Sie ihrem Kind daher, wann immer es Ihnen möglich ist, dass es nicht vollkommen sein muss, um Ihre Anerkennung und Liebe zu bekommen. Eltern können hier ein gutes Vorbild sein und sich menschlich zeigen, indem sie eigene Fehler und Schwächen zugeben und Ihrem Kind so vorleben, dass Fehler zum Leben dazugehören, dass auch ihnen nicht alles direkt gelingt und dass das kein Weltuntergang ist. Denken Sie daran, Sie sind das Vorbild für Ihr Kind. Es hat keinen Bruder oder keine Schwester, an dem es sich orientieren kann. Es schaut zu Ihnen auf.

Wenn Sie darauf achten, können Sie wirkungsvoll dazu beitragen, dass sich Ihr ältestes Kind etwas besser von Erwartungen und Ansprüchen anderer abgrenzen kann. Nehmen Sie sich Zeit, um als Eltern mit Ihrem ältesten Kind auch mal etwas allein zu machen. Erstgeborene brauchen das ungeteilte Zusammensein mit ihren Eltern. Achten Sie darauf, Ihrem älter werdenden Erstgeborenen nicht immer mehr Verantwortlichkeiten aufzuladen. Nehmen Sie ihm eher welche ab und übertragen sie den Jüngeren.

Sandwichkinder: Bewusst wahrnehmen

Mittlere Kinder fühlen sich häufig unter Druck. Sie können sich eingezwängt fühlen in ihrer Rolle. Es gibt nicht nur die Eltern, die Autorität ausstrahlen und Lebenserfahrung haben, sondern auch ein älteres Geschwisterkind. Und dann gibt es da noch das süße kleine Nesthäkchen. Das mittlere Kind ist also zu jung für Privilegien und zu alt für Streiche und Späße. Dieser Druck führt dazu, dass sich mittlere Kinder oft überflüssig und unpassend fühlen.

Bemühen Sie sich daher verstärkt darum, ihm ein Gefühl von Besonderheit zu vermitteln. Sorgen Sie dafür, dass es in Ihrem Fotoalbum auch Bilder von Ihrem mittleren Kind gibt. Machen Sie auch mal Aufnahmen, auf denen Ihr Kind ohne seine Geschwister zu sehen ist. Räumen Sie ihm ab und zu kleine Privilegien ein. Nehmen Sie zum Beispiel bei einer Erledigung einmal nur Ihr mittleres Kind mit und nutzen Sie die Zeit, um ins Gespräch zu kommen. Hören Sie genau zu, wenn Ihr Kind Ihnen etwas erzählt und erklärt. Es hat häufig den Wunsch, Konflikte zu verdrängen und zu vermeiden, weil es kein Aufsehen erregen will. Fragen Sie Ihr mittleres Kind nach seiner Meinung. Binden Sie es in Entscheidungen mit ein. Bieten Sie ihrem Kind viele Gelegenheiten, seine Gefühle und Empfindungen mitzuteilen. Machen Sie ihrem Kind Mut, auch kontroverse und heikle Themen und Gedanken auszusprechen.

Belassen Sie es nicht mit einem „Wie geht es dir?“ zwischen Tür und Angel. Nehmen Sie sich Zeit. Fragen Sie nach und bleiben Sie dran. Verabreden Sie sich mit Ihrem mittleren Kind. Führen Sie Gespräche unter vier Augen. Für mittlere Kinder sind Freundschaften ganz besonders wichtig. Da es sein kann, dass es sich zu Hause überflüssig vorkommt, nehmen Freunde einen großen Stellenwert ein. Fördern und unterstützen Sie diese Freundschaften, laden Sie seine Freunde zu sich nach Hause ein. Auch das ist eine gute Möglichkeit, Ihrem mittleren Kind zu zeigen, dass es in Ihrer Familie willkommen ist und dazugehört.

Nesthäkchen: Selbstständigkeit fördern

Jüngste Kinder erleben oft Eltern, die nachgiebiger sind als bei ihren älteren Geschwistern. Sie drücken eher mal ein Auge zu als bei den Großen. Eltern haben den Wunsch, bei ihrem Nesthäkchen den Lebensweg ganz besonders zu ebnen, schließlich ist es ja „das Kleine“. Das führt schnell dazu, dass Eltern ihrem jüngsten Kind Dinge abnehmen und Aufgaben für ihr Kind übernehmen, die es schon selber könnte. Die Annahme, ihrem Kind damit zu helfen, ist jedoch ein Trugschluss. So kann schnell der Eindruck entstehen: „Die Welt dreht sich nur um mich.“

Besonders letztgeborene Kinder müssen lernen, eigenständig und selbstständig zu werden und sich nicht nur auf Eltern oder ältere Geschwister zu verlassen. Machen Sie es Ihrem Kind daher nicht zu leicht. Übertragen Sie ihm Verantwortung für das, was es bereits selbst schaffen kann. Sorgen Sie dafür, dass es kleine Pflichten im Haushalt übernimmt und nicht andere für sich arbeiten lässt, weil es ja noch so klein und „hilflos“ ist. Achten Sie darauf, dass auch Ihr jüngstes Kind sich an Familienregeln hält.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass ihr Kind nicht zwischen den „Großen“ untergeht. Jüngste Kinder können manchmal den Eindruck haben: „Ich bin gar nicht wichtig“. Alles, was Ihr jüngstes Kind tut, haben die anderen schon vorher geschafft. Entwicklungsschritte werden eher am Rande zur Kenntnis genommen und nicht mehr so stark gefeiert. Stellen Sie die Leistungen Ihres jüngsten Kindes daher immer mal wieder heraus. Hängen Sie die „Kunstwerke“ Ihres Kindes sichtbar für alle auf, sodass es gleichberechtigt mit den großen Geschwistern vertreten ist.

Jedes Kind im Blick haben

Grundsätzlich ist es also wichtig, aufmerksam zu sein, jedes einzelne Kind gut im Blick zu haben und immer wieder das eigene Erziehungsverhalten zu reflektieren. Das Wissen um die Geschwisterkonstellation kann hierbei eine gute Hilfe sein. Jedoch ist dies nur ein Puzzleteil vom Gesamtbild eines Menschen. Genauso spielt natürlich das Erziehungsverhalten der Eltern, die Art und Weise, wie jede Familie ihren Familienalltag lebt und die ganz individuelle Persönlichkeit jedes Kindes eine Rolle. Jedes Kind ist anders und einzigartig.

Susanne Büscher arbeitet in ihrer Praxis für Lebensberatung, Paarberatung und Coaching im oberbergischen Waldbröl.

Die Rollen nicht zementieren

Kinder werden stark dadurch geprägt, ob sie erstes, zweites oder drittes Kind sind. Wie Eltern verhindern können, dass sich diese Prägungen zu stark auswirken, erklärt Susanne Büscher.

In der Family 3/19 habe ich einen Artikel zum Thema Geschwisterkonstellation in der Partnerschaft geschrieben. Es ging darum, wie stark unser Verhalten davon geprägt ist, ob wir die Erstgeborenen sind, mittlere Kinder oder das „Nesthäkchen“. Dabei wurde herausgestellt, welche Stärken und Herausforderungen jede Position mit sich bringt und wie sich das auf eine Partnerschaft auswirkt. Angeregt durch einen Leserbrief greife ich in diesem Artikel das Thema noch einmal auf, diesmal jedoch von einem eher pädagogischen Blickwinkel. Dabei soll es um die Frage gehen, wie man in der Erziehung Einfluss nehmen kann, damit sich die typischen Eigenschaften und Muster der jeweiligen Geschwisterposition nicht zu stark einfahren. Schauen wir uns dazu die einzelnen Positionen noch einmal genauer an:

ERSTGEBORENE: SCHWÄCHE ZEIGEN

Älteste Kinder sind häufig perfektionistisch, es fällt ihnen schwer, Dinge aus der Hand zu geben. Ihnen sind Regeln und Vorschriften meist sehr wichtig. Sie müssen lernen, dass selbst der beste vorher zurechtgelegte Plan scheitern kann. Manches lässt sich nicht erzwingen. Seien Sie daher geduldig und nehmen Sie sich Zeit, die Fragen ihres Kindes von Anfang bis Ende genau durchzugehen. Sprechen Sie verschiedene Lösungswege für ein Problem durch. Überlegen Sie gemeinsam mit ihrem Kind, wie ein Plan B, C oder D aussehen könnte.

Für Erstgeborene ist es typisch, Dinge, die sie sich vorgenommen haben, unbedingt erreichen zu wollen. Erstgeborene fassen ihr Leben häufig als einen Kampf auf, in dem es ums Gewinnen geht. Zeigen Sie ihrem Kind daher, wann immer es Ihnen möglich ist, dass es nicht vollkommen sein muss, um Ihre Anerkennung und Liebe zu bekommen. Eltern können hier ein gutes Vorbild sein und sich menschlich zeigen, indem sie eigene Fehler und Schwächen zugeben und Ihrem Kind so vorleben, dass Fehler zum Leben dazugehören, dass auch ihnen nicht alles direkt gelingt und dass das kein Weltuntergang ist. Denken Sie daran, Sie sind das Vorbild für Ihr Kind. Es hat keinen Bruder oder keine Schwester, an dem es sich orientieren kann. Es schaut zu Ihnen auf.

Wenn Sie darauf achten, können Sie wirkungsvoll dazu beitragen, dass sich Ihr ältestes Kind etwas besser von Erwartungen und Ansprüchen anderer abgrenzen kann. Nehmen Sie sich Zeit, um als Eltern mit Ihrem ältesten Kind auch mal etwas allein zu machen. Erstgeborene brauchen das ungeteilte Zusammensein mit ihren Eltern. Achten Sie darauf, Ihrem älter werdenden Erstgeborenen nicht immer mehr Verantwortlichkeiten aufzuladen. Nehmen Sie ihm eher welche ab und übertragen sie den Jüngeren.

SANDWICHKINDER: BEWUSST WAHRNEHMEN

Mittlere Kinder fühlen sich häufig unter Druck. Sie können sich eingezwängt fühlen in ihrer Rolle. Es gibt nicht nur die Eltern, die Autorität ausstrahlen und Lebenserfahrung haben, sondern auch ein älteres Geschwisterkind. Und dann gibt es da noch das süße kleine Nesthäkchen. Das mittlere Kind ist also zu jung für Privilegien und zu alt für Streiche und Späße. Dieser Druck führt dazu, dass sich mittlere Kinder oft überflüssig und unpassend fühlen.

Bemühen Sie sich daher verstärkt darum, ihm ein Gefühl von Besonderheit zu vermitteln. Sorgen Sie dafür, dass es in Ihrem Fotoalbum auch Bilder von Ihrem mittleren Kind gibt. Machen Sie auch mal Aufnahmen, auf denen Ihr Kind ohne seine Geschwister zu sehen ist. Räumen Sie ihm ab und zu kleine Privilegien ein. Nehmen Sie zum Beispiel bei einer Erledigung einmal nur Ihr mittleres Kind mit und nutzen Sie die Zeit, um ins Gespräch zu kommen. Hören Sie genau zu, wenn Ihr Kind Ihnen etwas erzählt und erklärt. Es hat häufig den Wunsch, Konflikte zu verdrängen und zu vermeiden, weil es kein Aufsehen erregen will. Fragen Sie Ihr mittleres Kind nach seiner Meinung. Binden Sie es in Entscheidungen mit ein. Bieten Sie ihrem Kind viele Gelegenheiten, seine Gefühle und Empfindungen mitzuteilen. Machen Sie ihrem Kind Mut, auch kontroverse und heikle Themen und Gedanken auszusprechen.

Belassen Sie es nicht mit einem „Wie geht es dir?“ zwischen Tür und Angel. Nehmen Sie sich Zeit. Fragen Sie nach und bleiben Sie dran. Verabreden Sie sich mit Ihrem mittleren Kind. Führen Sie Gespräche unter vier Augen. Für mittlere Kinder sind Freundschaften ganz besonders wichtig. Da es sein kann, dass es sich zu Hause überflüssig vorkommt, nehmen Freunde einen großen Stellenwert ein. Fördern und unterstützen Sie diese Freundschaften, laden Sie seine Freunde zu sich nach Hause ein. Auch das ist eine gute Möglichkeit, Ihrem mittleren Kind zu zeigen, dass es in Ihrer Familie willkommen ist und dazugehört.

NESTHÄKCHEN: SELBSTSTÄNDIGKEIT FÖRDERN

Jüngste Kinder erleben oft Eltern, die nachgiebiger sind als bei ihren älteren Geschwistern. Sie drücken eher mal ein Auge zu als bei den Großen. Eltern haben den Wunsch, bei ihrem Nesthäkchen den Lebensweg ganz besonders zu ebnen, schließlich ist es ja „das Kleine“. Das führt schnell dazu, dass Eltern ihrem jüngsten Kind Dinge abnehmen und Aufgaben für ihr Kind übernehmen, die es schon selber könnte. Die Annahme, ihrem Kind damit zu helfen, ist jedoch ein Trugschluss. So kann schnell der Eindruck entstehen: „Die Welt dreht sich nur um mich.“

Besonders letztgeborene Kinder müssen lernen, eigenständig und selbstständig zu werden und sich nicht nur auf Eltern oder ältere Geschwister zu verlassen. Machen Sie es Ihrem Kind daher nicht zu leicht. Übertragen Sie ihm Verantwortung für das, was es bereits selbst schaffen kann. Sorgen Sie dafür, dass es kleine Pflichten im Haushalt übernimmt und nicht andere für sich arbeiten lässt, weil es ja noch so klein und „hilflos“ ist. Achten Sie darauf, dass auch Ihr jüngstes Kind sich an Familienregeln hält.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass ihr Kind nicht zwischen den „Großen“ untergeht. Jüngste Kinder können manchmal den Eindruck haben: „Ich bin gar nicht wichtig“. Alles, was Ihr jüngstes Kind tut, haben die anderen schon vorher geschafft. Entwicklungsschritte werden eher am Rande zur Kenntnis genommen und nicht mehr so stark gefeiert. Stellen Sie die Leistungen Ihres jüngsten Kindes daher immer mal wieder heraus. Hängen Sie die „Kunstwerke“ Ihres Kindes sichtbar für alle auf, sodass es gleichberechtigt mit den großen Geschwistern vertreten ist.

JEDES KIND IM BLICK HABEN

Grundsätzlich ist es also wichtig, aufmerksam zu sein, jedes einzelne Kind gut im Blick zu haben und immer wieder das eigene Erziehungsverhalten zu reflektieren. Das Wissen um die Geschwisterkonstellation kann hierbei eine gute Hilfe sein. Jedoch ist dies nur ein Puzzleteil vom Gesamtbild eines Menschen. Genauso spielt natürlich das Erziehungsverhalten der Eltern, die Art und Weise, wie jede Familie ihren Familienalltag lebt und die ganz individuelle Persönlichkeit jedes Kindes eine Rolle. Jedes Kind ist anders und einzigartig. Jedes Kind ist ein Geschenk, das Gott uns anvertraut hat. Wie gut, dass wir in allem Bemühen darum, unsere Kinder gut ins Leben zu begleiten, darauf vertrauen können, dass Gott seine Hand über uns hält.

Susanne Büscher arbeitet in ihrer Praxis für Lebensberatung, Paarberatung und Coaching im oberbergischen Waldbröl (www.susanne-buescher.com).

Auf das Baby vorbereiten

„Wir erwarten unser zweites Kind. Ich habe Angst, dass unsere Tochter (2) eifersüchtig werden könnte. Wie kann ich sie jetzt schon auf die Ankunft ihres Geschwisterchens und ihre Rolle als große Schwester vorbereiten?“

Bereiten Sie sich gemeinsam mit Ihrer Tochter aufs Baby vor: Lassen Sie sie Babysachen aussuchen, das Kinderzimmer mit einrichten oder die Schränke einräumen. Es kann der großen Schwester helfen, ihren neuen Platz zu finden, wenn sie sich wichtig und gebraucht fühlt. Fragen Sie sie, wenn das Baby da ist, ruhig oft um Hilfe. Egal, ob es ein Glas Wasser ist, das während des Stillens gereicht wird oder die Windel beim Wickeln. Oder überlegen Sie gemeinsam, ob Sie alles für das Baby eingepackt haben, wenn Sie das Haus verlassen. Geben Sie ihr die Chance, sich als wertvollen Teil der Familie wahrzunehmen.

NEGATIVE GEFÜHLE ZUGESTEHEN

Doch all das ändert eins nicht: Für Ihre Tochter ist die Ankunft eines Geschwisterkindes ein einschneidendes Erlebnis, das nicht nur mit positiven Gefühlen einhergehen kann. Sie muss die Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Eltern, die sie vorher für sich hatte, teilen. Auch Erwachsene fühlen sich in Situationen unwohl, in denen ihr sicher geglaubter Platz wankt. So würde wohl kaum jemand akzeptieren, dass der Partner eine weitere Person mit in die Beziehung bringt. Gestehen Sie Ihrer Tochter daher auch negative Gefühle wie Trauer, Wut und Eifersucht gegenüber dem neuen Kind zu.

Wichtiger, als diese Gefühle zu verhindern, ist es, Kinder darin zu begleiten. Für Ihre Tochter ist das, was in ihr vorgeht, mitunter sehr verwirrend. Denn neben Freude und Verliebtheit in das neue Wesen und auch Stolz, nun die Große zu sein, hat sie eben auch die ganzen anderen Gefühle. Sie nimmt auch wahr, dass sie die Einzige ist, die so fühlt, weil sie ja sieht, dass Sie als Eltern sich uneingeschränkt freuen. Sie können ihr in dieser Situation helfen, wenn Sie ihr Worte für das geben, was sie fühlt. Sprechen Sie an, was Sie wahrnehmen. „Ich sehe, dass du traurig bist, weil ich schon so lange mit dem Baby beschäftigt bin und du warten musst.“ Zeigen Sie ihr, dass das, was sie empfindet, empfunden werden darf.

NICHT SCHIMPFEN ODER STRAFEN

Oft steckt hinter dem Wunsch, Eifersucht zu vermeiden, die Angst, dass das Geschwisterkind dem Baby gegenüber grob werden könnte. Dass gerade kleine Kinder, die sich noch nicht gut ausdrücken können, ihren Frust so zeigen, ist möglich. Haben Sie Ihre Tochter also im Auge und seien Sie präsent. Wenn sie das Baby ärgert, gehen Sie sanft dazwischen. Machen Sie sich klar, dass Ihre Tochter das nicht tut, um wirklich jemanden zu ärgern. Sie kann in solchen Situationen noch nicht anders handeln. Schimpfen oder Strafen würden die Wut auf das Baby verschlimmern. Bedenken Sie: Mit zwei Jahren ist Ihre Tochter zwar jetzt die Große, aber trotzdem noch ein Kleinkind.

Stellen Sie dem großen Geschwisterkind eine weitere Bezugsperson an die Seite. Das kann der Elternteil sein, der sich weniger um das Baby kümmert, aber auch Großeltern oder erwachsene Freunde, die regelmäßig kommen, um exklusiv Zeit mit der großen Schwester zu verbringen.

Daniela Albert ist Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie bei Kassel und bloggt unter www.eltern-familie.de.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Das richtige Maß an Zuwendung

„Unser zweiter Sohn (3) ist ein sehr braves und kooperierendes Kind. Die Geburt seiner kleinen Schwester vor wenigen Monaten hat er gut weggesteckt. Nun fragte mich eine Erzieherin, ob er zu kurz komme. Sollte ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenken, obwohl er so unproblematisch ist?“

Rückmeldungen von außen haben einen Wert. Sie sind deshalb so wertvoll, weil sie Eltern die Möglichkeit geben, einen Schritt zurückzutreten und ihr Verhalten, das ihres Kindes und das Zusammenspiel als Familie bewusster wahrzunehmen. Dabei können einige wichtige Veränderungen für die Entwicklung des Kindes angestoßen oder gar ein verfahrenes negatives Muster zwischen Eltern und Kind entlarvt werden. Alles in allem ist es eine Einladung zum Hinsehen.

BEWUSST BEOBACHTEN

Wachsame und mitdenkende Erzieherinnen sind eine Bereicherung. Jedoch haben Menschen mit pädagogischem Beruf wie Erzieher oder Lehrer, aber auch Großeltern oder Freunde nicht per se den „besseren“ Blick auf das eigene Kind. Wenn Fachkräfte aber zum genauen Hinsehen auffordern, kann das dazu führen, dass Eltern sich vergewissern: So wollen wir das Miteinander. Es ist gut so. Sicherlich war die Begegnung mit der Erzieherin, von der Sie berichten, nicht ganz einfach. Die Aufgabe, Ihren Sohn, seinen großen Bruder und nun auch noch das Baby nicht aus dem Blick zu verlieren, ist sicherlich fordernd genug für Sie. Doch anstatt sich mit Fragen und Vorwürfen zu beschäftigen, möchte ich Sie ermutigen, diese Rückmeldung als Chance zu sehen, Ihren Sohn und sein kooperierendes Verhalten einmal bewusst zu betrachten. Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen: Drückt er Ärger aus, wenn er übersehen oder missverstanden wird? Gibt es Momente, in denen er einen bewussten Blickkontakt oder Kuschelzeit von Ihnen benötigt? Wissen Sie, was ihn zum Lachen bringt, was er gern isst oder welches Buch gerade sein Favorit ist? Diese kleinen Alltagsmomente können Hinweise sein, ob er mit seiner wenig fordernden Art ausreichend Nähe bekommt und seine Bedürfnisse ausdrückt.

EMOTIONEN BENENNEN

Sie können ihm dabei helfen, seine Gedanken und Wünsche zu erspüren. Manchmal hilft eine kleine Minute mit einem Bilderbuch oder einem Wimmelbuch, in dem Menschen verschiedene Emotionen durch ihren Gesichtsausdruck zeigen. Sie können bewusst fragen: Wann bist du zornig? Anschließend können Sie mit einem Spiel verschiedene Gesichtsausdrücke aus dem Buch nachahmen. Um ihm zu helfen, sich wahrgenommen zu fühlen, nennen Sie zum Beispiel am Esstisch bewusst seinen Namen, sehen Sie ihn an und lassen Sie ihn als Erstes ausdrücken, was er für sein Brot als Aufstrich wählt. Oder fragen Sie ihn während der Autofahrt: „Wie fühlst du dich? Welches Lied wollen wir zusammen singen?“

Insgesamt muss er nicht unbedingt auf ein Geschwisterchen mit Aufruhr und Trotz reagieren. Es gibt Kinder, die in sich ruhen und auch auf starke Veränderungen sehr gelassen reagieren. Auch das darf das Ergebnis Ihrer Beobachtung sein.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Kleinunternehmen Großfamilie: So lebt es sich mit acht Kindern

Weihnachtsfeier-Marathon, teure Schwimmbad-Tickets und abschätzige Kommentare – Großfamilie Müller hat’s manchmal schwer. Trotzdem geht die Harmonie nicht flöten. Wie das?

Fast eine Stunde ist meine kleine Familie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, um an den Rand Berlins zu gelangen. Zehn Minuten schlendern wir mitten auf der dörflich anmutenden Straße, denn wann hat man als Großstädter schon mal eine Straße ganz für sich allein? Schließlich machen wir vor dem fliederfarbenen Haus der Familie Müller Halt. Ein schlanker junger Mann mit südländischem Teint empfängt uns freudig und warmherzig. Martin, der Familienvater, und mein Mann kennen sich von einem gemeinsamen Musiktherapie-Studium. Schon beim Betreten der Wohnküche beschleicht mich ein Gefühl von Ehrfurcht: Hier soll eine zehnköpfige Familie leben? Davon zeugt einzig der lange Tisch mit den vielen Sitzgelegenheiten, ansonsten ist alles picobello ordentlich. Mutter Christina, auch sie hat einen südländischen Einschlag, empfängt uns genauso warmherzig und tiefenentspannt wie ihr Mann. Ihr Bauch kann schon nicht mehr ganz verbergen, dass darin gerade ein elftes Familienmitglied heranwächst.

EIN TISCH VOLLER KINDER

Vom Tisch blicken mir drei adrett gekleidete Jungen im Grundschulalter entgegen, die geduldig vor ihren Tellern warten, auf denen bunte Kuchenstücke liegen. Zu ihnen gesellen sich in den nächsten Minuten, fröhlich plaudernd, fünf weitere Kinder im Alter von knapp zwei bis fünfzehn Jahren. Trotz kühler Temperaturen ist unser fast zweijähriger Sohn der einzige mit einer Rotznase und auch der einzige, der sich schon vor offiziellem Beginn des Kaffeetrinkens am Obstteller bedient. Nun wird gesungen und fröhlich zugelangt. Den Papageienkuchen hat der zehnjährige Wilhelm fast ohne Hilfe gebacken.

Als ich mein Diktiergerät einschalte, wandern immer mal wieder neugierige Blicke aus zehn Augenpaaren zu mir herüber, bereit, sich jederzeit am Gespräch zu beteiligen.

NOCH NICHT VOLLSTÄNDIG

Das Haus mit den sechs Kinderzimmern hat die Familie 2011 bezogen, als die Grundstückspreise noch erschwinglich waren. Die monatlichen Raten für den Kredit sind sogar ein wenig geringer als die Miete für das Reihenhaus, in dem sie vorher gewohnt haben.

Martin (Jahrgang 1979) und Christina (1978) haben sich in ihrem Heimatort in Thüringen schon im Jugendalter kennengelernt und mit Anfang Zwanzig geheiratet. Als sie über Familienplanung gesprochen haben, sei schnell klar gewesen, dass beide sich mehrere Kinder vorstellen konnten. Vier oder fünf mindestens. Danach hätten sie es einfach immer noch mal gewagt. Christina sagt, sie habe so ein Gefühl gehabt, noch nicht vollständig zu sein. Martin erläutert, dass ein neues Kind ja auch immer ein neuer Mensch sei, auf den man sich erst einlassen müsse: „Doch irgendwie haben unsere Kapazitäten das hergegeben.“

DER LUSTIGE PAPA

Ich bin noch immer baff von der freundlichen, selbstbewussten und bildschönen Kinderschar und frage sie nach den Superkräften ihrer Eltern, so eine Großfamilie am Laufen zu halten. Mit einem Lachen verrät die 14-jährige Elisabeth: „Papa ist sehr geduldig.“ Und Wilhelm (10) ergänzt: „Ja, und nett.“ August (8) weiß noch hinzuzufügen: „Und lustig.“ Wie man es denn schaffe, als geduldiger, netter und lustiger Papa mehrere Kinder gleichzeitig zum Verlassen des Hauses fertig zu machen, möchte ich wissen. Daraufhin lacht Martin und gibt zu, dass das eher keine seiner Spezialfertigkeiten sei und am Ende meist die falschen Kinder die falschen Klamotten tragen würden. Christina habe da den besseren Überblick.

MAMA-SUPERKRÄFTE

Christina ist neben ihrem Mann, dem Fels in der Brandung, das Organisationsgenie. Laut Martin hat sie stets alle Termine auf dem Schirm und kümmert sich um die logistische Umsetzung. Sie sei es, die den ganzen Laden zusammen und am Laufen halte. Wilhelm bringt es auf den Punkt: „Sie hat Mama-Superkräfte“. Denn wo schon so manche Kleinfamilie über die hohe Terminbelastung durch Kindergeburtstagseinladungen und Elternsprechtage klagt, lässt Familie Müller sich nicht lumpen. Martin: „Zweimal im Jahr gibt es einen Marathon. Einmal im Dezember, wenn die ganzen Weihnachtsfeiern anstehen, und am Schuljahresanfang die Elternabende. Da stehen wir in der Regel bei jedem Termin auf der Matte.“ Martin arbeitet als Krankenpfleger und Musiktherapeut. Christina ist Sozialarbeiterin bei der Stadtmission und gerade in Elternzeit. Durch das staatliche Bildungs- und Teilhabepaket werden Hobbys und Klassenfahrten der Kinder bezuschusst. Meiner Meinung nach für den Staat ein super Deal, wenn man bedenkt, was die Kinderschar schon in einigen Jahren in die Renten- und Sozialkassen einzahlen wird.

GROSSFAMILIENALLTAG

An einem ganz normalen Wochentag unternehmen Martin oder Christina morgens um 5:50 Uhr ihren Streifzug durchs Haus, um alle Kinder zu wecken. Nach und nach versammelt sich die Familie zum Frühstück in der Wohnküche. Die 14-jährige Elisabeth ist die Erste, die mit wehenden Fahnen das Haus verlässt, denn ihr Schulweg dauert fast eine Stunde. Seit der fünften Klasse besucht sie ein musikbetontes Gymnasium im Herzen Berlins. „Ich musste einen Aufnahmetest machen, und es hat überraschenderweise funktioniert. Die Schule ist richtig cool. Wir haben extra Musikstunden und einen Chor. Montags gehe ich nach der Schule noch zur Stimmbildung.“

VOLLZEIT-JOB

Ein bisschen später machen sich die anderen Schulkinder Hannah, Agathe, Wilhelm und August auf den Weg. Bei gutem Wetter schwingen sie sich aufs Fahrrad, ansonsten nehmen sie den Bus. Albrecht und Joseph werden in den Kindergarten gebracht, und mit der knapp zweijährigen Martha besucht Christina einmal wöchentlich die Krabbelgruppe. Der Vormittag vergeht wie im Flug. Christina kämpft sich durch Wäscheberge, saugt das Haus, räumt auf, lüftet, kocht, und schon um 12 Uhr stehen die ersten Kinder wieder zum Mittagessen auf der Matte. Eine Haushaltshilfe gibt es nicht.

EIN JOB FÜR ZWEI

In den letzten Monaten musste Christina aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen strenge Bettruhe halten. Für Martin eine echte Zerreißprobe. Gott sei Dank würden die älteren Kinder ganz selbstverständlich mithelfen, doch neben seinem Job auch noch Christinas Aufgaben zu meistern, sei sehr herausfordernd gewesen. Jetzt darf sie das Bett wieder verlassen und wirbelt in gewohnter Weise durchs Haus.

ALS PAAR AUFTANKEN

Nach den Hausaufgaben sind die Nachmittage gefüllt mit gemeinsamem Spiel im Haus und Garten, denn bei so vielen Geschwistern findet man garantiert immer einen Spielpartner. Jedes Kind ist an mindestens zwei Nachmittagen im Sportverein oder beim Musik- oder Tanzunterricht. Hier und da werden sich Fahrten mit Nachbarsfamilien geteilt. Abends gehen die älteren Kinder selbstständig zu Bett, die jüngeren werden von den Eltern gebracht. Wenn Ruhe eingekehrt ist und die Kräfte reichen, ziehen Christina und Martin manchmal noch zusammen los, um einen Abend in Zweisamkeit außerhalb des Hauses zu erleben. Die großen Mädchen sind es gewohnt, ab und zu die Jüngeren zu hüten. „Diese gemeinsame Zeit ist enorm wichtig, um als Paar aufzutanken“, erklärt Martin. „Wir schauen auch, dass im Alltag Zeiten sind, in denen wir zum Quatschen kommen. Manchmal ist das im Eifer des Gefechts eine umkämpfte Geschichte, die uns mal mehr, mal weniger gut gelingt.“

EIN ZENTRUM FÜR GROSSFAMILIEN

Martins Leidenschaften sind Musik und Literatur. Auch dafür erarbeitet er sich immer wieder Freiräume. Christina trifft sich gern allein mit einer Freundin oder widmet sich ihrem Hobby Nähen. In ihrer Gemeinde engagiert sie sich ehrenamtlich im Team für den Kindergottesdienst, den sie mit aufgebaut hat.

Sonntags setzt sich die ganze Familie in ihren Kleinbus und fährt in die Kirchengemeinde. Hin und wieder besuchen sie alle gemeinsam Freunde oder unternehmen Wochenendausflüge zu den Großeltern. Ihren Sommerurlaub verbringen die Müllers meist an der Ostsee. Dort gibt es ein Familienerholungszentrum, das speziell für Großfamilien ausgelegt ist.

ABSCHÄTZIGE KOMMENTARE

Wenn die Familie gemeinsam in der Öffentlichkeit auftritt, fallen schon auch mal abschätzige Kommentare von Fremden, oder Passanten schütteln ungläubig den Kopf. Das habe sich in den letzten Jahren jedoch deutlich verbessert, erzählen die Eltern. Die überwiegende Mehrzahl der Rückmeldungen sei positiv: „Mensch, gute Arbeit!“

KEINE KARTE FÜRS SCHWIMMBAD

Auf meine Fragen, ob es auch manchmal schwierig sei, in so einer großen Familie zu leben, erhalte ich von den Kindern nur Antworten, wie: „Nein, alles ist toll.“ Nach einigem Überlegen nennen die Eltern Eintrittskarten für den Zoo oder das Schwimmbad, die für ihre Familiengröße nicht existierten, weshalb so ein gemeinsamer Ausflug fast unbezahlbar sei.

Und Taschengeld? Hier gibt es die Regelung, dass jedes Kind pro Schulstufe, in die es geht, einen Euro pro Woche bekommt. Hannah, die Älteste, verdient sich durch gelegentliches Babysitten oder Aushilfsjobs in der Firma von Freunden etwas dazu.

PLATZ NACH OBEN?

Die Müllers sind gern mit ihrer Familie zusammen und können sich kein anderes Leben vorstellen. Unter den Kindern herrscht ein liebevoller Umgang. Alle sind sehr musikalisch und genießen das regelmäßige gemeinsame Musizieren. Ihren christlichen Glauben leben Martin und Christina durch Gebete, zum Beispiel vor dem Essen, beim Zubettbringen oder beim unregelmäßig stattfindenden Familienrat. Sie wollen den Kindern ihren Glauben nicht aufzwingen, sondern wünschen sich, dass diese ganz frei einen positiven Zugang dazu erlangen.

BLOSS KEINE VERGLEICHE

Ob auch nach Kind Nummer neun noch Platz nach oben sei, möchte ich wissen. Beide Eltern schließen das nicht aus, erwähnen nur, dass altersbedingt ja irgendwann eine Grenze erreicht sei. Nach einem herzlichen Abschied muss ich mich auf dem Heimweg bemühen, mich nicht zu vergleichen. Mir ist sogar mein eines Kind schon manchmal zu viel. Ich freue mich total für diese tolle Familie und bin überzeugt, dass jeder von ihnen genau am richtigen Platz ist und die beiden Eltern einfach eine Gabe für das Kleinunternehmen Großfamilie haben.

Anna Koppri liebt es, durch ihren Schreibjob immer wieder Einblicke in die verschiedensten Lebensbereiche zu erhalten. Mehr von ihr auf: liebenlernenblog.wordpress.com

Inzwischen ist bei Familie Müller Kind Nr. 9 dazugestoßen: Mit Adele Johanna sind nun die Mädchen in der Überzahl.